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Abenteuerliche Kajaktour entlang der Westküste<br />
Text: Beni Vogel Fotos: Beni Vogel und Daniela Nägeli grönland ist eine Insel der Extreme.<br />
Wer hier auf Entdeckungstour geht, muss sich vorsehen. Raues Wetter mit Schnee und<br />
Sturm, starke Meeresströmungen und hohe Wellen hatten Beni Vogel und Daniela Nägeli<br />
auf ihrer mehrmonatigen Reise per Seekajak entlang der Küste zu meistern. Doch sie<br />
erlebten auch das sanfte Grönland mit wunderbaren Fjordlandschaften, grünen, moosbewachsenen<br />
Hügeln, grasenden Schafen, neugierigen Walen und gastfreundlichen Inuit.<br />
8 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013
Grönland<br />
9
10<br />
£ Beinahe unwirklich.<br />
Die Jagd- und Fischersiedlung<br />
Arsuk.
GRÖNLAND<br />
Frühling 2013 GLOBETROTTER-MAGAZIN 11
Endlich geschafft! Es ist Ende<br />
April, und wir stehen mit unserer<br />
ganzen Kajak- und<br />
Campingausrüstung vor<br />
dem Flughafengebäude in<br />
Narsarsuaq im Süden von<br />
Grönland. Vor knapp zwei<br />
Monaten hatten wir uns von der Schweiz aus<br />
mit einem ausgebauten Van und den Booten<br />
auf dem Dach auf den Weg nach Grönland gemacht.<br />
In Island erwartete uns die Hiobsbotschaft,<br />
dass die Fahrt des Frachtschiffes, welches<br />
uns von Island nach Grönland hätte bringen<br />
sollen, wegen der Wirtschaftskrise gestrichen<br />
worden war. Wir mussten umdisponieren und<br />
uns auf die Suche nach einem Frachtflugzeug<br />
machen. Schliesslich wurden wir fündig, konnten<br />
aber wegen miserabler Wetterbedingungen<br />
mehrmals nicht fliegen. So grenzt es beinahe<br />
an ein kleines Wunder, dass wir nun tatsächlich<br />
auf grönländischem Boden stehen. Es<br />
schneit ganz leicht. Dank der trockenen Luft<br />
fühlen sich die minus zehn Grad gar nicht mal<br />
so unangenehm an.<br />
Um die Ausrüstung vorbereiten und die<br />
Kajaks optimal beladen zu können, verbringen<br />
wir den ersten Tag in einer kleinen Jugendherberge.<br />
Diese wird seit vielen Jahren von einem<br />
Franzosen geführt, der vor langer Zeit auf einem<br />
Segeltrip in Grönland hängen geblieben<br />
ist. Gerne bespricht er mit uns die geplante<br />
Route und informiert uns über die wichtigsten<br />
Gefahren wie Föhnstürme, Packeis oder Eisbären.<br />
Eisbärenspuren. Früh am nächsten Morgen<br />
stehen wir am zugefrorenen Hafen und setzen<br />
die voll bepackten Kajaks auf die dünne Eisschicht.<br />
«Auch die längste Tour beginnt mit<br />
dem ersten Paddelschlag», witzelt Daniela.<br />
Werden wir den Herausforderungen auf den<br />
kommenden 1300 Kilometern entlang der<br />
Westküste Grönlands wirklich gewachsen sein?<br />
Seit wir mit unserer Reiseplanung – und somit<br />
mit dem Kajakfahren – begonnen haben, sind<br />
nämlich erst knapp eineinhalb Jahre vergangen.<br />
Auf den ersten Kilometern scheint zum<br />
Glück die Sonne, und es ist windstill. Wir fallen<br />
umgehend in einen guten Paddelrhythmus.<br />
Eine wunderbar verschneite Landschaft und<br />
viele kleine Eisberge ziehen an uns vorbei.<br />
Schon der erste Abend der Tour zeigt, dass<br />
uns jeweils nach der Ankunft am Übernachtungsort<br />
noch die anstrengendste Arbeit erwartet.<br />
Müde vom stundenlangen Paddeln<br />
kommen wir schnell an unsere Grenzen, als<br />
wir versuchen, die 80 Kilogramm schweren<br />
Boote vom Wasser an einen sicheren, mehrheitlich<br />
ebenen Zeltplatz zu schleppen. Vorsichtig<br />
hieven wir die Boote Meter um Meter<br />
über die scharfkantigen Steine. Daniela ächzt<br />
unter dem Gewicht und strauchelt immer wieder.<br />
Die Steine hinterlassen erste Spuren an den<br />
Fiberglasbooten. Auch nicht gerade hilfreich<br />
ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut<br />
von bis zu fünf Metern. Wir müssen das Lager<br />
hoch genug aufstellen. Der Ausblick vom Lagerplatz<br />
lässt die Strapazen dann aber schnell<br />
vergessen: Die sanfte Fjordlandschaft, gespickt<br />
mit Eisbergen, verschlägt uns die Sprache.<br />
Bereits am dritten Abend finden wir auf<br />
unseren Erkundungsrundgängen um den<br />
Campplatz Spuren eines Eisbären. Zum Glück<br />
scheinen diese schon etwas älter zu sein. Obwohl<br />
wir wissen, dass die ausgehungerten Tiere,<br />
die jährlich mit dem Packeis von Ostgrönland<br />
kommen, noch nicht hier sein<br />
sollten, fällt es uns schwer, einzuschlafen.<br />
Mitten in der Nacht<br />
schreckt uns ein kratzendes Geräusch<br />
aus dem Schlaf. Ich packe<br />
die Flinte, und wir werfen mit klopfendem<br />
Herz einen Blick aus dem<br />
Zelt. – Tiefes Durchschnaufen: Es<br />
ist ein neugieriger Fuchs, der uns<br />
einen Besuch abstattet.<br />
Eine Woche nach unserem Start<br />
erreichen wir Qaqortoq, die von<br />
