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deutsche_sprachgesch.. - titus

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Deutsche Sprachgeschichte<br />

Roland Mittmann, M.A.<br />

Institut für Empirische Sprachwissenschaft


Die Germanen<br />

und ihre Sprache


Die „Germanen“<br />

Erkenntnisse aus der Archäologie:<br />

• Verschmelzung der indogermanischen<br />

Einwanderer mit der germanischen<br />

Urbevölkerung wohl gegen 1200 v.Chr<br />

beendet<br />

• Siedlungsgebiet zunächst wohl<br />

Norddeutschland, Dänemark,<br />

Südschweden, dann Ausbreitung in alle<br />

Richtungen, vor allem nach Süden


Die Ausbreitung der Germanen


Der germanische Wortschatz<br />

• Wortschatz prinzipiell indogermanisch, aber viele Wörter<br />

zweifelhafter oder unbekannter Herkunft<br />

vorgermanisch?<br />

• z.B. *ƀlōþam ‛Blut’, *xanđuz ‛Hand’, *reǥnam ‛Regen’,<br />

*stainaz ‛Stein’, *ǥōđaz ‛gut’, *đrinkanam ‛trinken’<br />

• Wortersetzung bei Homophonie:<br />

– uridg. *h x<br />

ózdo- > *ásta- ‛Ast’<br />

– uridg. *h 2<br />

óst- > **ást- ‛Knochen’ (gr. ostéon, lat. os)<br />

ersetzt durch *ƀainam (engl. bone)


Urgermanische Wörter<br />

in anderen Sprachen<br />

• bei lateinischen Autoren, z.B.:<br />

– Caesar: ūrus ‛Auerochse’, alcēs ‛Elche’<br />

– Tacitus: glēsum ‛Bernstein’ (vgl. nhd. Glas)<br />

– Plinius d. Ä.: ganta ‛Gans’,<br />

sāpo ‛Schminke’ (vgl. nhd. Seife)<br />

• Entlehnungen ins Finnische, z.B.:<br />

– kuningas ‛König’ < urgerm. *kuninǥaz<br />

– saippua ‛Seife’, sukka ‛Socke’, pelto ‛Feld’


Entlehnungen im Urgermanischen<br />

• aus dem Keltischen, z.B.:<br />

– *rīḱ- ‛König’ (vgl. nhd. Reich, reich) < kelt. rīg-<br />

< uridg. *h 3<br />

rḗg’- (ī statt ē, vor 1. Lautverschiebung)<br />

– *Rīńaz ‛Rhein’ (vgl. gr. Rhēńos)<br />

– *amƀaxtáz ‛Diener’ (vgl. nhd. Amt) < kelt. ambactos<br />

< uridg. *h 2<br />

emb h i-h 2<br />

eg’-tó- ‛Herumgetriebener’<br />

(germanisch sonst *umbi < *h 2<br />

m̥b h i)<br />

• aus dem Lateinischen (alle nach 1. LV), z.B.:<br />

– *púnđam ‛Pfund’ < lat. pondō (vgl. got., anord. pund)<br />

– *katílaz ‛Kessel’ < lat. catīllus (got. katils, anord. ketill)<br />

– *kaup- ‛kaufen’ < lat. caupō ‛Kaufmann’<br />

(got. kaupon, anord. kaupa ‛kaufen’; neuengl. cheap)


Entlehnungen im Urgermanischen<br />

• aus dem Iranischen, z.B.:<br />

(nach 1. Lautverschiebung)<br />

– *páþaz ‛Pfad’ (avest. paθa- < uridg. *pn̥th 2 -)<br />

• aus anderen östlichen Sprachen, z.B.:<br />

(beide vor 1. Lautverschiebung)<br />

– *xánapiz ‛Hanf’ (vgl. gr. kánnabis, sumer.<br />

kunibu; anord. hampr, neuengl. hemp)<br />

– *paiđṓ ‛Umhang’ (vgl. bair. Pfoad, gr. baítē)


Urgermanische Textzeugnisse<br />

• Helm von Negau<br />

• Negova, Slowenien, ca. 1. Jh. v.Chr.<br />

– damals keltisches Sprachgebiet!<br />

• HARIGASTI TEIWA<br />

‛Heergast dem Ziu (*Tīẃaz)’<br />

• nordetruskisches Alphabet<br />

• Personenname: *xarjaz ‛Heer’, *ǥastiz ‛Gast’<br />

• *Tīẃaz (in der Inschrift noch mit Diphthong!):<br />

– idg. Himmelsgott *déi̯u̯os (lat. deus, dīvus),<br />

zu *di̯éu̯s ‛Himmel(sgott), Tag’ (gr. Zeús, lat. diēs)<br />

– anord. Týr, ahd. Ziu, engl. noch in Tuesday


Urgermanische Textzeugnisse<br />

• Goldhorn B von Gallehus<br />

• Gallehus, Dänemark (Südjütland), ca. 420 n.Chr.<br />

• ek hlewagastiz : holtijaz : horna : tawido<br />

‛Ich, Leugast, der Hülze, machte das Horn’<br />

• Runeninschrift<br />

• Personenname: *xlewaz ‛berühmt’ (vgl. Leumund)<br />

• Attribut: *xoltaz ‛Holz’ *xoltijaz ‛aus dem Ort Holt ?’<br />

• Verb: Präteritum zu *tawjanam ‛machen, tun’<br />

(vgl. engl. to taw ‛weißgerben’)


