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Der junge Jahn und das Turnen - Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft

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Prof. em. Prof. h.c. Dr. Jürgen Dieckert<br />

<strong>Der</strong> <strong>junge</strong> <strong>Jahn</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong><br />

Festvortrag anlässlich der Gründung der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Ludwig</strong>-<strong>Jahn</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> in<br />

Freyburg/Unstrut am 22.August 2008<br />

In der <strong>Jahn</strong>stadt gebietet es der Anstand, die Anrede „liebe Turnschwestern <strong>und</strong> Turnbrüder“<br />

zu wählen. Doch ich wähle sie aus Hochachtung für einen Mann, der als einer der wenigen<br />

Deutschen zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Prinzipien der französischen Revolution von<br />

1789 nicht nur propagiert, sondern auch praktisch umgesetzt hat: nämlich „Freiheit –<br />

Gleichheit – Brüderlichkeit“.<br />

Die „Brüderlichkeit“ forderte <strong>Jahn</strong> von seinen Turnern 1811 in der Berliner Hasenheide als<br />

„Turnbrüderlichkeit“. Und <strong>das</strong> war revolutionär! Denn die damalige Anrede für höhergestellte<br />

Persönlichkeiten <strong>und</strong> den Adel erfolgte mit Durchlaucht, Exzellenz oder Ihro Gnaden. Nun<br />

begegneten sich beim <strong>Turnen</strong> Handwerkersöhne <strong>und</strong> Fürstensöhne im Du, brüderlich,<br />

turnbrüderlich!<br />

Und die „Gleichheit“ schuf <strong>Jahn</strong> durch eine Turnkleidung in Drillichtuch. Das war nicht nur<br />

praktisch bei den gemeinsamen Leibesübungen, dem <strong>Turnen</strong>, sondern <strong>das</strong> vermied auch, <strong>das</strong>s<br />

der Grafensohn besser gekleidet sein könnte als der Handwerkersohn <strong>und</strong> sich dadurch<br />

unterscheide: zumindest nicht „gleich“ gekleidet.<br />

Beides: Turnbrüderlichkeit <strong>und</strong> Gleichtracht war bereits eine praktische Umsetzung von<br />

„Freiheit“, der zentralen Forderung der französischen Revolution.<br />

Aber „Freiheit“, <strong>das</strong> meinte mehr. Auch politische Freiheit von den Eigenwilligkeiten der<br />

damals 3oo souveränen Landesherren in Deutschland. Und auch Freiheit von dem<br />

Imperialisten Napoleon, der Europa unterjochte.<br />

Aber erst 1848 gelang die Umsetzung des Freiheitsbegriffes im demokratischen Sinne mit der<br />

Gründung der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Und <strong>Jahn</strong> –<br />

inzwischen 70 Jahre alt geworden – wurde als Abgeordneter eingeladen: nämlich als einer der<br />

frühen Repräsentanten des Freiheitsbegriffes. Es ging um <strong>das</strong> Selbstbestimmungsrecht des<br />

deutschen Volkes. Denn schon als <strong>junge</strong>r Mann hatte <strong>Jahn</strong> „die höchste gefährliche Lehre von<br />

der Einheit Deutschlands“ vertreten (So stand es in seiner Anklageschrift. 21 Jahre musste er<br />

dafür büßen: in Haft <strong>und</strong> unter Polizeiaufsicht !).<br />

Für die Freiheit <strong>und</strong> Einheit Deutschlands hatte <strong>Jahn</strong> gekämpft. Wir können <strong>das</strong> heute – auch<br />

noch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands – gut verstehen.<br />

Wenn wir „<strong>Jahn</strong>“ denken, dann sehen wir ihn als „Denkmal“. So wie er uns vermittelt ist als<br />

übergroße Statue in der Berliner Hasenheide oder auch hier in Freyburg <strong>und</strong> in vielen<br />

Turnhallen als „Büste“: mit kahlem Kopf <strong>und</strong> langem Bart – ein Greis ! Ein „Turnopa“ gar ?!<br />

Und so schleicht sich ein völlig falsches Bild von dem Erfinder <strong>und</strong> Begründer des <strong>Turnen</strong>s<br />

ein. Darauf hat schon vor 40 Jahren beim Deutschen Turnfest in Berlin 1968 ein ehemaliger<br />

B<strong>und</strong>esjugendwart des DTB aufmerksam gemacht, als er <strong>Jahn</strong> als „<strong>junge</strong>n Revolutionär“<br />

darstellte.<br />

Denn jung war dieser <strong>Jahn</strong> <strong>und</strong> ohne Rauschebart, als er 1811 <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong> in der Berliner<br />

Hasenheide einführte: 33 Jahre alt war er ! Und dieser 33jährige <strong>Jahn</strong> hat vor nahezu 200<br />

Jahren (!) mit dem <strong>Turnen</strong> etwas geschaffen, was noch heute besteht: als Name, als Idee <strong>und</strong><br />

als Praxis !<br />

Ja, nennen Sie mir eine historische Persönlichkeit, deren Werk noch nach so langer Zeit heute<br />

wirkt <strong>und</strong> lebendig ist!


