Titel - Justament
Titel - Justament
Titel - Justament
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D R E I<br />
2002<br />
• Fernsehrichter<br />
• Glamouranwalt<br />
• Zensurversuche<br />
MEDIEN IM BLICK<br />
ISSN 1615-4800<br />
INTERVIEW<br />
Matthias Prinz<br />
„Medienrechtspapst“<br />
EINE ZEITSCHRIFT VON<br />
AUSBILDUNG<br />
Jobs bei der<br />
Filmproduktion<br />
Wahlstation<br />
Neuseeland<br />
Ausbildungsreform II<br />
TITEL<br />
Der „Counterstrike“- Fall<br />
zwischen Zensur<br />
und Perversion<br />
Persönlichkeitsschutz<br />
versus Meinungsfreiheit<br />
TV-Richter<br />
im Quotenrennen
Inhalt<br />
<strong>Titel</strong>thema<br />
Christian Frenzel 6<br />
Die entgültige Teilung Deutschlands<br />
Gespräch mit der Rechtsberatung der Satirezeitschrift Titanic<br />
Anselm Grün 8<br />
Viele Wege führen zum Film<br />
Szenebericht eines Referendars<br />
Martin Franz 10<br />
Eigenwillige Branche<br />
Aus der Praxis eines Medienanwalts<br />
Dr. Georg Seyfarth 12<br />
Die Grenzen der Wahrheit<br />
Meinungs- und Pressfreiheit versus Persönlichkeitsrecht<br />
Kristina Orthmann 14<br />
Wie steht’s um die Quote, Frau Vorsitzende?<br />
Gerichtsverhandlungen im Fernsehen<br />
Katharina Mohr<br />
Eine Hymne an Edel und Stark 15<br />
Anwaltsserien im Fernsehen – unrealistisch aber schön<br />
Lorrain Haist<br />
www.blood-is-red.de 16<br />
Gewalt in Computerspielen<br />
Interview<br />
Der Glamouranwalt 18<br />
Interview mit Mathias Prinz,<br />
der wohl bekannteste deutsche Medienanwalt<br />
Ausbildung<br />
Kristina Orthmann 20<br />
Standortbestimmung<br />
Die deutsche Juristenausbildung im europäischen Vergleich.<br />
Ein Gespräch mit Dr. Ranieri<br />
und danach<br />
Dominik Heuel/Katharina Sack 22<br />
Einstieg in die Verlagsbranche<br />
Was ist die juristische Ausbildung eigentlich wert?<br />
David Schmidtke 23<br />
Good on ya, mate!<br />
Der LL.M. in Wellington, Neuseeland<br />
Udo Zöbelein 24<br />
Die Praktikantenfalle<br />
Ein Praktikum bei einer Filmproduktionsgesellschaft<br />
Literatur<br />
Berhard Schlink,<br />
Vergangenheitsschuld und gegenwärtiges Recht 25<br />
Rainer Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare 26<br />
Noam Chomsky, 9 -11 26<br />
Gehard Köbler, Rechtstürkisch 27<br />
Michael Stolleis,<br />
Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland 27<br />
Service<br />
Editorial 4<br />
Echtest für Juristen 40<br />
Impressum 42<br />
justament drei 2002<br />
3
Editorial<br />
Traumberuf Medienanwalt<br />
uf die Frage, welche Art von Jurist oder Juri-<br />
man denn nun werden will, kommen<br />
Astin<br />
viele ins Stocken. Früher, in der Grundschule, war<br />
das alles einfach: Die Willensbildung erfolgte –<br />
zumindest was die Zukunft betraf – im Kollektiv:<br />
Die Mädchen wollten Tierärztin werden und bei<br />
den Jungs sollte es der Fußballprofi sein. Die<br />
Phantasie für die Praxis war farbig und konkret:<br />
Die einen wollten Lassie gesund pflegen und die<br />
anderen im Halbfinale gegen England den Elfmeter<br />
verwandeln.<br />
Und heute als Akademiker? Auch an den juristischen<br />
Fakultäten ist sich das Gros einig: Zumindest<br />
irgendwann einmal hat sich jeder überlegt,<br />
Medienanwalt zu werden. Die entsprechenden<br />
Veranstaltungen sind hoffnungslos<br />
überlaufen und wäre nicht das Wahlfach Urheberrecht<br />
als ausnehmend schwierig verrufen,<br />
gäbe es keinen anderen Abschluss mehr. So ist<br />
das bei jeder Ausbildung, je größer das Interesse<br />
daran, desto höher die gestellten Anforderungen.<br />
Und wieder gibt es konkrete und farbige Vorstellungen<br />
für die Praxis dieser Anwälte: Heute wollen<br />
die einen als gerissene Anwälte Graciano<br />
Rocchigiani „raushauen“ und die andern, diskret<br />
aber wirkungsvoll, das „geschätzte Alter“ von<br />
Stefanie von Monaco „richtig stellen“.<br />
Die Realität sieht anders aus. Kinderträume<br />