kunterbunten Häusern geprägte<br />
Hauptstadt Südgrönlands mit 3500<br />
Einwohnern. Amma, eine einheimische<br />
Kajakerin, die wir im Flugzeug<br />
kennengelernt haben, erwartet<br />
uns bereits und lädt uns postwendend<br />
ein, bei ihr zu wohnen.<br />
Schnell spricht sich unsere Ankunft im Ort herum.<br />
Wir erhalten laufend Besuch von neugierigen<br />
Einwohnern, deren Herzlichkeit, Offenheit<br />
und Hilfsbereitschaft uns überrascht und<br />
freut. Jeder hat nützliche Ratschläge und gibt<br />
uns Kontaktadressen mit auf den Weg. Damit<br />
wird sich in den kleinen Siedlungen auf unserem<br />
Weg manche Türe öffnen.<br />
Während fünf Tagen erleben wir, wie die<br />
Familien heute leben. Der Lebensstandard in<br />
den Städten ist beinahe mit unserem vergleichbar.<br />
Der einzige grosse Unterschied besteht darin,<br />
dass praktisch alle Bewohner regelmässig<br />
Fischen und auf die Jagd gehen. Es erstaunt<br />
deshalb auch nicht, dass die Mahlzeiten mehrheitlich<br />
aus Fleisch und Fisch bestehen. Gemüse<br />
kann man zwar zu stolzen Preisen erstehen,<br />
aber als tägliche Beilage hat es sich noch<br />
nicht durchgesetzt. Ein weiterer grosser Unterschied<br />
zu Europa besteht in der Infrastruktur<br />
und den Verkehrsmitteln. Die Einheimischen<br />
reisen per Boot oder mit dem Helikopter<br />
– Strassen und Wege gibt es keine. Besonders<br />
interessant gestalten sich all die beibehaltenen<br />
Traditionen und Feiertage. Die Gastfamilie<br />
zeigt uns voller Stolz, wie sie die traditionellen<br />
Festkleider aus Fellen herstellt und sie<br />
anschlies-send je nach Ereignis farbig bestickt.<br />
Hasenbraten. Gerne würden wir länger an<br />
diesem schönen Ort bleiben, doch möchten<br />
wir das gute Wetter nutzen, um zügig weiterzukommen.<br />
Schweren Herzens verabschieden wir<br />
uns von den lieb gewonnenen Menschen und<br />
machen uns voller Energie und Zuversicht auf<br />
den nächsten, 350 Kilometer langen Abschnitt<br />
über Narsaq bis nach Arsuk. Doch am zweiten<br />
Tag nach dem Aufbruch, als wir einen schmalen<br />
Fjord zu einem Kanal hochpaddeln, sehen<br />
wir einen weissen Streifen auf dem Wasser.<br />
Kurze Zeit später versperrt uns eine dicke Eisschicht<br />
die Weiterfahrt. Entgegen den Inforé<br />
ê<br />
Wie weiter? Eis in einer zugefrorenen Bucht<br />
verunmöglicht das Weiterpaddeln.<br />
Perfekte Verhältnisse. Blauer Himmel und<br />
wenig Wind bestimmen die ersten Reisetage.<br />
12 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013
GRÖNLAND<br />
mationen von Fischern ist der Fjord auf einer<br />
Länge von mehreren Kilometern zugefroren.<br />
Unser Optimismus ist schnell verflogen. Wir<br />
überlegen uns, wie wir nun weiterkommen.<br />
Anfangs finden wir noch einen Weg durch einen<br />
schmalen von der Strömung geschaffenen<br />
Kanal. Wenig später bleibt uns jedoch nichts<br />
anderes übrig, als die Boote zwei Tage lang<br />
mühsam übers Eis und entlang des Ufers zu<br />
ziehen. Zum Glück steht nach diesen Strapazen<br />
unser wöchentlicher Ruhetag vor der Tür.<br />
An den kommenden Tagen bleiben wir<br />
glücklicherweise von noch mehr Eis verschont,<br />
jedoch kündigen ein starker Abfall des Barometers<br />
und immer stärker werdende Winde<br />
einen markanten Wetterwechsel an. Eine beängstigende<br />
Tiefdrucktroglage installiert sich<br />
für zwei Wochen über unserem Reisegebiet.<br />
Immer wieder werden wir von<br />
Schneestürmen heimgesucht, die<br />
unser Material auf die Probe stellen<br />
und uns mehrere Tage dick eingemummt<br />
im Zelt ausharren lassen.<br />
Von passivem Herumliegen kann<br />
allerdings keine Rede sein. Stündlich<br />
müssen wir die Zeltheringe<br />
nachschlagen, dicke Schneeschichten<br />
vom Zelt wegschaufeln und<br />
erste Haarrisse in den Zeltstangen<br />
verstärken. Auch sind wir froh, dass<br />
wir trotz unseren eingeschränkten<br />
Platzmöglichkeiten ein UNO-Spiel<br />
eingepackt haben. Nach vier Tagen<br />
«Gefangenschaft» im Zelt merke<br />
ich, wie sich langsam Ungeduld<br />
und schlechte Laune breit machen.<br />
Ausser kurzen Arbeiten im Freien,<br />
wie Kochen und Fischverarbeitung, die uns<br />
über die klammen Finger fluchen lassen, können<br />
wir nur herumsitzen und uns auf die Nerven<br />
gehen. Wir sind froh, als wir die Reise endlich<br />
fortsetzen können.<br />
Das Wetter meint es weiterhin nicht gut mit<br />
uns. Es scheint fast wie eine Entschädigung,<br />
dass wir dafür jeden Tag Adler, Füchse, Seehunde<br />
und unzählige Rentiere beobachten<br />
können. Diese wunderschönen Begegnungen<br />
lassen uns die müden Muskeln und Glieder<br />
schnell vergessen.<br />
Für uns ziemlich unerwartet, macht sich<br />
langsam bemerkbar, dass wir länger kein<br />
