Fallsammlung - Teil F
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Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong><br />
<strong>Teil</strong> F<br />
RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />
Inhalt<br />
Fall 52 „Sie sind hiermit festgenommen!“<br />
Schwerpunkte<br />
• Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />
• Zum Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ – Tat- vs. Verdachtslösung<br />
Fall 53 Schlagfertiger Hausbesitzer<br />
Schwerpunkte<br />
• Grenzen des Jedermann-Festnahmerechts i.S.d. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />
• Notwehr i.S.d. § 32 StGB und Grenzen des Notwehrrechts<br />
Fall 54 Günstige Gelegenheit<br />
Schwerpunkte<br />
• Notwehr (§ 32 StGB) als Nothilfe<br />
• Ex-ante-Maßstab der Erforderlichkeitsbeurteilung<br />
• Anforderungen an den Rechtfertigungswillen<br />
Fall 55 Kleine Kirschendiebe<br />
Schwerpunkte<br />
• „Gebotenheit“ als sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts (§ 32 StGB)<br />
• Krasses Missverhältnis zwischen Notwehrfolgen und drohendem Rechtsgutsschaden<br />
Fall 56 Provokante Zugluft<br />
Schwerpunkte<br />
• Zum Gebrauch letaler Waffen i.R.d. Notwehr (§ 32 StGB)<br />
• Abgrenzung der absichtlichen von sonst vorwerfbarer Notwehrprovokation<br />
• Einschränkung des Notwehrrechts bei sonst vorwerfbar provozierter Notwehrlage i.R.d.<br />
Merkmals „Gebotenheit“<br />
Fall 57 Vorgetäuschter Routine-Eingriff<br />
Schwerpunkte<br />
• §§ 223 ff. StGB bei ärztlichen Heileingriffen<br />
• Rechtfertigungsgrund der Einwilligung (Prüfungssystematik)<br />
• Willensmängelfreiheit der rechtfertigenden Einwilligung<br />
Fall 58 „Der will nur spielen...“<br />
Schwerpunkte<br />
• Spezielle Notstandsformen (§§ 228, 904 BGB)<br />
• Tötung eines Hundes bei von diesem ausgehender Gefahr<br />
Fall 59 Regenschirm -Abwehr<br />
Schwerpunkte<br />
• § 33 StGB – Umfang und Grenzen entschuldigter Notwehrüberschreitung<br />
• Intensiver Notwehrexzess<br />
• Extensiver Notwehrexzess<br />
Fall 60 Gefährliche Eiger-Nordwand<br />
Schwerpunkte<br />
• Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB<br />
• Entschuldigender Notstand, § 35 StGB<br />
• Zur Indisponibilität des Rechtsguts Leben i.R.d. rechtfertigenden Einwilligung<br />
© CT 2013 119
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 61 Feuer bei Nacht<br />
Schwerpunkte<br />
• Irrtum über Rechtfertigungsumstände (Erlaubnistatumstandsirrtum), hier: Putativnotwehr<br />
• Prüfungssystematik und Argumente beim Erlaubnistatumstandsirrtum<br />
Fall 62 Religiöses Züchtigungsrecht?<br />
Schwerpunkte<br />
• Erlaubnisnormirrtum als indirekter Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB (Abgrenzung des<br />
Erlaubnisirrtums vom Erlaubnistatumstandsirrtum i.S.d. eingeschränkten Schuldtheorie)<br />
• Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums<br />
Fall 63 In der Ursache freie Handlung<br />
Schwerpunkte (im Ausgangsfall)<br />
• Zur Differenzierung von Handlungs- und Schuldunfähigkeit<br />
• Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB und diesbzgl. Bedeutung der BAK<br />
• Problemlösungsansätze und Prüfungsaufbau bei der a.l.i.c.-Strafbarkeit<br />
• § 323a StGB (Vollrausch) als Auffangtatbestand<br />
Schwerpunkte (in der Abwandlung)<br />
• Auswirkungen des error in persona im Rahmen der a.l.i.c.-Strafbarkeit<br />
• Entbehrlichkeit der a.l.i.c. beim fahrlässigen Erfolgsdelikt<br />
• Verhältnis der a.l.i.c. zum Vollrauschtatbestand des § 323a StGB<br />
Fall 64 „Haste Probleme...?!“<br />
Schwerpunkte<br />
• Zur Bestimmtheit des Doppelvorsatz’ i.R.d. „actio libera in causa“ („a.l.i.c.“)<br />
• Entbehrlichkeit der a.l.i.c. beim fahrlässigen Erfolgsdelikt<br />
• Verhältnis der a.l.i.c. zum Vollrauschtatbestand des § 323a StGB<br />
120 © CT 2013
Fall 52<br />
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
„Sie sind hiermit festgenommen!“<br />
Schwerpunkte<br />
• Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />
• Zum Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ – Tat- vs. Verdachtslösung<br />
Sachverhalt<br />
Der rüstige Rentner T geht in der Innenstadt spazieren, als aus einem<br />
großen Kaufhaus plötzlich der ärmlich gekleidete, auch im Übrigen verwahrlost<br />
wirkende O mit einem brandneuen Blu-Ray-Player unter dem Arm<br />
herausstürzt. Just in diesem Moment ertönt ein schrilles Alarmsignal aus<br />
dem Innern des Kaufhauses. Der O schaut zunächst kurz zurück, blickt<br />
sich sodann nach allen Seiten um und hastet schließlich zielstrebig in<br />
Richtung Hauptbahnhof.<br />
Der T folgert, so verhalte sich ja wohl nur ein Dieb, und beschließt,<br />
den Flüchtigen dingfest zu machen, wobei er über die ihm unverhofft<br />
zukommende wichtige Funktion höchst erfreut ist. Er stellt dem O ein<br />
Bein, sodass dieser zu Boden fällt, dreht ihm dann den Arm auf den Rücken<br />
und setzt sich hinterrücks auf ihn. Er macht dabei ein ernstes Gesicht<br />
und lässt die Worte verlauten: „Sie sind hiermit festgenommen.“<br />
Erst später klärt sich auf, dass es sich bei dem O um einen ehrlichen<br />
Kunden des Kaufhauses handelte, der seinen Zug nicht verpassen wollte.<br />
Dass bei seinem hastigen Verlassen des Kaufhauses gleichzeitig ein Alarmsignal<br />
zu hören war, war bloßer Zufall und hatte mit dem O nichts zu<br />
tun.<br />
Strafbarkeit des T wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB<br />
Der T könnte sich, indem er den O zu Fall brachte und längere Zeit am Boden festhielt,<br />
wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand<br />
Der objektive Tatbestand des § 239 StGB ist verwirklicht, wenn die Fortbewegungsfreiheit<br />
aufgehoben ist, d.h., dem Opfer muss, wenn auch nur vorübergehend, unmöglich<br />
gemacht worden sein, nach seinem freien Willen seinen Aufenthalt zu verändern.<br />
Zur Tathandlung „Freiheitsberaubung“ i.S.d. § 239 StGB BGH, NStZ 2003, 371: „Zwar setzt [der objektive Tatbestand des<br />
§ 239 StGB] keine bestimmte Dauer der Entziehung der persönlichen Bewegungsfreiheit voraus; es reicht vielmehr grundsätzlich<br />
auch eine nur vorübergehende Einschränkung aus [...]. Andererseits stellt nicht jedes auch nur kurzzeitige Festhalten<br />
des Gegners im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung, das [...] zu einer zeitlich nur unerheblichen Beeinträchtigung<br />
der Fortbewegungsfreiheit führt, eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB dar.“<br />
© CT 2013 121
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Hier liegt unproblematisch eine solche „Beraubung“ der körperlichen Fortbewegungsfreiheit<br />
des O seitens des T vor.<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Der T müsste rechtswidrig gehandelt haben; die von der Tatbestandsverwirklichung<br />
grundsätzlich indizierte Rechtswidrigkeit entfällt ausnahmsweise, wenn tatbestandsmäßiges<br />
Handeln durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist.<br />
a) Recht zur vorläufigen Festnahme<br />
In Betracht kommt das Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO.<br />
aa) Festnahmelage<br />
(1) Voraussetzung des § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO ist, dass der O „auf frischer Tat betroffen<br />
oder verfolgt“ gewesen war.<br />
Der O hat jedoch im materiell-rechtlichen Sinne und ex post betrachtet keine Straftat begangen;<br />
vielmehr ließen allein die Umstände die (fehlerhafte) Ex-ante-Deutung zu, der O<br />
sei ein Warenhausdieb und auf der Flucht.<br />
Ob allerdings ein bloßer, wenn auch substantiierter Tatverdacht, der sich später als<br />
richtig oder falsch erweisen kann, i.S.d. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO ausreicht, ist strittig.<br />
(2) Hiergegen spricht zuvorderst der Gesamtwortlaut des § 127 StPO: In dessen Abs. 1<br />
Satz 1 wird ausdrücklich das Betroffensein auf frischer Tat gefordert, damit ein Privater pro<br />
magistratū festnehmen darf. Demgegenüber genügt zur Festnahmebefugnis von Beamten<br />
der Staatsanwaltschaft und Polizei, so Abs. 2 i.V.m. § 112 StPO, ein dringender Tatverdacht.<br />
Nicht eine Gleichstellung, sondern eine Differenzierung der Eingriffsbefugnisse von<br />
Privaten und Organen der Strafrechtspflege erscheint die Intention des Gesetzgebers, die<br />
sich darauf begründet, dass Staatsanwaltschaft und Polizei zur Festnahme verpflichtet sind<br />
(vgl. § 258a StGB), der Bürger hingegen nicht; zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der<br />
Strafrechtspflege sind sie deshalb im Irrtumsfall (erlaubnis-)tatbestandlich schützenswert.<br />
Wer sich demgegenüber als Privater in „fremde Belange“ einmischt, dem ist eine sorgfältige<br />
Vergewisserung über seine Berechtigung zumutbar, unterliegt er doch im Gegensatz<br />
zu Amtsträgern keiner disziplinarischen Verantwortung. Angemessenen Schutz vor<br />
Strafe erfährt der festnehmende Private im gutgläubigen Irrtumsfall über die Rechtsfigur<br />
des sog. Erlaubnistatumstandsirrtums.<br />
Zu dieser sog. Tatlösung siehe etwa Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 354; Kühl, StrafR AT, § 9, Rn. 83 ff.<br />
(3) Zustimmung „verdient jedoch die bei den Prozessualisten vorherrschende, auch sonst<br />
vordringende Meinung, die bei dringendem Tatverdacht dem Privaten ein Festnahmerecht<br />
schon dann gibt, wenn er unter Anwendung der objektiv gebotenen Sorgfalt den Angetroffenen<br />
für den Täter hält. Denn der Staat darf, wenn er den Bürger für eine öffentliche<br />
Aufgabe heranzieht, von ihm nicht mehr verlangen als die Anwendung aller objektiv möglichen<br />
Sorgfalt. Außerdem sind nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen die Einleitungshandlungen<br />
eines Strafverfahrens stets Verdachtstatbestände [...], weil in<br />
diesem Stadium eine absolute Sicherheit nicht bestehen kann, sodass das Eingriffsrecht<br />
an das anknüpfen muss, was zurzeit erkennbar ist. Auch kann man die Rechtmäßigkeit<br />
der Festnahme nicht gut so lange in der Schwebe lassen, bis die Täterschaft des<br />
Festgenommenen rechtskräftig festgestellt ist. Der Hinweis auf die Unerfahrenheit des<br />
Privatmanns ist kein Gegenargument, wenn man von ihm dieselbe Sorgfalt verlangt, die<br />
122 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
auch ein Beamter anwenden müsste; höhere Anforderungen als an einen Beamten zu stellen<br />
oder gar die Kenntnis unerkennbarer Umstände zur Voraussetzung der Rechtmäßigkeit<br />
zu machen, ist aber verfehlt.“ 32<br />
Dazu mit Argumentation aus der Perspektive des Festnehmenden Kargl, NStZ 2000, 8 (10): „In dieser Hinsicht dürfte der<br />
Festnahmewillige deutlich eher Prozessualist als Strafrechtler sein. Er wird die Täterschaft des Festgenommenen aus<br />
Wahrnehmungen ableiten, die aus seiner Sicht ein festes Urteil, eine Überzeugung rechtfertigen. Er wird also sagen, ich<br />
habe den Festgenommenen aufgrund bestimmter Beobachtungen für den Dieb halten müssen; mehr als von der Täterschaft<br />
im Vertrauen auf die fünf Sinne überzeugt zu sein, kann ich gar nicht leisten. Der Festnehmende wird sich folglich<br />
nicht auf eine Realität festlegen lassen, die seiner anhand eigener Beobachtung operationalisierbaren Überzeugung widerspricht.<br />
Dabei kann sich der Festnehmende auf den erkenntnistheoretisch unabweisbaren Befund stützen, dass sich<br />
Überzeugungen auf einer Beobachterrealität gründen und damit notwendig subjektiv bleiben. Die Strafprozessordnung<br />
trägt dem dadurch Rechnung, dass sie keinen Täter, sondern nur einen Beschuldigten oder Verdächtigen, keine objektive<br />
Tat, sondern nur eine Tat im Sinne von Beschuldigung oder Verurteilung kennt. Es ist nicht zu sehen, weshalb ein Bürger,<br />
der für das Strafverfolgungsorgan handelt, eine andere Perspektive als die der Strafprozessordnung einnehmen sollte. Mit<br />
dem Wortlautargument ist die ‚Verdachtslösung’ jedenfalls nicht zu kippen.“ Siehe auch BGH (Zivilsenat), NJW 1981,<br />
745: „Eine Festnahme oder Verfolgung aufgrund § 127 StPO ist gerechtfertigt, wenn die erkennbaren äußeren Umstände<br />
einen dringenden Tatverdacht vermitteln.“; Köhler, StrafR AT, S. 319 f.: „objektiv-dringliche Verdachtsevidenz“.<br />
(4) Das Merkmal „auf frischer Tat“ ist mithin notwendigerweise subjektiv, d.h. nach<br />
Maßgabe des Bildes zu ermitteln, das sich der Festnehmende von der Situation macht und<br />
aufgrund des schnellen Augenblicksurteils überhaupt machen kann.<br />
In der Folge lag im Fall hier eine für § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO zureichende, wenn auch in<br />
Wirklichkeit nicht gegebene Festnahmelage vor.<br />
Vertretbar ist aber auch, mit den Vertretern der „Tatlösung“ darauf abzustellen, dass keine Veranlassung besteht, zum<br />
Nachteil des von einer Festnahme Betroffenen den Tatbegriff und damit den Wortlaut des § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />
auszuweiten, obwohl objektiv keine Festnahmelage bestand. Da T indes annahm, dass er in Übereinstimmung mit § 127<br />
Abs. 1 Satz 1 StPO handelte und durch das Jedermann-Festnahmerecht gedeckt wäre, er also irrtümlich davon ausging,<br />
dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vorlägen, befand er sich – nach dieser<br />
Lösung – in einem sog. Erlaubnistatumstandsirrtum, der seinen Vorsatz analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB entfallen lässt,<br />
so bspw. Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 354.<br />
bb) Festnahmehandlung<br />
An der Verhältnismäßigkeit der Festnahmehandlung des T, hier der kurzfristigen Freiheitsberaubung,<br />
bestehen keine Zweifel.<br />
cc) Festnahmegrund<br />
Im Sinne des § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO darf eine Festnahme nur erfolgen, wenn der Täter<br />
der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Beide<br />
Festnahmegründe sind im Fall des aus dem Kaufhaus stürmenden („weglaufenden“) und<br />
dem T unbekannten O gegeben.<br />
dd) Festnahmewille<br />
T’s Absicht war es, den O festzunehmen und der staatlichen Strafverfolgung zuzuführen.<br />
Dass er zudem „über die ihm unverhofft zukommende wichtige Funktion höchst erfreut“<br />
war, ist als bloßes untergeordnetes Nebenmotiv dem Festnahmewillen nicht schädlich.<br />
b) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Freiheitsberaubung des T an dem O ist gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO gerechtfertigt.<br />
3. Strafbarkeitsergebnis<br />
§ 239 StGB (-)<br />
Die geringfügige Körperverletzung des T an dem O (§ 223 StGB) und die Nötigung (§ 240 StGB) zum Zwecke der Festnahme<br />
(„Polizeigriff“) ist gleichfalls gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO gerechtfertigt.<br />
32<br />
Roxin, StrafR AT I, § 17, Rn. 24 m.w.N.<br />
© CT 2013 123
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 53<br />
Schlagfertiger Hausbesitzer<br />
Schwerpunkte<br />
• Grenzen des Jedermann-Festnahmerechts i.S.d. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />
• Notwehr i.S.d. § 32 StGB und Grenzen des Notwehrrechts<br />
Sachverhalt<br />
Ausgangsfall<br />
Der T wohnt in einem großen Haus am Stadtrand. Eines Nachts wird er<br />
durch verdächtige Geräusche im Keller wach. Beim Nachsehen erkennt er,<br />
dass ein Einbrecher (E) gerade damit beschäftigt ist, den Inhalt des<br />
Safes – insb. wertvolle Erbstücke verschiedener Art – auszuräumen und<br />
sich in die Taschen zu stecken. Auf seinen Zuruf „Heee, was machen Sie<br />
da?!“ hin wendet sich der E erschrocken mitsamt seiner Beute zur Flucht.<br />
T stürzt ihm hinterher; es gelingt ihm, den E im Garten zu stellen,<br />
indem er ihn von hinten mit einer Holzlatte niederschlägt.<br />
Hat sich der T strafbar gemacht?<br />
Abwandlung<br />
Der E hat ohne Beute die Flucht angetreten, als er von dem T im Garten<br />
niedergeschlagen wird.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Lösung<br />
AUSGANGSFALL<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist jedoch, ob die Tat des T rechtswidrig war.<br />
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Verwirklichung eines Straftatbestands indiziert; sie<br />
entfällt ausnahmsweise, wenn Rechtfertigungsgründe eingreifen.<br />
a) Recht zur vorläufigen Festnahme<br />
In Betracht kommt eine Rechtfertigung gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO durch das sog.<br />
Jedermann-Festnahmerecht.<br />
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Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
aa) Festnahmelage<br />
Der T hatte den E auf frischer Tat bei einem Diebstahlsversuch sowie einem Hausfriedensbruch<br />
betroffen; somit lag die für § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche Rechtfertigungslage<br />
vor.<br />
bb) Festnahmehandlung<br />
Problematisch ist jedoch, ob der Schlag des T als Festnahmehandlung gerechtfertigt ist.<br />
§ 127 Abs. 1 Satz 1 StPO dient grundsätzlich nur der Rechtfertigung der mit einer Festnahme<br />
als solcher einhergehenden Freiheitsbeeinträchtigung; Körperverletzungshandlungen<br />
sind nur dann mitumfasst, sofern es sich um typische, geringfügige Begleiterscheinungen<br />
des Festhaltens als solchem handelt.<br />
Der gezielte schwere Schlag mit der Holzlatte ist deshalb keine von § 127 Abs. 1 Satz 1<br />
StPO gedeckte Handlung. Folglich ist die Tat des T nicht durch § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />
gerechtfertigt.<br />
„§ 127 I 1 StPO rechtfertigt nur solche Tatbestandserfüllungen, die für eine Festnahme normalerweise unerlässlich<br />
sind, also die leichte Körperverletzung durch festes Zupacken, die Freiheitsberaubung durch Festhalten und ggf. durch<br />
Einschließen oder Fesseln und die Nötigung, die im Zwang zum Mitgehen auf die Polizeiwache liegt.“ 33 „Ein Schusswaffengebrauch<br />
zum Zwecke der Festnahme ist nichtstaatlichen Organen wegen der besonderen Gefährlichkeit eines solchen<br />
Vorgehens nur in Form von Warnschüssen gestattet. Im Übrigen kann § 127 I StPO bei Privaten auch im Falle besonders<br />
schwerwiegender Rechtsgutsverletzungen den Einsatz von Schusswaffen nicht legitimieren.“ 34 – Zum Umfang des<br />
Festnahmerechts kurz und übersichtlich Kühl, StrafR AT, § 9, Rn. 91.<br />
Setzt sich der auf frischer Tat Betroffene mit Gewalt gegen die berechtigte Festnahme zur Wehr, so hat der Festnehmende<br />
dagegen das Notwehrrecht und ist zu allen erforderlichen Abwendungsmaßnahmen berechtigt. 35 So auch BGHSt 45, 378<br />
(381, 383); Roxin, StrafR AT I, § 17, Rn. 28.<br />
b) Recht zur Notwehr<br />
Zu prüfen ist aber der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB).<br />
aa) Notwehrlage<br />
Als Notwehrlage normiert das Gesetz einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff.<br />
In dem Eindringen des E, aber auch in der Wegnahme der Wertsachen lag eine willentliche<br />
Beeinträchtigung der Rechtgüter des T, insbesondere seines Eigentums, somit ein Angriff.<br />
Dieser war auch rechtswidrig, da dem E für sein strafrechtlich gem. §§ 242, 243, 123, StGB<br />
relevantes Verhalten kein Erlaubnissatz zugute kam.<br />
Fraglich ist allerdings, ob der rechtswidrige Angriff (noch) gegenwärtig war.<br />
Kurzdefinition: „Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch fortdauert.“ 36<br />
Ein Angriff dauert solange fort, bis entweder der Rechtsgutsangriff vollständig abgewehrt<br />
ist oder aber die Rechtsgutsbeeinträchtigung endgültig ist. Bezogen auf den<br />
Diebstahl bedeutet dies, dass bis zur Beendigung, also der Beutesicherung, der Eigentumsangriff<br />
fortdauert. Dass der E sich bereits auf der Flucht befand, ändert nichts daran,<br />
dass der schon vollendete Diebstahl noch nicht beendet war. Somit dauerte der Angriff<br />
auf das Eigentum des T fort, sodass noch immer eine Notwehrlage gegeben war.<br />