sind längst entzaubert: Von Tierärzten weiß man<br />
inzwischen, dass sie teures, mit Antibiotika angereichertes,<br />
semilegales Futtermittel in Schweinetröge<br />
schütten und deswegen selbst längst Vegetarier<br />
geworden sind, Vegetarier aus Vernunft<br />
und nicht aus Liebe zum Tier. Und dass schon in<br />
der Kreisliga kein Blumentopf mehr zu holen ist,<br />
wenn man sich mit sechzehn Jahren einen<br />
Außenbandriss zugezogen hat, ist auch nicht neu.<br />
Dass auch in Medienkanzleien die eine oder<br />
andere Desillusion auf uns wartet, wissen wir,<br />
seitdem klar ist, in welchem Punktebereich Anwälte<br />
in dieser Branche eingestellt werden –<br />
wenn überhaupt Jobs zu vergeben sind. Die<br />
Frage nach dem Traumberuf, oder nennen wir es<br />
einfach die Frage nach dem Berufswunsch, ist ein<br />
rein individuelles Problem. Und jetzt, kurz vor,<br />
kurz nach oder während der Referendarszeit wird<br />
sie noch mal richtig wichtig. Am Ende einer langen<br />
Ausbildung könnte man die letzten Weichen<br />
stellen. Danach gibt es wahrscheinlich dreißig<br />
Jahre lang nur noch eine Karriereleiter und die<br />
kennt nur ein Hoch oder Runter. Ein Rechts oder<br />
Links gibt es dann nicht mehr. Traumberufe ändern<br />
sich und verblassen. Die Altvordern haben<br />
es uns oft genug prophezeit: Irgendwann finden<br />
wir uns hinter einem beliebigen Schreibtisch zwischen<br />
Aktenbergen wieder und wundern uns, wie<br />
wir dahingekommen sind.<br />
Aber das muss nicht so sein. Der Rat, die<br />
Kindheitsträume nicht aus den Augen zu verlieren,<br />
ist da schon besser. Mit dem Älterwerden<br />
haben wir gelernt, dass das Gefühl des Torschützen<br />
sich nur wenig von dem Gefühl unterscheidet,<br />
das sich bei jedem außerordentlichen Erfolg<br />
einstellt. Es kommt uns eben nicht unbedingt<br />
darauf an, Lassie zu helfen, sondern wir wollen<br />
Verantwortung übernehmen.<br />
Und diejenigen, die sich nun mit einem gemurmelten<br />
Jetzt-erst-recht! in die Medienbranche<br />
stürzen wollen, weil ihnen<br />
der eine oder andere Traum<br />
wichtig ist, für diejenigen ist<br />
diese Ausgabe von justament<br />
gemacht. Viel Spaß beim Lesen.<br />
Jörg-Ulrich Weidhas<br />
Leitender Redakteur<br />
4<br />
justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
Die endgültige Teilung Deutschlands<br />
Nur wenige Redaktionen trauen sich, einen FDP-Kreisvorsitzenden vor<br />
einem Plakat „Deutsche wehrt Euch – wählt FDP“ zu fotografieren. Die<br />
Redaktion des Titanic-Magazins hat da keine Hemmungen. Wir<br />
waren neugierig auf die Rechtsanwältin, die der Titanic-<br />
Redaktion aus brenzligen Situationen heraushilft.<br />
Christian Frenzel<br />
ie Hände des Anrufers zittern auf den<br />
DTasten des Telefons. Ein Anruf in der<br />
Redaktion der Satirezeitschrift „Titanic“,<br />
die wirklich an nichts und niemandem ein<br />
gutes Haar lässt – Zitat: „die endgültige<br />
Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag“<br />
– und dann auch noch für eine<br />
Zeitschrift, die sich an junge Juristen<br />
richtet. „Junge Juristen“ – das klingt<br />
doch wie „Junge Liberale“ oder wie „Junge<br />
Burschenschafter“! Würde der Angerufene<br />
ein Band mitlaufen<br />
lassen und den<br />
Anrufer vor Millionen,<br />
wenn nicht Milliarden<br />
von Lesern in die Einzelteile<br />
zerlegen? Würde man sich für Möllemann<br />
rechtfertigen müssen? Oder für die<br />
Tatsache, dass alle Jurastudenten Seidentücher<br />
tragen?<br />
Die Stimme des Chefredakteurs Martin<br />
Sonneborn am anderen Ende der Leitung<br />
ist dann doch erstaunlich freundlich. Von<br />
Aggressivität keine Spur. Die Nummer der<br />
Rechtsberaterin ist schnell erfragt, man<br />
bedankt und verabschiedet sich erleichtert<br />
– und doch auch mit einer Spur Enttäuschung.<br />
Das war also der Mann, der<br />
einen Bestechungsskandal bei der WM-<br />
Vergabe provoziert hat? Der Mann, der<br />