Fleisch mehr verzehrt haben. Wir brauchen<br />
immer länger, bis wir nach einem strapaziösen<br />
Tag wieder zu Kräften kommen. Als wir am<br />
Abend todmüde mit dem Zeltaufstellen beginnen,<br />
hoppelt ein Hase gemütlich zwischen unseren<br />
Kajaks umher und verschwindet hinter<br />
einem Felsbrocken. Daniela und ich schauen<br />
uns an. «Wie lecker doch ein saftiger Hasenbraten<br />
wäre!» Unsere Blicke schweifen zur<br />
Flinte. Im frisch gefallenen Schnee sind die<br />
Spuren schnell gefunden. Voller Hoffnung auf<br />
ein üppiges Mahl kraxeln wir einen steilen Hügel<br />
hinauf, wo wir den Hasen antreffen. Anstatt<br />
schleunigst davonzurennen, streckt er sich,<br />
gähnt und hoppelt gemütlich im Kreis. Ich<br />
nehme ihn ins Visier und ziele. Hoffentlich<br />
treffe ich gut, damit das Tier nicht leiden muss.<br />
Es knallt, und der Hase liegt reglos am Boden.<br />
Eine dicke Eisschicht versperrt uns die Weiterfahrt.<br />
<br />
ç<br />
Wie ein Spiegel. Ein herrliches Gefühl, bei<br />
Windstille übers Wasser zu gleiten.<br />
Wetterwechsel. Weisse Überraschung am<br />
Morgen, über Nacht hat es geschneit.<br />
Als ich ihn aufhebe, merke ich mit Freude, dass<br />
wir mit diesem schweren Fang Fleisch für mehrere<br />
Tage haben werden. Schnell ist das Fell<br />
abgezogen, und schon eine Stunde später brutzelt<br />
der Braten in einem aus Stein geformten<br />
«Backofen». Es riecht köstlich, wir können es<br />
kaum erwarten, ins saftige Fleisch zu beissen.<br />
13
Nordwind. Ein unsanftes Rütteln<br />
reisst mich aus dem Schlaf. «Schnell,<br />
wach auf!», ruft Daniela. Ich setze<br />
mich auf und merke, dass es draussen<br />
viel stiller geworden ist. Die Zeltwände<br />
bewegen sich beinahe nicht mehr.<br />
Endlich hat der stürmische Wind<br />
nachgelassen und bläst nur noch mit<br />
zwei Beaufort (Bft).<br />
Frischen Mutes machen wir uns<br />
auf und können der Versuchung nicht<br />
widerstehen, heute so lange und intensiv<br />
wie möglich zu paddeln. Man<br />
weiss ja nie, wann der Wind wieder<br />
einsetzt. Nach zehn Stunden auf dem<br />
Wasser erreichen wir überglücklich<br />
den kleinen Kiesstrand im Hafen von<br />
Arsuk. Vor uns liegt die erste Begegnung<br />
mit einer kleinen grönländischen Siedlung.<br />
Schnell finden wir heraus: Je kleiner und<br />
ärmer sich das Dorf auf den ersten Blick präsentiert,<br />
umso freundlicher sind die Einwohner.<br />
Ohne zu zögern, helfen sie uns, die schweren<br />
Boote an Land zu tragen und laden uns gleich<br />
zum Kaffee ein. Auch wenn wir uns meist nur<br />
in gebrochenem Dänisch und mit Händen und<br />
Wir bauen das Zelt kurzerhand in der Hütte auf.<br />
Füssen verständigen können, entstehen schnell<br />
herzliche Kontakte. Gerne erzählen die Leute<br />
aus ihrem spannenden und abwechslungsreichen<br />
Leben und wollen natürlich auch genau<br />
wissen, wo wir denn hinwollen. Es scheint, dass<br />
hier jeder viele eigene Abenteuer erlebt hat.<br />
Gerne diskutieren die Inuit auch über unsere<br />
nächsten Etappen und geben uns wertvolle<br />
Hinweise zu schwierigen Passagen sowie zu<br />
Nothütten.<br />
Spontan lädt uns die Direktorin der Schule<br />
zu sich nach Hause ein. Die erste warme Dusche<br />
seit zwei Wochen tut unglaublich gut. Die<br />
nächsten zwei Nächte dürfen wir sogar im<br />
Schulhaus übernachten. Wir nutzen diese Zeit,<br />
um das Reisetagebuch nachzuführen, Lebensmittel<br />
aufzufüllen, frisches Brot zu backen und<br />
éé<br />
é<br />
ë<br />
ê<br />
Willkommener Unterschlupf. Eine Notund<br />
Jagdhütte bietet ein Dach über dem Kopf.<br />
Prächtiger Fang. Heute gibts frischen<br />
Dorsch zum Mittagessen.<br />
Kleine Klasse. Die Dorfschule von Arsuk.<br />
Stürmische Tage. Das Paddeln bei Gegenwind<br />
und Kälte ist manchmal frustrierend.<br />
diverse Reparaturen an unserem Material vorzunehmen.<br />
Auf den Spaziergängen im und<br />
ums 120-Seelen-Dorf imponieren uns besonders<br />
die Kinder. Sie rennen bei jedem Wetter<br />
und auch bei tiefen Temperaturen im Dorf herum<br />
und spielen wegen der Helligkeit bis Mitternacht<br />
draussen. Umso mehr erstaunt<br />
es uns, wie erholt und quicklebendig<br />
sie am nächsten Morgen um<br />
8 Uhr wieder zum Schulunterricht erscheinen.<br />
Dieser wird ähnlich wie bei<br />
uns gestaltet, allerdings sind die Klassen<br />
mit lediglich vier bis sechs Kindern<br />
sehr klein.<br />
Frisch gestärkt und unsere Kajaks<br />
randvoll mit Lebensmitteln, machen<br />
wir uns auf den Weg ins 170 Kilometer<br />
entfernte Paamiut. Um für alle<br />
Fälle gerüstet zu sein, haben wir für<br />
ungefähr einen Monat Lebensmittel<br />
dabei.<br />
«So macht es doch richtig Spass»,<br />
meint Daniela, als sie auf einer Welle<br />