„Beendet und damit nicht mehr gegenwärtig ist der Angriff, wenn er fehlgeschlagen, endgültig aufgegeben oder vollständig<br />
durchgeführt ist, sodass die Rechtsgutsverletzung durch Gegenwehr nicht mehr abgewendet werden kann.“ 37 – Zur Gegenwärtigkeit<br />
des Angriffs beim Diebstahl und dem Erlaubtsein des „Beuteabjagens“ siehe Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 28;<br />
Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 46, 50 m.w.N.<br />
bb) Notwehrhandlung<br />
Zulässige Notwehrhandlung ist gem. § 32 Abs. 2 StGB die zur Abwendung des Angriffs<br />
erforderliche und gebotene Verteidigung.<br />
33<br />
Roxin, StrafR AT I, § 17, Rn. 28.<br />
34<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 356.<br />
35<br />
Kühl, StrafR AT, § 9, Rn. 91.<br />
36<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 328; ganz ähnlich Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 21.<br />
37<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 328.<br />
© CT 2013 125
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
(1) Der Schlag mit der Holzlatte hinderte den E an der Flucht und war somit zur Vereitelung<br />
des Diebstahlserfolgs (Beutesicherung) geeignet. Er war auch erforderlich, da dem T kein<br />
milderes Mittel zu Gebote stand, das ebenso geeignet gewesen wäre.<br />
Merke: Mildere Mittel, die jedoch nicht gleich effektiv oder gar risikoreicher sind, lassen die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung<br />
nicht entfallen. Dass der T dem E z.B. zunächst einen Haken hätte stellen können, um ihn aufzuhalten, ist deshalb<br />
für die Notwehrprüfung unbeachtlich. Siehe hierzu etwa Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 100 ff.; Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 43:<br />
„In Wirklichkeit kommt es darauf an, ob [...] nach dem Einsatz eines weniger gefährlichen Abwehrmittels bei [dessen]<br />
Erfolglosigkeit immer noch eine sichere Abwehr mit einem härteren Mittel möglich ist.“<br />
(2) Eine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts kommt wegen des hohen Wertes<br />
und des Affektionsinteresses an den Erbstücken nicht in Betracht. Zweifel an der Gebotenheit<br />
der Handlung (§ 32 Abs. 1 StGB) bestehen insofern nicht.<br />
cc) Notwehrwille<br />
Der T handelte mit dem Willen, sein Eigentum zu verteidigen, sodass auch der subjektive<br />
Tatbestand der Notwehr erfüllt ist.<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Tat des T war folglich als Notwehr i.S.d. § 32 StGB gerechtfertigt; es liegt kein strafbares<br />
Unrecht vor.<br />
3. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (-)<br />
ABWANDLUNG<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
a) Recht zur vorläufigen Festnahme gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO (-)<br />
b) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
aa) Als Notwehrlage kommt hier allein der Angriff des E auf das Hausrecht des T, § 123<br />
StGB (Hausfriedensbruch), in Betracht.<br />
Grund: Ein Angriff auf das Eigentum des T ist seitens des ohne Beute fliehenden Diebes nicht mehr gegenwärtig. Vgl.<br />
dazu Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 46, 50 m.w.N.<br />
Zweifel bestehen allerdings an der Gegenwärtigkeit des Angriffs auf das Hausrecht. Da der<br />
T sich hier zur Flucht gewendet hatte, könnte man annehmen, das Hausrecht sei bereits<br />
nicht mehr beeinträchtigt, da der widerrechtliche Aufenthalt des E gerade beendet wird.<br />
bb) Aber auch soweit man wortgebunden darauf abstellt, dass sich der E während seiner<br />
Flucht noch immer auf dem Besitztum des T befindet, erscheint es zweifelhaft, den<br />
Schlag mit der Holzlatte als notwehrspezifische Verteidigung anzusehen. Denn für<br />
die Erforderlichkeit im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ist basale Voraussetzung, dass die<br />
Verteidigungshandlung zur Angriffsabwendung geeignet ist.<br />
126 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Die Verteidigungsmaßnahme muss also grundsätzlich dazu in der Lage sein, „den Angriff<br />
entweder ganz zu beenden oder ihm wenigstens ein Hindernis in den Weg zu legen“ 38 .<br />
Durch das Niederschlagen wird aber der E gerade davon abgehalten, seinen Angriff durch<br />
Verlassen des Grundstücks zu beenden, wie er es erkennbar vorhatte.<br />
cc) Somit scheidet eine Rechtfertigung durch Notwehr in Ermangelung des als Notwehrhandlung<br />
zu qualifizierenden Schlags mit der Holzlatte aus. Die Tat des T verbleibt<br />
rechtswidrig.<br />
3. Schuld (+)<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (+)<br />
38<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 335.<br />
© CT 2013 127
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 54<br />
Günstige Gelegenheit<br />
Schwerpunkte<br />
• Notwehr (§ 32 StGB) als Nothilfe<br />
• Ex-ante-Maßstab der Erforderlichkeitsbeurteilung<br />
• Anforderungen an den Rechtfertigungswillen<br />
Sachverhalt<br />
Der Bankräuber (B) stürmt den Kassenraum einer Bank in vermummtem Zustand<br />
und mit einer echt wirkenden Spielzeugpistole. Als er am Schalter Geld<br />
fordert, wird er von dem T hinterrücks mit einem „Totschläger“ zu Boden<br />
gestreckt. Der T freut sich über die Gelegenheit, endlich einmal von<br />
seinem „Totschläger“ Gebrauch machen zu können und zudem der Bank noch<br />
den Verlust des Bargeldes ersparen zu können.<br />
Hat sich der T strafbar gemacht?<br />
Anmerkung: Ein „Totschläger“ ist eine biegsame Schlagrute, an deren Ende<br />
sich eine etwa golfballgroße Metallkugel befindet. Schläge auf den Schädel<br />
können durch den Peitscheneffekt, bei dem das Endgewicht kurzzeitig<br />
eine deutlich erhöhte Geschwindigkeit erreicht, schwerste Verletzungen<br />
bis hin zu einem Aufplatzen des Schädels verursachen. „Totschläger“ sind<br />
in Deutschland verbotene Waffen i.S.d. WaffG.<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
a) Recht zur vorläufigen Festnahme gem. § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />
Durch das sog. Jedermann-Festnahmerecht sind nur mit dem eigentlichen Festnahmevorgang<br />
typischerweise verbundene, geringfügige Körperverletzungen erlaubt, nicht<br />
aber das Niederschlagen mit einer Waffe wie dem Totschläger.<br />
§ 127 Abs. 1 Satz 1 StPO greift zugunsten des T nicht.<br />
b) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
aa) Notwehrlage: gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (+)<br />
128 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
bb) Notwehrhandlung<br />
Zulässig i.S.d. § 32 StGB ist die erforderliche und insgesamt gebotene Verteidigungshandlung<br />
zur Abwendung eines Angriffs von sich (Notwehr) oder einem anderen (Notwehr in<br />
Form der Nothilfe).<br />
(1) Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung<br />
Zweifeln unterliegt hier die Frage der Erforderlichkeit. Sie setzt voraus, dass ein milderes,<br />
gleichermaßen abwehrgeeignetes Mittel nicht verfügbar war.<br />
Geht man davon aus, dass der Angriff mit einer Spielzeugpistole objektiv harmlos ist, so<br />
hätte das einfache körperliche Hinausdrängen des Angreifers oder das Abnehmen der Pistole<br />
als milderes Verteidigungsmittel ausgereicht.<br />
Dabei würden allerdings übertriebene Anforderungen an den Notwehrübenden gestellt.<br />
Wird dieser von einem Täter mit einer Scheinwaffe bedroht, so kommt es allein darauf an,<br />
wie der Angegriffene die Drohung verstehen musste; maßgebend ist also die Ex-ante-<br />
Einschätzung eines objektiven Dritten an der Stelle des Angegriffenen.<br />
Dazu Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 46: „Diese Auslegung des Merkmals der Erforderlichkeit führt zu dem kriminalpolitisch<br />
wünschenswerten Ergebnis, dass objektiv unvermeidbare Irrtümer über die Notwendigkeit einer Abwehrmaßnahme<br />
zu Lasten des Angreifers gehen, an der Erforderlichkeit also nichts ändern.“ Zur Problematik der Scheinwaffe siehe auch<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 338; Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 108.<br />
Der Angreifer muss damit rechnen, dass seine Drohung ernst genommen wird; ein Risiko<br />
braucht der Abwehrende nicht einzugehen. 39 War aber von einem mit einer Schusswaffe<br />
bewaffneten Täter (B) auszugehen, so gab es zur Angriffsabwendung kein milderes<br />
Mittel als das von dem T angewandte.<br />
Dass es sich bei der verwendeten Waffe um einen sog. Totschläger, eine gem. § 2 Abs. 3<br />
WaffG i.V.m. Anlage 2, Abschn. 1, Nr. 1.3.2. verbotene Waffe, handelt, ändert nichts an<br />
der Rechtmäßigkeit der erforderlichen Verteidigung.<br />
Siehe etwa BGH, NStZ 1986, 357 f.; Perron, in Schönke/Schröder, StGB, § 32, Rn. 36.<br />
(2) Gebotenheit der Verteidigungshandlung (+)<br />
cc) Notwehrwille bzw. Nothilfewille<br />
Schließlich müsste der T mit dem von § 32 StGB geforderten Verteidigungswillen<br />
(„um…zu“) gehandelt haben. Bedenken am Vorliegen dieses sog. subjektiven Rechtfertigungselements<br />
könnten insofern bestehen, als der T sich auch und insb. darüber gefreut<br />
hat, seinen Totschläger endlich einmal benutzen zu können. Für den Rechtfertigungswillen<br />
ist jedoch das Mitwirken minderwertiger Nebenmotive im Rahmen eines „Motivbündels“<br />
so lange unschädlich, als diese den Verteidigungswillen nicht vollkommen<br />
verdrängen. Es ist keine Motivationsdominanz des Verteidigungswillens erforderlich.<br />
Siehe etwa Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 275 ff., 350a. – Noch weiter gehend Kühl, StrafR AT, § 7,<br />
Rn. 124 ff.; Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 130, der ein bloßes Verteidigungs- bzw. Rechtfertigungsbewusstsein ausreichen<br />
lässt: „Eine Verteidigung liegt nicht erst vor, wenn der Angegriffene um der Verteidigung willen handelt, sondern<br />
schon dann, wenn er weiß dass er einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abwehrt. Und dem hinter der Notwehr<br />
stehenden Rechtsbewährungsgedanken ist bereits dann objektiv und subjektiv genüge getan, wenn der Täter – aus welchen<br />
Motiven auch immer – in dem Bewusstsein handelt, das Recht gegen das Unrecht durchzusetzen.“<br />
Da der T zumindest auch handelte, um die Rechtsgüter der Bank zu verteidigen, handelte<br />
er mit Rechtfertigungsbewusstsein und mit Verteidigungswillen (Nothilfewillen).<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Körperverletzung ist als Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt.<br />
3. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (-)<br />
39<br />
Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 46.<br />
© CT 2013 129
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 55<br />
Kleine Kirschendiebe<br />
Schwerpunkte<br />
• „Gebotenheit“ als sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts (§ 32 StGB)<br />
• Krasses Missverhältnis zwischen Notwehrfolgen und drohendem Rechtsgutsschaden<br />
Hinweis<br />
• Über das normative Merkmal der Gebotenheit unterliegt „das schneidige Schwert“ der Notwehr<br />
einer sozialethischen Kontrolle seiner Anwendbarkeit und Reichweite. Bei dem nachfolgenden<br />
Fall handelt es sich um den klassischen, plastischen Schulfall zur Einschränkung<br />
des Notwehrrechts.<br />
Sachverhalt<br />
Der alleinlebende Bauer T, der seit einem Autounfall gelähmt ist, sitzt<br />
im Rollstuhl auf seiner Terrasse. Plötzlich bemerkt er, wie zwei ihm<br />
bekannte Nachbarsjungen in einen seiner voller Früchte hängenden Kirschbaum<br />
klettern und sich nach Herzenslust bedienen. Auf seine wütenden<br />
Zurufe hin erntet er nur höhnisches Gelächter. Auch als er den kleinen<br />
Dieben droht, ihnen notfalls mit Gewalt Einhalt zu gebieten, ändert sich<br />
nichts. Daraufhin greift der T zu seinem neben ihm liegenden Schrotgewehr<br />
und gibt zwei Gewehrsalven auf den Baum ab. Die Kirschendiebe fallen vom<br />
Baum und sind schwer verletzt.<br />
Hat sich der T der gefährlichen Körperverletzung i.S.d. §§ 223, 224 StGB<br />
strafbar gemacht?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Die von der Tatbestandsverwirklichung indizierte Rechtswidrigkeit der Tat des T könnte<br />
durch das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes entfallen.<br />
In Betracht kommt Notwehr.<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
aa) Notwehrlage<br />
Grundvoraussetzung des Notwehrrechts ist, dass eine Notwehrlage gegeben ist, d.h. ein<br />
gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (§ 32 Abs. 1 StGB). Ein solcher Angriff liegt in<br />
jeder von menschlichem Verhalten ausgehenden Beeinträchtigung rechtlich geschützter<br />
Interessen. Das Abpflücken von Kirschen von fremden Bäumen ist ein Gewahrsamsbruch<br />
130 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
und verwirklicht spätestens mit Trennung der Früchte vom Baum den Straftatbestand des<br />
Diebstahls (§ 242 StGB). Das (aus dieser Perspektive) Opfer T befand sich somit in einer<br />
Notwehrlage.<br />
bb) Notwehrhandlung<br />
Problematisch ist indes, ob die Schüsse des T eine Notwehrhandlung in den Grenzen<br />
des § 32 StGB waren.<br />
Im Rahmen der Notwehr ist zulässig die zur Abwehr des Angriffs erforderliche und gebotene<br />
Verteidigung.<br />
(1) Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung<br />
Das Merkmal „erforderlich“ macht zur Voraussetzung, dass der Notwehrübende das relativ<br />
schonendste, sicher abwehrgeeignete Mittel wählen muss. Konnte er den Angriff anderweitig,<br />
d.h. weniger einschneidend, aber gleich wirksam abwenden, so war seine Handlung<br />
nicht erforderlich. Maßgebend ist der Horizont eines besonnenen Betrachters aus der<br />
Ex-ante-Perspektive des Angegriffenen.<br />
Der Angegriffene braucht sich weder auf unsichere Verteidigungsmittel verweisen zu lassen, noch muss er gar eine Güterabwägung<br />
vornehmen. Das Notwehrrecht basiert auf dem Rechtsbewährungsgedanken; der Angreifer ist nur insoweit<br />
zu schützen, als dies aus dem Übermaßverbot folgt.<br />
Hier war der T allein, Hilfe war nicht ersichtlich und infolge seiner Lähmung war der T nicht<br />
in der Lage, die Jungen anders zu vertreiben, zumal sich Warnrufe als fruchtlos erwiesen<br />
hatten. Die Schüsse waren also zur Verteidigung seiner Rechtsgüter erforderlich.<br />
An dieser Stelle wird der dogmatische Unterschied zwischen Erforderlichkeit und (nunmehr zu prüfender) Gebotenheit<br />
deutlich; Näheres z.B. bei Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 47.<br />
(2) Gebotenheit der Verteidigungshandlung<br />
Notwehr ist allerdings gem. § 32 Abs. 1 StGB nur die zur Verteidigung „gebotene“ Handlung.<br />
Hieraus folgt allgemein, dass die Notwehr als Ausnahme vom originär staatlichen<br />
Gewaltmonopol normativen, d.h. sozialethischen Einschränkungen unterliegt.<br />
Grundsätzlich braucht das Recht dem Unrecht nicht zu weichen. 40 Doch muss in Ausnahmefällen die Möglichkeit einer<br />
normativen (vernunftorientierten) Korrektur bestehen. Das Merkmal der „Gebotenheit“ wurde deshalb 1975 (wieder) in § 32<br />
StGB eingefügt; in der Gesetzesbegründung heißt es: „Nach der Ansicht des Ausschusses bedarf das Notwehrrecht aus<br />
sozialethischen Gründen einer Begrenzung, durch die Fälle ausgeschlossen werden, die keine Rechtfertigung verdienen.<br />
Das gilt etwa bei einer Verteidigung gegenüber Angriffen von Kindern und Geisteskranken, wo man auch nach den<br />
allgemeinen Wertvorstellungen dem ‚Angriff’ durch Flucht ausweichen kann, ohne sich damit in seiner Ehre etwas zu vergeben.<br />
Ferner ist an ‚Angriffe’ zu denken, die so geringfügig sind, dass ihre Hinnahme zugemutet werden kann. [...]“ 41 –<br />
Eingehend zur „Gebotenheit“ Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 55 ff.<br />
Insbesondere in Fällen von Bagatellangriffen oder einem sonstigen krassen Missverhältnis<br />
muss daher auf Notwehr verzichtet werden, selbst wenn damit die Rechtsgutseinbuße<br />
unabgewendet bleibt.<br />
Der Wert der gestohlenen Kirschen dürfte wenige Euro betragen; zudem waren dem T die<br />
Täter (Nachbarsjungen) bekannt. Dieser Bagatellangriff auf ein ersetzbares Rechtsgut<br />
rechtfertigt nicht die schwere Verletzung (oder gar Tötung) der zudem noch jugendlichen<br />
Angreifer.<br />
Zum „krassen Missverhältnis“ siehe auch BayOLG, NJW 1954, 1377 (Verteidigung des Pfandrechts an einem Huhn mit<br />
Axthieben) und NJW 1963, 824 (erzwungene Einfahrt in eine Parklücke).<br />
Weder mit dem Individualschutzprinzip noch mit dem Rechtsbewährungsprinzip als den<br />
beiden Grundpfeilern des Notwehrrechts ist eine solch drastische Abwehrmaßnahme zu<br />
vereinbaren. 42 Für sie soll und darf das Notwehrrecht nach allgemeinen sozialethischen<br />
Wertvorstellungen nicht rechtfertigend zur Verfügung stehen.<br />
Das krasse Missverhältnis zwischen den Notwehrfolgen und dem Schaden, der den<br />
Rechtsgütern des T drohte, steht mithin der Gebotenheit der Notwehrhandlung entgegen,<br />
40<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 339.<br />
41<br />
BT-Drucks. V/4095, S. 14.<br />
42<br />
So auch Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 343.<br />
© CT 2013 131
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
sodass – mangels Gebotenheit der Schüsse – diese nicht als Notwehrhandlung i.S.d. § 32<br />
Abs. 2 StGB zu qualifizieren sind.<br />
Zu den Fallgruppen der sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts siehe Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT,<br />
§ 8, Rn. 343 ff.<br />
b) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Notwehr scheidet zur Rechtfertigung der Tat des T aus. Andere Rechtfertigungsgründe<br />
kommen nicht in Betracht. Die Tat des T verbleibt rechtswidrig.<br />
Merke: Scheidet schon das „scharfe Schwert“ der Notwehr als Rechtfertigungsgrund aus, weil die Handlung nicht erforderlich<br />
oder geboten war, so erübrigt sich die Prüfung anderer Rechtfertigungsgründe.<br />
3. Schuld (+)<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (+)<br />
Geht man davon aus, dass der T bei seinen Schüssen auch den Tod der Nachbarsjungen für möglich hielt und diesen<br />
zumindest billigend in Kauf nahm (dolus eventualis), so ist er außerdem gem. §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB eines versuchten<br />
Totschlags strafbar. Der (kurz gehaltene) Sachverhalt gibt hierzu aber keine besonderen Hinweise.<br />
132 © CT 2013
Fall 56<br />
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Provokante Zugluft<br />
Schwerpunkte<br />
• Zum Gebrauch letaler Waffen i.R.d. Notwehr (§ 32 StGB)<br />
• Abgrenzung der absichtlichen von sonst vorwerfbarer Notwehrprovokation<br />
• Einschränkung des Notwehrrechts bei sonst vorwerfbar provozierter Notwehrlage i.R.d.<br />
Merkmals „Gebotenheit“<br />
Hinweis<br />
• Vgl. BGHSt 47, 97 ff. – Notwehrprovokation durch sozialethisch verwerfliches Vorverhalten<br />
Sachverhalt<br />
Der T sitzt alleine in einem Zugabteil; auf dem Gang stehen andere<br />
Fahrgäste. Zu dem T gesellt sich der O, der durch Alkohol leicht berauscht<br />
ist und eine geöffnete Bierdose bei sich hat. Biergeruch breitet<br />
sich im Abteil aus. Der T fühlt sich von dem O gestört und entschließt<br />
sich, ihn mit Kaltluft aus dem Abteil „hinauszuekeln“. Er öffnet das<br />
Fenster, sodass O friert, in der Folge aufsteht und das Fenster zumacht.<br />
Der T öffnet es erneut, das sodann wieder von O geschlossen wird. Dieser<br />
Vorgang wiederholt sich noch einige Male, wobei es zu einem Wortstreit<br />
kommt, bei dem O immer lauter wird. Nachdem der T das Fenster wiederum<br />
geöffnet hat, droht der O, während er das Fenster abermals schließt, dem<br />
T mit erhobener Faust Schläge für den Fall an, dass das Fenster noch<br />