einen FDP-Kreisvorsitzenden dazu brachte,<br />
sich vor Plakaten mit Slogans wie<br />
„FDP – judenfrei und Spaß dabei“ oder<br />
„Deutsche wehrt Euch – wählt FDP“ fotografieren<br />
zu lassen?<br />
Das Problem der Satire<br />
„Man muss diese Art der Satire mögen<br />
und verstehen“, sagt Rechtsanwältin Gabriele<br />
Rittig, seit über 20 Jahren Rechtsberaterin<br />
der Titanic, „sonst kann man sie<br />
weder erklären noch vertreten.“ Die Frau<br />
kann einem Leid tun. Der durchschnittliche<br />
Titanic -Leser muss nur im<br />
eigenen Freundeskreis erklären, dass er<br />
über die Ossiwitze in seiner Lieblingszeitschrift<br />
nicht deswegen lacht, weil er keine<br />
Ostdeutschen mag, sondern weil sie (die<br />
Witze, nicht die Ossis) einfach komisch<br />
IMan muss diese Art der<br />
Satire mögen und verstehen<br />
sonst kann man sie weder<br />
erklären noch vertreten.<br />
sind. Frau Rittig muss dem Bundesverfassungsgericht<br />
erklären, warum die Titanic<br />
einen Querschnittsgelähmten, der unbedingt<br />
eine Reserveübung bei der Bundeswehr<br />
machen möchte, als Krüppel bezeichnen<br />
dürfen muss (BVerfGE 86,1 –<br />
warum Frau Rittig dieses Urteil besonders<br />
gut gefällt, wird jedem klar werden, der es<br />
liest, was hiermit nachdrücklich empfohlen<br />
wird). Und da steckt das Problem der<br />
Titanic, das Problem jeder Satire: Der Rezipient<br />
muss sie als solche<br />
verstehen. Der Titanic-Abonnent<br />
wird auch<br />
über den übelsten<br />
Scherz lachen können.<br />
Wenn andererseits der Mutter eines Titanic-Lesers<br />
zufällig ein Heft in die Hände<br />
fällt, in dem die Todesanzeige ihrer Mutter<br />
zum Gegenstand eines der legendären<br />
„Briefe an die Leser“ wird (s. März-Heft,<br />
S. 8), kann ihr wahrscheinlich auch der<br />
geübtere Zyniker das Recht auf Klage<br />
nicht absprechen. Überraschender ist da<br />
schon, dass auch Vertreter unserer, der<br />
jüngeren Generation, und zwar solche,<br />
die sich gern über Humorversager wie<br />
Franz-Josef Wagner mokieren, einen erschreckenden<br />
Mangel an Toleranz an den<br />
Tag legen. Ja, auch Benjamin von Stukkrad-Barre<br />
hat sich schon in den inzwischen<br />
recht unübersichtlichen Kreis derer<br />
eingereiht, die die Titanic zum gerichtlichen<br />
Duell aufgefordert haben. Und das<br />
nur, weil diese in eine Reklame für seine<br />
Lesereise statt seines Porträts ein Foto des<br />
Oklahoma-Bombers Timothy McVeigh<br />
montiert hatte – ein für Titanic-Verhältnisse<br />
eher harmloser Scherz. Und damit<br />
muss sich dann Frau Rittig rumschlagen.<br />
Die ist so etwas aber natürlich gewohnt,<br />
schließlich hat sie schon in den späten<br />
Siebzigern für Henning Venske gearbeitet,<br />
damals Chefredakteur von „Pardon“<br />
und der erste, der ein juristisches Problem<br />
mit einer Werbeparodie hatte – von den<br />
<strong>Justament</strong>-Lesern wird sich wohl keiner<br />
an den Slogan „Ich trinke Jägermeister,<br />
weil mein Dealer im Knast ist“ erinnern.<br />
In dieser Zeit lernte Frau Rittig auch spätere<br />
Titanic-Stars wie Robert Gernhardt<br />
kennen und sie begann mit ihrer bis<br />
heute unvollendeten Doktorarbeit über<br />
Satire und Justiz.<br />
Immer auf der Höhe der Zeit<br />
Heutzutage kommt es schon mal zu Meinungsverschiedenheiten<br />
mit den Machern<br />
des Blattes, die aus dem Generationenkonflikt<br />
entstehen und aus dem daraus resultierenden<br />
unterschiedlichen Verständnis von<br />
Politik. Trotzdem wird zumeist auf sie gehört,<br />
wenn sie im Vorfeld von bestimmten<br />
Formulierungen abrät oder besonders krasse<br />
Verunglimpfungen verhindert. Das ist<br />
gut für Frau Rittig und gut für Titanic, die<br />
bei jeder Unterlassungsverfügung aufs<br />
Neue in ihrer Existenz bedroht ist – und es<br />
ist schade für den juristisch interessierten<br />
Leser, der erstens um eine im Zweifel lustige<br />
Satire gebracht wird, und zweitens um die<br />