an mir vorbeisurft – für einmal haben<br />
wir richtig tollen Rückenwind. Mit beinahe<br />
fünf Bft kommen wir sehr zügig voran und bewältigen<br />
die Tagesetappe von 48 Kilometern in<br />
nur gerade sechs Stunden. Auch wenn die Wellen<br />
gegen Ende des Tages wegen der einsetzenden<br />
Flut im Fjord unangenehm steil werden,<br />
geniessen wir den rasanten Tag. Und zu unserer<br />
Überraschung entdecken wir, als wir in die<br />
geschützte Bucht paddeln, eine kleine Jagdhütte.<br />
Das Häuschen ist zwar schmuddelig, wir<br />
können aber darin kochen und windgeschützt<br />
übernachten. In der Nacht lassen uns stürmische<br />
Winde aufhorchen, und zu unserem Unmut<br />
setzt starker Schneefall ein. Eine Weiterfahrt<br />
wäre glatter Selbstmord, da die nächsten<br />
40 Kilometer um heikle, zum offenen Meer exponierte<br />
Landspitzen führen, wo es keine Ausstiegsmöglichkeiten<br />
gibt. Nun sitzen wir in dieser<br />
kalten und von Windböen durchgerüttelten<br />
Hütte, der Wind pfeift durch die undichten<br />
Fenster, und an unzähligen<br />
Stellen dringt Wasser durchs<br />
Dach ins Innere. Notdürftig<br />
stellen wir in der ganzen Hütte<br />
verteilt alle möglichen Gefässe<br />
auf, um das Wasser aufzufangen.<br />
«Das bringt doch nichts,<br />
da können wir genauso gut<br />
draussen zelten und bleiben<br />
trockener», meint Daniela.<br />
«Dann lass uns doch einfach<br />
14
Infos&Tipps<br />
Fakten | Grönland ist die mit Abstand grösste Insel<br />
der Welt. Auf einer Fläche, die sechs Mal so gross ist<br />
wie Deutschland, leben lediglich 57 000 Menschen.<br />
80 Prozent der Insel sind mit einer bis zu 3,5 Kilometer<br />
dicken Eisschicht bedeckt. Der südlichste Punkt,<br />
Kap Farvel, befindet sich ungefähr auf der Höhe von<br />
Oslo, vom nördlichsten Punkt, Kap Morris Jesup, sind<br />
es 740 Kilometer zum Nordpol.<br />
Geschichtliches | Schon vor über 4000 Jahren<br />
wurde Grönland von Sibirien und Kanada aus<br />
besiedelt. Im 9. Jahrhundert n. Chr. begann mit Erik<br />
dem Roten die Besiedlung von Grönland durch die<br />
Wikinger. Sie führten ein wohlhabendes Leben, bevor<br />
sie im 14. Jahrhundert auf rätselhafte Art wieder<br />
verschwanden. Noch während der Walfängerzeit im<br />
18. und 19. Jahrhundert begann Dänemark mit der<br />
Kolonialisierung der Insel. Das eingeführte Christentum<br />
brachte die traditionelle Lebensweise der Inuit in<br />
Bedrängnis. Heute ist Grönland ein selbstverwalteter<br />
und autonomer Bestandteil des Königreichs Dänemark.<br />
Fauna | Das wohl bekannteste Tier Grönlands – der<br />
Eisbär – lebt vorwiegend im Norden und Nordosten<br />
des Landes. Doch wird er oft im Frühling mit dem<br />
hier drinnen zelten», ist meine als Scherz gemeinte<br />
Antwort. Doch umgehend baut sie<br />
das Zelt in der Hütte auf, wir verkriechen uns<br />
tief in die Schlafsäcke und beginnen mit dem<br />
1031. UNO-Spiel.<br />
Nach vier langen, kalten und nassen Tagen<br />
lässt der Wind etwas nach, und es kann endlich<br />
weitergehen. Natürlich darf wiederum der aus<br />
der Gegenrichtung kommende Nordwind<br />
nicht fehlen. Nach einigen Stunden treffen wir<br />
einen Robbenjäger und erkundigen uns bei<br />
ihm nach Wind und Wetter. In gebrochenem<br />
GRÖNLAND<br />
Packeis um die Insel herumgetrieben. Deshalb muss auf der ganzen Insel mit Eisbärenbegegnungen<br />
gerechnet werden. Im Südwesten kann man Rentiere, Moschusochsen,<br />
Polarfüchse sowie zahlreiche Vogel-, Robben-, und Walarten beobachten.<br />
Anreise/Unterwegs | Beste Anreise via Dänemark oder Island per Flugzeug. Im Land<br />
selbst gibt es ein grosses Inlandflugangebot, oft per Helikopter. Auch kleinere Jagd- und<br />
Fischersiedlungen kann man auf eigene Faust erreichen. In den Häfen findet man oft Platz<br />
bei einem Einheimischen, der mit dem Boot unterwegs ist, um seine Verwandten oder<br />
Bekannten zu besuchen. Während der<br />
Hochsommermonate können Boote,<br />
Helikopter und Flugzeuge schnell einmal<br />
für ein paar Tage ausgebucht sein.<br />
Reisezeit | Für Outdooraktivitäten in der<br />
Region des Polarkreises empfiehlt sich<br />
eine Reise zwischen Juni und August. Den<br />
Süden von Grönland kann man gut ab<br />
Anfang Mai bereisen, ohne mit anhaltenden<br />
Minustemperaturen und viel<br />
Schnee rechnen zu müssen.<br />
Ausrüstung | Zu jeder Jahreszeit sollte<br />
man robuste, wind- und wasserdichte<br />
Kleidung für Temperaturbereiche zwischen<br />
minus 10 und plus 15 Grad mitführen. Das<br />
Wetter kann innert kurzer Zeit stark umschlagen. Ist man längere Zeit in der Wildnis<br />
unterwegs, muss man für jede Art von Wetter gewappnet sein. Plötzlicher Schneefall,<br />
dichter Nebel oder starke Stürme können Material und Tourengängern einiges abverlangen<br />