einmal geöffnet würde. Der T zieht daraufhin sein Fahrtenmesser „etwas<br />
aus der Scheide heraus“, sodass die Klinge sichtbar wird. Er will dem O<br />
zeigen, dass ihm ein Messer zur Verfügung steht. In der Annahme, das<br />
Messer werde den O von Tätlichkeiten abschrecken, macht T erneut das<br />
Fenster auf. Nun springt der O auf, um seine Drohung wahrzumachen, und<br />
stürzt sich auf den T. Der T greift nach seinem Fahrtenmesser und sticht<br />
damit dem über ihn gebeugten O ungezielt in einer Aufwärtsbewegung acht<br />
bis zehn Zentimeter tief in den Oberbauch. In dieser Phase des Geschehens<br />
tritt der Zeuge Z in das Abteil ein. Er trennt die Kämpfenden. Der O<br />
verstirbt kurze Zeit darauf an den Folgen des Messerstichs.<br />
Hat sich der T eines Totschlags gem. § 212 StGB strafbar gemacht?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen Totschlags gem. § 212 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand<br />
Fraglich ist, ob der T hinsichtlich einer Tötung des O vorsätzlich gehandelt hat.<br />
© CT 2013 133
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
In Betracht kommt allein die Vorsatzform des dolus eventualis (bedingter Vorsatz), die<br />
allerdings vorsatzkonstitutiv zureichend ist.<br />
Zur Abgrenzung des Eventualvorsatz’ von Fahrlässigkeit BGH, NStZ 2007, 150 (151): „Bedingt vorsätzliches Handeln<br />
setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt,<br />
ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewusste<br />
Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht<br />
einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.“<br />
Bedenkt man die objektiv höchstgefährliche Begehungsweise des in ungezielter Aufwärtsbewegung<br />
abgegebenen Messerstichs, bei dem der Eintritt des Todes lediglich vom Zufall<br />
abhing, so konnte der T vor den möglichen Folgen seines Tuns auf einen glücklichen<br />
Ausgang nicht vertrauen. Vielmehr spricht der äußere Geschehensverlauf dafür, dass<br />
der T die Tötungsmöglichkeit ernst genommen und sich mit ihr – in Anbetracht der ihm<br />
selbst drohenden Gefahr – abgefunden hat.<br />
BGH, NStZ 2007, 150 (151) im Fall von Hammerschlägen auf den Hinterkopf: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH<br />
wird [...] in der Regel das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte<br />
Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern<br />
kann [...]. Wird das Opfer in einer Weise verletzt, die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit [...] zum Tode<br />
führt [...], liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand [...].“ – Zum Grad der Wahrscheinlichkeit des Unrechtserfolgs<br />
als Indiz Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 7, Rn. 218; zum ausreichenden sachgedanklichen Mitbewusstsein<br />
Kühl, StrafR AT, § 5, Rn. 98 f.<br />
Der T handelte mithin (bedingt) vorsätzlich.<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Die Rechtswidrigkeit der Tat, die von der Tatbestandsverwirklichung indiziert ist, könnte<br />
allerdings durch das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes entfallen.<br />
In Betracht kommt Notwehr.<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
aa) Notwehrlage: gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (+)<br />
bb) Notwehrhandlung<br />
Zulässig gem. § 32 StGB ist eine zur Abwehr des Angriffs erforderliche und insgesamt<br />
gebotene Verteidigungshandlung.<br />
(1) Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung<br />
Zunächst müsste der Messerstich in den Bauch des O erforderlich gewesen sein, d.h., er<br />
müsste das mildeste aller gleich geeigneten, in der „konkreten Kampflage“ 43 zur Verfügung<br />
stehenden Abwehrmittel gewesen sein.<br />
(a) Bei Schuss- oder Stichwaffen gilt schon aufgrund der Unersetzlichkeit des durch die<br />
Notwehrhandlung bedrohten Rechtsguts Leben, dass deren letaler Einsatz allein als ultima<br />
ratio erlaubt sein darf; dabei wohnen der Waffe selbst mildere Mittel inne: Der Waffengebrauch<br />
ist grundsätzlich zuvorderst anzudrohen; bei Erfolglosigkeit der Drohung ist<br />
zu versuchen, die Waffe gezielt wenig gefährlich einzusetzen. Erst hernach darf sich des<br />
Angriffs mit tödlicher Wirkung erwehrt werden. Stets bleibt aber gerade die konkrete<br />
Kampfsituation, wie sie ein besonnener Dritter in der Lage des Angegriffenen beurteilt<br />
hätte, maßgebend.<br />
(b) Der O stürzte sich aus unmittelbarer Nähe auf den T und setzte unmittelbar zu Faustschlägen<br />
an. In dieser akuten, konkreten Gefahrensituation war eine (erneute) Androhung<br />
des Messereinsatz’ offensichtlich sinnlos und damit ungeeignet, um die bevorstehende<br />
Körperverletzung abzuwehren; überdies war ein gezielter, d.h. weniger gefährlicher Messereinsatz<br />
(etwa ein Stich ins Bein) schwerlich möglich.<br />
Zwar hätte der T um Hilfe rufen können, um andere Fahrgäste auf sich aufmerksam zu<br />
machen. Doch wären diese zur Abwehr der unmittelbar bevorstehenden Faustschläge zu<br />
43<br />
BGHSt 27, 336 (337); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 335; Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 101 m.w.N. zur Rspr.<br />
134 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
spät gekommen; sie hätten die Körperverletzung des O an dem T nicht vereiteln, sondern<br />
nur deren Intensivierung verhindern können. Überdies braucht sich ein Angegriffener, dem<br />
ein Messer zur Abwehr zur Verfügung steht, nicht auf eine für ihn risikoreiche Prügelei<br />
einzulassen.<br />
(c) Der tödliche ungezielte Stich in den Oberbauch war folglich zur Abwehr der bevorstehenden<br />
Körperverletzung erforderlich.<br />
(2) Gebotenheit der Verteidigungshandlung<br />
Unter dem Gesichtspunkt, dass die erforderliche Abwehrhandlung gem. § 32 Abs. 1 StGB<br />
„geboten“ sein muss, erscheint allerdings das provokante Vorverhalten des T nicht<br />
ohne Bedeutung.<br />
Sinn und Zweck des Merkmals der Gebotenheit ist es, das an sich festgestellte Erlaubtsein<br />
der Tat als erforderliche Abwehrhandlung einer abschließenden, notfalls korrektiven sozialethischen<br />
Gesamtbewertung zu unterziehen.<br />
(a) Wer etwa einen Angriff absichtlich provoziert, um den anderen unter dem Deckmantel<br />
der Notwehr verletzen zu können, handelt rechtsmissbräuchlich. Er hat sich bewusst selbst<br />
in die Gefahr eines Angriffs auf seine Rechtsgüter begeben und als Verteidiger der Rechtsordnung<br />
disqualifiziert. Mit den Grundgedanken des Notwehrrechts, Individualschutz und<br />
Rechtsbewährung, wäre es unvereinbar, wollte man diesem Täter, der eine Verteidigung<br />
nur vortäuscht und in Wahrheit angreifen will, seine Tat erlauben.<br />
Zur absichtlichen Notwehrprovokation siehe etwa Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 347: „Wer das Notwehrrecht<br />
gezielt missbrauchen will, hat das Recht nicht auf seiner Seite, sodass der Ausschluss des Notwehrrechts auch keine<br />
Preisgabe schützenswerter Positionen beinhaltet.“<br />
Dem T kam es jedoch nicht darauf an, den O „in Notwehr“ töten zu können; vielmehr wollte<br />
er ihn aus dem Abteil „hinausekeln“, wodurch er zwar eben nicht absichtlich, aber dennoch<br />
vorwerfbar den Angriff des O und damit seine eigene Notwehrlage provozierte.<br />
Zu differenzieren ist also zwischen sog. Absichtsprovokation und sonst schuldhafter Provokation einer Notwehrsituation.<br />
Letztere Provokationen haben in der Praxis, so auch in Übungsarbeiten, weitaus größere Bedeutung. – Die Provokationsproblematik<br />
entsteht aber überhaupt erst dann, wenn die Provokation selbst – mangels Gegenwärtigkeit oder<br />
Rechtswidrigkeit – keinen Angriff i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB darstellt, auf den mit Notwehr reagiert werden dürfte. Siehe Kühl,<br />
StrafR AT, § 7, Rn. 212.<br />
(b) „Ein für den Umfang des Notwehrrechts bedeutsames Vorverhalten, das ‚von Rechts<br />
wegen vorwerfbar’ ist [...], liegt jedenfalls auch dann vor, wenn dieses Vorverhalten seinem<br />
Gewicht nach einer schweren Beleidigung gleichkommt“ 44 ; es muss zumindest sozialethisch<br />
missbilligenswert (wertwidrig) sein und in engem räumlich-zeitlichen sowie insg.<br />
adäquatem Zusammenhang zur Tatsituation stehen. 45<br />
Anders etwa Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 73: „Richtigerweise wird man verlangen müssen, dass ein notwehreinschränkendes<br />
Vorverhalten in rechtswidriger Weise ein Rechtsgut des Verletzten beeinträchtigt. Denn was unterhalb der<br />
Rechtswidrigkeitsschwelle sozialethisch missbilligenswert ist, lässt sich mit rechtlichen Kategorien nicht mehr erfassen und<br />
bleibt daher zu vage. Es soll auch deshalb keine notwehreinschränkende Kraft haben, weil derjenige, der nur sozialethische<br />
Tadel verdient, sich immerhin noch auf dem Boden des Rechts bewegt. Was nicht verboten ist (z.B. nicht beleidigende<br />
Hänseleien), muss man von Rechts wegen hinnehmen oder mit gleicher Münze heimzahlen; wenn man sich stattdessen<br />
zu einem rechtswidrigen Angriff provozieren lässt, bewährt der Verteidiger das Recht (wenn auch nicht die Moral) ohne<br />
Abstriche.“ – Eine Mindermeinung will dem Angegriffenen zwar das Notwehrrecht vollständig belassen, ihn allerdings über<br />
die Figur der „actio illicita in causa“ („im Ursprung unerlaubte Handlung“) als Fahrlässigkeitstäter zur Verantwortung<br />
ziehen; vgl. auch BGH, NStZ 2001, 143. Eingehend zur a.i.i.c. und deren Vor- und Nachteilen Kühl, StrafR AT, § 7,<br />
Rn. 254 ff. und 242 ff.; mit guter Begründung die a.i.i.c. ablehnend Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 77.<br />
Ist der Angegriffene in diesem Sinne selbst mitursächlich an seiner Notwehrlage, hätte er<br />
also den Angriff voraussehen können und vermeiden müssen, so steht ihm nur ein in Relation<br />
zu Art und Stärke des Angriffs eingeschränktes Notwehrrecht zur Verfügung: Der<br />
Angegriffene hat zunächst tunlichst auszuweichen, bei stets drohendem Angriff darf sodann<br />
Schutzwehr (reine Defensivmaßnahmen) und erst hernach Trutzwehr, d.h. aktivaggressive,<br />
ggf. tödliche Gegenwehr geübt werden (sog. Drei-Stufen-Theorie).<br />
44<br />
BGHSt 42, 97 (101); vgl. auch BGHSt 24, 256 (359).<br />
45<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 348.<br />
© CT 2013 135
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„‚Gebotensein’ der Notwehr und ‚Erforderlichkeit’ der Verteidigungshandlung können ineinander übergehen, decken sich<br />
aber nicht. Ob eine Handlung durch Notwehr geboten ist, hängt von normativen und sozialethischen Erwägungen ab.<br />
Demgegenüber richtet sich die Erforderlichkeit der Abwehr allein nach den tatsächlichen Gegebenheiten, insbes. nach der<br />
Art und Stärke des Angriffs.“ 46<br />
Zur ultima ratio, der Trutzwehr, darf erst übergegangen werden, wenn die Grenze noch<br />
zumutbarer defensiver Verteidigungshandlungen überschritten ist. Dabei gilt, dass das<br />
Notwehrmaß umso eingeschränkter ist, je schwerer die Provokation wog. Die Notwehrbeschränkung<br />
ist wiederum umso geringer, je schwerer das Übel ist, das von dem Angreifer<br />
droht. 47<br />
„Dass [der O] von vornherein vorhatte, den [T] zusammenzuschlagen und auf diese Weise<br />
lebensgefährlich zu verletzen, liegt nach den Umständen nicht nahe: Es kann [dem O] trotz<br />
der Alkoholeinwirkung nicht verborgen geblieben sein, dass zahlreiche Personen im Gang<br />
standen, die seine Flucht hätten vereiteln können, wenn sie schon nicht dem [T] zu Hilfe<br />
kamen. [...] Hätte der [T] […] laut um Hilfe gerufen, so hätten die Mitreisenden dies [...]<br />
wahrgenommen. [Es bestand also] die Aussicht, dass ein Hilferuf des [T] seine Lage verbessern<br />
würde. [...] Hilferufe des [T] waren überdies geeignet, insofern mäßigend auf [den<br />
O] einzuwirken, als sie ihm deutlich machten, dass ihm der Fluchtweg versperrt war.“ 48<br />
Jedenfalls war dem T verwehrt, bei „nur“ drohenden Faustschlägen sogleich eine lebensgefährliche<br />
Abwehr durch einen Messerstich in den Oberbauch des Angreifers vorzunehmen.<br />
Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass er sich auch mit seinen Händen vor Schlägen<br />
des O hätte schützen und den durch Alkohol beeinträchtigten Gegner mit Fußtritten aus<br />
dem Gleichgewicht hätte bringen können, bis die gebotenen Rufe um Hilfe andere Fahrgäste<br />
zu eben solcher veranlasst hätten oder sich die Möglichkeit einer Flucht aus dem<br />
Abteil aufgetan hätte.<br />
Vgl. BGHSt 42, 97 (101 f.); Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 258 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 348.<br />
(c) In Relation zum tödlichen Messerstich waren solche Maßnahmen aufgrund der Mitverursachung<br />
der eigenen Notwehrlage dem T bei sozialethischer Gesamtbewertung der Tat<br />
zuzumuten. Die von dem T sofort ausgeübte tödliche Trutzwehr war demgemäß vorschnell<br />
und damit i.S.d. § 32 Abs. 1 StGB nicht geboten.<br />
So auch Kühl, StrafR AT, § 7, Rn. 259a; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 349; .i.E. auch Roxin, StrafR AT I,<br />
§ 15, Rn. 72, der schon auf die fehlende Erforderlichkeit abstellt, und BGHSt 42, 97 (102), allerdings mit dogmatisch<br />
unklarer Vermengung von Erforderlichkeits- und Gebotenheitsgesichtspunkten.<br />
b) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Tötungshandlung des T ist weder durch Notwehr noch durch einen anderen Rechtfertigungsgrund<br />
gerechtfertigt.<br />
3. Schuld (+)<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§ 212 StGB (+)<br />
Die notwendigerweise beim Totschlag mitverwirklichte Körperverletzung ist infolge Gesetzeskonkurrenz verdrängt;<br />
der Strafausspruch lautet deshalb nur auf Totschlag.<br />
46<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 342 m.w.N.<br />
47<br />
BGHSt 42, 97 (101).<br />
48<br />
BGHSt 42, 97 (101 ff.).<br />
136 © CT 2013
Fall 57<br />
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Vorgetäuschter Routine-Eingriff<br />
Schwerpunkte<br />
• §§ 223 ff. StGB bei ärztlichen Heileingriffen<br />
• Rechtfertigungsgrund der Einwilligung (Prüfungssystematik)<br />
• Willensmängelfreiheit der rechtfertigenden Einwilligung<br />
Sachverhalt<br />
Arzt T stellt bei der Patientin O eine lebensbedrohliche Krebswucherung<br />
fest, die dringend entfernt werden muss. Da er weiß, dass O sehr ängstlich<br />
ist und einem operativen Eingriff dieses Umfangs nie zustimmen<br />
würde, spiegelt er ihr einen Routine-Eingriff vor, um ihr Leben zu<br />
retten. In diesen willigt die O ein. Bei der Operation entfernt der T<br />
ihr die Geschwulst.<br />
Hat sich der T strafbar gemacht?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand<br />
Zweifelhaft ist bereits, ob ärztliche Heiltätigkeit überhaupt tatbestandsmäßiges Handeln<br />
i.S.e. körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung darstellen kann. Trotz der<br />
Heilungsintention ist dies mit dem Argument zu bejahen, dass – faktisch-objektiv betrachtet<br />
– in den körperlichen Zustand eingegriffen und dieser in Mitleidenschaft gezogen<br />
wird.<br />
Nach st. Rspr. (seit RGSt 25, 375) ist jede ärztliche, die Integrität des Körpers berührende Maßnahme tatbestandlich<br />
Körperverletzung, und zwar gleichgültig, ob erfolgreich oder missglückt, kunstgerecht oder fehlerhaft. Insofern bedarf<br />
ärztliches Handeln stets einer besonderen Rechtfertigung, i.d.R. durch Einwilligung des Patienten; siehe zum Ganzen etwa<br />
Eser/Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, § 223, Rn. 27 ff.<br />
Da der T mit der Operation die O in ihrer Körperintegrität beeinträchtigt hat, ist der objektive<br />
Tatbestand verwirklicht.<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
a) Rechtfertigende Einwilligung<br />
Die Indizwirkung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Tat, die von der Tatbestandsverwirklichung<br />
ausgeht, könnte durch eine rechtfertigende Einwilligung seitens der O als Ausdruck<br />
ihres allgemeinen Selbstbestimmungsrechts widerlegt sein.<br />
Übersichtlich zu den Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrunds der Einwilligung etwa Wessels/Beulke/Satzger,<br />
StrafR AT, § 9, Rn. 370 ff.; umfassend zum Ganzen Roxin, StrafR AT I, § 13, 1 ff.<br />
© CT 2013 137
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
aa) Disponibilität des tatbestandlich geschützten Rechtsguts<br />
Basale Voraussetzung der Einwilligung ist die Disponibilität des tangierten Rechtsguts. Die<br />
Disponibilität der hier einwilligungsgegenständlichen körperlichen Unversehrtheit ergibt<br />
sich nicht zuletzt im Umkehrschluss aus § 228 StGB.<br />
Nicht disponibel ist demgegenüber das Rechtsgut Leben, was sich aus der vom Gesetzgeber unter Strafe gestellten Tötung<br />
auf Verlangen (§ 216 StGB) ergibt. Auch Rechtsgüter der Allgemeinheit sind indisponibel.<br />
bb) Individuelle Verfügungsbefugnis über das geschützte Rechtsgut<br />
Verfügungsbefugt ist grundsätzlich nur der Rechtsgutsinhaber oder sein (gesetzlicher)<br />
Vertreter, woran im Falle der O keine Zweifel bestehen.<br />
cc) Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsinhabers<br />
Auch hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit der O bestehen keine Bedenken. Insb. ist nicht<br />
dargetan, dass ihre Krankheit zu solchen Schmerzen geführt hatte, dass sie nicht mehr<br />
klar denken konnte und hierdurch die erforderliche natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit<br />
aufgehoben gewesen wäre.<br />
dd) Erteilung der Einwilligung<br />
Die O hat ihre Einwilligung ausdrücklich und nach außen erkennbar vor der Tat (der Operation)<br />
erklärt.<br />
ee) Mängelfreiheit der Einwilligung<br />
Die Einwilligung entfaltet aber nur dann rechtfertigende Wirkung, wenn der Einwilligende<br />
sie ernstlich und ohne wesentliche Willensmängel erklärt hat. Er muss sich über Art<br />
und Umfang der Tat vollständig im Klaren sein, darf weder getäuscht noch bedroht worden<br />
sein.<br />
Insb. bei ärztlichen Heileingriffen muss eine vollständige und umfassende Aufklärung<br />
über Umfang und Risiken erfolgen.<br />
Dazu Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 9, Rn. 376: „Ärztliche Eingriffe in die körperliche Integrität des Patienten sind<br />
[...] erst durch eine Einwilligung nach pflichtgemäßer Aufklärung gerechtfertigt. […] Damit die Einwilligung […] als<br />
Ausdruck der Autonomie des Patienten gewertet werden kann, muss diesem wenigstens eine ausreichende Bewertungsgrundlage<br />
zur Verfügung stehen. Die Aufklärung des Patienten muss daher zumindest Art, Bedeutung und Tragweite<br />
des Eingriffs in Grundzügen umfassen.“<br />
Hier hat der T die O nicht nur nicht umfassend informiert, sondern sie sogar durch die<br />
Verharmlosung aktiv getäuscht.<br />
Zwar geschah die Täuschung zum Wohle, sogar zur Lebensrettung der O, doch „wäre [es]<br />
ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit,<br />
wenn ein Arzt – und sei es auch aus medizinisch berechtigten Gründen – eigenmächtig<br />
und selbstherrlich eine folgenschwere Operation bei einem Kranken, dessen Meinung<br />
rechtzeitig eingeholt werden kann, ohne dessen vorherige Billigung vornähme. Denn ein<br />
selbst lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte<br />
Gründe haben, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch<br />
sie von seinem Leiden befreit werden könnte [...].“ 49<br />
Dazu BGHSt 11, 111 (113 f.) weiter: „Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleistete Recht auf körperliche<br />
Unversehrtheit fordert Berücksichtigung auch bei einem Menschen, der es ablehnt, seine körperliche Unversehrtheit selbst<br />
dann preiszugeben, wenn er dadurch von einem lebensgefährlichen Leiden befreit wird. Niemand darf sich zum Richter<br />
