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Ein System auf der Kippe

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Er- und Ablebensversicherungen<br />

<strong>Ein</strong> <strong>System</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Kippe</strong><br />

Klassische Lebensversicherungen werden für Konsumenten immer mehr zum Verlustgeschäft.<br />

Daran wird sich auch so schnell nichts än<strong>der</strong>n,<br />

ln deutschen Medien wird schon recht offen<br />

benannt, was hierzulande noch weitgehend<br />

unter dem Motto ,,Wird schon wie<strong>der</strong>" läuft:<br />

,,Lebensversicherungen geraten in Existenznot"<br />

heißt es da, o<strong>der</strong> ,,Sechs Lebensversicherer<br />

legen ihr Neugeschäft still" - und<br />

ziemlich konkret:,,Todesmelodie".<br />

Was ist passiert, dass ein Produkt, das über<br />

iahrzehnte zur Standardausrüstung in deutschen<br />

und österreichischen Versicherungsmappen<br />

gehörte und vielen Versicherten<br />

auch schöne Profite brachte, so absackte?<br />

Die Antwort dar<strong>auf</strong> liegt im <strong>System</strong> ,,Er- und<br />

Ablebensversicherung" selbst, das <strong>auf</strong> den<br />

ersten Blick recht einfach wirkt, im Detail<br />

aber höchst undurchschaubar ist.<br />

Garantierter und prognostizierterTeil<br />

Die wichtigsten Parameter sind weitgehend<br />

bekannt: Die Anleger zahlen entwe<strong>der</strong> einen<br />

größeren <strong>Ein</strong>malbetrag o<strong>der</strong> regelmäßig<br />

kleinere Prämien ein. Dafür wird neben<br />

dem Ablebensschutz ein garantierter Zins<br />

(,,Garantie-/Rechnungszins") zugesichert,<br />

<strong>der</strong> bei Abl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Versicherung <strong>auf</strong> jeden<br />

Fall ausgezahlt werden soll. Damit das gewährleistet<br />

ist, müssen die Versicherer einen<br />

Teil <strong>der</strong> veranlagten Gel<strong>der</strong> nach strengen<br />

gesetzlichen Vorschriften in einen sogenannten<br />

Deckungsstock einzahlen, Dieser besteht<br />

zumeist aus festverzinslichen Anleihen,<br />

Pfandbriefen, Hypotheken, Grundstücken,<br />

Schuldverschreibungen und an<strong>der</strong>en relativ<br />

sicheren Anlagen, nur zu einem geringen Teil<br />

aus Aktien.<br />

Darüber hinaus wird den Versicherten eine<br />

Gewinnbeteiligung in Aussicht gestellt, die<br />

je nach Kapitalmarktentwicklung unterschiedlich<br />

hoch ausfallen kann und <strong>auf</strong> die<br />

es keinen fixen Anspruch gibt.<br />

Wie geschmiert gel<strong>auf</strong>en<br />

ln den 1970er- und 80er-Jahren, als das<br />

Geschäft mit den Lebensversicherungen so<br />

richtig zu boomen begann, wurden als<br />

Gesamtverzinsung aus Garantiezins und Gewinnbeteiligung<br />

in <strong>der</strong> Regel sieben bis acht<br />

Prozent versprochen. <strong>Ein</strong> tolles Geschäft für<br />

alle Beteiligten, denn die Wirtschaft wuchs<br />

beständig, die Zinsen waren hoch, und so<br />

konnten die Versicherer mit relativ sicheren<br />

Veranlagungen ihrer Kundengel<strong>der</strong> nicht nur<br />

die hohen Verwaltungs- und Vertriebskosten<br />

locker hereinspielen, son<strong>der</strong>n auch die Renditen<br />

im Bereich von vier Prozent auszahlen.<br />

Jetzt geht's an die Reserven<br />

Das <strong>System</strong> begann zu stottern, als das Wirtschaftswachstum<br />