und ausgedehnte Zwangspausen nötig machen.<br />
Infos | Grönland: www.greenland.com Seekajak, Bilder, Route und Blog der Reise:<br />
www.seekajak.ch<br />
Sisimiut<br />
Maniitsoq<br />
Nuuk<br />
Paamiut<br />
Ilulissat<br />
Kangerlussuaq<br />
Arsuk<br />
Qaqortoq<br />
Narsarsuaq<br />
Reiseroute der Autoren:<br />
Dänisch erzählt er uns, dass sich die Natur und<br />
die Winde seit einigen Jahren merkwürdig verhalten<br />
und nun vielfach diese Nordwinde vorherrschen.<br />
«Think positive», sagen wir uns und<br />
nutzen die windigen Perioden für immer ausgedehntere<br />
Erkundungsausflüge auf die umliegenden<br />
Berge. Erst da oben wird uns so richtig<br />
bewusst, wie weit entfernt wir uns von der<br />
nächsten Zivilisation befinden. Nicht selten hören<br />
wir für Tage weder Flugzeuge noch Motorboote<br />
– geradezu unreal, aber einfach fantastisch.<br />
Kajak (1250 km)<br />
Boot (220 km)<br />
Arctic Circle Trail (170 km)<br />
GRÖNLAND<br />
Nebliger Frühlingsbeginn. Sechs<br />
Wochen nach unserem Start erreichen<br />
wir trotz allen Widrigkeiten<br />
Paamiut, das auf halber Strecke der<br />
geplanten Tour liegt. Die Einwohner<br />
der Siedlung sind wiederum äusserst<br />
gastfreundlich und hilfsbereit.<br />
So kommen wir in den wenigen<br />
Tagen hier in den Genuss von<br />
Einladungen zum Essen, zu einem<br />
Geburtstagsfest und sogar zu einer<br />
Taufe. Es ist auch schön, Jäger und<br />
Fischer wiederzutreffen, denen wir<br />
unterwegs auf dem Wasser begegnet<br />
sind.<br />
Obwohl schon Juni ist, trifft der<br />
Frühling erst jetzt ein. Zu unserer<br />
Freude macht das Thermometer einen<br />
Sprung um zehn Grad, sodass<br />
nun Tagestemperaturen zwischen<br />
acht und zwölf Grad herrschen. Zudem<br />
ist die ganze Landschaft auf<br />
einen Schlag grün geworden. Das<br />
Bodengewächs ist übersät mit<br />
Knospen, und all die unzähligen Moose<br />
sind am Spriessen.<br />
Wieder unterwegs zeigt sich die Kehrseite<br />
des warmen Wetters schon bald von<br />
einer unheimlichen Seite. Dicker Nebel<br />
rollt vom Meer her an die Küste und hüllt<br />
uns komplett ein. Die Sicht fällt schnell auf<br />
unter 50 Meter. Immer wieder schauen wir<br />
konsterniert auf die Karte und versuchen,<br />
unsere Route zu halten. Mithilfe des Kompasses<br />
folgen wir einer Insel nach der anderen<br />
und hoffen, nicht unbemerkt durch<br />
Strömungen abgetrieben zu werden.<br />
Nach einigen frustrierenden Tagen mit<br />
viel Gegenwind stellen wir unseren Rhythmus<br />
auf den Kopf. Wir wandern, schlafen<br />
und faulenzen tagsüber und gehen erst<br />
nach 21 Uhr aufs Wasser. Und siehe da,<br />
schon beim ersten Mal, so gegen Mitternacht,<br />
sind wir von spiegelglattem Wasser<br />
umgeben. Wir befinden uns zwar noch einige<br />
Hundert Kilometer entfernt vom Polarkreis,<br />
aber auch hier verschwindet die<br />
Sonne nur kurz hinter dem Horizont. Die<br />
Navigation zwischen den vielen kleinen<br />
Inseln ist nicht mehr ganz so einfach wie<br />
am helllichten Tag, aber sich in der Dämmerung<br />
aufzuhalten, ist immer noch angenehmer,<br />
als gegen den Wind zu kämpfen.<br />
Die letzten zwei Wochen sind wie im<br />
Flug vergangen. Die täglichen Routinen wie<br />
Morgenessen vorbereiten, Lager abbauen und<br />
Boote beladen, fünf bis sechs Stunden paddeln<br />
und wieder einen Zeltplatz finden, haben sich<br />
tief verankert. Umso erstaunter sind wir, als<br />
wir an diesem Morgen aus weiter Distanz bereits<br />
die Hauptstadt Nuuk erkennen können.<br />
Um die Stadt liegt das zweitgrösste Fjordsystem<br />
der Welt. Wegen der grossen Differenz zwischen<br />
Ebbe und Flut müssen wir mit starken<br />
Strömungen rechnen. Ausgerechnet vor der<br />
letzten Querung eines Fjordarms kommen<br />
Polarkreis<br />
Frühling 2013 GLOBETROTTER-MAGAZIN 15
starke Winde von sieben Bft auf. Wir müssen<br />
uns entscheiden, ob wir sofort auf einer kleinen<br />
Insel Schutz suchen oder noch in die Stadt<br />
paddeln, wo uns bei Jens und Dorothe, Verwandten<br />
von Amma, ein warmes Zimmer erwartet.<br />
Mit den Strömungen bilden sich immer<br />
wieder steile Wellen, die über unsere Boote brechen<br />
würden. Da uns der Wind genau in den<br />
Rücken bläst, wollen wir es trotzdem wagen. In<br />
zügigem Tempo geht es auf die Stadt zu. Wir<br />
müssen fleissig bremsen, damit wir nicht ins<br />
Surfen geraten. Plötzlich spüre ich, wie mich<br />
eine gewaltige Kraft blitzschnell in die Höhe<br />
hebt und zur Seite schiebt. Mit aller Kraft stütze<br />
ich mich in die Welle und stelle das Boot wieder<br />
auf. «Pass auf!», brülle ich Daniela zu, bevor<br />
sie hinter der Wasserwand verschwindet.<br />
Schnell paddle ich auf den Punkt zu, wo ich sie<br />