in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche<br />
Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden. Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich.<br />
Zwar ist es sein vornehmstes Recht und seine wesentlichste Pflicht, den kranken Menschen nach Möglichkeit von seinem<br />
Leiden zu heilen. Dieses Recht und diese Pflicht finden aber in dem grundsätzlichen freien Selbstbestimmungsrecht des<br />
Menschen über seinen Körper ihre Grenze.“<br />
In der Folge liegt keine wirksame Einwilligung der O vor.<br />
49<br />
BGHSt 11, 111 (114).<br />
138 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
b) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Körperverletzung des T verbleibt rechtswidrig.<br />
3. Schuld (+)<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (+)<br />
© CT 2013 139
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 58<br />
„Der will nur spielen...“<br />
Schwerpunkte<br />
• Spezielle Notstandsformen (§§ 228, 904 BGB)<br />
• Tötung eines Hundes bei von diesem ausgehender Gefahr<br />
Sachverhalt<br />
Ausgangsfall<br />
Der Zivildienstleistende T macht mit dem leicht gehbehinderten Rentner R<br />
einen Spaziergang durch den Park, als ihnen der X mit seinem an kurzer<br />
Leine geführten Deutschen Schäferhund entgegenkommt. Plötzlich reißt<br />
sich das Tier los, fängt an, böse zu knurren und zu bellen, und macht<br />
Anstalten, den T anzufallen und zu beißen. Kurzerhand greift sich der T<br />
den Spazierstock des R und schlägt so lange auf den Kopf des Hundes ein,<br />
bis dieser tot ist. Dabei zerbricht der Spazierstock.<br />
Ist der T einer Sachbeschädigung i.S.d. § 303 StGB an dem Hund des X<br />
und/oder an dem Spazierstock des R strafbar?<br />
Abwandlung<br />
Wie ist die Strafbarkeit des T zu beurteilen, wenn es sich bei dem Hund<br />
um einen abgerichteten Pitbull-Terrier handelt, den X aus unbekannten<br />
Gründen auf T gehetzt hat?<br />
Lösung<br />
AUSGANGSFALL<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB am Hund des X<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand<br />
Tatbestandsvoraussetzung ist die Beschädigung oder Zerstörung einer Sache. Der Hund<br />
(Tier) ist gem. § 90a BGB einer Sache gleichgestellt. Seine Tötung stellt eine Vernichtung<br />
seiner Sachexistenz dar, die den Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfüllt.<br />
b) Subjektiver Tatbestand<br />
Indem der T zumindest angenommen haben wird, der Tod des Hundes sei möglich, und<br />
sich hiermit um seiner Rettung willen abgefunden hat, handelte der T zumindest bedingt<br />
vorsätzlich (dolus eventualis). Folglich ist auch der subjektive Tatbestand der Sachbeschädigung<br />
zureichend gegeben.<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist die Rechtswidrigkeit der Tat. Ihr ausnahmsweises Entfallen setzt das Eingreifen<br />
von Rechtfertigungsgründen voraus.<br />
140 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
Eine Notwehrlage verlangt einen Angriff; ein solcher kann nur bei menschlichem Verhalten,<br />
nicht aber bei dem eines Tieres vorliegen. Notwehr scheidet deshalb als Rechtfertigungsgrund<br />
aus.<br />
b) Notstandsrecht gem. § 228 BGB<br />
Fraglich ist aber, ob die Tat des T aufgrund Notstands gerechtfertigt war.<br />
Primär ist abzustellen auf die zivilrechtlichen Notstandstatbestände der §§ 228, 904<br />
BGB, die aufgrund der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht Berücksichtigung<br />
finden müssen und aus Spezialitätsgründen (den §§ 34, 35 StGB) vorrangig sind.<br />
Beim defensiven Sachnotstand (§ 228 BGB) geht die Gefahr von der Sache aus, die beschädigt wird. Insofern tritt die<br />
Sachwehr in defensivem Notstand bei einer Gefährdung durch Tiere (oder auch leblose Gegenstände) an die Stelle des<br />
§ 32 StGB (Notwehr gegenüber menschlichen Angriffen). 50 – Im Gegensatz dazu dient das Recht aus aggressivem Sachnotstand<br />
(§ 904 BGB) der Rechtfertigung einer Beschädigung an solchen Sachen, die zur Abwehr einer von anderswo<br />
drohenden Gefahr erforderlich sind. – Zu den zivilrechtlichen Sachnotständen siehe etwa Wessels/Beulke/Satzger,<br />
StrafR AT, § 8, Rn. 290 ff.; Roxin, StrafR AT I, § 16, Rn. 107 ff.<br />
In Abgrenzung zum aggressiven kommt hier eine Rechtfertigung durch das defensive<br />
Sachnotstandsrecht des § 228 BGB in Betracht.<br />
aa) Notstandslage<br />
§ 228 Satz 1 BGB setzt zunächst eine von der beschädigten Sache selbst ausgehende<br />
Gefahr voraus.<br />
Gefahrenquelle war der Hund des X, den der T mit dem Spazierstock getötet hat. Die von<br />
§ 228 Satz 1 BGB normierte Notstandslage ist folglich vorhanden.<br />
bb) Notstandshandlung<br />
Abweichend von § 34 StGB macht § 228 BGB nur – neben der Erforderlichkeit der Handlung<br />
– zur Auflage, dass der angerichtete Schaden zur abgewendeten Gefahr nicht außer<br />
Verhältnis steht.<br />
„§ 228 BGB sieht davon ab, ein wertmäßiges Überwiegen des bedrohten Rechtsgutes zu verlangen, weil die Abwehrhandlung<br />
sich gegen die gefahrsetzende Sache als solche richtet“. 51 Erkennbar wird die (bereits an obiger Stelle erwähnte)<br />
Vergleichbarkeit des defensiven Sachnotstands mit dem „scharfen Schwert“ der Notwehr i.S.d. § 32 StGB.<br />
Die Tötung des Hundes zur Abwendung einer von diesem ausgehenden, nicht anders abwendbaren<br />
Leibes- oder gar Lebensgefahr ist nicht unverhältnismäßig, sodass objektiv<br />
eine Notstandhandlung i.S.d. Rechtfertigungsnorm gegeben ist.<br />
cc) Verteidigungswille<br />
Da der T auch mit dem Willen zur Abwendung der Notstandslage tätig wurde, sind die<br />
Voraussetzungen des § 228 BGB insgesamt erfüllt.<br />
3. Ergebnis<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Sachbeschädigung des T am Hund des X ist gem. § 228 BGB nicht rechtswidrig.<br />
§ 303 StGB (-)<br />
50<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 290; grundlegend dazu RGSt 34, 295 (296).<br />
51<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 293.<br />
© CT 2013 141
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
II. Strafbarkeit des T wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB am Spazierstock<br />
des R<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
a) Notstandsrecht gem. § 904 Satz 1 BGB<br />
Fraglich ist, ob die Tat des T durch ein zu seinen Gunsten eingreifendes Notstandsrecht<br />
aus § 904 Satz 1 BGB (aggressiver Sachnotstand) gerechtfertigt ist.<br />
aa) Notstandslage<br />
Die von § 904 Satz 1 BGB vorausgesetzte gegenwärtige Gefahr, hier in Form des Leib<br />
und Leben des T bedrohenden Hundes, liegt vor.<br />
bb) Notstandshandlung<br />
§ 904 Satz 1 BGB fordert, dass die erfolgte Handlung zur Abwendung der Gefahr notwendig,<br />
d.h. erforderlich, war und dass überdies – im Vergleich zu § 34 StGB schärfer –<br />
der gedroht habende Schaden gegenüber dem zur Gefahrabwendung verursachten<br />
Sachschaden unverhältnismäßig groß ist.<br />
Dem T drohte von dem Hund des X eine Leibes- und Lebensgefahr. Eine gegenüber dem<br />
Eingriff in das Eigentum des R (Sachbeschädigung an dessen Spazierstock infolge der<br />
Schläge auf den Hund) mildere, aber gleich abwehrgeeignete Maßnahme stand ihm nicht<br />
zur Verfügung. Eben diese Sachbeschädigung war nur geringfügig, der dem T drohende<br />
Körperschaden mithin unverhältnismäßig groß.<br />
§ 904 BGB basiert auf dem Gedanken einer in Notsituationen solidarischen Rechtsgemeinschaft und dem daraus<br />
resultierenden „gewissen Maß an Opferbereitschaft“ des Einzelnen. 52 Gem. § 904 Satz 2 BGB kann aber der zum Sachopfer<br />
Verpflichtete zivilrechtlich Schadensersatz verlangen.<br />
cc) Verteidigungswille<br />
Zumal der T auch mit dem Willen zur Abwendung der Notstandslage handelte, sind die<br />
Voraussetzungen des § 904 Satz 1 BGB insgesamt erfüllt.<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Rechtswidrigkeit der Sachbeschädigung an dem Spazierstock des R entfällt folglich<br />
gem. § 904 Satz 1 BGB.<br />
Eine gleichfalls zu bejahende mutmaßliche Einwilligung des R braucht nicht mehr geprüft zu werden.<br />
3. Ergebnis<br />
§ 303 StGB (-)<br />
III. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T hat sich nicht strafbar gemacht.<br />
52<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 295.<br />
142 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
ABWANDLUNG<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB am Hund des X<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
aa) Notwehrlage<br />
§ 32 Abs. 2 StGB setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff voraus. Problematisch<br />
ist allein, ob es sich bei dem auf den T losstürmenden Hund des X um einen<br />
Angriff i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB handelt, welcher eine menschliche Handlung erfordert.<br />
Demgegenüber von Tieren bzw. Sachen (§ 90a BGB) drohende Gefahren eröffnen den<br />
Anwendungsbereich des defensiven Sachnotstands i.S.d. § 228 StGB (siehe oben den<br />
Ausgangsfall).<br />
Die Beurteilung dieser Frage hängt davon ab, ob ein auf einen Menschen gehetzter Kampfhund<br />
als gefährliches Werkzeug des „Hetzers“ zu bewerten ist, dieser mithin einer gefährlichen<br />
Körperverletzung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar wäre.<br />
„Dem Zweck des § [224] StGB entspricht es [...], bei der Begehungsweise ‚mittels eines<br />
anderen gefährlichen Werkzeugs’ nicht zu unterscheiden, ob der Täter den Angriff auf einen<br />
anderen Menschen mit einem toten Gegenstand durch Aufwendung eigener körperlicher<br />
Kraft ausführt oder ob er lediglich seinen Willen einsetzt, um die Verletzung eines<br />
anderen herbeizuführen, indem er ein infolge seiner Veranlagung oder Abrichtung zum<br />
Angriff auf Menschen bereites Tier veranlasst, sein Opfer anzufallen, anstatt den Überfall<br />
selbst körperlich auszuführen. Dass das auf einen anderen Menschen gehetzte Tier von<br />
Leben erfüllt ist, kann an der Beurteilung nichts ändern, da das Tier zu eigener freier Willensentscheidung<br />
nicht fähig ist und mithin von ihm ähnlich wie von einem toten Gegenstand<br />
Gebrauch gemacht wird. Der Täter benutzt das Tier in diesem Fall als Werkzeug. In<br />
beiden Fällen handelt der Rechtsbrecher auch in gleichem Maße strafwürdig. Notwendig<br />
ist bei beiden Arten der Einwirkung allerdings, dass das Werkzeug nach seiner objektiven<br />
Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung zu einem gefährlichen Werkzeug gemacht<br />
wird [...], dass seine Anwendung im Einzelfall die Gefahr erheblicher Verletzungen mit sich<br />
bringt.“ 53 Dies ist hier bei dem auf einen Menschen gehetzten Pitbull-Terrier der Fall.<br />
Folglich liegt ein Angriff des X auf den T, der mit dem Werkzeug „Kampfhund“ ausgeführt<br />
wird, vor; eine von Menschenhand ausgelöste Notwehrlage ist gegeben.<br />
Siehe etwa Roxin, StrafR AT I, §15, Rn. 6; Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 290.<br />
3. Ergebnis<br />
bb) Erforderliche und gebotene Notwehrhandlung (+)<br />
cc) Notwehrwille (+)<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Die Sachbeschädigung des T an dem Hund des X ist gem. § 32 StGB gerechtfertigt.<br />
§ 303 StGB (-)<br />
53<br />
BGHSt 14, 152 (154 f.).<br />
© CT 2013 143
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
II. Strafbarkeit des T wegen Sachbeschädigung gem. § 303 StGB am Spazierstock<br />
des R<br />
Die zwar objektiv sowie subjektiv verwirklichte Sachbeschädigung ist – wie im Ausgangsfall<br />
– gem. § 904 Satz 1 BGB gerechtfertigt, mithin straflos.<br />
III. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T hat sich nicht strafbar gemacht.<br />
144 © CT 2013
Fall 59<br />
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Regenschirm-Abwehr<br />
Schwerpunkte<br />
• § 33 StGB – Umfang und Grenzen entschuldigter Notwehrüberschreitung<br />
• Intensiver Notwehrexzess<br />
• Extensiver Notwehrexzess<br />
Sachverhalt<br />
Ausgangsfall<br />
Der T befindet sich nachts auf dem Weg nach Hause, als er bemerkt, wie<br />
eine Gestalt (G) urplötzlich neben ihm aus dem Gebüsch springt und ihn<br />
mit den Worten „Jetzt bist du geliefert!“ attackiert. Der T ist zu Tode<br />
erschrocken, reißt seinen in eine Metallspitze zulaufenden Regenschirm<br />
hoch und versetzt dem G eine tiefe Stichwunde. Da der T selbst sehr groß<br />
und kräftig ist und G körperlich weit unterlegen ist, hätte auch eine<br />
einfache körperliche Gegenwehr des T ohne Einsatz des Regenschirms zur<br />
Beendigung des Angriffes ausgereicht.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Abwandlung<br />
Als G bereits aus seiner Stichwunde schwer blutend am Boden liegt, ist<br />
der T noch immer so erschrocken und verängstigt über den Vorfall, dass<br />
er dem G „sicherheitshalber“ noch einen weiteren Stich mit dem Schirm<br />
versetzt.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Lösung<br />
AUSGANGSFALL<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist die Rechtswidrigkeit der Tat, die grundsätzlich von der Straftatbestandsverwirklichung<br />
indiziert ist, aber bei Eingreifen von Rechtfertigungsgründen entfallen kann.<br />
In Betracht kommt, dass die Tat des T durch Notwehr i.S.d. § 32 StGB gerechtfertigt ist.<br />
© CT 2013 145
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
3. Schuld<br />
a) Notwehrlage: gegenwärtiger rechtswidriger Angriff (+)<br />
b) Notwehrhandlung<br />
Zulässig i.S.d. § 32 StGB ist die erforderliche und insgesamt gebotene Verteidigungshandlung<br />
zur Abwendung eines Angriffs. Hier ist die Erforderlichkeit zweifelhaft. Sie setzt voraus,<br />
dass der Täter das mildeste sicher abwehrgeeignete Mittel wählt.<br />
Im Falle des T hätte angesichts des Kräfteverhältnisses bereits eine einfache körperliche<br />
Abwehr ohne Einsatz des Schirms ausgereicht. Deshalb fehlt es an der Erforderlichkeit<br />
der konkret getätigten Handlung.<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Notwehr scheidet somit als Rechtfertigungsgrund aus; auch andere Rechtfertigungsgründe<br />
sind nicht einschlägig. Die Tat des T ist rechtswidrig.<br />
Dass der T Unrecht getan hat, also den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung<br />
rechtswidrig verwirklicht hat, genügt allein nicht, um ihn mit Strafe zu sanktionieren. Erforderlich<br />
ist überdies, dass die Tat ihm dergestalt persönlich vorwerfbar ist, dass in ihr die<br />
fehlerhafte Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung<br />
zum Ausdruck kommt (Gesinnungsunwert).<br />
Dazu Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 396 f.: „In Übereinstimmung mit dem Menschenbild des Grundgesetzes<br />
beruht das deutsche Strafrecht auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip: Strafe setzt Schuld voraus [...]. [...]<br />
Grundlage des Schuld- und Verantwortungsprinzips ist die Fähigkeit des Menschen, sich frei und richtig zwischen<br />
Recht und Unrecht zu entscheiden. Nur wenn diese Entscheidungsfreiheit existiert, hat es Sinn, einen Schuldvorwurf<br />
gegen den Täter zu erheben.“ Überdies besteht mit Blick auf den präventiven Zweck der Strafe keine Notwendigkeit, einen<br />
nicht Schuldigen zu bestrafen. 54 Grundlegend dazu auch BGHSt 2, 194 (200 f.).<br />
In diesem Sinne erscheint die Schuld des T deshalb problematisch, weil seine Tat entschuldigt<br />
sein könnte. In Betracht kommt der Entschuldigungsgrund des § 33 StGB.<br />
a) § 33 StGB<br />
Der die Schuld des Täters entfallen lassende sog. Notwehrexzess setzt voraus, dass der<br />
Täter in einer Notwehrlage die Grenzen seines Notwehrrechts aus Verwirrung, Furcht<br />
oder Schrecken überschritten hat.<br />
Zum Notwehrexzess eingehend Roxin, StrafR AT I, § 22, Rn. 68 ff.; kurz und übersichtlich Wessels/Beulke/Satzger,<br />
StrafR AT, § 10, Rn. 446 ff.<br />
Aus eben einem solchen sog. asthenischen Affekt hat der T die i.S.d. Notwehrrechts nicht<br />
erforderliche Tat begangen. Die Überschreitung der zulässigen Intensität des Notwehrrechts<br />
(intensiver Notwehrexzess) ist entschuldigt.<br />
b) Ergebnis der Schuldprüfung<br />
Ein Schuldvorwurf ist dem T mithin nicht zu machen.<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (-)<br />
54<br />
Vgl. Kühl, StrafR AT, § 10, Rn. 5 m.w.N.<br />
146 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
ABWANDLUNG<br />
Strafbarkeit des T wegen gefährl. Körperverletzung gem. §§ 224, 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
3. Schuld<br />
Fraglich ist, ob die Tat des T durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt war.<br />
a) Notwehrlage<br />
Zwar lag ein rechtswidriger Angriff seitens des G vor, doch war dieser vollständig abgewehrt,<br />
als der T ein weiteres Mal mit dem Schirm zuschlug. Eine Notwehrlage besteht aber<br />
gem. § 32 Abs. 2 StGB nur, wenn der Angriff „gegenwärtig“ ist, d.h. unmittelbar bevorsteht,<br />
begonnen hat oder noch fortdauert 55 .<br />
Mangels Gegenwärtigkeit des Angriffs lag mithin keine Notwehrlage (mehr) vor.<br />
b) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Notwehr scheidet als Rechtfertigungsgrund aus. Die Tat des T ist rechtswidrig.<br />
a) § 33 StGB<br />
§ 33 StGB regelt die Überschreitung der Notwehrgrenzen aus asthenischen Affekten.<br />
aa) Dies betrifft grundsätzlich und unstrittig den Fall, dass im Rahmen einer bestehenden<br />
Notwehrlage gehandelt wird und lediglich eine Überschreitung der erforderlichen Mittel<br />
dem Täter zur Last fällt (sog. intensiver Notwehrexzess).<br />
Der T hat jedoch „zu Tode erschrocken“ und „verängstigt“ die zeitliche Grenze des Notwehrrechts<br />
überschritten.<br />
bb) Fraglich ist, ob auch diese Fälle des sog. (hier nachzeitigen) extensiven Notwehrexzess’<br />
von § 33 StGB erfasst sind oder aber zumindest eine analoge Anwendung der Norm<br />
geboten ist.<br />
(1) Zwar legen Wortlaut und systematische Stellung der Vorschrift nahe, dass eine Notwehrlage<br />
tatsächlich bestanden haben muss, damit § 33 StGB anwendbar sein kann.<br />
Formal gesehen kann erst sodann die Grenze der Notwehr überschritten werden. Somit<br />
schiede eine Entschuldigung der zeitlichen Überschreitung der Notwehr(-lage) aus.<br />
So BGH, NStZ 2002, 141: „§ 33 StGB kommt dem Täter, der aus einem der dort genannten asthenischen Affekte handelt,<br />
nur so lange zu Gute, bis die Notwehrlage und Angriffsgefahr endgültig beseitigt sind [...].“; RGSt 21,189 ff.; 54, 36 (37);<br />
62, 76 (77); BGH, NJW 1968, 1885; NStZ 1987, 20.<br />
(2) Doch stellt grundsätzlich auch die Voraussetzung der Gegenwärtigkeit eine (zeitliche)<br />
Grenze der Notwehr dar, sodass die Anwendbarkeit des § 33 StGB nicht kategorisch ausgeschlossen<br />
erscheint. „[E]ine ‚begriffliche Unmöglichkeit’ des extensiven Exzesses liegt<br />
also nicht vor. Auch fehlt es in diesen Fällen nicht an der ‚psychologischen Überforderung<br />
durch die Dramatik der Situation’, da es gerade der rechtswidrige Angriff ist, der<br />
als Vor- oder Nachwirkung den asthenischen Affekt hervorruft. Ebenso leuchtet die Annahme<br />
nicht ein, dass bei intensivem Exzess eine Unrechtsminderung gegeben ist, die bei<br />
extensivem Exzess fehle. Denn wenn jemand bei einer maßvollen Reaktion über die zeitlichen<br />
Grenzen der Notwehr geringfügig hinausgeht, kann sein Unrecht weit geringer sein,<br />
55<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 328; ganz ähnlich Roxin, StrafR AT I, § 15, Rn. 21.<br />
© CT 2013 147
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
als wenn er bei einem gegenwärtigen Angriff die Grenzen der Erforderlichkeit erheblich<br />
überschreitet.“ 56<br />
(3) Die „Grenzen der Notwehr“ können dennoch nur „überschritten“ werden, wenn eine<br />
