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Theater in der Josefstadt

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2013 14<br />

Hans Neuenfels<br />

<strong>Theater</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Josefstadt</strong><br />

E<strong>in</strong> Genie <strong>der</strong><br />

Grausamkeit und Grazie<br />

Mit wil<strong>der</strong> Energie entstaubte Hans Neuenfels,<br />

Regisseur und Gesamtkünstler, die Opern- und<br />

<strong>Theater</strong>bühnen.<br />

Bei den Proben, wenn es ihn richtig packt, dann wird er<br />

zum Vulkan. E<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> mit rauheiserer Stimme Ideen<br />

sprüht, Ideen, die Schauspieler, Sänger und e<strong>in</strong>en ganzen<br />

<strong>Theater</strong>betrieb <strong>in</strong> Flammen setzen. Man hat ihn darum immer<br />

wie<strong>der</strong> als „Regie-Berserker“ zu fassen gesucht. Aber dieses<br />

Wort ergibt nichts als e<strong>in</strong>e vage und unmusische Ausflucht.<br />

Tatsächlich ist Hans Neuenfels e<strong>in</strong> von Grund auf glühen<strong>der</strong><br />

Künstler. E<strong>in</strong> letzter Gesamtkünstler <strong>der</strong> Szene.<br />

Neuenfels (was für e<strong>in</strong> sprechen<strong>der</strong> Name!) <strong>in</strong>szeniert<br />

nicht nur Schauspiel und Oper und entwirft häufig eigene Bühnenbil<strong>der</strong>,<br />

er hat aus <strong>Theater</strong> Filme gemacht und schreibt, er<br />

ist e<strong>in</strong> hochs<strong>in</strong>nlicher Erzähler, Lyriker, stilmächtiger Essayist,<br />

e<strong>in</strong> musikalisch-philosophischer Ästhetiker – also: e<strong>in</strong> Dichter<br />

und Denker.<br />

Dieses Letzte kl<strong>in</strong>gt sehr deutsch, und Hans Neuenfels,<br />

<strong>in</strong> Krefeld geboren, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Charlottenburg lebend, ist auch<br />

sehr deutsch. E<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>ner Romantiker, mit dem entsprechenden<br />

Pathos, Witz und Trauerfuror. Doch h<strong>in</strong>zu kommt<br />

das ebenso deutsche Sehnen nach Süden h<strong>in</strong>, die Lust am<br />

Mediterranen. Die Neigung zu Verdi und sogar Wagner, dem <strong>in</strong><br />

Venedig Gestorbenen, dessen Lohengr<strong>in</strong> er jüngst <strong>in</strong> Bayreuth<br />

leuchten ließ, diese Neigung und Neugier kreuzt sich dann <strong>in</strong><br />

Neuenfels’ beson<strong>der</strong>em S<strong>in</strong>n für Mozarts Liebeswelttheater<br />

und Schuberts Untröstlichkeitsmelodien.<br />

Das Gewaltige und das Zarte stecken <strong>in</strong> Hans Neuenfels’<br />

Werk und Wesen gleichermaßen. Gleich unmäßig. Er ist aus<br />

dem Urdeutschen früh ausgebrochen und hat <strong>in</strong> Wien am<br />

Max-Re<strong>in</strong>hardt-Sem<strong>in</strong>ar studiert, zusammen übrigens mit<br />

Franz Xaver Kroetz, und dort traf er auch se<strong>in</strong>e baldige Frau<br />

und Lebenskunstgefährt<strong>in</strong> bis heute, die Schauspieler<strong>in</strong> Elisabeth<br />

Trissenaar. Aber die beson<strong>der</strong>e Manier, mit <strong>der</strong> Neuenfels<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Inszenierungen alle Vorbil<strong>der</strong> aus dem Alltag o<strong>der</strong><br />

den Alltagsmedien explodieren lässt und Menschen häufig<br />

naherückt, <strong>in</strong>dem er sie märchenhaft fremd macht und ihre<br />

Ferne zur Verlockung, dieses Beson<strong>der</strong>e gründet <strong>in</strong> Neuenfels’<br />

Fasz<strong>in</strong>ation durch den Surrealismus. Ganz jung war er <strong>in</strong> Paris<br />

gut e<strong>in</strong> Jahr lang <strong>der</strong> Sekretär von Max Ernst: se<strong>in</strong>e Jahrhun<strong>der</strong>tbegegnung.<br />

Und mit ihr die Erkenntnis auch, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kunst<br />

alle Welt mit größter Freiheit collagieren und assoziieren zu<br />

können.<br />

Ähnlich wie <strong>der</strong> 15 Jahre ältere Peter Zadek <strong>in</strong> Ulm und<br />

Bremen entstaubte Neuenfels mit se<strong>in</strong>er wilden Energie die<br />

deutsche Prov<strong>in</strong>z und dann die Großstadttheater. In Heidelberg<br />

Ende <strong>der</strong> sechziger Jahre, mit jungen Spielern wie Gottfried<br />

John, Ulrich Wildgruber, Ulrich Haß und <strong>der</strong> Trissenaar,<br />

verband er Pop und Revolte mit se<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>n für Rhythmus<br />

und Musikalität. So wurde er mit <strong>der</strong> britischen Fußball-Revue<br />

Zicke Zacke (von 1969) bereits zum Berl<strong>in</strong>er <strong>Theater</strong>treffen<br />

geladen. Neuenfels ließ auch Büchners Danton und Peter<br />

Weiss’ Marat/Sade <strong>in</strong> gleißenden Lichträumen spielen, fand<br />

nach Heidelberg im Brechtschüler Peter Palitzsch <strong>in</strong> Stuttgart<br />

und später <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tellektuellen Konterpart,<br />

entdeckte Vitracs Victor o<strong>der</strong> die K<strong>in</strong><strong>der</strong> an <strong>der</strong> Macht<br />

programmatisch neu, ebenso das Zeitgenössische <strong>in</strong> aufbegehrenden<br />

Frauen wie Ibsens Nora und Euripides’ Medea. E<strong>in</strong>e<br />

se<strong>in</strong>er schönsten Inszenierungen war an <strong>der</strong> West-Berl<strong>in</strong>er<br />

Freien Volksbühne 1981 Kleists Penthesilea. Das Kriegerische<br />

und das Zärtliche gerieten mit Elisabeth Trissenaar <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Titelrolle und Kathar<strong>in</strong>a Thalbach als ihrer Amazonengefährt<strong>in</strong><br />

wie selten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s.<br />

Peter von Becker „Hans Neuenfels wird 70“,<br />

<br />

erschienen 2011 im „Der Tagesspiegel“<br />

Vor e<strong>in</strong> paar Jahren rief man<br />

wegen e<strong>in</strong>es Mohammed-<br />

Schädels beim Berl<strong>in</strong>er Idomeneo<br />

das Wörtchen „Skandal!“.<br />

Doch das war nichts gegen die<br />

am Ende bejubelte Frankfurter<br />

Aida, bei <strong>der</strong> die Titelheld<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er ägyptischen Grabkammer<br />

am Gas erstickte. Das war, weil<br />

auch <strong>der</strong> koloniale Schrecken<br />

gespielt wurde, e<strong>in</strong>e Revolution<br />

<strong>der</strong> Verdi-Rezeption. Grausamkeit<br />

und Grazie.

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