Der germanische Stabreim<br />

ek hlewagastiz : holtijaz : horna : tawido<br />

• mehrfache Alliteration des anlautenden<br />

Konsonanten (oder beliebiger anlautender<br />

Vokale) im selben Vers nach festem Schema:<br />

– Verse mit vier Hebungen, 1–2 Stäbe auf ersten<br />

beiden, 3. Stab auf 3. Hebung<br />

• Vorkommen auch keltisch und lateinisch, im<br />

Germanischen v.a. altnordisch und altenglisch


Die Runen<br />

• ältestes germanisches Alphabet, seit ca. 1. Jh. n.Chr.<br />

• Herkunft: < Rhäter < Etrusker < Griechen < Phönizier<br />

• ca. 60 Inschriften bis 6. Jh.; ca. 5.000 Inschriften jünger<br />

• Mitteleuropa bis 7. Jh, England 10., Nordeuropa 15. Jh.<br />

• Ältestes „Futhark“ (Runenalphabet):<br />

f u þ a r k g w x n ei j ī p z s<br />

Namen für Buchstaben:<br />

z.B. *fexu ‛Vieh’,<br />

t b e m l ŋ d ō *ūruz ‛Auerochse’


Die Aufspaltung<br />

des Gemeingermanischen


Stammbaum der<br />

germanischen Sprachen


Nordgermanisch<br />

• Urnordisch<br />

– Brakteat von Tjurkö (Schweden, 5. Jh.):<br />

• wurte runoR an walhakurne. HeldaR kunimu(n)diu<br />

‛Ich fertigte die Runen auf „fremdem Korn“ (= Gold). Held der<br />

Kunimund.’<br />

• Einteilung<br />

– Westnordisch<br />

• Altisländisch (auch Färöisch)<br />

• Altnorwegisch<br />

– Ostnordisch<br />

• Altdänisch<br />

• Altschwedisch<br />

• Altgutnisch (Insel Gotland, Schweden)<br />

• später Einteilung nach Festland- und Inselskandinavisch


Ostgermanisch<br />

• Gotisch<br />

– einzige gut bezeugte ostgermanische Sprache<br />

– Bibelübersetzung durch Bischof Wulfila um 375 (Rumänien)<br />

– eigene, auf griechischer basierende Schrift<br />

• Vaterunser (aus got. Bibel, überliefert im Codex Argenteus):<br />

atta unsar þu ïn himinam, weihnai namo þein.<br />

qimai þiudinassus þeins, waírþai wilja þeins, swe ïn himina jah ana<br />

aírþai.<br />

hlaif unsarana þana sinteinan gif uns himma daga<br />

jah aflet uns þatei skulans sijaima, swaswe jah weis afletam þaim<br />

skulam unsaraim<br />

jah ni briggais uns ïn fraistubnjai, ak lausei uns af þamma ubilin,<br />

unte þeina ïst þiudangardi jah mahts jah wulþus ïn aiwins.<br />

amen.<br />

– Krimgotisch im 16. u. 18. Jh. belegt, dann Zweig ausgestorben


Die Entwicklung zum<br />

Westgermanischen


Der Verlust des freien Akzents<br />

• Festlegung des Akzents auf erste Silbe jedes Wortes<br />

• Druckakzent (statt wie bisher musikalischer Akzent)<br />

schrittweise Abschwächung der unbetonten Silben<br />

(Vokalreduktionen, Konsonanten- und Vokalausfälle im Auslaut)<br />

• Initialakzent in allen germanischen Zweigen, aber nach<br />

Verners Gesetz<br />

– weniger Vokalreduktion in Sprachen mit musikalischem Akzent<br />

(z.B. Schwedisch, Walserdeutsch)<br />

• Verbindung von Adverbien als Präfixen<br />

– bei Substantiven schon erfolgt:<br />

*uz + *lauƀam > *uzlauƀam ‛Urlaub’<br />

– bei Verben noch nicht:<br />

*uz + *lauƀijanam > *uz *lauƀijanam ‛erlauben’


Lautveränderungen<br />

• Senkung von ē zu ǣ:<br />

• *slēpanam > *slǣpana ‛schlafen’<br />

• Aufkommen von ē 2 (vs. ē 1 > ǣ):<br />

– ererbt z.B. in germ. *xē 2 r > wgerm. *xēr ‛hier’<br />

– neu in romanischen Lehnwörtern<br />

• lat. tegula > wgerm. *tēǥla ‛Ziegel’<br />

• Liquidisierung von z zu r<br />

• *nazjanam > *narjana ‛retten’ (vgl. nhd. nähren)<br />

(zu genesen)