Dabei hat <strong>Jahn</strong> in seiner Zeit <strong>und</strong> für seine Zeit <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong> entwickelt, (nicht für heute),<br />

aber viele seiner Gr<strong>und</strong>ideen gelten noch für heute:<br />

- da ist die Idee <strong>und</strong> die Praxis vielfältiger Leibesübungen für alle;<br />

- da ist die Idee <strong>und</strong> die Praxis von pädagogisch begründeten Leibesübungen<br />

außerhalb des staatlichen Schulauftrages;<br />

- da ist die Idee <strong>und</strong> die Praxis von Vereinen als freie Bürgerinitiativen.<br />

Schauen wir uns <strong>das</strong> näher an:<br />

„Leibesübungen für alle“. Ja, da kommt der berechtigte Einwand: <strong>und</strong> die Mädchen <strong>und</strong><br />

Frauen ? Die ja erst ein dreiviertel Jahrh<strong>und</strong>ert später turnen durften ! Gewiss. Und trotzdem:<br />

<strong>Jahn</strong> durchbrach die Schranken zwischen den Ständen seiner Zeit, zwischen „arm <strong>und</strong> reich,<br />

vornehm <strong>und</strong> gering, einfältig <strong>und</strong> gelehrt“, wie er schrieb. Niemand sollte ausgeschlossen<br />

sein, wie es zu seiner Zeit in den elitären Schulen der Philanthropen in Dessau <strong>und</strong><br />

Schnepfenthal geschah. Nein, für alle war der Zugang <strong>und</strong> die Teilnahme möglich: <strong>und</strong> dazu<br />

kostenlos ! Denn „Gehen, Laufen, Springen, Werfen, Tragen sind kostenfreie Übungen,<br />

überall anwendbar, umsonst wie die Luft“, wie er schrieb.<br />

„Für alle“ korrespondiert auch mit der angebotenen Vielfalt von Leibesübungen. Denn<br />

<strong>Turnen</strong>, <strong>das</strong> war der von <strong>Jahn</strong> geschaffene Oberbegriff für alle Leibesübungen. Er war nicht<br />

beschränkt auf <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong> an den von ihm erf<strong>und</strong>enen Geräten (Gerätturnen).<br />

Jeder konnte sich aussuchen, was er machen wollte. Dafür wählte <strong>Jahn</strong> den Begriff der<br />

„Kühr“: „An Turntagen wird der ganze Nachmittag in zwei gleiche Hälften geteilt. Die erste<br />

Hälfte ist für die freiwillige Beschäftigung (Turnkühr), die andere Hälfte für die<br />

vorgeschriebene“ (Turnschule).<br />

„Für alle“ <strong>und</strong> ein vielfältiges Angebot, <strong>das</strong> ist <strong>das</strong> selbstverständliche Programm der<br />

deutschen Turn- <strong>und</strong> Sportbewegung geworden. Denken wir an die Initiative vom Zweiten<br />

Weg des Sports, an die Trimm-Aktion, die weiteren Werbekampagnen, denken wir an die<br />

Vielfalt der Angebote im Deutschen Turner-B<strong>und</strong>.<br />

Dass <strong>Jahn</strong> auch schon die „Idee <strong>und</strong> Praxis von pädagogisch begründeten Leibesübungen<br />

außerhalb des staatlichen Schulauftrages entwickelt hat, zeigte sich bereits bei der Einführung<br />

der „Kür“. Denn „Kür“, <strong>das</strong> heißt Förderung von „Selbsttätigkeit“ als Weg zur<br />

„Selbständigkeit“, wie <strong>Jahn</strong> es formuliert hat. Schon 1810 hatte er in seinem Buch „Deutsches<br />

Volksthum“ die Leibesübungen als „ein Mittel zu einer vollkommenen Volksbildung“<br />

dargestellt <strong>und</strong> in sein Konzept der Volkserziehung eingebaut. In seinem Buch „Die Deutsche<br />

Turnkunst“ von 1816 präzisiert er dies: „Die Turnkunst soll die verloren gegangene<br />

Gleichmäßigkeit der menschlichen Bildung wieder herstellen, der bloß einseitigen<br />

Vergeistigung die wahre Leiblichkeit zuordnen“, <strong>und</strong> zwar damit „jeder Turner sein eigen<br />

Gepräge erhält nach seinem eigen Schrot <strong>und</strong> Korn“.<br />

Klarer kann man auch heute kaum <strong>das</strong> Ziel von einem ganzheitlichen Menschenbild<br />

formulieren <strong>und</strong> die Notwendigkeit auch leiblicher Bildung begründen. Daher ist es so<br />

wichtig <strong>und</strong> gut, <strong>das</strong>s es neben dem staatlichen nicht nur <strong>das</strong> offene Angebot von Turn- <strong>und</strong><br />

Sportvereinen gibt, sondern es zu den Selbstverständlichkeiten gehört, <strong>das</strong>s die Betreuung von<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen immer auch pädagogisch verantwortet werden muss.<br />

Und damit sind wir bei <strong>Jahn</strong>s „Idee <strong>und</strong> Praxis von Vereinen als freie Bürgerinitiativen“. Sein<br />

Beispiel in der Berliner Hasenheide fand viele Nachahmer. Schon 1816 wurde der erste<br />

Turnverein in Hamburg (HT 16) gegründet. 1818 soll es bereits 84 Turnplätze in Deutschland<br />

gegeben haben. Wie war <strong>das</strong> möglich ?