Notwehrlage immerhin bestanden hat. 57 Das heißt, dass nur der nachzeitige Notwehrexzess<br />
im Anwendungsbereich des § 33 StGB liegen kann.<br />
Erforderlich verbleibt allerdings, dass ein enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen<br />
Notwehrlage und Tathandlung bestand. 58<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 447: „Ist [...] die zunächst gerechtfertigte Gegenwehr nunmehr rechtswidrig,<br />
da der Angriff bereits abgeschlossen ist, so entspricht die psychische Situation der des intensiven Notwehrexzesses, und<br />
auch der Wortlaut des § 33 steht nunmehr einer Anwendbarkeit auf diese Fallgruppe nicht entgegen.“ – Weiter allerdings<br />
Roxin, StrafR AT I, § 22, Rn. 88 ff., der vor- und nachzeitigen Notwehrexzess als von § 33 StGB erfasst sieht.<br />
cc) Die Überschreitung der zeitlichen Grenze des Notwehrrechts durch den T, die aus<br />
Furcht und Schrecken und in unmittelbarem Zusammenhang zur vormals gegebenen Notwehrlage<br />
geschah, ist mithin entschuldigt.<br />
Mit dem BGH (a.a.O.) ist eine a.A. ebenso gut vertretbar, d.h. die Ansicht, dass § 33 StGB stets eine bestehende Notwehrlage<br />
voraussetzt und der T folglich im vorliegenden Fall nicht entschuldigt ist, weil § 33 StGB nicht greift.<br />
b) Ergebnis der Schuldprüfung<br />
Gem. § 33 StGB entfällt die Schuld des T.<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§§ 224, 223 StGB (-)<br />
56<br />
Roxin, StrafR AT I, § 22, Rn. 89.<br />
57<br />
Kühl, StrafR AT, § 12, Rn. 143.<br />
58<br />
Roxin, StrafR AT I, § 22, Rn. 90; Kühl, StrafR AT, § 12, Rn. 144.<br />
148 © CT 2013
Fall 60<br />
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Gefährliche Eiger-Nordwand<br />
Schwerpunkte<br />
• Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB<br />
• Entschuldigender Notstand, § 35 StGB<br />
• Zur Indisponibilität des Rechtsguts Leben i.R.d. rechtfertigenden Einwilligung<br />
Sachverhalt<br />
T, X und Y sind Bergsteiger und haben sich gemeinsam auf eine Expedition<br />
zur Ersteigung der Eiger-Nordwand gemacht; zur Sicherheit sind sie mit<br />
Seilen aneinander gebunden. Bei der Überquerung einer Gletscherspalte<br />
rutscht der hinten gehende X aus und stürzt am Seil einige Meter in die<br />
Tiefe. Hierdurch reißt er T und Y mit herunter. Nachdem alle drei einige<br />
Stunden hilflos in der Luft gehangen haben, entschließt sich T, das Seil<br />
zu X und Y zu kappen, um wenigstens sich selbst hochziehen zu können und<br />
so dem sicheren Tod durch Erfrieren zu entgehen. X und Y stimmen dem<br />
Vorhaben angesichts der ausweglosen Lage zu. Sie kommen bei dem Sturz<br />
in die Tiefe ums Leben; T gelingt es, vom Gewicht der beiden Gefährten<br />
befreit, sich am Seil wieder hochzuziehen und dadurch in Sicherheit zu<br />
bringen.<br />
Hat sich der T eines Totschlags (§ 212 StGB) strafbar gemacht?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen Totschlags gem. § 212 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist, ob die von der Tatbestandsverwirklichung indizierte Rechtswidrigkeit der Tat<br />
aufgrund eines zugunsten des T eingreifenden Rechtfertigungsgrunds entfällt.<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr scheidet schon wegen fehlenden Angriffs aus.<br />
b) Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB<br />
In Betracht kommt rechtfertigender Notstand i.S.d. § 34 StGB.<br />
aa) Notstandslage<br />
Grundvoraussetzung ist eine gegenwärtige Gefahr für ein (beliebiges) Rechtsgut.<br />
„Gefahr i.S.d. § 34 kann auch eine Dauergefahr sein. [...] Die Gegenwärtigkeit einer Gefahr reicht hiernach weiter als die<br />
Gegenwärtigkeit des Angriffs i.S.d. § 32. Dies hängt mit dem Unterschied zwischen Gefahr und Angriff zusammen; das<br />
© CT 2013 149
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
3. Schuld<br />
Angriffsstadium der Notwehr setzt eine akute Zuspitzung der Gefahr, d.h. wenigstens ein unmittelbares Bevorstehen des<br />
rechtsgutsbeeinträchtigenden Verhaltens voraus [...].“ 59<br />
Der T war weder in der Lage, sich aus eigener Kraft unter Rettung der X und Y zu befreien,<br />
noch war fremde Hilfe erreichbar. Sein Leben war der konkreten Gefahr des Erfrierens<br />
ausgesetzt.<br />
bb) Notstandshandlung<br />
Fraglich ist weiter, ob sich das Durchtrennen des Seils als Rettungshandlung i.S.d. § 34<br />
StGB darstellt. Das setzt voraus, dass die Gefahr nicht anders abwendbar war, das hierdurch<br />
geschützte Rechtsgut das beeinträchtigte wesentlich überwog und die Notstandshandlung<br />
auch angemessen war.<br />
(1) Das Durchtrennen des Seils war die einzige Möglichkeit, das Leben des T zu retten.<br />
Die Gefahr war also nicht anders abwendbar.<br />
Die Voraussetzung „nicht anders abwendbar“ entspricht der der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Zu prüfen ist<br />
mithin, ob – bei mehreren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten – das gewählte Mittel das mildeste sicher abwehrgeeignete<br />
war. Es gilt, wie bei der Notwehr, ein Ex-ante-Maßstab; siehe Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 308 f.<br />
(2) Allerdings muss auch ein wesentlicher Wertüberhang zugunsten des geschützten<br />
Interesses gegenüber dem beeinträchtigten gegeben sein. Hierfür kommt es zunächst auf<br />
einen abstrakten Vergleich der betroffenen Rechtsgüter an.<br />
Der T hat das Rechtsgut Leben in zwei Fällen beeinträchtigt, um sein eigenes Leben zu<br />
retten. Eine Verrechnung „Leben gegen Leben“ verbietet sich aber von Verfassungs<br />
wegen. Das Rechtsgut Leben ist jedenfalls absolut schützenswert. Dieser Grundsatz ist in<br />
Bezug auf die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Tötungsdelikts nicht relativierbar,<br />
auch dann nicht, wenn ein einzelnes Leben schon mehr oder weniger todgeweiht ist.<br />
(3) Also war das Kappen des Seils keine von § 34 StGB gedeckte Notstandshandlung.<br />
b) Rechtfertigende Einwilligung<br />
Auch die Zustimmung („Ermunterungen“) von X und Y vermag nicht, als Einwilligung i.S.e.<br />
Rechtsgutsverzichts die Tat des T zu rechtfertigen. Denn mit Blick auf § 216 StGB (Strafbarkeit<br />
der Tötung auf Verlangen) ist das Rechtsgut Leben indisponibel.<br />
c) Ergebnis der Rechtswidrigkeitsprüfung<br />
Mangels Eingreifen eines Rechtfertigungsgrunds verbleibt die Tat des T, die Tötung von X<br />
und Y, rechtswidrig.<br />
Fraglich ist indes, ob der T schuldhaft handelte.<br />
Hintergrund des Prüfungspunkts „Schuld“ ist das Schuldprinzip als neben dem Gesetzlichkeitsprinzip zweites großes Prinzip<br />
des Strafrechts, vgl. z.B. § 46 StGB. – Dazu BGHSt 2, 194 (200 f.): „Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist Vorwerfbarkeit.<br />
Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, dass er sich nicht rechtmäßig verhalten, dass er sich<br />
für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der<br />
innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt<br />
und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen<br />
des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden [...].“<br />
An der Schuldfähigkeit des T bestehen keine Bedenken; doch könnte seine Handlung, die<br />
Tötung von X und Y, gem. § 35 StGB entschuldigt sein.<br />
a) Entschuldigender Notstand gem. § 35 StGB<br />
aa) Notstandslage<br />
Eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut Leben des T lag vor.<br />
Im Gegensatz zu § 34 StGB ist die von § 35 StGB erfasste Notstandslage wesentlich enger gefasst: Nur eine gegenwärtige<br />
Gefahr für Leben, Leib oder (Fortbewegungs-)Freiheit, die dem Täter selbst, einem Angehörigen oder einer dem<br />
Täter nahe stehenden Person droht, eröffnet den Anwendungsbereich des § 35 StGB.<br />
59<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 8, Rn. 306 f.<br />
150 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
bb) Notstandshandlung<br />
Die Gefahr darf nicht anders als durch rechtswidrige Verletzung eines anderen Rechtsguts<br />
abwendbar gewesen sein.<br />
Der T hatte keine Möglichkeit, den sicheren Tod durch Erfrieren abzuwenden, als sich von<br />
den beiden anderen Bergsteigern loszumachen. Somit war seine Tat erforderlich.<br />
Im Gegensatz zum rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) beinhaltet § 35 StGB keine Interessenabwägung oder<br />
gar das wesentliche Überwiegen des zu schützenden Rechtsguts. Doch muss die Notstandshandlung „als ultima ratio<br />
den einzigen und letzten Ausweg aus der Notlage bilden; sie muss also zur Abwendung der Gefahr objektiv geeignet<br />
und erforderlich sein. [...] Außerdem ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; der angerichtete<br />
Schaden darf nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zur Schwere der Gefahr bestehen. Wer zur Abwendung einer<br />
nur geringfügigen Leibesgefahr oder Freiheitsbeeinträchtigung einen Unbeteiligten schwer verletzt oder gar tötet, ist nicht<br />
entschuldigt. Je gravierender die mit der Rettungshandlung verbundene Rechtsgutsverletzung ist, desto sorgfältiger muss<br />
der Täter die Möglichkeiten eines anderen Auswegs prüfen. Die Prüfung der Nichtandersabwendbarkeit wird also bereits<br />
durch Zumutbarkeitserwägungen mitgeprägt.“ 60<br />
cc) Rettungswille<br />
Da der T handelte, um unter dem Eindruck der Gefahr sein eigenes Leben zu retten, ist<br />
auch das subjektive Rechtfertigungselement zureichend erfüllt.<br />
dd) Unzumutbarkeit der Gefahrtragung<br />
Schließlich darf gem. der Ausnahmeregelung in § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB auch keine besondere<br />
Gefahrtragungspflicht des Täters bestehen. Gesetzlich typisierter Fall ist die Gefahrtragungspflicht<br />
desjenigen, der die Gefahr selbst verursacht hat oder der in besonderem<br />
Rechtsverhältnis mit erhöhter Gefahrtragungspflicht stand.<br />
Zur Ausnahmeregelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB und deren Regelbeispielen etwa Kühl, StrafR AT, § 12, Rn. 59 ff.<br />
Hinsichtlich des T ist kein Umstand ersichtlich, der die Unzumutbarkeit der Gefahrtragung<br />
widerlegen könnte.<br />
b) Ergebnis der Schuldprüfung<br />
Die Tat des T ist gem. § 35 StGB entschuldigt.<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§ 212 StGB (-)<br />
60<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 438 f.<br />
© CT 2013 151
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Fall 61<br />
Feuer bei Nacht<br />
Schwerpunkte<br />
• Irrtum über Rechtfertigungsumstände (Erlaubnistatumstandsirrtum), hier: Putativnotwehr<br />
• Prüfungssystematik und Argumente beim Erlaubnistatumstandsirrtum<br />
Sachverhalt<br />
Der T ist nachts auf einer schwach beleuchteten Nebenstraße der Hamburger<br />
Reeperbahn unterwegs, als er plötzlich von dem ungepflegt aussehenden O<br />
von der Seite angetippt wird. Der T glaubt, O wolle ihn ausrauben.<br />
Kurzerhand streckt er den O mit einem Faustschlag nieder, um sich zu<br />
schützen. Tatsächlich wollte der O den T lediglich um Feuer für seine<br />
Zigarette bitten.<br />
Hat sich der T strafbar gemacht?<br />
Lösung<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist die Rechtswidrigkeit der Tat; sie wird grundsätzlich von der Straftatbestandsverwirklichung<br />
indiziert.<br />
a) Recht zur Notwehr gem. § 32 StGB<br />
Notwehr scheidet mangels objektiv nicht vorliegendem rechtswidrigem Angriff aus.<br />
b) Irrtum über das tatsächliche Gegebensein der Notwehrlage<br />
Allerdings glaubte der T sich in einer Notwehrlage; er ging irrtümlich davon aus, dass<br />
die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrunds (die Tatumstände<br />
eines Erlaubnistatbestands) vorlägen. Wären sie tatsächlich gegeben gewesen,<br />
hätte es sich also tatsächlich um einen rechtswidrigen Angriff seitens des O gehandelt,<br />
so wäre die erforderliche und gebotene Abwehrhandlung in Form des Faustschlags als von<br />
§ 32 StGB gerechtfertigt, zumal T diesen auch mit Verteidigungswillen ausführte.<br />
Wichtig: „Ob wirklich ein Erlaubnistatumstandsirrtum vorliegt, kann [...] erst festgestellt werden, wenn geprüft wurde, ob<br />
sich der Täter an die Voraussetzungen der jeweiligen Erlaubnisnorm gehalten hat. Bei der Putativnotwehr muss also auf<br />
der Basis der Fehlvorstellung des Täters (= seine Sicht zur Wirklichkeit gemacht) geprüft werden, ob der vorgestellte Angriff<br />
ein gegenwärtiger rechtswidriger war, ob sich die Verteidigungshandlung im Rahmen der Erforderlichkeit hielt, ob der Täter<br />
sich verteidigen wollte und – in bestimmten Fällen – ob er die ‚sozialethischen’ Einschränkungen der Notwehr eingehalten<br />
hat. Diese zusätzlichen Erfordernisse sind deshalb zu stellen, weil sonst der im Irrtum befindliche Täter mehr Rechte hätte<br />
als ein Täter, der sich wirklich in einer Rechtfertigungssituation, z.B. in einer Notwehrsituation, befindet.“ 61 – Zu warnen<br />
ist insg. vor „überstürzten“ Annahmen eines Erlaubnistatumstandsirrtums; dazu eingehend Gasa, JuS 2005, 890 ff.<br />
61<br />
Kühl, StrafR AT, § 13, Rn. 69.<br />
152 © CT 2013
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Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
Ein solcher sog. Erlaubnistatumstandsirrtum ist im StGB nicht geregelt. Seine Behandlung<br />
ist deshalb in Anlehnung an die Wertungsmodelle entweder des § 17 StGB (schuldausschließender<br />
Verbotsirrtum) oder des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (vorsatzausschließender<br />
Tatumstandsirrtum) zu ermitteln.<br />
Zur zunächst beabsichtigten, aber sodann verworfenen Regelung dieser Irrtumsproblematik im Rahmen des (Neu-)Entwurfs<br />
des StGB von 1962 (BT-Drucks. IV/650, zur geltenden Rechtslage BT-Drucks. V/4095, S. 9) siehe Roxin, StrafR AT I,<br />
§ 14, Rn. 53.<br />
aa) Der T kannte alle Umstände des objektiven Straftatbestands der Körperverletzung<br />
(§ 223 StGB). Deren Verwirklichung geschah tatvorsätzlich; ein reiner Tatumstandsirrtum,<br />
wie ihn § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB direkt regelt, liegt nicht vor.<br />
bb) Möglich erscheint, den Irrtum über das Erlaubtsein der Tat wie auch alle anderen nicht<br />
als Tatumstandsirrtümer zu klassifizierenden Irrtümer unter die Weitläufigkeit des Merkmals<br />
der fehlenden Unrechtseinsicht i.S.d. § 17 StGB einzuordnen. Denn wenn der<br />
Tatbestand eines Delikts – anders als i.R.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB – bewusst und gewollt<br />
verwirklicht wird, so liegt der Schluss nahe, dass die Strafbarkeit aus vorsätzlichem Delikt<br />
allein eine Frage der Vermeidbarkeit ist. Das hieße, der Täter muss sich besonders sorgfältig<br />
vergewissern, ob er ausnahmsweise zu einer tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung<br />
berechtigt ist. Irrt er sich hier, so ist wie beim Verbotsirrtum auch beim Rechtswidrigkeitsirrtum<br />
ausnahmslos die Wertungsebene des fehlenden Unrechtsbewusstseins i.S.d. § 17<br />
StGB betroffen.<br />
Hinter dieser sog. strengen Schuldtheorie steht, alle Irrtümer, die sich nicht i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB auf Merkmale<br />
des Deliktstatbestands beziehen, ausnahmslos („streng“) als Verbotsirrtümer, d.h. als Probleme der fehlenden Unrechtseinsicht,<br />
anzusehen und damit auf der Schuldebene anzusiedeln. – Nachweise zu den Vertretern dieser (älteren)<br />
Lehre etwa bei Roxin, StrafR AT I, § 14, Fn. 84.<br />
cc) Doch ist der Täter, der annimmt, durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt zu handeln,<br />
„an sich rechtstreu“ 62 . Denn „[w]er Umstände annimmt, deren Vorliegen die Tat<br />
rechtfertigen würden, handelt auf Grund einer Zielsetzung, die mit den Normen des Rechts<br />
völlig übereinstimmt. Was er will, ist nicht nur nach seiner – unmaßgeblichen – subjektiven<br />
Meinung, sondern auch nach dem objektiven Urteil des Gesetzgebers rechtlich einwandfrei.“<br />
63<br />
Wie bei der Unkenntnis von „Tatumständen“ i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB verstellt dem<br />
Täter auch die irrige Annahme von Rechtfertigungsumständen die Sicht auf den sein Handeln<br />
beinhaltenden konkreten Verletzungs- und Unrechtsgehalt. „Der Täter entscheidet<br />
sich zwar für die Verletzung des anderen, doch nur, weil er glaubt, etwas ausnahmsweise<br />
Erlaubtes zu tun. Dass er etwas Rechtswidriges tut, weiß er nicht, weil er die Situation<br />
verkennt.“ 64 In diesem Sinne besteht kein qualitativer Unterschied zwischen dem Irrtum<br />
über Tatumstände und dem über Erlaubnistatumstände.<br />
Zu einer zutreffenden Wertung des Verletzungsgeschehens in seiner wirklich verübten<br />
Form kann der Täter infolge seiner unrichtigen Faktenkenntnis gar nicht vordringen. Die<br />
von § 17 StGB vorausgesetzte Fehlbewertung findet deswegen nicht statt; eine fehlende<br />
„Einsicht“ i.S.d. § 17 StGB, die dem Vorwurf der Vermeidbarkeit ausgesetzt wäre, liegt<br />
folglich nicht vor.<br />
„Wenn man einem solchen Täter eine vorsätzliche Straftat vorwirft oder ihn [...] – wie die<br />
strenge Schuldtheorie – dem für vorsätzliche Rechtsbrecher geschaffenen Strafrahmen<br />
unterwirft, verwischt man den grundlegenden Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit,“<br />
65 indem mit Fahrlässigkeitskennzeichen (Sorgfaltspflichtverletzungen) für das<br />
Bestehen eines Vorsatzes argumentiert wird. Doch handelt nur vorsätzlich, „wer sich für<br />
ein Verhalten entscheidet, das von der Rechtsordnung verboten ist (selbst wenn er dieses<br />
62<br />
BGHSt 3, 105 (107).<br />
63<br />
Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 64.<br />
64<br />
Kühl, StrafR AT, § 13, Rn. 72.<br />
65<br />
Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 64.<br />
© CT 2013 153
Christian Trentmann<br />
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Verbot nicht kennt). Wer aber von Vorstellungen geleitet ist, die auch bei objektiver Beurteilung<br />
auf etwas rechtlich Erlaubtes gerichtet sind und dabei infolge eines Mangels an<br />
Aufmerksamkeit und Sorgfalt einen unerwünschten Erfolg herbeiführt, den trifft der Vorwurf<br />
der Fahrlässigkeit.“ 66<br />
Hinter dieser ganz herrschenden „eingeschränkten Schuldtheorie“, die – im Gegensatz zur strengen Schuldtheorie –<br />
den Erlaubnistatumstandsirrtum als Irrtum sui generis („eigener Art“) aus dem Anwendungsbereich des § 17 StGB<br />
herausnimmt (deshalb „eingeschränkt“) und dem Tatumstandsirrtum gleichstellt, stehen unterschiedliche Begründungsmodelle.<br />
Deren wichtigste sind die eingeschränkte Schuldtheorie i.e.S., die das sog. Vorsatzunrecht auf der Rechtswidrigkeitsebene<br />
analog § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB verneint (so Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 64; Kühl, StrafR AT, § 13, Rn. 73;<br />
Köhler, StrafR AT, S. 326; vgl. BGHSt 3, 105 [107]; 3, 357 [364]; 31, 264 [286 f.]), sowie die rechtsfolgenverweisende<br />
eingeschränkte Schuldtheorie, die zwar auf der Schuldebene die Schuld („Vorsatzschuld“) verneint, dies jedoch – mit<br />
der vorgenannten eingeschränkten Schuldtheorie i.e.S. übereinstimmend – mit der Rechtsfolge analog § 16 Abs. 1 Satz 1<br />
StGB (so Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 11, Rn. 479; OLG Hamm, NJW 1987, 1034). Zum gesamten „Theorienwirrwarr“<br />
67 übersichtlich und kritisch Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 52 ff.<br />
dd) Somit ist auf den Erlaubnistatumstandsirrtum des T § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog<br />
anzuwenden: Da der T einen Tatumstand der Notwehrlage (Erlaubnistatumstand) irrig annahm,<br />
der, wenn er tatsächlich (objektiv) vorgelegen hätte, seine Körperverletzung an dem<br />
O gerechtfertigt hätte, entfällt das vom Tatbestand indizierte Handlungsunrecht auf<br />
der Rechtswidrigkeitsebene, mithin das Vorsatzunrecht.<br />