richterliche Klärung interessanter juristischer<br />
Probleme. Denn Satire hat es an sich,<br />
dass sie sich immer auf der Höhe der Zeit<br />
befindet, darin, welche Themen behandelt<br />
werden, und vor allem in der Art, wie sie behandelt<br />
werden. Hier entsteht ein interessantes<br />
Spannungsfeld zu der den Gerichten<br />
anhaftenden Trägheit in der Verarbeitung<br />
und Inkorporierung außerjuristischer Disziplinen,<br />
nachzuverfolgen an der Diskussion<br />
um den Kunstbegriff. Die Richter haben mit<br />
dem politischen Druck zu kämpfen, der –<br />
meist unbewusst – auf sie ausgeübt wird.<br />
Außerdem stimmen die neuen Formen der<br />
Satire mit ihren althergebrachten Definitionen<br />
nicht mehr überein, weshalb es ihnen<br />
schwer fällt, Satire als solche zu identifizieren.<br />
Das führt teilweise zu krassen Fehlentscheidungen,<br />
zumindest aus der Sicht von<br />
Frau Rittig. Die Richter scheuten sich zum<br />
Beispiel davor, den Verantwortlichen für<br />
einen Beitrag freizusprechen, in dem Bischof<br />
Dyba auf der rein wörtlichen Ebene<br />
als Kinderschänder bezeichnet wurde (der<br />
eigentliche Inhalt des Textes war weit komplexer).<br />
Grund für die Entscheidung war sicherlich<br />
auch der politische Druck.<br />
6<br />
justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
Foto: Thomas Hintner<br />
Die „JuLis“ alias Titanic-Redaktion luden<br />
Klaus Schneider (FDP), 3.v.l.,<br />
zum Händeschütteln nach Eisenach.<br />
Was darf man montieren?<br />
Als Björn Engholm die Titanic verklagte,<br />
weil er auf dem <strong>Titel</strong> in die Barschel-Badewanne<br />
verlegt worden war, unterlag er<br />
zunächst. Als Reaktion auf seine Klage<br />
montierte die Titanic ihn im nächsten<br />
Heft in viele andere bekannte<br />
Fotos (aus dem<br />
Vietnamkrieg, der Zeit<br />
des Nationalsozialismus,<br />
etc.), womit ganz offensichtlich<br />
weder gemeint war, er sei ein<br />
Kriegsverbrecher noch ein Nazi, sondern<br />
nur die Frage problematisiert werden sollte,<br />
was man denn nun montieren darf und<br />
was nicht (Landgericht Hamburg, Urteil<br />
vom 26. Dezember 1993 – 324 O 511/93).<br />
Hierfür wurde die Titanic verurteilt, was<br />
Frau Rittig für eine klare Fehlentscheidung<br />
hält und ihrer Meinung nach auch<br />
mit dem Ansehen zusammenhing, das<br />
IMan muss sich frei machen von<br />
der Vorstellung, einem guten<br />
Menschen könne man solche<br />
Bilder nicht zumuten?<br />
Engholm in Hamburg genoss. Sie betont<br />
aber, dass sie nicht glaubt, dass Richter<br />
absichtlich zugunsten eines Politikers entscheiden,<br />
sondern nur, dass auch ein<br />
Richter sich möglicherweise nicht freimachen<br />
kann von der bewussten oder unbewussten<br />
Vorstellung,<br />
einem guten Menschen<br />
könne man<br />
solch schändliche Bilder<br />
nicht zumuten.<br />
Dieses Denken sei verständlich, juristisch<br />
aber völlig falsch. Die Arbeit für Titanic<br />
würde Frau Rittig allerdings kaum ernähren.<br />
Diese macht nur fünf bis zehn Prozent<br />
ihrer Arbeit aus. In der Frankfurter Bürogemeinschaft,<br />
der sie angehört, betätigt sie<br />
sich hauptsächlich als Strafverteidigerin<br />
und im Presserecht. Beneiden darf man sie<br />
trotzdem darum, dass sie sich auf beruflicher<br />
Ebene mit einem gesellschaftlichen<br />
Phänomen beschäftigt, dass die Lektüre<br />
der Titanic über das reine Amüsement hinaus<br />
faszinierend macht. Offensichtlich ist<br />
Deutschland in zwei Lager gespalten, die<br />
einander wie fremde Wesen gegenüber<br />
stehen: Die Titanic-Leser und die braven<br />
Bürger, die unter Satire höchstens noch die<br />
schnarchigen Plattitüden eines Dieter Hildebrandt<br />
verstehen. Verwiesen sei hier nur<br />
auf die wüsten Beschimpfungen, die sich<br />
die Titanic-Redaktion von Bild-Lesern<br />
nach dem Bestechungsskandal im Zuge<br />
der WM-Vergabe anhören musste, abrufbar<br />