zuletzt gesehen habe. Doch ihr Boot ist spurlos<br />
verschwunden. «Das kann doch nicht sein»,<br />
versuche ich mich zu beruhigen. Doch schon<br />
hebt mich wieder eine grosse Welle in die Höhe,<br />
und ich sehe ihr Boot für einen kurzen Augenblick<br />
– ganze 100 Meter vor mir! Als ich ihr<br />
näherkomme, begrüsst sie mich mit einem erleichterten<br />
Grinsen: «Hast du diesen Surf gesehen?!»<br />
Einmal mehr sind wir heilfroh um die Trainingswoche<br />
und die gelernten Rettungsmanöver<br />
in den Strömungen rund um Holyhead in<br />
Wales, die wir für diese Reise absolviert hatten.<br />
So gelangen wir unbeschadet in die geschützte<br />
Bucht im alten Kolonialhafen von Nuuk. Wir<br />
werden von Jens und Dorothe und einigen<br />
Inuit schon sehnlichst erwartet. Viele helfende<br />
Hände bergen unsere Boote. Wenig später erholen<br />
wir uns in Jens’ und Dorothes warmer<br />
é<br />
ê<br />
Slalom. Eisschollen erschweren das Paddeln<br />
durch den Tarssukatak-Kanal.<br />
Ruhetage. Eine warme Stube und gutes<br />
Essen bei Dorothe und Jens in Nuuk.<br />
Stube. Die beiden haben grosse Welttouren mit<br />
einem alten Fischkutter hinter sich und viele<br />
spannende Geschichten zu erzählen.<br />
Stadtleben. Regen, Kälte und viel Wind – so<br />
präsentiert sich der erste Tag in Grönlands<br />
Hauptstadt Nuuk. Wir sind froh, in einem trockenen<br />
und geheizten Haus zu sein. Am Nachmittag<br />
geht es mit dem Bus – für uns total ungewohnt<br />
– in die Stadt, die ein tristes Bild der<br />
dänischen Zentralisierungspolitik widerspiegelt.<br />
Es scheint, als wurden die Blockbauten<br />
planlos aus dem Boden gestampft und, wenn<br />
überhaupt, erst im Nachhinein die notwendige<br />
Infrastruktur erstellt. Bis zu 1500 Personen,<br />
früher Jäger und Fischer, sind in einen Block<br />
gestopft, wo sie keine Möglichkeit haben, ihre<br />
gelegentliche Beute zu verarbeiten und zu lagern.<br />
So darf man sich nicht wundern, dass<br />
erhebliche soziale Probleme und ein hoher Alkoholkonsum<br />
die Folge sind. Zum Glück hat<br />
die Verwaltung in den letzten Jahren reagiert,<br />
und in den neuen Quartieren der Stadt entstehen<br />
moderne Wohnanlagen mit viel Umschwung<br />
und Spielplätzen.<br />
Da es in dieser Jahreszeit nie richtig dunkel<br />
wird, hat das Leben hier einen ganz anderen<br />
Rhythmus. Viele Menschen arbeiten bis Mitternacht,<br />
das gesellschaftliche Leben kommt<br />
erst in der zweiten Nachthälfte zur Ruhe. So<br />
werden wir nach einer sehr kurzen Nacht bereits<br />
um sechs Uhr von der Sonne geweckt, die<br />
heute besonders intensiv scheint. Bald herrscht<br />
grönländischer Hochsommer, der Schweiss<br />
läuft in Strömen.<br />
Bei einem Freund der Familie bekommen<br />
meine Ellbogen und Schultern eine Akupunkturbehandlung.<br />
Die strengen Paddeltage haben<br />
Entzündungen verursacht. Henning, der Arzt,<br />
erklärt Daniela, wie es funktioniert und wo die<br />
Nadeln platziert werden müssen. Und zu unserer<br />
Überraschung gibt er uns ein Set Nadeln<br />
mit auf den Weg. Ob wir wohl eine Selbstbehandlung<br />
hinkriegen?<br />
Vor unserer Weiterreise kochen wir bei Jens<br />
und Dorothe gemeinsam unsere typischen Nationalgerichte.<br />
Zur Vorspeise gibt es gegrilltes<br />
Rentier, Moschusochse und Fondue. Anschliessend<br />
werden frischer Seehund sowie getrocknete<br />
kleine Fische serviert. Leber und<br />
Schwimmblase des Seehundes werden roh und<br />
die Fische komplett mit Innereien, Kopf und<br />
16
GRÖNLAND<br />
die Strömung, und wir wagen die<br />
Fahrt durch die schmalen Kanalschluchten.<br />
Die Kilometer sausen<br />
nur so an uns vorbei – bis uns die<br />
nächste Ebbe wortwörtlich auf<br />
dem Trockenen sitzen lässt.<br />
Wale und Akupunktur. Trotz der<br />
Pause in Nuuk haben sich meine<br />
Ellbogen und Schultern leider<br />
noch nicht vollumfänglich erholt.<br />
Manchmal lassen dumpfe<br />
Schmerzen ein schnelleres Vorankommen<br />
und längere Etappen<br />
nicht zu. Zum Glück haben wir<br />
die Akupunkturnadeln dabei und<br />
können jeweils am Abend meine<br />
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Wetterfest. Daniela und Beni in voller<br />
Paddelmontur.<br />
Nuuk. Grosse Wohnblocks prägen heute das<br />
Gesicht der Hauptstadt Grönlands.<br />
Eisfrei. Der Hafen von Nuuk ist wichtig für<br />
die Fischindustrie.<br />
Flossen verspeist. Auch wenn es etwas unappetitlich<br />
klingt, schmeckt es doch ganz gut und<br />
gibt uns die notwendigen Kalorien mit auf den<br />
Weg.<br />
Auf die bevorstehende Etappe nach Maniitsoq<br />
freuen wir uns schon lange. Sie führt<br />
durch viele enge Kanäle und vorbei an grossen<br />
Becken, in denen sich mit den grossen Gezeitenunterschieden<br />