„Der Unrechtsvorsatz, der nach der hier befürworteten eingeschränkten Schuldtheorie [i.e.S.] für die Vorsatzstrafe erforderlich<br />
ist, umfasst also mehr als der Tatbestandsvorsatz des § 16 Abs.1. Zu ihm gehört die Kenntnis der Umstände des<br />
gesetzlichen Tatbestandes (§ 16 Abs.1) sowie zusätzlich die Nichtannahme rechtfertigender Umstände.“ 68<br />
3. Ergebnis<br />
c) Zwischenergebnis: Rechtswidrigkeit (-)<br />
§ 223 StGB (-)<br />
II. Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB<br />
Siehe § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB, der analog zur Anwendung kommt.<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (+)<br />
b) Erfolgsverursachung / Kausalität (+)<br />
c) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Zurechnung des Erfolgs (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld, insb. Fahrlässigkeitsschuld (+)<br />
4. Ergebnis<br />
§ 229 StGB (+)<br />
III. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T hat sich einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB strafbar gemacht.<br />
66<br />
Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 64.<br />
67<br />
Roxin, StrafR AT I, § 14, Fn. 88.<br />
68<br />
Roxin, StrafR AT I, § 14, Rn. 70.<br />
154 © CT 2013
Fall 62<br />
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Religiöses Züchtigungsrecht?<br />
Schwerpunkte<br />
• Erlaubnisnormirrtum als indirekter Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB (Abgrenzung des Erlaubnisirrtums<br />
vom Erlaubnistatumstandsirrtum i.S.d. eingeschränkten Schuldtheorie)<br />
• Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums<br />
Sachverhalt<br />
Der T ist strenggläubiger Angehöriger der Religionsgemeinschaft R; er<br />
lebt mit seiner Frau O als Asylbewerber seit ca. zwei Monaten in der<br />
Bundesrepublik Deutschland. Der T entstammt einer bäuerlich-dörflichen<br />
Gemeinschaft im Staate A, ist dort im Geiste jahrhundertealter Glaubensregeln<br />
erzogen worden und spricht kein Wort Deutsch.<br />
Im Zuge alltäglicher Streitigkeiten mit der O und aus Unzufriedenheit<br />
über den nach seiner Ansicht unangemessenen, verschwenderischen Umgang<br />
mit den sehr knappen Haushaltsmitteln schlägt er mehrfach auf sie ein.<br />
Er will sie hierdurch auf ihr in seinen Augen vorliegendes Fehlverhalten<br />
aufmerksam machen und eine Verhaltenskorrektur erreichen. Die O erleidet<br />
erhebliche Schmerzen und verschiedene Blutergüsse.<br />
Der T glaubt sich bei seinem Verhalten im Einklang mit geoffenbarten<br />
Grundsätzen religiösen Rechts, da nach seiner Auffassung den von seiner<br />
Religionsgemeinschaft als Glaubensgrundlage verwendeten Schriften ein<br />
entsprechendes Züchtigungsrecht zu entnehmen sei.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Lösung<br />
Strafbarkeit des T wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit<br />
Die Tat des T müsste rechtswidrig sein, was von der Tatbestandsverwirklichung (widerlegbar)<br />
indiziert ist.<br />
a) Zwar glaubte sich der T „im Einklang mit geoffenbarten Grundsätzen religiösen Rechts“<br />
und beruft sich auf ein Züchtigungsrecht gegenüber seiner Ehefrau. Doch ist ein solches<br />
in der deutschen Rechtsordnung weder ausdrücklich statuiert, noch gewohnheitsrechtlich<br />
anerkannt.<br />
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Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
3. Schuld<br />
Die Rechtsordnung muss „schlüssig und strikt intolerant sein, wenn das zugrundeliegende<br />
Freiheitsprinzip selbst verletzt wird“, wenn es also um fundamentale Freiheitsprinzipien,<br />
insb. das Selbstbestimmungsrecht des Menschen negierende Ansichten geht. 69<br />
Zum interkulturellen Normenkonflikt eingehend Köhler, StrafR AT, S. 433 ff.<br />
Nicht zuletzt mit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG wäre es in diesem Sinne nicht<br />
vereinbar, ein Züchtigungsrecht des Ehemanns gegenüber seiner Ehefrau anzunehmen.<br />
b) Der T nahm also irrtümlich an, durch einen nicht existierenden Erlaubnistatbestand<br />
(Rechtfertigungsgrund) gerechtfertigt zu handeln, obwohl er zutreffende Kenntnis von<br />
allen Umständen des Sachgeschehens hatte.<br />
Letzteres lässt keinen Zweifel am Unrechtsvorsatz des T zu: Bewusst und gewollt, bei richtiger<br />
Faktenkenntnis, verwirklichte der T den Tatbestand der Körperverletzung. Ihm fehlte<br />
allein die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun, weil er sich die Existenz einer eben nicht<br />
existierenden Erlaubnisnorm vorstellte. Nicht ein Irrtum auf der Sachverhalts-, sondern auf<br />
der Wertungs- bzw. Normebene liegt vor. Ein solcher sog. Erlaubnis(norm)irrtum belässt<br />
mit Blick auf § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB den Vorsatz des Täters unberührt und ist folglich<br />
nach § 17 StGB eine Frage der Vermeidbarkeit i.R.d. Schuld.<br />
So in Übereinstimmung alle Schuldtheorien; anders nur die veraltete, weil vor der Existenz des § 17 StGB entwickelte<br />
„Vorsatztheorie“.<br />
Fraglich ist schließlich allein die Schuld des T, der hier entgegenstehen könnte, dass dem<br />
T das Unrechtsbewusstsein infolge seines Erlaubnisnormirrtums fehlte. Ein solcher (indirekter)<br />
Verbotsirrtum lässt die Schuld des Täters gem. § 17 Satz 1 StGB aber nur dann<br />
entfallen, wenn er unvermeidbar war.<br />
§ 17 StGB erfasst zunächst den „klassischen“ direkten Verbotsirrtum, der als Wertungsirrtum vom Tatumstandsirrtum<br />
auf der Sachverhaltsebene (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) abzugrenzen ist. Darüber hinaus ist § 17 StGB auch auf die indirekten<br />
Verbotsirrtümer, d.h. Erlaubnisirrtümer (Erlaubnisnorm- und Erlaubnisgrenzirrtum) anzuwenden. Diese sind nach<br />
der ganz herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie abzugrenzen vom gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog vorsatzausschließenden<br />
Erlaubnistatumstandsirrtum. – Das heißt: Erlaubnisirrtum und Erlaubnistatumstandsirrtum stehen sich<br />
entsprechend dem Verhältnis des klassischen direkten Verbotsirrtums zum Tatumstandsirrtum gegenüber; maßgeblich ist<br />
jeweils die betroffene Ebene, d.h. ein Irrtum auf der Sachverhaltsebene (über die Umstände des tatsächlichen Geschehens)<br />
ist § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (ggf. analog) zuzuordnen und ein solcher auf der Wertungs- bzw. Normebene § 17 StGB.<br />
„Mängel im Wissen sind bis zu einem gewissen Grad behebbar. Der Mensch ist, weil er<br />
auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung<br />
gerufen, sich als <strong>Teil</strong>haber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten<br />
und das Unrecht zu vermeiden. Dieser Pflicht genügt er nicht, wenn er nur das nicht tut,<br />
was ihm als Unrecht klar vor Augen steht. Vielmehr hat er bei allem, was er zu tun im<br />
Begriff steht, sich bewusst zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in<br />
Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung zu beseitigen. Hierzu<br />
bedarf es der Anspannung des Gewissens, ihr Maß richtet sich nach den Umständen des<br />
Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen. Wenn er trotz der ihm danach<br />
zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines<br />
Tuns nicht zu gewinnen vermochte, war der Irrtum unüberwindlich, die Tat für ihn nicht<br />
vermeidbar. In diesem Falle kann ein Schuldvorwurf gegen ihn nicht erhoben werden.<br />
Wenn dagegen bei gehöriger Anspannung des Gewissens der Täter das Unrechtmäßige<br />
seines Tuns hätte erkennen können, schließt der Verbotsirrtum die Schuld nicht<br />
aus.“ 70<br />
Ein potentielles Unrechtsbewusstsein ist somit ausreichend; zu den „sehr strengen Anforderungen“ des BGHSt 2,<br />
194 (201 f.), an die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums siehe etwa Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 11, Rn. 466;<br />
Kühl, StrafR AT, § 13, Rn. 60 f.; eingehend Roxin, StrafR AT I, § 21, Rn. 35 ff.<br />
Auch wenn der T in einem beschränkten Umfeld aufgewachsen ist, kann er die Fortgeltung<br />
überkommener Maßstäbe in einem anderen kulturellen Umfeld nicht unterstellen. Vielmehr<br />
69<br />
Köhler, StrafR AT, S. 435.<br />
70<br />
BGHSt 2, 194 (201).<br />
156 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
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ist ihm zuzumuten, unter „gehöriger Gewissensanspannung“ sich zu der Erkenntnis durchzuringen,<br />
dass sein Verhalten der bundesdeutschen Rechtsordnung fundamental, d.h.<br />
eine die Freiheit aller Bürger sichernde Vorschrift des Kernstrafrechts betreffend,<br />
widerspricht. Dies gilt umso mehr, als der Aufenthalt des T in der Bundesrepublik<br />
Deutschland bereits zwei Monate andauerte und auf unbestimmte Dauer angelegt war.<br />
Vgl. Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, § 17, Rn. 17.<br />
Der (indirekte) Verbotsirrtum des T war somit vermeidbar; die Schuld des T entfällt nicht.<br />
Ein anderes Ergebnis (Straffreiheit) erscheint gerade auch unter kriminalpolitischen, strafzweckorientierten Gesichtspunkten<br />
nur schwer vertretbar.<br />
4. Strafbarkeitsergebnis<br />
§ 223 StGB (+)<br />
Gem. § 17 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB kann die Strafe des T entsprechend seiner minderen Schuld gemildert werden<br />
(fakultative Strafmilderung).<br />
© CT 2013 157
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Fall 63<br />
In der Ursache freie Handlung<br />
Schwerpunkte (im Ausgangsfall)<br />
• Zur Differenzierung von Handlungs- und Schuldunfähigkeit<br />
• Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB und diesbzgl. Bedeutung der BAK<br />
• Problemlösungsansätze und Prüfungsaufbau bei der a.l.i.c.-Strafbarkeit<br />
• § 323a StGB (Vollrausch) als Auffangtatbestand<br />
Schwerpunkte (in der Abwandlung)<br />
• Auswirkungen des error in persona im Rahmen der a.l.i.c.-Strafbarkeit<br />
• Entbehrlichkeit der a.l.i.c. beim fahrlässigen Erfolgsdelikt<br />
• Verhältnis der a.l.i.c. zum Vollrauschtatbestand des § 323a StGB<br />
Hinweise<br />
• Der Fall behandelt das klassische Problem der sog. actio libera in causa („a.l.i.c.“). Diese<br />
versucht das unbillige Ergebnis, dass ein Täter, der unter dem Deckmantel der Schuldunfähigkeit<br />
eine schwere Straftat begeht, „nur“ aus § 323a StGB (Vollrausch) bestraft werden<br />
kann, zu vermeiden. Alle Begründungsmodelle der a.l.i.c. (Ausnahme-, Ausdehnungs- und<br />
Tatbestandsmodell) sind jedoch rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt.<br />
• Lesenswert und instruktiv dazu BGHSt 42, 235 ff.<br />
Sachverhalt<br />
Ausgangsfall<br />
Der T erwägt schon seit Längerem, den ihm verhassten Nachbarn O umzubringen.<br />
Dazu hat er sich bereits eine Schusswaffe gekauft; er kann sich<br />
jedoch zur endgültigen Ausführung nicht entschließen, zum einen weil er<br />
Bestrafung fürchtet, zum anderen weil ihn ein Rest moralischer Skrupel<br />
plagt. Daher fasst er den Entschluss, sich „mit Alkohol zuzuschütten“,<br />
um sich seiner Hemmungen zu entledigen und den O im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit<br />
zu erschießen.<br />
An einem Freitagabend lädt der T den nichtsahnenden O zu sich nach Hause<br />
ein, angeblich, um mit ihm „das Kriegsbeil bei ein paar Getränkchen zu<br />
begraben“. Während T und O zusammensitzen, konsumiert der T, der Alkohol<br />
sonst selten trinkt, insgesamt die Menge von nahezu zwei Flaschen Wodka,<br />
nebst anderer, weiterer alkoholhaltiger Getränke. Nunmehr im Zustand<br />
vollkommener Trunkenheit zieht der T, der sich kaum noch in aufrechter<br />
Sitzposition halten kann und den O nur noch schemenhaft erkennt, seine<br />
Pistole und schießt mehrmals in Richtung des O. Dieser wird tödlich<br />
getroffen.<br />
Die dem T später von der Polizei entnommene Blutprobe enthält eine<br />
Blutalkoholkonzentration (BAK) von 3,4 ‰ für den Tatzeitpunkt.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Abwandlung<br />
Wiederum sitzen T und der ahnungslose O zusammen und saufen. Der T ist<br />
bereits in zurechnungsunfähiger Verfassung. O ist gerade auf die Toilette<br />
gegangen, sodass dem T Zeit bleibt, seine Pistole hervorzuholen und<br />
schussbereit auf die Wiederkehr des O zu warten. Schemenhaft erkennt er<br />
eine Person, die sich schwankend durch die Tür ins Wohnzimmer begibt;<br />
in dem Glauben, es sei der O, drückt der T ab. Als er sich dem auf den<br />
158 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
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Boden gesackten, stark blutenden Opfer nähert, erkennt der T, dass es<br />
sein Sohn X ist, den er tödlich getroffen hat. Dieser war früher als<br />
angekündigt von einer Party nach Hause gekehrt, weil er zu schnell zu<br />
viel Alkohol getrunken hatte.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Lösung<br />
AUSGANGSFALL<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Mordes gem. § 211 StGB durch den Schuss auf O<br />
(unmittelbare Tathandlung)<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand<br />
aa) „Tötung eines Menschen“<br />
Fraglich erscheint i.R.d. objektiven Tatbestands allein, ob dem Verhalten des T, d.h. dem<br />
Schuss auf den O, aufgrund des hochgradigen Rauschzustands noch Handlungsqualität<br />
beigemessen werden kann.<br />
Doch ist die willentlich-motorische Steuerungsfähigkeit eines Volltrunkenen grundsätzlich<br />
nicht, wie etwa im Zustand der Bewusstlosigkeit, vollständig ausgeschaltet, „solange<br />
der Trunkene noch in der Zielrichtung sinnvolle, koordinierte Bewegungsabläufe vornehmen<br />
kann“ 71 . Auch die Auslösung des tödlichen Schusses auf den O durch den T war<br />
stets – trotz aller bei Alkoholintoxikation typischerweise vorliegenden Ausfallerscheinungen<br />
– noch von seinem Willen zielgesteuert.<br />
bb) (Objektives) Mordmerkmal: Heimtücke (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld<br />
Strafe setzt die Schuld des Täters voraus, d.h. die individuelle Vorwerfbarkeit der Tat und<br />
damit den Vorwurf, der Täter habe sich falsch zwischen Recht und Unrecht entschieden.<br />
a) Schuldunfähigkeit<br />
Grundvoraussetzung der Schuld ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat überhaupt einsehen<br />
und nach dieser Einsicht handeln zu können (Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, vgl.<br />
§ 20 StGB). Diese wird beim Erwachsenen, der strafrechtliches Unrecht verwirklicht, vom<br />
Gesetzgeber als regelmäßig gegeben vermutet.<br />
aa) Ohne Schuld handelt jedoch gem. § 20 StGB, wer bei Begehung der Tat etwa wegen<br />
einer krankhaften seelischen Störung (1. Variante) oder einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung<br />
(2. Variante) schuldunfähig ist.<br />
71<br />
Roxin, StrafR AT I, § 8, Rn. 70.<br />
© CT 2013 159
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Die Schuldunfähigkeitsfeststellung erfolgt dabei vermittels einer biologisch-psychologischen<br />
Methode unter notwendiger Verwendung empirischer Grundlagen sowie normativer<br />
Aspekte.<br />
In studentischen Übungsarbeiten wird zumeist ein eindeutiger Hinweis auf das Vorliegen der Schuldunfähigkeit gegeben<br />
sein; jedenfalls wird eine eigenständige Bewertung, die im „wirklichen Leben“ die Aufgabe von Sachverständigen ist, nicht<br />
gefordert sein. Vgl. dazu Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 3; zur Methodologie der Schuldunfähigkeitsfeststellung Roxin,<br />
StrafR AT I, § 20, Rn. 1 ff.<br />
bb) Der T befand sich zur Tatzeit in einem hochgradigen Rauschzustand. Möglich erscheint<br />
deshalb ein durch Alkoholintoxikation verursachter Ausschluss der Schuldfähigkeit. Ob dieser<br />
gegebenenfalls unter das Merkmal der krankhaften seelischen Störung zu subsumieren<br />
oder aber als tiefgreifende Bewusstseinsstörung aufzufassen ist, kann mangels praktischer<br />
Erheblichkeit der begrifflichen Einordnung offen bleiben.<br />
Für Vollrausch als „krankhafte seelische Störung“, weil körperliche Vergiftung, etwa BGHSt 43, 66 (69); Roxin,<br />
StrafR AT I, § 20, Rn. 10.<br />
cc) Der T hatte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 3,4 ‰ . Doch gibt es keinen gesicherten<br />
medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber, dass allein wegen einer bestimmten<br />
BAK zur Tatzeit vom Vorliegen eines alkoholbedingten Ausschluss’ der Einsichts- und<br />
Steuerungsfähigkeit auszugehen ist. Vielmehr ist Rücksicht zu nehmen auf psychodiagnostische<br />
Beurteilungskriterien dergestalt, dass erst eine Gesamtbeurteilung aller einen<br />
Rückschluss auf den Grad der Beeinträchtigung zulassenden Umstände entscheidend<br />
sein kann, was „die Prüfung aller äußeren und inneren Kennzeichen des Tatgeschehens<br />
und der Persönlichkeitsverfassung des Täters voraussetzt, in die auch der BAK-Wert<br />
einzubeziehen ist“ 72 .<br />
Dennoch berechtigt ein BAK-Wert von über 3,0 ‰ zu der (widerlegbaren) Vermutung einer<br />
möglichen Schuldunfähigkeit des Täters; er ist ein „beachtliches Indiz“ 73 . Von Bedeutung<br />
ist aber bereits an dieser Stelle die (abstrakte) Art und Schwere des Delikts: Es<br />
gilt der „Grundsatz [...], dass an eine Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens umso<br />
strengere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer die Tat und damit die natürliche<br />
Hemmschwelle ist“ 74 . In der Folge ist die BAK-Untergrenze i.S. obiger Vermutungsregel<br />
von 3,0 ‰ bei Tötungs- und schweren Gewaltdelikten um 10 Prozent auf 3,3 ‰ anzuheben.<br />
75<br />
Zur Bedeutung der BAK i.R.d. Schuldunfähigkeitsfeststellung übersichtlich Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 10; eingehend und<br />
umfassend Perron, in Schönke/Schröder, StGB, § 20, Rn. 16 ff.; aus der Rspr. etwa BGHSt 43, 66 ff.; 35, 308 ff.; 36,<br />
286 ff.; 37, 231 ff.<br />
dd) Mithin lässt der Promillewert von 3,4 ‰, der bei dem T für den Tatzeitpunkt festgestellt<br />
wurde, die Möglichkeit der alkoholverursachten Schuldunfähigkeit vermuten. Diese Annahme<br />
wird gerade dadurch bestätigt, dass es sich bei dem T um einen Alkohol ungewohnten,<br />
sog. Gelegenheitstrinker handelt. Dem Ausschluss der Schuldfähigkeit entgegenstehende<br />
Umstände sind dem Geschehen wiederum nicht zu entnehmen.<br />
Es ist insofern festzustellen, dass der T gem. § 20 StGB schuldunfähig war, als er den<br />
Schuss auf den O abgab.<br />
b) Bedarf und Möglichkeiten einer gerechtigkeits- und präventionsorientierten Ergebniskorrektur<br />
Es erscheint unbillig, das Tatgeschehen allein auf die konkrete, unmittelbare Tatausführung<br />
zu beschränken und den Umstand unberücksichtigt zu belassen, dass sich der T bewusst<br />
und willentlich in schuldunfähigen Zustand versetzt hat, um die Tat „zurechnungsunfähig<br />
zu begehen“.<br />
72<br />
BGHSt 36, 286 (288); st. Rspr., vgl. BGHSt 35, 308 (315 f.).<br />
73<br />
BGH, StrV 1990, 107.<br />
74<br />
Perron, in Schönke/Schröder, StGB, § 20, Rn. 16d m.w.N. zur Rspr.<br />
75<br />
Vgl. Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 10; BGHSt 43, 66 (69).<br />
160 © CT 2013
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Denn der T wäre insofern allein aus dem auf fünf Jahre Freiheitsentzug begrenzten Strafrahmen<br />
des § 323a StGB (Vollrausch) und nicht gem. § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe<br />
zu bestrafen – dies trotz seiner rechtsmissbräuchlichen Gesinnung und seiner<br />
in der Ursache des Sich-Betrinkens freien (und damit schuldhaften) Handlungsentscheidung<br />
(„actio libera in causa“) zur Rechtsgutsverletzung und Unrechtsbegehung.<br />
Nicht nur aus Gerechtigkeitserwägungen, sondern auch im Präventionsinteresse ist<br />
dies bedenklich.<br />