unter www.titanic-magazin.de. Berührungspunkte<br />
zwischen diesen Gruppen ergeben<br />
sich sonst eigentlich nur, wenn Frau<br />
Rittig dabei ist, nämlich vor Gericht. Die<br />
endgültige Teilung Deutschlands: Sie ist<br />
längst vollzogen.<br />
www.titanic-magazin.de<br />
justament drei 2002<br />
7
<strong>Titel</strong><br />
Viele Wege führen zum Film<br />
Gerade auch für Juristen – Ein Berliner Referendar berichtet aus der Szene<br />
Anselm Grün<br />
Das Team vom Filmkollektiv Berlin<br />
Patrick Knippel, Steffen Reuter und Thilo Krastel (v.l.nr.)<br />
uch wenn Berlin heute hart kämpfen<br />
Amuss, um an den Ruhm vergangener<br />
Tage anzuknüpfen, so hat sich hier doch<br />
in den letzten Jahren eine Szene von jungen<br />
Filmemachern etabliert, die als Keimzelle<br />
für eine neue Filmkultur gelten<br />
könnte. Entsprechend wächst der Bedarf<br />
an juristischen Beratern, die das komplexe<br />
Projekt eines Spielfilms rechtlich begleiten.<br />
Wer sich hier als Referendar in die Materie<br />
einarbeitet, wird stets willkommen sein –<br />
auch und gerade weil die „Neuen“ in der<br />
Szene noch mehr Ideen und Ambitionen<br />
haben als Geld für teure Anwälte.<br />
Einer dieser filmischen Newcomer ist<br />
die junge Firma „Filmkollektiv“. Erst vor<br />
anderthalb Jahren aus einem lockeren<br />
Netzwerk junger Filmschaffender entstanden,<br />
hat sich das Unternehmen heute auf<br />
die beiden Standbeine Werbung und Kinofilm<br />
spezialisiert. Derzeit bereiten die drei<br />
Unternehmensgründer Patrick Knippel,<br />
Thilo Krastel und Steffen Reuter die Dreharbeiten<br />
für ihren neuen Thriller „Devot“<br />
vor, die im Sommer in Halle mit Annett<br />
Renneberg in der Hauptrolle beginnen sollen.<br />
Das Vertragsnetzwerk, als das sich das<br />
Gebilde „Spielfilm“ juristisch gesehen darstellt,<br />
wird von den drei Produzenten derzeit<br />
noch selber gemanagt. Dabei bedienen<br />
sie sich vorwiegend vorformulierter<br />
Musterverträge. Doch Vorsicht: Die Produktion<br />
eines Spielfilms ist ein hochkomplexes<br />
Vertragsgeflecht mit vielen Fallen<br />
und Stricken. Wer hier mit juristischem<br />
Sachverstand helfen will, muss wissen, wie<br />
aus einer anfängliche Idee überhaupt ein<br />
leinwandtauglicher Streifen entsteht.<br />
Die Stoffentwicklung<br />
Am Anfang steht die Phase der Stoffentwicklung.<br />
Der Produzent entwickelt gemeinsam<br />
mit den Autoren das filmreife<br />
Drehbuch. Vertraglich kommt es hier darauf<br />
an, sich entweder die Verfilmungsrechte<br />
an einem bereits bestehenden Roman<br />
oder aber an dem zu schreibenden Drehbuch<br />
zu sichern. Wenn der Produzent<br />
noch nicht sicher ist, ob er den Stoff wirklich<br />
verfilmen möchte, wird er in zunächst<br />
nur vorläufig mittels eines Optionsvertrages<br />
sichern: Danach hat er für einen begrenzten<br />
Zeitraum das exklusive Recht des<br />
Zugriffs auf den begehrten Stoff. Der Vertragsjurist<br />
muss in dieser Phase Erfahrung<br />
im Umgang mit den Gestaltungsmöglichkeiten<br />
und Risiken von Optionen sowie der<br />
Persönlichkeit und den Ängsten von Autoren<br />
haben. Die bloße Übernahme eines<br />
Formulars reicht nicht mehr aus.<br />
Das „Packaging“:<br />
die Projektentwicklung<br />
In der zweiten Phase folgt das sog. Packaging.<br />
Für den Juristen ist dies die intensivste<br />
Station, weil vertraglich die Grundlage<br />
für das gesamte weitere Gedeihen des<br />
Films gelegt wird. Der Produzent schnürt<br />
sein „Paket“: Er verpflichtet (spätestens<br />
jetzt) den Regisseur, die Schauspieler, das<br />
gesamte kreative und technische Team.<br />
Um den Film uneingeschränkt verwerten<br />
zu können, muss sich der Produzent die<br />
Nutzungsbefugnis an allen Urheber- und<br />
Leistungschutzrechten der Mitwirkenden<br />
im Voraus übertragen lassen.<br />
Schon vorher wird die Finanzierung<br />
des Films geplant. Traditionell erfolgt dies<br />
