GRÖNLAND Frühling 2013 GLOBETROTTER-MAGAZIN 11
Endlich geschafft! Es ist Ende April, und wir stehen mit unserer ganzen Kajak- und Campingausrüstung vor dem Flughafengebäude in Narsarsuaq im Süden von Grönland. Vor knapp zwei Monaten hatten wir uns von der Schweiz aus mit einem ausgebauten Van und den Booten auf dem Dach auf den Weg nach Grönland gemacht. In Island erwartete uns die Hiobsbotschaft, dass die Fahrt des Frachtschiffes, welches uns von Island nach Grönland hätte bringen sollen, wegen der Wirtschaftskrise gestrichen worden war. Wir mussten umdisponieren und uns auf die Suche nach einem Frachtflugzeug machen. Schliesslich wurden wir fündig, konnten aber wegen miserabler Wetterbedingungen mehrmals nicht fliegen. So grenzt es beinahe an ein kleines Wunder, dass wir nun tatsächlich auf grönländischem Boden stehen. Es schneit ganz leicht. Dank der trockenen Luft fühlen sich die minus zehn Grad gar nicht mal so unangenehm an. Um die Ausrüstung vorbereiten und die Kajaks optimal beladen zu können, verbringen wir den ersten Tag in einer kleinen Jugendherberge. Diese wird seit vielen Jahren von einem Franzosen geführt, der vor langer Zeit auf einem Segeltrip in Grönland hängen geblieben ist. Gerne bespricht er mit uns die geplante Route und informiert uns über die wichtigsten Gefahren wie Föhnstürme, Packeis oder Eisbären. Eisbärenspuren. Früh am nächsten Morgen stehen wir am zugefrorenen Hafen und setzen die voll bepackten Kajaks auf die dünne Eisschicht. «Auch die längste Tour beginnt mit dem ersten Paddelschlag», witzelt Daniela. Werden wir den Herausforderungen auf den kommenden 1300 Kilometern entlang der Westküste Grönlands wirklich gewachsen sein? Seit wir mit unserer Reiseplanung – und somit mit dem Kajakfahren – begonnen haben, sind nämlich erst knapp eineinhalb Jahre vergangen. Auf den ersten Kilometern scheint zum Glück die Sonne, und es ist windstill. Wir fallen umgehend in einen guten Paddelrhythmus. Eine wunderbar verschneite Landschaft und viele kleine Eisberge ziehen an uns vorbei. Schon der erste Abend der Tour zeigt, dass uns jeweils nach der Ankunft am Übernachtungsort noch die anstrengendste Arbeit erwartet. Müde vom stundenlangen Paddeln kommen wir schnell an unsere Grenzen, als wir versuchen, die 80 Kilogramm schweren Boote vom Wasser an einen sicheren, mehrheitlich ebenen Zeltplatz zu schleppen. Vorsichtig hieven wir die Boote Meter um Meter über die scharfkantigen Steine. Daniela ächzt unter dem Gewicht und strauchelt immer wieder. Die Steine hinterlassen erste Spuren an den Fiberglasbooten. Auch nicht gerade hilfreich ist der Unterschied zwischen Ebbe und Flut von bis zu fünf Metern. Wir müssen das Lager hoch genug aufstellen. Der Ausblick vom Lagerplatz lässt die Strapazen dann aber schnell vergessen: Die sanfte Fjordlandschaft, gespickt mit Eisbergen, verschlägt uns die Sprache. Bereits am dritten Abend finden wir auf unseren Erkundungsrundgängen um den Campplatz Spuren eines Eisbären. Zum Glück scheinen diese schon etwas älter zu sein. Obwohl wir wissen, dass die ausgehungerten Tiere, die jährlich mit dem Packeis von Ostgrönland kommen, noch nicht hier sein sollten, fällt es uns schwer, einzuschlafen. Mitten in der Nacht schreckt uns ein kratzendes Geräusch aus dem Schlaf. Ich packe die Flinte, und wir werfen mit klopfendem Herz einen Blick aus dem Zelt. – Tiefes Durchschnaufen: Es ist ein neugieriger Fuchs, der uns einen Besuch abstattet. Eine Woche nach unserem Start erreichen wir Qaqortoq, die von kunterbunten Häusern geprägte Hauptstadt Südgrönlands mit 3500 Einwohnern. Amma, eine einheimische Kajakerin, die wir im Flugzeug kennengelernt haben, erwartet uns bereits und lädt uns postwendend ein, bei ihr zu wohnen. Schnell spricht sich unsere Ankunft im Ort herum. Wir erhalten laufend Besuch von neugierigen Einwohnern, deren Herzlichkeit, Offenheit und Hilfsbereitschaft uns überrascht und freut. Jeder hat nützliche Ratschläge und gibt uns Kontaktadressen mit auf den Weg. Damit wird sich in den kleinen Siedlungen auf unserem Weg manche Türe öffnen. Während fünf Tagen erleben wir, wie die Familien heute leben. Der Lebensstandard in den Städten ist beinahe mit unserem vergleichbar. Der einzige grosse Unterschied besteht darin, dass praktisch alle Bewohner regelmässig Fischen und auf die Jagd gehen. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass die Mahlzeiten mehrheitlich aus Fleisch und Fisch bestehen. Gemüse kann man zwar zu stolzen Preisen erstehen, aber als tägliche Beilage hat es sich noch nicht durchgesetzt. Ein weiterer grosser Unterschied zu Europa besteht in der Infrastruktur und den Verkehrsmitteln. Die Einheimischen reisen per Boot oder mit dem Helikopter – Strassen und Wege gibt es keine. Besonders interessant gestalten sich all die beibehaltenen Traditionen und Feiertage. Die Gastfamilie zeigt uns voller Stolz, wie sie die traditionellen Festkleider aus Fellen herstellt und sie anschlies-send je nach Ereignis farbig bestickt. Hasenbraten. Gerne würden wir länger an diesem schönen Ort bleiben, doch möchten wir das gute Wetter nutzen, um zügig weiterzukommen. Schweren Herzens verabschieden wir uns von den lieb gewonnenen Menschen und machen uns voller Energie und Zuversicht auf den nächsten, 350 Kilometer langen Abschnitt über Narsaq bis nach Arsuk. Doch am zweiten Tag nach dem Aufbruch, als wir einen schmalen Fjord zu einem Kanal hochpaddeln, sehen wir einen weissen Streifen auf dem Wasser. Kurze Zeit später versperrt uns eine dicke Eisschicht die Weiterfahrt. Entgegen den Inforé ê Wie weiter? Eis in einer zugefrorenen Bucht verunmöglicht das Weiterpaddeln. Perfekte Verhältnisse. Blauer Himmel und wenig Wind bestimmen die ersten Reisetage. 12 GLOBETROTTER-MAGAZIN Frühling 2013