starke Strömungen entwickeln<br />
können. Als wir uns dem Kanalsystem<br />
nähern, hören wir ein immer lauter werdendes<br />
Rauschen. «Was mag das wohl sein?», frage ich<br />
Daniela. «Auf der Karte ist nirgendwo ein Fluss<br />
eingezeichnet.» Als wir nach der nächsten Insel<br />
in den Kanal einbiegen wollen, ist das Rätsel<br />
gelöst: Uns braust das Meereswasser entgegen.<br />
Starke Wirbel und Wellen lassen uns den<br />
Versuch, weiterzukommen, schnell abbrechen.<br />
Mehr als ein Paddeln an Ort und Stelle liegt<br />
nicht drin. «Wenn das Wasser bei Ebbe rausfliesst,<br />
dann muss es bei Flut auch wieder reinfliessen»,<br />
überlege ich laut. Und tatsächlich<br />
– nach einigen Stunden warten, dreht<br />
Arme vollpiksen. Es überrascht uns, wie stark<br />
die Behandlungen den Heilungsprozess fördern<br />
und dass sie mir die Schmerzen für ein<br />
bis zwei Tage nehmen.<br />
Auch unfreiwillig werden wir seit einigen<br />
Tagen mehr gepikst, als uns lieb ist. Trotz dem<br />
unüblich langen Winter sind die Mücken zu<br />
Millionen aus ihren Löchern geschlüpft. So<br />
sind wir erstmals um jeden kleinen Luftzug<br />
froh, der ihnen das Fliegen verunmöglicht. Auf<br />
dem Meer herrscht glücklicherweise Ruhe vor<br />
den Plagegeistern.<br />
Die Wale tauchen ganz knapp unter uns durch.<br />
Bereits wieder einige Stunden auf dem<br />
Wasser unterwegs, hören wir ein lautes Puffen.<br />
Wir denken uns nicht viel dabei und vermuten,<br />
das Geräusch komme von einer in der Nähe<br />
liegenden Siedlung. Umso mehr haut es uns<br />
fast aus den Kajaks, als plötzlich 20 Meter vor<br />
uns eine Gruppe Wale laut schnaufend auftaucht<br />
und ganz knapp unter uns hindurchtaucht.<br />
«Hoffentlich können die uns sehen!»,<br />
ruft mir Daniela zu. Wir klammern uns an die<br />
Paddel, bereit für eine Eskimorolle, sollten sie<br />
uns aus Versehen aufladen. Doch das nächste<br />
Puffen ertönt zum Glück einige Meter hinter<br />
uns. Die Schwanzflossen kommen uns jedoch<br />
ungemütlich nahe. «Wow, das ging ja nochmals<br />
gut!», meint Daniela, bevor wir merken, dass<br />
die ganze Gruppe wendet und nochmals an<br />
uns heranschwimmt. Dieses Mal beobachten<br />
uns die Tiere neugierig, wir können sie mit den<br />
Paddeln beinahe berühren.<br />
Die letzten Kilometer Richtung Maniitsoq<br />
können wir nochmals so richtig geniessen.<br />
Jetzt, Mitte Juli, sind die Temperaturen sommerlich<br />
und die Tage beinahe windstill. Nicht<br />
nur die Mücken, auch die Fische scheinen mit<br />
den warmen Temperaturen aufgewacht zu sein.<br />
Innert weniger Minuten fangen wir prächtige<br />
Dorsche. Das Leben könnte kaum schöner sein.<br />
Tage später, als wir noch 200 Kilometer von<br />
Sisimiut, dem Endziel unserer Reise, entfernt<br />
sind, entscheiden wir uns, die letzte Paddelwoche<br />
zu streichen und die Strecke von Maniitsoq<br />
aus mit dem Motorboot zurückzulegen. Wir<br />
wollen uns die grönländischen Kajakmeisterschaften<br />
nicht entgehen lassen, die in zwei Tagen<br />
stattfinden. Die temporeiche vierstündige<br />
Fahrt führt uns an unzähligen Gletschern und<br />
steilen Felswänden vorbei. Für einmal können<br />
wir einfach zurücklehnen und die einmalige<br />
Landschaft an uns vorbeiziehen sehen.<br />
In Sisimiut erfahren wir einen kleinen Kulturschock.<br />
Die Stadt liegt nördlich des Polarkreises<br />
und bildet ein touristisches Dreieck mit<br />
Kangerlussuaq und Ilulissat, das jährlich von<br />
Zehntausenden Touristen besucht wird, die oft<br />
mit riesigen Kreuzfahrtschiffen ankommen.<br />
Durch die vielen ausländischen Gäste sind die<br />
Einwohner hier viel zurückhaltender. Wir müssen<br />
für einmal in der Jugendherberge übernachten.<br />
An den Kajakmeisterschaften erleben wir,<br />
welch grossen Stellenwert der Kajaksport in<br />
Grönland auch heute noch hat. Viele der zahlreichen<br />
Disziplinen erinnern an alte Zeiten, als<br />
das Kajak für die Jagd unverzichtbar war.<br />
Frühling 2013 GLOBETROTTER-MAGAZIN 17
GRÖNLAND<br />
Arctic Circle Trail<br />
Text: Daniela Nägeli<br />
Zwischen den Städten Sisimiut<br />
und Kangerlussuaq,<br />
entlang des Polarkreises,<br />
befindet sich der grösste<br />
eisfreie Abschnitt des Landes.<br />
Hier führt der bekannteste<br />
Wanderweg Grönlands<br />
durch, der 160 Kilometer lange Arctic<br />
Circle Trail. Während Beni noch einige Tage<br />
den Rücktransport unserer Ausrüstung in die<br />
Schweiz organisiert, nutze ich die Zeit, auch<br />
noch etwas vom Landesinnern kennenzulernen<br />
und mache mich zu Fuss in Richtung Inlandeis<br />
auf. Obwohl ich versuche, möglichst<br />
leicht zu packen, landen doch über 30 Kilogramm<br />
Ausrüstung auf meinen Schultern.<br />
Voller Zuversicht marschiere ich los, anfangs<br />