Zur Rechtsfigur der „actio libera in causa“ siehe etwa Jerouscheck, JuS 1997, 385 ff.; Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 56 ff.;<br />
BGHSt 42, 235 ff.<br />
aa) Zur Möglichkeit einer Ausnahme von § 20 StGB<br />
(1) Überlegenswert ist vor dem genannten Hintergrund, ob in eben jenen Fällen eine (ungeschriebene)<br />
Ausnahme von dem § 20 StGB zugrunde liegenden Prinzip der Koinzidenz<br />
von Tatbegehung und Schuld zu machen ist. In diesem Sinne könnte dem Täter die Berufung<br />
auf seine in actū fehlende Schuldfähigkeit als selbstwidersprüchlich versagt werden,<br />
wenn er bereits bei Herbeiführung des schuldausschließenden Rauschzustandes mit dem<br />
konkreten Vorsatz handelt, im schuldunfähigen Zustand eine bestimmte Straftat zu verwirklichen.<br />
Dem Täter würde dabei – unter Vorverlagerung allein des Schuldvorwurfs – das<br />
schuldhafte Vorverhalten des Sich-Berauschens als schuldhafte Tatbegehung angelastet.<br />
Für eine solche sog. Ausnahmelösung etwa Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 10 und Kühl, StrafR AT, § 11,<br />
Rn. 18, denn jedenfalls werde der „§ 323a-Ausweg“ der Sache nicht gerecht; eine Klarstellung de lege ferenda sei zu<br />
begrüßen.<br />
(2) Eine solche Ausnahme ist jedoch „mit dem eindeutigen Wortlaut des § 20 StGB, nach<br />
dem die Schuldfähigkeit ‚bei Begehung der Tat’ vorliegen muss, nicht in Einklang zu<br />
bringen. Aus diesem Grunde kann die actio libera in causa auch nicht als richterrechtliche<br />
Ausnahme von dem Koinzidenzprinzip [...] oder als Gewohnheitsrecht [...] anerkannt werden.<br />
Beide Erklärungsversuche sind mit Art. 103 Abs. 2 GG, der strafbarkeitsbegründendes<br />
Gewohnheitsrecht verbietet [...], nicht vereinbar [...]. [...] Ob der Gesetzgeber die<br />
Rechtsfigur der actio libera in causa als richterrechtliche Ausnahme von § 20 StGB akzeptiert<br />
hat, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 20 StGB ohne Bedeutung, solange<br />
er dies nicht im Gesetzestext zum Ausdruck bringt [...].“ 76<br />
bb) Zur Möglichkeit einer Ausdehnung des Schuldtatbestands<br />
(1) Möglich erscheint ferner, den Begriff der „Begehung der Tat“ in § 20 StGB in der Weise<br />
auszudehnen, dass das vortatbestandliche, auf die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar<br />
bezogene Vorverhalten (das Sich-Betrinken) zwar nicht vom Unrechtstatbestand, wohl<br />
aber vom funktional zu verstehenden Schuldtatbestand erfasst ist.<br />
Für eine solche sog. Ausdehnungslösung Streng, JuS 2001, 540 (542 ff.); ders., JZ 1994, 709 (711).<br />
(2) Doch es „spricht nichts dafür, dass das Strafgesetzbuch den in § 16 Abs. 1, § 16 Abs. 2,<br />
§ 17 Satz 1 und in § 20 unterschiedslos verwendeten Begriff in § 20 in einem weiteren Sinn<br />
verstanden wissen will als in jenen anderen Vorschriften. Im Übrigen hätte dieses ‚Ausdehnungsmodell’<br />
über die Fallgestaltungen der actio libera in causa hinaus, um die es ihr geht,<br />
eine auch unter Präventions- und Gerechtigkeitsgedanken nicht zu rechtfertigende Einschränkung<br />
des § 20 StGB zur Folge [...].“ 77<br />
Der Sache nach bestehen gerade bei einer Ausdehnung des Tatbegriffs in § 20 StGB, noch<br />
mehr als bei einer bloß singulären Ausnahme vom Koinzidenzprinzip (i.S. obiger Ausnahmelösung)<br />
rechtsstaatliche und damit verfassungsrechtliche Zweifel. Denn Art. 103 Abs. 2<br />
GG schließt Strafbarkeitsbegründungen jenseits der gesetzlichen Festlegungen kategorisch<br />
aus.<br />
Dazu Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 70: „terminologischer Trick, der an der fehlenden Koinzidenz von Tat und Schuld der<br />
Sache nach nichts ändert“. Nach Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 18 ist deshalb die Ausnahmelösung „ehrlicher“.<br />
76<br />
BGHSt 42, 235 (241 f.).<br />
77<br />
BGHSt 42, 235 (240 f.).<br />
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c) Ergebnis der Schuldprüfung<br />
In der Folge verbleibt es dabei, dass der T bei Abgabe des Schusses auf den O schuldunfähig<br />
i.S.d. § 20 StGB war.<br />
4. Ergebnis<br />
§ 211 StGB durch den Schuss auf den O (-)<br />
Zwar ist der T nicht wegen des Schusses auf den O des Mordes strafbar; doch verbleibt die Möglichkeit, an das Sich-<br />
Betrinken den Strafbarkeitsvorwurf zu knüpfen. Zu diesem, sich in der nachfolgenden Prüfung niederschlagenden Gedanken<br />
der sog. Tatbestandslösung („Vorverlagerungstheorie“) eingehend Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 56 ff.<br />
II. Strafbarkeit des T wegen Mordes gem. § 211 StGB durch das Sich-Betrinken<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand<br />
aa) „Tötung eines Menschen“ (Tathandlung und Taterfolg)<br />
Zur Verwirklichung des objektiven Straftatbestands des Mordes i.S.d. § 211 StGB ist zunächst<br />
erforderlich, dass der T einen Menschen getötet hat.<br />
(1) Der O ist tot, der Taterfolg mithin eingetreten.<br />
(2) Allein problematisch ist, ob das Sich-Betrinken des T, an das hier der Strafbarkeitsvorwurf<br />
geknüpft wird, taugliche Tötungshandlung i.S.d. Mordtatbestands (respektive Totschlagstatbestands,<br />
§ 212 StGB) sein kann.<br />
Die Tötungsdelikte sind reine Erfolgsdelikte. Das heißt, es kommt grundsätzlich (d.h. abgesehen<br />
von den Mordmerkmalen) allein auf den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs,<br />
den Tod eines Menschen, an, ohne dass an das „Wie“ der Täterhandlung vom Tatbestandswortlaut<br />
spezielle Anforderungen gestellt werden.<br />
Beispiel: Das Entflammen eines Streichholz‘ ist per se keine Tötungshandlung; wird jedoch dadurch die Lunte einer Bombe<br />
entzündet, durch die ein Mensch stirbt, so ist es eine Handlung, an die §§ 211 ff. StGB anknüpfbar sind.<br />
Also stellt das Sich-Betrinken eine für § 211 StGB mögliche Tathandlung dar.<br />
Anders ist dies bei eigenhändigen Delikten wie den Aussagedelikten (§§ 153 ff. StGB) und verhaltensgebundenen<br />
Delikten wie den Verkehrsdelikten der §§ 315c (Gefährdung des Straßenverkehrs), 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr).<br />
Dazu BGHSt 42, 235 (239 f.): „Die Verkehrsstraftaten [...] setzen voraus, dass der Täter das Fahrzeug ‚führt’. Führen eines<br />
Fahrzeugs ist aber nicht gleichbedeutend mit Verursachen der Bewegung. Es beginnt erst mit dem Bewegungsvorgang<br />
des Anfahrens selbst [...]. Dazu genügt nicht einmal, dass der Täter in der Absicht, alsbald wegzufahren, den Motor seines<br />
Fahrzeugs anlässt und das Abblendlicht einschaltet [...]. Umso mehr muss eine Ausdehnung auf zeitlich vorgelagerte<br />
Handlungen nach der gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung ausscheiden. Auch im Sich-Berauschen in Fahrbereitschaft<br />
liegt dementsprechend noch nicht der Beginn der Trunkenheitsfahrt.“ Vgl. BGHSt 35, 390 (394).<br />
bb) Kausalität der Tathandlung<br />
Nach der Äquivalenztheorie, die besagt, dass alle dem Taterfolg vorgelagerten Bedingungen<br />
gleichwertig ursächlich für dessen Eintritt sind, wenn sie „condiciones sine qua<br />
non“ sind, ist das Sich-Betrinken eine Bedingung, ohne die der Taterfolg ausgeblieben<br />
wäre. Der Anknüpfung des Strafbarkeitsvorwurfs an diese Handlung steht auch insofern<br />
nichts entgegen.<br />
cc) Objektive Zurechnung des Taterfolgs<br />
Fraglich ist allerdings, ob auch bei normativer Wertung des Geschehens der eingetretene<br />
Tod durch Erschießen in zurechenbarem Zusammenhang zur Tathandlung des Sich-<br />
Betrinkens steht, ob also dem T der Tod des O als „sein Werk“ zuzurechnen ist.<br />
Dies ist der Fall, wenn die Täterhandlung die Schaffung eines unerlaubten (rechtlich relevanten)<br />
Risikos darstellt und der spätere konkrete, tatbestandsmäßige Taterfolg als Verwirklichung<br />
eben dieses spezifischen, vom Täter gesetzten Risikos zu bewerten ist (Risikoverwirklichungszusammenhang).<br />
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(1) Unerlaubte (rechtlich relevante) Risikoschaffung<br />
Zwar liegt im Sich-Betrinken und umso mehr im Sich-in-Vollrausch-Versetzen ein von der<br />
Rechtsordnung erkanntes und damit grundsätzlich rechtlich relevantes Risiko (vgl. den Tatbestand<br />
des Vollrausches, § 323a StGB).<br />
Doch muss eben dieses Risiko auch von der Schutzreichweite des in Prüfung stehenden<br />
Straftatbestands, hier § 211 StGB, erfasst sein. In diesem Sinne erscheint fraglich,<br />
ob ein Sich-Betrinken – objektiv betrachtet – bereits das Risiko beinhaltet, vor dem § 211<br />
StGB schützen soll, ob also im (ggf. weit vorgelagerten) Sich-Betrinken eine straftatbestandseröffnende<br />
Gefahr für das Rechtsgut Leben des späteren Opfers liegt.<br />
(a) Zeitliche Grenze straftatbestandlich relevanten Verhaltens ist der Beginn der Versuchsstrafbarkeit,<br />
der gem. § 22 StGB vom unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung<br />
markiert wird. Dem vorgelagerte Handlungen sind bloße Vorbereitungshandlungen<br />
und also solche nicht strafbar.<br />
Dazu BGHSt 23, 356 (358): „Ob [...] eine strafbare Handlung auch dann vorliegen kann, wenn der Handelnde nicht erst im<br />
Stadium des Versuchs, sondern schon während der Vorbereitungshandlungen zurechnungsunfähig wird, [...] ist zu verneinen.<br />
Planung und Vorbereitung bewegen sich [...] im strafrechtlich nicht relevanten Raum und können deshalb nicht<br />
zur Strafbarkeit einer Tat führen, die der Täter im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit beginnt und durchführt. Nur wenn<br />
der Täter in noch schuldfähigem Zustand, also in freier und deshalb zurechenbarer Entscheidung mit der Tatausführung<br />
[...] wenigstens begonnen hat, kann eine Verantwortlichkeit auch für die im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit bewirkte<br />
Weiterführung der Tat in Betracht kommen.“<br />
„Bloße Vorbereitungshandlung ist, was die Ausführung der (für den späteren Zeitpunkt geplanten) Tat nur ermöglichen<br />
oder erleichtern soll, wie etwa das Besorgen der Waffe, das Herrichten der Tatmittel, das Auskundschaften oder Aufsuchen<br />
des vorgesehenen Tatorts und das Hinschaffen der Tatwerkzeuge.“ 78<br />
Unmittelbares Ansetzen i.S. von § 22 StGB und der Versuchslehre bedeutet, dass aus<br />
Sicht des Täters die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritten ist und objektiv die<br />
Tatbestandsverwirklichung aufgrund unmittelbaren räumlich-zeitlichen Zusammenhangs<br />
bevorsteht. Die erforderliche Unmittelbarkeitsbeziehung kann sich insb. daraus ergeben,<br />
„dass die vom Täter in Gang gesetzte Ursachenreihe nach seiner Vorstellung vom Tatablauf<br />
ohne Zäsur und ohne weitere wesentliche Zwischenakte in die eigentliche Tatbestandshandlung<br />
einmünden soll, mit der Folge, dass aus seiner Sicht das Angriffsobjekt<br />
schon konkret gefährdet erscheint“ 79 .<br />
Zum „unmittelbaren Ansetzen“ beim Versuch etwa Kühl, StrafR AT, § 15, Rn. 38 ff., 55 ff.; aus der Rspr. etwa BGHSt 26,<br />
201 (203); 28, 162 (163); 30, 363 (364).<br />
(b) Demgemäß kann nicht jedes (eben teilweise nur tatvorbereitendes und folglich strafloses)<br />
Sich-Betrinken den Versuchsbeginn eines Mordes darstellen. Es ist erforderlich, dass<br />
das Sich-Versetzen in den Defektzustand, d.h. das In-Gang-Setzen des Geschehensablaufs<br />
in verantwortlichem Zustand, 80 und die Tat in einem begründeten, zeitlich-örtlichen<br />
Handlungszusammenhang 81 dergestalt stehen, dass es nach der Vorstellung des Täters<br />
bis zum Erfolgseintritt auf keine wesentlichen Zwischenakte bis zum Erfolgseintritt am Opfer<br />
ankommt.<br />
(c) Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf ein als Vorbereitungshandlung zu erkennendes<br />
Sich-Betrinken verstieße hingegen zulasten des Täters gegen den Gesetzeswortlaut<br />
(insb. § 22 StGB) und damit gegen Art. 103 Abs. 2 StGB.<br />
Krit. Streng, JuS 2001, 540 (541): „[Die] an sich schon nicht tragfähige, allein ergebnisorientierte Hochstufung der Defektherbeiführung<br />
als bloßer Vorbereitungshandlung zum strafbaren Versuch führt naheliegenderweise dann zu erheblichen<br />
Folgeproblemen beim Rücktritt vom Versuch. Es stellt sich die Frage, ob der Schuldunfähige überhaupt noch einen für<br />
§ 24 StGB relevanten Rücktrittswillen im Sinne von ‚Freiwilligkeit’ bilden kann; und bejahendenfalls ergeben sich aus der<br />
dann nahe liegenden Annahme eines beendeten Versuchs zusätzliche, schwer nachvollziehbare Rücktrittshemmnisse. –<br />
Von der fragwürdigen Vorverlegung der Versuchsphase wären auch [etwaige andere] Tatbeteiligte betroffen, da sie bereits<br />
durch die Selbst-Intoxikation des sich Mut antrinkenden Täters oder Mittäters in das Ausführungsstadium versetzt würden.“<br />
Siehe auch Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 415, 419; Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 12 ff. – Eine (allgemeine)<br />
Erwiderung bei Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 61.<br />
78<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 14, Rn. 602 m.w.N. zur Rspr. des BGH.<br />
79<br />
Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 14, Rn. 601 m.w.N. zur Rspr. des BGH.<br />
80<br />
BGHSt 17, 335.<br />
81<br />
Vgl. Köhler, StrafR AT, S. 396.<br />
© CT 2013 163
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
(d) Zwar macht sich der Täter zu seinem eigenen, unverantwortlichen Werkzeug und<br />
hat den weiteren Ablauf des Geschehens vom Eintritt der Schuldunfähigkeit an nicht mehr<br />
in der Hand, sodass der Versuchsbeginn grundsätzlich gegeben sein kann – ähnlich der<br />
mittelbaren Täterschaft, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB, bei der den Versuchsbeginn frühestens<br />
von der Entlassung des Werkzeugs aus dem Herrschaftsbereich des Täters markiert wird.<br />
Doch verbleibt ausschlaggebend die konkrete Situation, sodass ein „Aus-den-Händen-<br />
Geben“ der Geschehensherrschaft nur bei ansonsten aus Sicht des Täters (vgl. § 22 StGB:<br />
„nach seiner Vorstellung von der Tat“) unmittelbar bevorstehender Tatausführung genügt.<br />
Zur sog. Werkzeugtheorie etwa Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 61; krit. dazu Streng, JuS 2001, 540 (542).<br />
(e) Der T saß mit dem O gemeinsam bei sich zu Hause, als er sich mittels Alkohol in<br />
schuldunfähigen Zustand versetzte. Nach seiner Vorstellung von der Tat war die Schwelle<br />
zum „Jetzt-geht-es-los“ mit dem „ersten Schluck“ überschritten und auch objektiv<br />
bestand eine unmittelbare zeitlich-räumliche Beziehung zur Tatbestandsverwirklichung.<br />
Das Rechtsgut Leben des O war konkret gefährdet.<br />
Mit dem „letzten Schluck“ vor Eintritt der Schuldunfähigkeit hatte der T sodann – i.S.<br />
eines beendeten Versuchs (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) – alles getan, was aus seiner<br />
Sicht zur ihm zurechenbaren Herbeiführung des Erfolgs nötig war.<br />
So auch Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 65: „Mit dem ‚letzten Schluck’ vor Eintritt der Schuldunfähigkeit liegt schon ein<br />
beendeter Versuch vor [...]. Der Versuch beginnt aber schon, wenn der Täter in voll schuldfähigem Zustand seine Schuldfähigkeit<br />
mit dem Vorsatz ihrer Ausschließung und der anschließenden Tatbestandsverwirklichung vermindert.“ – Dagegen<br />
wird eingewendet, dass der Täter, bevor er schuldunfähig werde, das Stadium der erheblich verminderten Schuldfähigkeit<br />
durchlaufe, in dem frühesten der Versuch liegen könne. Das bedeute, dass die a.l.i.c.-Konstruktion des Tatbestandsmodells<br />
stets zu einer Milderbestrafung nach § 21 StGB führen müsse; dazu Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 14.<br />
In diesem Sinne liegt also im Vollverantwortlichen In-Gang-Setzen der ersten zum Schuldausschluss<br />
führenden Handlung (dem „ersten Schluck“) der Beginn und im Abschluss des<br />
Sich-Berauschens (dem „letzten Schluck“) das Ende des (in jedem vollendeten Mord als<br />
Durchgangsstadium notwendigerweise mitverwirklichten) versuchten Mordes an dem O.<br />
Der weitere Geschehensablauf lag nicht mehr in der Hand des – nunmehr einsichts- und<br />
steuerungsunfähigen – T und enthielt mithin aus seiner Sicht keine wesentlichen Zwischenakte<br />
mehr bis zum Erfolgseintritt.<br />
Dieses Ergebnis beruht aber ganz maßgeblich auf dem Umstand, dass T und O bereits gemeinsam in unmittelbarer<br />
zeitlich-räumlicher Nähe zueinander waren. Zweifelhaft wäre es dann, wenn der T sich etwa in einer Kneipe betrunken<br />
hätte, um erst hernach den O aufzusuchen und nach eben diesem (wohl wesentlichen) Zwischenschritt zu töten. Siehe<br />
Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 13.<br />
(f) T hat somit ein von § 211 StGB tatbestandlich schon erfasstes Risiko geschaffen.<br />
(2) Risikorealisierung (+)<br />
(3) Zwischenergebnis: objektive Zurechnung (+)<br />
dd) (Objektives) Mordmerkmal: Heimtücke (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand<br />
Der T hat vorsätzlich in Form der Absicht gehandelt, und zwar einerseits in Bezug auf die<br />
Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, andererseits in Bezug auf das Sich-Versetzen<br />
in den schuldunfähigen Zustand.<br />
Zu diesem sog. Doppelvorsatz siehe Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 67; Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 19 ff.<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld (+)<br />
Bei Beginn des Sich-Betrinkens war der T voll schuldfähig.<br />
Unerheblich ist, dass der T im späteren Moment des Erfolgseintritts schuldunfähig war.<br />
Denn die Schuld muss allein „bei Begehung der Tat“ (§ 20 i.V.m. § 8 StGB) vorliegen.<br />
164 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
4. Ergebnis<br />
§ 211 StGB durch das Sich-Betrinken (+)<br />
III. Strafbarkeit des T wegen Vollrausches gem. § 323a StGB<br />
Das Auffangdelikt des § 323a StGB scheidet aus, da die Tatbestandsvoraussetzung,<br />
dass der Täter (hier der T) wegen der im Rauschzustand begangenen Tat nicht bestraft<br />
werden kann, nicht erfüllt ist.<br />
BGHSt 2, 14 (17); zum Verhältnis der a.l.i.c. und § 323a StGB etwa Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 75; Sternberg-Lieben/Hecker,<br />
in Schönke/Schröder, StGB, § 323a, Rn. 30 ff.; siehe auch die ABWANDLUNG dieses Falls.<br />
IV. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T ist des Mordes an dem O gem. § 211 StGB strafbar.<br />
ABWANDLUNG<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Mordes gem. § 211 StGB durch den Schuss auf O<br />
(unmittelbare Tathandlung)<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand<br />
Fraglich ist allein, ob der Tatvorsatz des T nicht deshalb zu verneinen ist, weil der T den O<br />
und nicht den X töten wollte (error in persona).<br />
Zum objektiven Tatbestand des Tötungsdelikts gehört der vom Gesetzgeber bloß gattungsmäßig<br />
bestimmte Tatumstand „anderer Mensch“. Mithin bezieht sich die von § 16 Abs. 1<br />
Satz 1 StGB geforderte Kenntnis auch nur hierauf. Der T hat mithin – trotz seines Irrtums<br />
– ein gleichwertiges Rechtsgut und damit taugliches Tatobjekt i.S.d. § 211 StGB verletzt.<br />
Die darüber hinausgehende Identität des Opfers ist hingegen im für die strafrechtliche Beurteilung<br />
unbeachtlichen Motivbereich zu verorten, der die Frage betrifft, warum der Täter<br />
sein Opfer töten wollte. Der vorliegende Identitätsirrtum des T ist also ein bloß außertatbestandlicher<br />
Motivirrtum, der den Tatvorsatz unberührt lässt.<br />
Siehe etwa Kühl, StrafR AT, § 13, Rn. 24; Roxin, StrafR AT I, § 12, Rn. 196 m.w.N.<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld<br />
Wie an obiger Stelle ausgeführt, ist der T alkoholbedingt schuldunfähig (§ 20 StGB).<br />
Eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme oder Einschränkung von § 20 StGB nach den<br />