zurückging, und gerät jetzt<br />

in <strong>der</strong> Folge von Wirtschafts-, Finanz-, Schulden-<br />

und sonstigen Krisen gewaltig ins<br />

Wanken. Bislang betrifft das in erster Linie<br />

die prognostizierten Gewinnbeteiligungen:<br />

Da die Geldmarktzinsen gesunken sind und<br />

<strong>auf</strong> dem Kapitalmarkt nicht mehr so leicht<br />

Rendite zu machen ist, können die vor Jahren<br />

prognostizierten Gewinne bei Weitem nicht<br />

realisiert werden. So kommt es, dass Versicherte<br />

bei <strong>der</strong> Auszahlung ihrer Polizze oft<br />

um Tausende Euro weniger erhalten als erwartet,<br />

Und das ist mit großer Wahrschein-<br />

kompetent<br />

Schlechte Aussichten. Aufgrund<br />

niedriger Kapitalmarktzinsen und hoher<br />

Verwaltungskosten <strong>der</strong> Versicherer ist bei<br />

ktassischen Lebensversicherungen <strong>auf</strong><br />

Jahre hinaus kein Profit zu erwarten.<br />

Wacklige Garantien. Gewinnbeteiligungen<br />

werden schon seit Längerem<br />

nicht mehr wie prognostiziert ausgezahlt.<br />

Bei anhaltend schlechter Entwicklung<br />

könnte auch bei bestehenden Verträgen<br />

<strong>der</strong> bisher unantastbare Garantiezins<br />

heruntergeschraubt werden.<br />

(ein Neueinstieg. Wer jetzt neu<br />

abschließt, finanziert vor allem die noch<br />

besser ausgestatteten Altverträge mit<br />

und muss ielbst bei bald steigenden<br />

Marktzinsen mit einem K<strong>auf</strong>kraftverlust<br />

seines investierten Geldes rechnen.<br />

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40 KONSUMENT 6/2013


lichkeit nicht das Ende: Derzeit greifen wohl<br />

manche Versicherer bereits <strong>auf</strong> ihre Reserven<br />

zurück, um die Auszahlungen noch leisten<br />

zu können. Grund dafür sind die vielen Altverträge<br />

im Bestand <strong>der</strong> Versicherungsgesellschaften<br />

mit drei o<strong>der</strong> sogar vier Prozent<br />

Garantiezins. Diese Höhe ist im <strong>der</strong>zeitigen<br />

Marktumfeld nicht mehr zu erwirtschaften.<br />

Bei Neuabschlüssen liegt <strong>der</strong> Garantiezins nur<br />

noch bei höchstens l,75 Prozent.<br />

Garantiezins: nicht unantastbar<br />

Theoretisch kann es sogar passieren, dass<br />

nicht einmal <strong>der</strong> garantierte Zins zur Gänze<br />

ausgezahlt wird. Das Versicherungs<strong>auf</strong>sichtsgesetz<br />

(VAG) sieht vor, dass ein Versicherer<br />

im Fall einer drohenden Pleite Rückkäufe<br />

und Vorauszahlungen <strong>auf</strong> Polizzen<br />

untersagen o<strong>der</strong> Verpflichtungen aus <strong>der</strong><br />

Lebensversicherung herabsetzen kann, um<br />

Zahlungsschwierigkeiten zu überwinden.<br />

Sprich: Wenn's eng wird, können vertraglich<br />

garantierte Leistungen auch rückwirkend<br />

und mit dem Segen <strong>der</strong> Finanzmarkt<strong>auf</strong>sicht<br />