Lautveränderungen<br />

• Westgerman. Konsonantengemination<br />

– Längung von Konsonanten<br />

• vor j (außer von r)<br />

– *sitjanam > *sittjana ‛sitzen’<br />

• vor Liquida (von stimmlosem Plosiv)<br />

– *aplaz > *appla ‛Apfel’<br />

• vor w, m, n (nur gelegentlich)<br />

– *manwōi > *mannwai ‛(dem) Manne’


Lautveränderungen<br />

• Ausfall von unbetontem i und u nach<br />

langer Silbe<br />

– z.B. bei u, Substantive:<br />

• *xanđuz > *xanđ ‛Hand’ (got. handus, ahd. hant)<br />

• vgl. *sunuz > *sunu ‛Sohn’ (got. sunus, ahd. sunu)<br />

– fries. dial. noch im 18. Jh. snuh<br />

– z.B. bei i, Verben:<br />

• *ƀranniđēm > *ƀranđa ‛brannte’ (ahd. branta)<br />

• vgl. *naziđēm > *nariđa ‛rettete’ (ahd. nerita)


Änderungen im Nominalsystem<br />

• Kasus:<br />

– Aufgabe des Vokativs<br />

• Zusammenfall mit Nominativ durch Verlust des<br />

auslautenden -z des Nominativs


Änderungen im Verbalsystem<br />

• Ersetzung 2. Person Sg. Prät.:<br />

– ererbt (ost-/nordgerm.):<br />

• *warft ‛warfst’ < uridg. *u̯e-u̯órp-th 2 e<br />

– geneuert (westgerm.):<br />

• *wurpi ‛warfst’ < uridg. Opt. *u̯e-u̯r̥b-ii̯éh 1 -s<br />

• vgl. Opt. *wurpīs mit geneuerter Endung (*-s < *-si)


Aufgabe der Reduplikation<br />

• Reduplizierende Verben:<br />

Ausfall des/der wurzelanlautenden Konsonanten<br />

und Kontraktion des Vokalclusters<br />

• *xeǥalđa > *xealđ(a) > *xēlđ (ē 2 ) ‛hielt’<br />

• *xeǥaita > *xeait(a) > *xēt (ē 2 ) ‛hieß’ (vgl. got. haíhait ‛hieß’)<br />

• *lelōta *lelēta (ē 1 , nach Präs.) > *leǣt(a) > *lēt (ē 2 ) ‛ließ’<br />

• *stezđauta > *steaut(a) > *steot ‛stieß’<br />

• *xexrōpa *xrexrōpa > *xreōp(a) > *xreop ‛rief’<br />

(got. laílot ‛ließ’)<br />

– später nur noch relikthafte Belege von Reduplikation<br />

• z.B. ahd. sterōʒ (< *stezaut) neben regelmäßigem stioʒ<br />

• z.B. altengl. heht ‛hieß’ (< *xexait), älter neuengl. hight


Die Aufspaltung<br />

des Westgermanischen


Traditioneller Stammbaum der<br />

germanischen Sprachen


Alternativer Stammbaum der<br />

germanischen Sprachen<br />

nach Friedrich Maurer


Friesisch<br />

• Altfriesisch im Mittelalter gesprochen an der gesamten<br />

heute niederländischen und <strong>deutsche</strong>n Nordseeküste<br />

• wohl ursprünglich eng verwandt mit Englisch:<br />

– z.B. Palatalisierung von k und g<br />

– z.B. germ. au > ea<br />

• Brea, bûter, en griene tsiis is goed Ingelsk en goed Frysk.<br />

(neuwestfries.)<br />

• lebende Tochtersprachen (alle stark bedroht):<br />

– Westfriesisch (nördliche Niederlande)<br />

– (Ostfriesisch an niedersächs. Nordseeküste ausgestorben)<br />

• Saterfriesisch (in ehem. ostfries. Kolonie bei Oldenburg)<br />

– Nordfriesisch (schleswig-holst. Nordseeküste)


Englisch<br />

• Altenglisch ab 5. Jh. nach Ansiedlung von Angeln, Sachsen und<br />

Jüten in England entstanden<br />

– sehr geringer keltischer, gewisser lateinischer Einfluss<br />

– ab 8. Jh. großer nordgermanischer Einfluss<br />

• z.B. anlautendes sk- (sky) gegenüber ererbtem sh- (sheep)<br />

– ab 11. Jh. erheblicher französischer Einfluss (Normannen)<br />

• z.B. zubereitete (roman.) vs. lebende Tiere (german.): beef vs. cow<br />

insgesamt Verlust von 85 % des ererbten Wortschatzes<br />

• altengl. Vaterunser:<br />

Fæder ūre, þū þe eart on heofonum; Sīe þīn nama ȝehālgod<br />

(neuengl.: Our Father who art in Heaven, hallowed be thy name)<br />

• Merkmale<br />

– starker Abbau der Flexionsmorphologie<br />

– erhebliche Änderungen im Vokalismus

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