in Deutschland durch die Dreiteilung Eigenkapital,<br />
öffentliche Förderung und<br />
Vorabverkauf der Rechte bzw. Minimumgarantien<br />
von Verleihern (sogenannte Lizenzen).<br />
Lizenzen werden dabei in dreifacher<br />
Hinsicht eingeräumt: Zeitlich (z.B.<br />
sieben Jahre bzw. drei TV- Wiederholungen),<br />
räumlich (z.B. Deutschland oder<br />
deutschsprachiges Europa) und sächlichmedial<br />
(z.B. free-TV-Rechte oder Filmtheater).<br />
Durch diese Differenzierung kann<br />
der Film parallel mehrfach ausgewertet<br />
werden. Was sich zunächst simpel anhört,<br />
wächst in der Praxis nicht selten zu umfangreichen,<br />
ausgefeilten Vertragswerken<br />
mit branchentypischen Eigenheiten. So<br />
werden teilweise sog. Elevator-Verträge<br />
ausgehandelt, wonach sich der Preis der<br />
Lizenz erhöht, wenn in den Kinos eine bestimmte<br />
Zuschauergrenze überschritten<br />
wird. Bei den jungen Filmemachern wird<br />
auch in dieser Phase versucht, einfache<br />
Strukturen einzuhalten. Der Referendar,<br />
der hier von Anfang an mit einem „Gründerteam“<br />
zusammenarbeitet, wird gemeinsam<br />
mit seinen künstlerischen Kollegen<br />
den erforderlichen Reifeprozess durchmachen.<br />
Häufig werden in der Finanzierungsphase<br />
zudem Co-Produzenten mit ins<br />
Boot geholt, die sich entweder auf eine<br />
reine Finanzierung beschränken oder aber<br />
auch an der Produktion selber teilnehmen.<br />
In Deutschland ist die Zusammenarbeit<br />
mit einem Fernsehsender weitverbreitet.<br />
„Preproduction“:<br />
Die Drehvorbereitung<br />
Als nächste Phase folgt die Drehvorbereitung<br />
(sog. Preproduction). Es werden Kostüme<br />
genäht, die Ausstattung wird gebaut,<br />
das Equipment gemietet. Während<br />
die Arbeit der einzelnen Filmschaffenden<br />
jetzt emsiger und aufgeregter wird, flacht<br />
die juristische Spannungskurve ab. Es<br />
müssen Drehgenehmigungen für die<br />
Außendrehs eingeholt werden. Dies stellt<br />
keine wirkliche Herausforderung mehr für<br />
dar: Zwar ist ein Außendreh eine minutiös<br />
regulierte Angelegenheit, bei der zu<br />
Zwecken der Gefahrenabwehr und des Arbeitsschutzes<br />
fast schon jede Handbewegung<br />
vorgeschrieben ist, doch hat das<br />
Land Berlin diverse Filmbeauftragte, die<br />
(gegen saftige Gebühr) die Voraussetzungen<br />
der Drehgenehmigung überwachen.<br />
Dreh und Endfertigung<br />
Der anschließende Dreh selber und die Postproduktion<br />
(Schnitt, Nachbearbeitung, etc.)<br />
kommt weitgehend ohne die Arbeit des Juristen<br />
aus. Soweit nicht bereits in der Finanzierungsphase<br />
geschehen, wird der fertige<br />
Film dann zeitlich/räumlich/medial aufgesplittet<br />
und veräußert. Die inländischen<br />
Theaterrechte gehen dabei an den Verleih,<br />
der den Film auf eigene Kosten in die Kinos<br />
bringt, insbesondere auch die Werbung finanziert.<br />
Die ausländischen Theater- und<br />
Videorechte werden oft auch im Paket an<br />
einen sog. Weltvertrieb verkauft, der ihn im<br />
Ausland auswertet. Film ab!<br />
8<br />
justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
Eigenwillige Branche<br />
Ein Rechtsanwalt, der für die Medien tätig ist, in erster Linie ein Rechtsanwalt wie jeder<br />
andere auch. Das bedeutet: er sitzt am Schreibtisch, erstellt Schriftsätze und telephoniert.<br />
Erst in zweiter Linie werden die Besonderheiten der Branche relevant.<br />
Martin Franz<br />
Medienrecht und praktische<br />
Tätigkeit des Medienanwalts<br />
„Medienrecht“ ist kein Rechtsgebiet, dass<br />
sich über eine begrenzte Anzahl von Gesetzen<br />
definieren könnte wie etwa das Zivilprozessrecht,<br />
das sich im wesentlichen<br />
mit der ZPO beschäftigt. Unser Rechtsgebiet<br />
definiert sich über die Branchen, für<br />
die wir tätig werden, und die für deren<br />
Problemstellungen. Unsere Mandanten<br />
sind Unternehmen aus den Bereichen der<br />
Filmproduktion, des Filmverleihs, des öffentlichen<br />