,,adaptiert" werden.<br />

Hausgemachte Probleme<br />

Allein den Kapitalmarkt dafür verantwortlich<br />

zu machen, greift zu kurz. Denn wie sich<br />

im Wertpapierbereich zeigt, gäbe <strong>der</strong> Markt<br />

bei geschickter Veranlagung durchaus noch<br />

genügend her. Allerdings wollten und wollen<br />

bei dem Produkt ,,Lebensversicherung" zu<br />

viele Beteiligte am Kuchen mitnaschen. 5o<br />

kritisieren wir seit Jahren die unglaublich<br />

hohen Vertriebs- und Verwaltungskosten,<br />

Vom Hit zum Flop<br />

6dd d66<br />

66656ööö666ö666öd6666ööö6ööö<br />

--::;<br />

die in keinerlei Weise nachvollziehbar sind<br />

o<strong>der</strong> offengelegt werden.<br />

Die deutschen Branchenkollegen zeigen hier<br />

bereits <strong>Ein</strong>sicht und diskutieren massive<br />

Kostensenkungsprogramme, die neben einer<br />

Reduktion <strong>der</strong> Gewinnbeteiligung vor allem<br />

die Versicherer selbst und <strong>der</strong>en Aktionäre<br />

betreffen sollen. Hierzulande neigt man eher<br />

noch dazu, das Risiko zur Gänze den Kunden<br />

umzuhängen. Wie ein Branchenvertreter<br />

meinte, ,,muss sich bei den Garantiezusagen<br />

was tun, denn so geht es nicht mehr weiter".<br />

Prämien sinken stark<br />

Gut möglich, dass es so nicht mehr weitergeht<br />

und den Versicherern mangels Reformund<br />

0ffnungswillens eine ganze Sparte<br />

wegbricht. lm vergangenen Jahr verringerte<br />

sich das Prämienvolumen bei den Lebensversicherungen<br />

um fast 7 Prozent, die <strong>Ein</strong>malerläge<br />

sanken um fast 19 Prozent. Und die<br />

Situation wird in den kommenden Jahren<br />

für die Versicherer nicht leichter: Aufgrund<br />

neuer Eigenkapitalvorschriften (Solvency ll)<br />

muss ein Teil des erzielten Veranlagungsgewinns<br />

in die Bildung von mehr Eigenkapital<br />

<strong>der</strong> Assekuranzen fließen. Das bedeutet<br />

laut einigen Versicherern niedrigere Ausschüttungsquoten<br />

für die lnhaber von Lebensversicherungspolizzen<br />

- falls es dann überhaupt<br />

noch Kundschaft gibt, die sich ein<br />

<strong>der</strong>artiges Produkt anhängen lässt. Wir raten<br />

bis <strong>auf</strong> Weiteres von Neuabschlüssen ab,<br />

denn wie es ein deutscher Branchen-lntimus<br />

formulierte: ,,Selbst wenn die Zinsen steigen,<br />

dauert es sehr lange, bis die Anlagen wie<strong>der</strong><br />

positiv werdenl"<br />

<strong>Ein</strong> Vergleich <strong>der</strong> Entwicklung<br />

von Sekundärmarktrendite<br />

(sMR),<br />

Gesamtverzinsung und<br />

lnflationsrate <strong>der</strong> letzten<br />

Jahrzehnte zelgt, warum<br />

die klassische Lebensversicherung<br />

einmal ein<br />

Hit war, aber heute nicht<br />

mehr funktionieren kann;<br />

Die Nettorendite<br />

{= Gesamtverzinsung<br />

minus ca. 1,5 Prozent für<br />

Kosten und Steuern) liegt<br />

deutlich unter <strong>der</strong> lnflationsrate.<br />

Das bedeutet<br />

einen K<strong>auf</strong>kraftverlust.<br />

Was tun?<br />

Keine Neuabschlüsse<br />

. ReineAblebe nsversicherungwäh len, wenn<br />

5ie einen Versicherungsschutz für lhre<br />

Angehörigen o<strong>der</strong> wegen eines Kredits<br />

brauchen. Das kommt weitaus günstiger.<br />

. lebenslange Rente kann man sich auch<br />

durch reine Kapitalansparprodukte sichern,<br />

wenn sie später in eine Rentenversicherung<br />

eingezahlt werden. 0b die privaten Rentenversicherungen<br />

ihre Bezieher sehr viel<br />

glücklicher machen werden als die staatliche<br />

Pension, sei <strong>der</strong>zeit ebenfalls offengelassen.<br />

Bevorzugen Sie, wenn Sie <strong>auf</strong><br />

diese Schiene setzen wollen, eine ,,richtige"<br />

Rentenversicherung vor einer klassischen ErundAblebensversicherung,<br />

bei <strong>der</strong> die Rente<br />

erst bei Rentenbeginn kalkuliert wird.<br />

. Die pr ämienbegünstigte Zukun{tsvorsorge<br />

(PZV) hat sich in <strong>der</strong> bestehenden Form als<br />

Flop erwiesen und wird <strong>der</strong>zeit von den<br />

Anbietern umstrukturiert.<br />

Kein Tausch<br />

. Geldvernichtung:Wenn lhnen ein Berater<br />

nahelegt, eine ichlechte Polizze zu kündigen<br />

und durch eine profitablere neue<br />

zu ersetzen, hat er in erster Linie die für<br />

ihn neu anfallenden Provisionen im Auge'<br />

Bestehende Verträge<br />

. Nicht kopflos kündigen, meist steigen Sie<br />

dadurch mit noch höheren Verlusten aus.<br />

. Rückk<strong>auf</strong>swert lhrer Versicherung feststellen<br />

lassen, Stellen 5ie diesem die bisher<br />

geleisteten Ei nzahlungen gegenüber Wenn<br />

<strong>der</strong> Verlust im Rahmen bleibt o<strong>der</strong> ein<br />

gewisser Gewinn herausschaut, können Sie<br />

sich einen Ausstieg überlegen - vor allem,<br />

wenn Sie das Geld aktuell brauchen o<strong>der</strong><br />

eine rentablere Anlagemögl ichkeit sehen.<br />

. Prämien freistellen o<strong>der</strong>Vertrag stilllegen<br />

und das Kapital an<strong>der</strong>weitig anlegen. 0b<br />

das sinnvoll ist, sollten Sie mit einem<br />

unabhängigen Berater (nicht Verkäufer)<br />

klären, <strong>der</strong> Restl<strong>auf</strong>zeit, Alter Lebenssituation,<br />

Ziele usw. mit berücksichtigt'<br />

. An<strong>der</strong>ungsvorschläge undVerlängerungsangebote<br />

durch den Versicherer bergen die<br />

Gefahr, die bisherigen besseren Garantiezinsen<br />

zu verlieren.<br />

c ,,Downsizen", wo geht Nicht benötigte<br />

Zusätze (Unfalltod, ...) und lndexklauseln<br />

streichen lassen - vor allem, wenn lhnen<br />

die Prämien ohnedies schon zu hoch sind;<br />

die Versicherungssummen steigen oft<br />

nicht im selben Ausmaß wie die Prämienl<br />

Außerdem Prämien unbedingt jährlich<br />

statt unterjähri g zahlen.<br />

KONSUMENT 612013 41

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