<strong>Jahn</strong>s pädagogische Konzept der Volkserziehung richtete sich nicht nur auf die ganzheitliche<br />

Erziehung des einzelnen Menschen in seiner „Eigentümlichkeit“ (Individualität), sondern<br />

gleichermaßen auf seine „Volksthümlichkeit“, <strong>das</strong> heißt auf seine soziale Verantwortung<br />

gegenüber den anderen. Dieses sollten <strong>und</strong> konnten <strong>junge</strong> Menschen in der<br />

„Turngemeinschaft“ erfahren <strong>und</strong> lernen. Denn wer Rechte in Anspruch nehmen will, der<br />

muss auch bereit sein, Pflichten zu übernehmen. Und so bildet sich „Gemeinsinn“, so entsteht<br />

<strong>das</strong> Prinzip der „Gemeinnützigkeit“, bis heute die sogar vom Staat geforderte Satzungsbestimmung<br />

bei jeder Vereinsgründung.<br />

So verdanken wir auch <strong>Jahn</strong>s Beispiel seines Turnplatzes in der Hasenheide die Geburt der<br />

auf ehrenamtlicher Basis wirkenden Bürgerinitiative „Verein“. Über 90 000 gibt es heute im<br />

DOSB.<br />

Fasst man diese drei Leistungen <strong>Jahn</strong>s auch in ihrer Wirksamkeit bis heute zusammen, so<br />

kann man von dem „deutschen Modell der Leibesübungen“ sprechen. Denn es unterscheidet<br />

sich von dem „englischen Modell der Leibesübungen“, dem Sport, in einigen wesentlichen<br />

Punkten.<br />

In England entwickelte sich der Sport im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert in der Adelsgesellschaft -<br />

ohne einen genialen Begründer! Das „se disportare“ (sich auseinandertragen, sich zerstreuen)<br />

– der Zeitvertreib – bestand im Wetten mit Geldeinsatz: welches Pferd, welcher H<strong>und</strong>,<br />

welcher Briefbote (Läufer) wohl schneller sei. Damit war die Spannung bei einem Wettkampf<br />

(<strong>das</strong> Schneller, Höher, Stärker) <strong>das</strong> entscheidende Motiv für die Entstehung des Sports. Später<br />

auch in den Adelsschulen ausgeübt, dann über die Kolonien in die ganze Welt getragen, bis er<br />

1896 in Athen seinen olympischen Siegeszug begann.<br />

Heute sind wir in Deutschland der Erbe von ursprünglich zwei unterschiedlichen Modellen<br />

der Leibesübungen. Und <strong>das</strong> ist auch heute gut so.<br />

Aber wir dürfen gleichermaßen stolz darauf sein, <strong>das</strong>s der deutsche Turn- <strong>und</strong> Sportverein bis<br />

heute auf dem Prinzip der Gemeinnützigkeit <strong>und</strong> der ehrenamtlichen Führung basiert, stolz,<br />

<strong>das</strong>s der pädagogische Anspruch im Sinne einer Gesamtbildung besonders bei Kindern <strong>und</strong><br />

Jugendlichen gr<strong>und</strong>sätzlich nachhaltig gefordert <strong>und</strong> gefördert wird, <strong>und</strong> stolz, <strong>das</strong>s die<br />

deutsche Turn- <strong>und</strong> Sportbewegung immer ein vielfältiges Angebot an „alle“ nicht nur betont,<br />

sondern immer auch versucht hat zu verwirklichen.<br />

Dies alles verdanken wir im Wesentlichen einer kreativen <strong>und</strong> revolutionären Persönlichkeit:<br />

dem <strong>junge</strong>n <strong>Friedrich</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Jahn</strong>, der 33jährig <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong> in der Berliner Hasenheide<br />

begründet hat. 1811 war <strong>das</strong>. 1819 wurde er im Rahmen der Demagogenverfolgungen<br />

verhaftet, dann unter Polizeiaufsicht gestellt <strong>und</strong> erst 1840 rehabilitiert. 21 Jahre litt er unter<br />

haltlosen Anschuldigungen. Nur 9 Jahre seines Lebens hatte er Zeit, <strong>das</strong> <strong>Turnen</strong> zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> zu betreuen. Eine ungeheure Leistung !<br />

Daher gilt <strong>Jahn</strong> meine Hochachtung.<br />

Und daher habe ich auch gerne diesen Vortrag in der <strong>Jahn</strong>-Stadt Freyburg anlässlich des<br />

<strong>Jahn</strong>turnfestes <strong>und</strong> der Gründung der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Ludwig</strong>-<strong>Jahn</strong>-<strong>Gesellschaft</strong> gehalten.

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