und privaten Rundfunks, des<br />
Verlagswesens, der Telekommunikation,<br />
des Internets und der Softwareherstellung.<br />
Privatleute finden sich nur unter unseren<br />
Mandanten, wenn ein spezielles urheberoder<br />
medienrechtliches Problem vorliegt.<br />
Die Tätigkeiten dieser Branchen werden<br />
von ganz unterschiedlichen Vorschriften<br />
geregelt, die teilweise weitab von den<br />
Inhalten der Ausbildung an der Universität<br />
und im Referendariat liegen. So wird man<br />
noch relativ leicht darauf kommen, dass<br />
ein Filmproduktionsvertrag grundsätzlich<br />
aus einer Verbindung von Werkvertragsund<br />
Urheberrecht (BGB und UrhG) besteht.<br />
Ein Application Service Providing (ASP)-<br />
Vertrag bezüglich einer für Dritte zugänglichen<br />
Datenbank zur Buchung von Models<br />
wird sich in erster Linie mit Dienstvertrags-<br />
und Lizenzrecht befassen (ebenfalls<br />
BGB und UrhG). Aber man würde dem<br />
Mandanten einen Bärendienst erweisen,<br />
wenn man nur BGB und UrhG beachten<br />
würde, die allerdings gelegentlich kompliziert<br />
genug sein können.<br />
Filmfinanzierung<br />
Die Tätigkeit der gesamten Filmbranche ist<br />
durch den Kampf um Fördermittel geprägt.<br />
Statistisch gesehen kommt allein<br />
mit den Kassenerlösen kaum ein deutscher<br />
Film in die Gewinnzone. Daher wird einerseits<br />
das Risiko durch die Verteilung auf<br />
verschiedene Investoren gestreut. Zweitens<br />
versuchen die Beteiligten primär, über die<br />
Fördermittel das Risiko zu minimieren. Die<br />
Vergabe von Fördermitteln ist aber zwischen<br />
EU, Bund, Ländern und auch Privaten<br />
in zahlreichen Institutionen zersplittert,<br />
die Vorschriften für die einzelnen Förderungsarten<br />
sind außerordentlich kompliziert.<br />
Die einschlägigen Gesetze, Verordnung<br />
und Richtlinien (z. B. Filmförderungsrichtlinien<br />
des Beauftragten für die<br />
Angelegenheiten der Kultur und der Medien,<br />
Filmförderungsgesetz (FFG), die<br />
Richtlinien der Filmförderungsanstalt<br />
(FFA), die Richtlinien für die bayrische<br />
Film- und Fernsehförderung, die Förderungsrichtlinien<br />
der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen<br />
etc.) zielen primär auf die<br />
Subventionierung der Filmindustrie im jeweils<br />
eigenen Gebiet, so dass hier Konfliktstoff<br />
liegt. Der Medienanwalt muss sich<br />
klar sein, dass am Verhandlungstisch nicht<br />
nur Produzent, Koproduzenten und Filmverleiher<br />
sitzen, sondern indirekt auch<br />
sämtliche Filmförderungsinstitutionen, auf<br />
deren Belange Rücksicht zu nehmen ist. Es<br />
muss im Vertrag gegebenenfalls genau geregelt<br />
werden, wo welcher Beitrag zu dem<br />
Filmwerk erbracht wird. Der Standort des<br />
Kopierwerks und die Nationalität des dritten<br />
Kabelträgers können dabei genauso relevant<br />
werden wie der Ort der Premierenfeier.<br />
Rückflussplan<br />
Ebenso wichtig ist die Beteiligung an den<br />
Erlösen. Es muss ein sogenannter „Rückflussplan“<br />
erstellt werden, der deutlich<br />
macht, wer bei welcher Zuschauerzahl<br />
welchen Erlös erhält. Dabei wird praktisch<br />
nie einfach eine prozentuale Aufteilung<br />
gewählt, sondern nach verschiedenen<br />
„Rängen“ unterschieden. Bei mehr als drei<br />
Beteiligten wird der Rückflussplan so kompliziert,<br />
dass ohne Computerunterstützung<br />
nichts mehr geht. Der Rechtsanwalt<br />
wird hier schnell zum Excel-Spezialisten,<br />
denn der Rückflussplan ist das Herzstück<br />
der Vertragsverhandlungen. Zur weiteren<br />
Komplizierung sehen die Filmförderungsinstitutionen<br />
genaue Regelungen für die<br />
Maximalsätze der Erlösbeteiligung von<br />
privaten Investoren vor, damit sie selbst bei<br />
der Rückführung nicht leer ausgehen. Es<br />
bleibt meist nur der Ausweg, sich auf die<br />
wenigen bewährten Muster zu verlassen<br />
und ansonsten den direkten Kontakt mit<br />
den Förderinstitutionen zu suchen. Man<br />