Grundsätzen der a.l.i.c. ist insb. unter Verweis auf Art. 103 Abs. 2 GG abzulehnen.<br />
4. Ergebnis<br />
§ 211 StGB durch den Schuss auf den O (-)<br />
© CT 2013 165
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
II. Strafbarkeit des T wegen Mordes gem. § 211 StGB an O durch das<br />
Sich-Betrinken<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
Problematiken der a.l.i.c.-Tatbestandslösung (Vorverlagerungstheorie, Werkzeugtheorie) wie im AUSGANGSFALL.<br />
b) Subjektiver Tatbestand<br />
Fraglich ist allein, ob der erforderliche Doppelvorsatz des T gegeben ist.<br />
(1) Der T hatte in schuldfähigem Zustand beschlossen, sich zu betrinken und den O zu<br />
töten; in schuldunfähigem Zustand hat er jedoch infolge einer Personenverwechslung den<br />
X getötet. Der eingetretene Kausalverlauf divergiert also mit dem, den sich der T beim<br />
Sich-Betrinken vorgestellt hatte, sodass ein gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB vorsatzausschließender<br />
Irrtum über den Kausalverlauf vorliegen könnte.<br />
Vorsätzliches Handeln ist charakterisiert durch den Willen des Täters zur Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Geschehens<br />
in Kenntnis aller Tatumstände (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Als Bindeglied zwischen Tathandlung und -erfolg zum<br />
objektiven Tatbestand gehörend, ist auch der Kausalablauf dergestalt Tatumstand i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, dass er<br />
vom Täter in seinen wesentlichen Zügen erfasst gewesen sein muss. Unwesentlich sind Kausalverlaufsirrtümer aber<br />
namentlich dann, wenn der eingetretene dem vorgestellten Geschehensablauf gleichwertig und demgemäß keine<br />
andere Bewertung der Tat gerechtfertigt ist. Vgl. BGH, NStZ 2002, 475 (476); BGHSt 7, 325 (329); 14, 193; 23, 133<br />
(135); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 7, Rn. 258.<br />
(2) Der Tötungsvorsatz des T war konkretisiert auf eine bestimmte Person, den O, als<br />
er sich selbst in den unzurechnungsfähigen Zustand versetzte und damit das Geschehen<br />
aus der Hand gab. Nach seiner (zutreffenden) Vorstellung von der Tat (vgl. § 22 StGB)<br />
hatte er alles Erforderliche getan, damit das Geschehen in den Verletzungserfolg einmünden<br />
würde. Auf die Kausalabweichung hatte der nunmehr einsichts- und steuerungsunfähige<br />
T keinen Einfluss mehr; das menschliche Werkzeug – er selbst – ging sodann fehl<br />
(„Abirrung“).<br />
Dazu Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 74: „Der error in persona des schuldunfähigen [Mörders] ist für den noch schuldfähigen<br />
Täter der a.l.i.c. eine aberratio ictūs, sodass auch insoweit nur ein Versuch zu begründen ist.“; so auch Wessels/Beulke/Satzger,<br />
StrafR AT, § 10, Rn. 418; Perron, in Schönke/Schröder, StGB, § 20, Rn. 37; differenzierend Kühl,<br />
StrafR AT, § 11, Rn. 23; anders BGHSt 21, 381 (384).<br />
Nicht entscheidend ist mithin der Irrtum in schuldunfähigem Zustand (Personenverwechslung),<br />
sondern die Fehlvorstellung vom Ablauf des Geschehens in dem dem Rauschzustand<br />
vorgelagerten Moment der schuldfähigen Fassung des Tötungsvorsatz’. Der<br />
hier maßgebliche Irrtum des T betrifft deshalb nicht die Identität (bloßer error in persona),<br />
sondern den Verletzungsverlauf.<br />
(3) Insofern ist ein anderes (höchstpersönliches) Rechtsgut verletzt worden, als es der T<br />
vorhatte. Der tatsächliche Geschehensablauf ist gegenüber dem vorgestellten nicht gleichwertig.<br />
Der vorliegende Kausalverlaufsirrtum ist mithin dergestalt wesentlich, d.h. (rechts-) erheblich,<br />
dass eine andere Bewertung der Tat gerechtfertigt ist; er lässt den Vorsatz des T<br />
entfallen, § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB.<br />
2. Ergebnis<br />
§ 211 StGB durch das Sich-Betrinken (-)<br />
III. Strafbarkeit des T wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 22, 23 StGB an O<br />
durch das Sich-Betrinken<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 22 StGB<br />
a) Subjektiver Tatbestand: Tatentschluss (+)<br />
b) Objektiver Tatbestand: Unmittelbares Ansetzen (+)<br />
166 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld (+)<br />
4. Ergebnis<br />
§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB an dem O durch das Sich-Betrinken (+)<br />
IV. Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB an X<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
„Insofern bedarf es [...] allerdings nicht des Rückgriffs auf die Rechtsfigur der actio libera in causa [...]. Gegenstand<br />
des strafrechtlichen Vorwurfs ist bei § 222 StGB – wie auch bei anderen fahrlässigen Erfolgsdelikten – jedes in Bezug auf<br />
den tatbestandsmäßigen ‚Erfolg’ sorgfaltswidrige Verhalten des Täters, das diesen ursächlich herbeiführt. Aus diesem<br />
Grunde bestehen, wenn mehrere Handlungen als sorgfaltswidrige in Betracht kommen [...], keine Bedenken, den Fahrlässigkeitsvorwurf<br />
an das zeitlich frühere Verhalten [red. das Sich-Betrinken] anzuknüpfen, das dem Täter – anders als das<br />
spätere – auch als schuldhaft vorgeworfen werden kann.“ 82 Vgl. BGHSt 40, 341 (343); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT,<br />
§ 10, Rn. 421.<br />
a) Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (+)<br />
b) Kausalität der Täterhandlung (+)<br />
c) Obj. Sorgfaltspflichtverletzung bei obj. Zurechnung des Taterfolgs (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld, insb. Fahrlässigkeitsschuld (+)<br />
4. Ergebnis<br />
§ 222 StGB an dem X (+)<br />
V. Strafbarkeit des T wegen Vollrausches gem. § 323a StGB<br />
§ 323a StGB ist (tatbestandlich und nach seinem Sinn und Zweck) ein Auffangdelikt für<br />
im Vollrausch begangene Straftaten, deretwegen der ja schuldunfähige Täter nicht bestraft<br />
werden kann.<br />
Im Rahmen von a.l.i.c.-Fallkonstellationen ist bei § 323a StGB problematisch, worin genau die Rauschtat besteht und<br />
ob diese mit der a.l.i.c.-Tat identisch ist, ob also der Täter ihretwegen schon bestraft wird. Ist dies der Fall, so tritt § 323a<br />
StGB als (tatbestandlich) subsidiär zurück. Vgl. BGHSt 2, 14 (19); Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 75; Sternberg-Lieben/Hecker,<br />
in Schönke/Schröder, StGB, § 323a, Rn. 30 ff.<br />
1. Vorliegend hat sich der T eines versuchten Mordes (fakultativ milderbare lebenslängliche<br />
Freiheitsstrafe) in Tateinheit mit einer fahrlässigen Tötung (maximal fünf Jahre Freiheitsstrafe)<br />
strafbar gemacht.<br />
Der Deliktsvorwurf eines vollendeten Mordes scheitert allein daran, dass der ansonsten<br />
unbeachtliche error in persona im Rahmen der a.l.i.c. als aberratio ictūs und damit vorsatzausschließender<br />
Irrtum über den Kausalverlauf (im Moment des Sich-Betrinkens) zu werten<br />
ist. Folglich, die Rauschtat i.S.d. § 323a StGB für sich betrachtet, ist diese ein<br />
vollendeter Mord, dessen der T wegen Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden kann.<br />
2. Dem steht der potentielle Einwand, einen Irrtum als einerseits für den Tätervorsatz unbeachtlich<br />
(bloßer error in persona i.R.d. Ermittlung der Rauschtat Mord i.S.d. § 323a<br />
StGB) und andererseits für den Tätervorsatz beachtlich (vorsatzausschließender Kausalverlaufsirrtum<br />
[aberratio ictūs] i.R.d. a.l.i.c.-Strafbarkeit) zu bewerten und damit widersprüchlich<br />
zu verwenden, nicht entgegen. Denn es geht um zwei verschiedene Irrtümer:<br />
Der eine betrifft den (Doppel-)Vorsatz im Zeitpunkt des Sich-Betrinkens und ist vorsatzaus-<br />
82<br />
BGHSt 42, 235 (236 f.).<br />
© CT 2013 167
Christian Trentmann<br />
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schließend, der andere den (auch in schuldunfähigem Zustand bildbaren) natürlichen Vorsatz<br />
im Zeitpunkt der unmittelbaren Tathandlung des Erschießens. Insofern ist für die<br />
Rauschtat i.S.d. § 323a StGB allein maßgeblich, dass der T (im Moment der Schussabgabe)<br />
einen anderen Menschen töten wollte und auch einen anderen Menschen getötet<br />
hat und dass eben die Identität des Getöteten nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört.<br />
3. Allerdings besteht mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Strafrahmen des versuchten<br />
Mordes und der fahrlässigen Tötung kein Bedarf, den geringeren Strafrahmen des<br />
§ 323a StGB (maximal fünf Jahre Freiheitsstrafe) auffangweise heranzuziehen. Ungeachtet<br />
dessen muss im abschließenden Schuldspruch klargestellt werden, dass der T im<br />
Rausch eine nicht nur versuchte, sondern vollendete Tat (Rauschtat) begangen hat.<br />
Deshalb ist § 323a StGB erfüllt bzw. nicht subsidiär.<br />
VI. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T ist strafbar des versuchten Mordes an dem O gem. §§ 211, 22, 23 StGB in Tateinheit<br />
mit fahrlässiger Tötung des X gem. § 222 StGB sowie – aufgrund Klarstellungsbedürfnisses<br />
– mit Vollrausch gem. § 323a StGB.<br />
168 © CT 2013
Fall 64<br />
Christian Trentmann<br />
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„Haste Probleme...?!“<br />
Schwerpunkte<br />
• Zur Bestimmtheit des Doppelvorsatz’ i.R.d. „actio libera in causa“ („a.l.i.c.“)<br />
• Entbehrlichkeit der a.l.i.c. beim fahrlässigen Erfolgsdelikt<br />
• Verhältnis der a.l.i.c. zum Vollrauschtatbestand des § 323a StGB<br />
Sachverhalt<br />
Der T neigt, wie er weiß, im angetrunkenen Zustand zu Gewalttätigkeiten.<br />
Dennoch lässt er sich am Samstagabend in seiner Stammkneipe „volllaufen“.<br />
Im nunmehr schuldunfähigen Zustand glaubt der T, der ebenfalls in der<br />
Kneipe anwesende O habe ihn „schief angeguckt“. T zögert nicht lange,<br />
steht auf und schlägt dem O mit der Faust ins Gesicht.<br />
Strafbarkeit des T?<br />
Lösung<br />
I. Strafbarkeit des T wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB durch den Faustschlag<br />
(unmittelbare Tathandlung)<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
a) Objektiver Tatbestand (+)<br />
b) Subjektiver Tatbestand (+)<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld<br />
a) Der T ist alkoholbedingt schuldunfähig (§ 20 StGB).<br />
Für Vollrausch als „krankhafte seelische Störung“ etwa BGHSt 43, 66 (69); Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 10.<br />
b) Da der T allerdings schon beim Sich-Versetzen in Schuldunfähigkeit (Sich-Betrinken)<br />
wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu Gewalttätigkeiten neigt, ist fraglich, ob dies zu<br />
einer Andersbeurteilung der Schuldunfähigkeit des T zu führen vermag.<br />
Denn versetzt sich ein Täter vorsätzlich in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit und<br />
hat er zugleich den Vorsatz, in diesem Zustand eine Straftat zu begehen, so könnte aus<br />
Gerechtigkeits- und Präventionsgesichtspunkten seine Schuldfähigkeit auf den „eigentlichen<br />
Tatzeitpunkt“ der actio praecedens, des Sich-Berauschens, zu beziehen sein.<br />
Die unmittelbare Körperverletzung an dem O durch den Faustschlag wäre also in der Ursache<br />
eine freie, d.h. schuldhafte Handlung („actio libera in causa“).<br />
Die hier in Rede stehenden Schuldmodelle der a.l.i.c. setzen – ebenso wie die Alternativlösung auf der Tatbestandsebene<br />
(„Tatbestandslösung“) – voraus, dass der Täter mit „Doppelvorsatz“ handelt. Zur „Ausnahmelösung“ etwa Wessels/Beulke/Satzger,<br />
StrafR AT, § 10, Rn. 10 und Kühl, StrafR AT, § 11, Rn. 18; zur „Ausdehnungslösung“ Streng, JuS<br />
2001, 540 (542 ff.); ders., JZ 1994, 709 (711).<br />
© CT 2013 169
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
aa) Problematisch erscheint aber das Vorliegen des doppelt erforderlichen Vorsatz’ des<br />
T im Zeitpunkt des Sich-Betrinkens.<br />
Zu den Anforderungen an den Vorsatz im Rahmen der a.l.i.c. siehe BGHSt, 17, 259 ff.; 21, 381 ff.; Roxin, StrafR AT I, § 20,<br />
Rn. 73 f.<br />
Über das – hier gegebene – bewusste und gewollte, d.h. vorsätzliche Versetzen in die<br />
Schuldunfähigkeit erfordert der „Vorsatz [...] den Willen des Täters, die Merkmale eines<br />
oder mehrerer bestimmter Tatbestände zu verwirklichen, sei es in der Form des unbedingten<br />
oder des bedingten Vorsatzes, im letzteren Falle in der Weise, dass er mit der<br />
Möglichkeit der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale rechnet und hiermit einverstanden ist.<br />
Im geltenden deutschen Strafrecht ist der Vorsatz also tatbestandsbezogen [...]. Ein allgemeines<br />
Bewusstsein, unter Alkoholeinfluss zu Gewalttaten zu neigen, stellt keinen<br />
auf die genannten Tatbestände gerichteten Vorsatz dar.“ 83<br />
Die Kenntnis des Täters von seiner Neigung zu Gewalttaten im Rausch ist zwar ein Beweisanzeichen für die innere<br />
Tatseite, doch als solches mehrdeutig. Sie „kann zum Schluss führen, dass er den Willen und das Bewusstsein hat, im<br />
Rauschzustand eine oder mehrere bestimmte Straftaten zu begehen (unbedingter Vorsatz), oder dass er hiermit rechnet<br />
und für den Fall der Begehung mit der Tat einverstanden ist (bedingter Vorsatz). Es kann aber auch sein, dass die Kenntnis<br />
des Täters von seiner Neigung lediglich zu dem Schluss führt, dass er mit der Möglichkeit gerechnet hat, dass es zu<br />
bestimmten Straftaten komme, er aber darauf vertraut hat, dieser Erfolg werde nicht eintreten (bewusste Fahrlässigkeit)<br />
oder dass ihm lediglich zur Last gelegt werden kann, er hätte bedenken müssen, im Zustand des Rausches strafbare<br />
Handlungen zu begehen (unbewusste Fahrlässigkeit).“ 84<br />
bb) Der Vorsatz des T war mithin nicht ausreichend konkretisiert; die subjektiven Anforderungen<br />
der Rechtsfigur der a.l.i.c. sind nicht erfüllt.<br />
cc) Deshalb kann an dieser Stelle offen bleiben, ob eine gewohnheitsrechtlich begründete<br />
Ausnahme oder Einschränkung von § 20 StGB nach den Grundsätzen der a.l.i.c. mit Blick<br />
auf das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) überhaupt zulässig ist.<br />
Die Ausnahme- sowie die Ausdehnungslösung ablehnend etwa BGHSt 42, 235 (240 f.); Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 58.<br />
4. Ergebnis<br />
c) Im Ergebnis verbleibt es bei der Schuldunfähigkeit des T i.S.d. § 20 StGB.<br />
§ 223 StGB durch den Faustschlag (-)<br />
II. Strafbarkeit des T wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB durch das Sich-<br />
Betrinken<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
Im Zeitpunkt des Sich-Betrinkens ist – nach den Grundsätzen der a.l.i.c., d.h. auch bei der<br />
hier in Rede stehenden sog. Tatbestandslösung – erforderlich, dass der Täter mit doppeltem<br />
Vorsatz handelte.<br />
Zwar wusste der T, dass er im alkoholisierten Zustand zu Gewalttätigkeiten neigt; doch<br />
gereicht dies, wie an obiger Stelle bereits dargelegt, den Anforderungen, die an das Merkmal<br />
des Tatvorsatz’ zu stellen sind, nicht.<br />
2. Ergebnis<br />
§ 223 StGB durch das Sich-Betrinken (-)<br />
„Die Möglichkeit im Wege der freien Beweiswürdigung auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit aus der ‚Neigung zu Gewalttaten’<br />
zu schließen, ist, soweit es sich um die Körperverletzung handelt, gegeben. Jedoch sind Fälle des vorsätzlichen Ingangsetzens<br />
nicht allzu häufig [...]. Die Vorsatzfeststellung muss daher vorsichtig und genau getroffen werden [...]. Öfter<br />
ereignen sich Fälle, in denen sich der Täter in einen Rausch versetzt, obschon er nach ungünstigen früheren Erfahrungen<br />
hätte voraussehen können, dass er in diesem Zustand widerrechtliche Erfolge bestimmter Art herbeiführen kann [...]. Dann<br />
aber kommt nur Fahrlässigkeit in Betracht.“ 85<br />
83<br />
BGHSt 17, 259 (260 f.).<br />
84<br />
BGHSt 17, 259 (261 f.).<br />
85<br />
BGHSt 17, 259 (261).<br />
170 © CT 2013
Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
III. Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB<br />
Da es bei Fahrlässigkeitsdelikten für den Tatbestand allein auf die pflichtwidrige Verursachung eines Unrechtserfolges<br />
ankommt, kann hier – wegen der Gleichwertigkeit aller Ursachen – unbedenklich auch auf die Ursächlichkeit der Rauschhandlung<br />
bereits im normalen Deliktsaufbau eingegangen werden. Der Rückgriff auf die Grundsätze der Rechtsfigur<br />
der a.l.i.c. erübrigt sich deshalb im Gegensatz zum Vorsatzdelikt. So auch BGHSt 42, 235 (236 f.); vgl. auch BGHSt<br />
40, 341 (343); Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, § 10, Rn. 421.<br />
1. Tatbestandsmäßigkeit<br />
§ 229 StGB setzt im Tatbestand voraus, dass der T objektiv sorgfaltswidrig und vorhersehbar<br />
sowie insg. zurechenbar eine Körperverletzung verursacht hat, obwohl er dies hätte<br />
vermeiden können.<br />
a) Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (+)<br />
b) Kausalität der Täterhandlung (+)<br />
c) Obj. Sorgfaltspflichtverletzung bei obj. Zurechnung des Taterfolgs<br />
Da der T wusste, dass er betrunken gewalttätig wird, handelte er insofern sorgfaltspflichtwidrig.<br />
Eben die von dieser Pflichtwidrigkeit ausgehende und vom Schutzzweck des § 229<br />
StGB erfasste Gefahr hat sich sodann im Verletzungserfolg an dem O verwirklicht.<br />
2. Rechtswidrigkeit (+)<br />
3. Schuld, insb. Fahrlässigkeitsschuld<br />
a) Im für die Schuld maßgeblichen Zeitpunkt der Sorgfaltspflichtverletzung bestehen an<br />
der Schuldfähigkeit des T keine Zweifel.<br />
b) Da für den T die Sorgfaltspflichtwidrigkeit auch subjektiv erkennbar und voraussehbar<br />
war, handelte er insg. schuldhaft.<br />
4. Ergebnis<br />
§ 229 StGB (+)<br />
IV. Strafbarkeit des T wegen Vollrausches gem. § 323a StGB<br />
§ 323a StGB ist nach dessen Tatbestandswortlaut ein Auffangdelikt für Straftaten, die im<br />
rauschbedingt schuldunfähigen Zustand begangen werden.<br />
Die Tatbestandsvoraussetzung „Rauschtat“ i.S.d. § 323a StGB ist eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, d.h., sie<br />
braucht nur objektiv vorzuliegen, nicht aber vom Vorsatz des Täters erfasst zu sein. Strafgrund des Vollrausches ist die<br />
vom Rauschzustand ausgehende Gefährlichkeit für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter, die, um strafbares Unrecht zu<br />
sein, ihrer Bestätigung durch das objektive Vorliegen einer im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat bedarf.<br />
Rauschtat i.S.d. § 323a StGB ist nicht die fahrlässige Körperverletzung i.S.d. § 229 StGB,<br />
sondern die im Zustand der Schuldunfähigkeit vorsätzlich begangene Körperverletzung<br />
i.S.d. § 223 StGB, deren Möglichkeit der T bei Sich-Versetzen in den schuldausschließenden<br />
Rauschzustand fahrlässigerweise nicht bedacht hatte.<br />
Auch ist der Strafrahmen des § 323a StGB (bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug) höher als<br />
der der fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB („nur“ maximal drei Jahre). „Es<br />
würde nicht einleuchten, wenn derjenige, der im schuldausschließenden Rausch eine [...]<br />
Körperverletzung begeht, nur deshalb milder als in § 323a vorgesehen bestraft werden<br />
müsste, weil ihm außerdem noch eine fahrlässige a.l.i.c. zur Last fällt. Die a.l.i.c. schließt<br />
also eine Bestrafung nach § 323a immer nur dann aus, ‚wenn sie den Tatbestand verwirklicht,<br />
unter dessen Strafdrohung die Rauschtat fällt’ [...].“ 86<br />
86<br />
Roxin, StrafR AT I, § 20, Rn. 76 mit Verweis auf BGHSt 2, 14 (19).<br />
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Christian Trentmann<br />
Strafrecht AT • <strong>Fallsammlung</strong> • <strong>Teil</strong> F: Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
V. Strafbarkeitsergebnis<br />
Der T ist gem. § 229 StGB der fahrlässigen Körperverletzung in Tateinheit mit Vollrausch<br />
gem. § 323a StGB strafbar.<br />
§ 222 StGB (+)<br />
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