über farbige Moose und glasklaren Bächen<br />
entlang, bevor der Trampelpfad knapp<br />
1000 Höhenmeter auf die erste steppenähnliche<br />
Hochebene führt. Bis hierher war der Weg immer<br />
wieder mit Steinmännchen gekennzeichnet<br />
und relativ einfach zu finden. Doch jetzt<br />
gestaltet sich das Fortbewegen wegen zahlreicher<br />
Bach-, Fluss- und Sumpfgebietsüberquerungen<br />
schwieriger. Schon mitten im ersten<br />
Bach rutscht ein Stein unter meinen Füssen<br />
weg, und ich lande im Wasser. Ich brauche<br />
mehr als einen verzweifelten Versuch, um<br />
pitschnass mit dem schweren Rucksack wieder<br />
auf die Beine zu kommen. Immer wieder verlieren<br />
sich die Wegspuren in den sumpfigen<br />
Ebenen, und verschiedene Tiertrampelpfade<br />
verleiten mich mehrmals zu einer falschen<br />
Richtungswahl. So muss ich einmal sogar auf<br />
einen Berg klettern, um die Orientierung wieder<br />
zu finden. Nun kommen doch langsam<br />
Zweifel auf, ob es sinnvoll war, dieses Abenteuer<br />
alleine in Angriff zu nehmen. Soll ich<br />
umkehren, solange es noch geht? Nein, der<br />
Reiz, weiterzumachen ist zu gross.<br />
Nach jeder Tagesetappe von ungefähr<br />
15 Kilometern stehen kleine Schutzhütten, die<br />
es mir erlauben, das Zelt im Rucksack zu lassen<br />
und windgeschützt kochen und schlafen<br />
zu können. Dank diesem Luxus, dem trockenen<br />
Wetter und den sehr kurzen Nächten komme<br />
ich gut voran. Die Wandertage sind lang:<br />
um halb vier Uhr in der Früh ein kleines Frühstück,<br />
am Mittag eine Stunde schlafen, bevor<br />
es nach einem grosszügigen Abendessen gegen<br />
zehn Uhr in die Federn des Schlafsacks geht.<br />
Nur einmal erreiche ich wegen starker<br />
Föhnwinde keine Schutzhütte und muss auf<br />
einer exponierten Ebene zwei Stunden mit dem<br />
Wind kämpfen, bis das Zelt endlich steht. Doch<br />
an viel Schlaf ist nicht zu denken. Die ganze<br />
Nacht wird das Zelt vom Wind gebeutelt. Mein<br />
Wecker ermahnt mich stündlich, das Material<br />
und die allgemeine Lage zu prüfen. Nun wäre<br />
ich doch ganz froh, nicht alleine unterwegs zu<br />
sein.<br />
Auch wenn kilometerlange Abschnitte<br />
durch Sumpf, Geröll und Moos führen, komme<br />
ich gut voran. Immer wieder werde ich mit imposanten<br />
Kulissen belohnt. Der Weg führt an<br />
£ Daniela zu Fuss unterwegs. Prächtige<br />
Ausblicke, viel Gepäck am Rücken, Schutzhütten<br />
für die Nacht und Tierbegegnungen –<br />
das ist der Arctic Circle Trail.<br />
felsigen Gebirgen und glasklaren Seen vorbei<br />
über grüne Hügel, und immer wieder schweift<br />
mein Blick auf die gewaltigen Fjorde.<br />
Auch die Tierwelt sorgt für einige unvergessliche<br />
Momente. Ein Polarfuchs schleicht<br />
während eines Mittagschlafs neugierig um<br />
mich herum, schnüffelt am Rucksack und<br />
scheint keine Scheu zu kennen. Ich sehe riesige<br />
Seeadler am Himmel kreisen, und wenn man<br />
ganz genau hinschaut, entpuppen sich einzelne<br />
Felsbrocken in der Ferne als Moschusochsen.<br />
Bereits am vierten Tag kommt der<br />
Amitsorsuaq-See in Sicht, wo sich dank<br />
einem verlassenen Kanucenter einige<br />
Boote am Ufer befinden sollen. Das wäre<br />
genau das Richtige: meine müden und<br />
schmerzenden Füsse etwas entspannen<br />
und ohne Umwege über das Wasser gleiten<br />
zu können. Und tatsächlich, einige<br />
stark verbeulte Kanus befinden sich am<br />
richtigen See-Ende. Schnell ist ein Aluminiumkanu<br />
beladen, die Schwimmweste<br />
umgeschnallt und zügig geht es 17 Kilometer<br />
über den spiegelglatten See.<br />
Sechs Tage nach dem Start komme ich<br />
zur Strasse, welche die letzten 25 Kilometer bis<br />
zum Ziel führt. Meine Beine sind viel zu müde,<br />
um diese Kies- und Asphaltstrecke jetzt noch<br />
meistern zu können. Todmüde mache ich mich<br />
daran, das Zelt auszupacken, als ein Mountainbike<br />
angesaust kommt und Bremsen quietschen.<br />
Beni – welche Freude und Erleichterung! Er ist<br />
nach getaner Arbeit von Sisimiut nach Kangerlussuaq<br />
geflogen, hat kurzerhand ein Velo aufgetrieben<br />
und ist mir entgegengeradelt. Schnell<br />
binden wir den Rucksack auf den Rahmen und<br />
setzen uns zu zweit auf den ächzenden Drahtesel.<br />
Rasant und mit stinkenden Bremsen fahren<br />
wir den steilen und kurvigen Schotterweg<br />
hinunter. Bald ist die optimale Balance gefunden.<br />
Die hügelige Landschaft saust an uns vorbei.<br />
Dann kommt der Flughafen von Kangerlussuaq<br />
in Sicht, und auf einen Schlag wird uns<br />
klar: Unser Grönlandabenteuer ist zu Ende.<br />
nagida@gmx.ch<br />
© <strong>Globetrotter</strong> Club, Bern<br />
18 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013
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