muss dann teilweise zwischen acht<br />
und mehr Beteiligten eine Einigung herbeiführen.<br />
Zum Abschluss der Beschreibung<br />
des Rechtsgebiets stelle ich noch<br />
mein derzeitiges Lieblingsproblem aus<br />
dem Lizenzrecht zur Diskussion: Ein Filmrechtehändler<br />
verkauft an einen Filmverwerter<br />
bestimmte Rechte, liefert aber<br />
noch kein Material. Der Vertrag enthält<br />
für den Insolvenzfall eine Kündigungsklausel.<br />
Der Filmverwerter verkauft die<br />
Rechte weiter an ein Tochterunternehmen.<br />
Vor Lieferung des Materials meldet<br />
der Filmverwerter Insolvenz an (Parallelen<br />
in der Wirklichkeit sind rein zufällig). Der<br />
Filmverwerter hat nur eine Anzahlung geleistet,<br />
der Rest wird bei Lieferung des<br />
Materials fällig. Die Fragen sind nun: Ist<br />
die Insolvenzklausel gültig? Kann der<br />
Filmrechtehändler aus anderen Gründen<br />
kündigen und wenn ja, unter welchen<br />
Voraussetzungen? Fallen die Rechte bei<br />
Kündigung automatisch an den Filmrechtehändler<br />
zurück oder besteht nur eine<br />
Verpflichtung auf Rückübertragung? Und<br />
welche Auswirkungen bestünden jeweils<br />
für die Rechtsposition des Tochterunternehmens?<br />
Und schließlich: Behält am<br />
Ende der Filmrechthändler das Filmmaterial<br />
und der Filmverwerter die Filmrechte?<br />
Man sollte schon den Willen haben, sich<br />
10<br />
justament drei 2002<br />
Grafik: David Fuchs
<strong>Titel</strong><br />
mit solchen Grundlagenfragen auseinander<br />
zu setzen, wenn man sich für das Medienrecht<br />
entscheidet. Und merke: Die Lösung<br />
all dieser Fragen gibt noch keine<br />
Antwort darauf, wie man als Rechtsanwalt<br />
konkret vorgeht. Dabei sind zusätzlich<br />
taktische Erwägungen zu berücksichtigen.<br />
Die Mandanten<br />
Mein Gebiet in der Kanzlei ist vor allem<br />
das IT- und Filmrecht. Die Mandanten dieser<br />
beiden Branchen unterscheiden sich erwartungsgemäß<br />
stark:<br />
Im IT-Bereich liegt die Schwierigkeit vor<br />
allem in der unterschiedlichen Sprache, die<br />
Informatiker und Juristen normalerweise<br />
sprechen. Häufig werden die technischen<br />
Spezifikationen aus den Verträgen ausgelagert,<br />
so dass sie den Rechtsanwalt nicht<br />
unmittelbar betreffen. Die technischen<br />
Grundlage müssen dem Juristen allerdings<br />
klar sein. Zum Beispiel muss der Anwalt<br />
bei ASP-Vertrag zur Regelung der Haftungsfragen<br />
die technischen Aufgaben der<br />
einzelnen Beteiligten genau kennen.<br />
Sehr eigenwillig ist die Filmbranche.<br />
Ohne den Mandanten aus der Filmindustrie<br />
Unrecht tun zu wollen, lässt sich<br />
durchaus sagen, dass hier Verträge häufig<br />
eher als lockere Richtlinien denn als feste<br />
Verbindlichkeiten betrachtet werden. Das<br />
hat aber seinen Grund zum Großteil im<br />
geregelten Sachverhalt selbst. Der Film ist<br />
mit Abstand die organisatorisch komplexeste<br />
Kunstform. Es gibt das Bonmot,<br />
dass man zum Schreiben eines Buches Papier<br />
und Bleistift braucht, zum Malen<br />
eines Bildes einen Pinsel und zur Produktion<br />
eines Films eine Armee. Dies trifft den<br />
organisatorischen und finanziellen Aufwand<br />
recht gut. Aufgrund der Vielzahl der<br />
Beteiligten und der Komplexität einer<br />
Filmproduktion ist die reibungslose<br />
Durchführung der Produktion eher die<br />
Ausnahme. Der Vertrag darf keine<br />
Zwangsjacke sein, die das Projekt bei der<br />
ersten unvorhergesehenen Schwierigkeit<br />
zum Scheitern bringt. Der Rechtsanwalt<br />
kann hier nicht bei der kleinsten Vertragsverletzung<br />
Klage erheben, schon gar nicht<br />
während der laufenden Produktion. Häufig<br />
wird gerade dies vertraglich untersagt.<br />
Wegen der hohen Wahrscheinlichkeit von<br />
Reibereien bei der Vertragsdurchführung<br />
ist es besonders wichtig, ein Klima des<br />
Vertrauens aufrechtzuerhalten, das für die<br />
Lösung von Schwierigkeiten häufig wichtiger<br />
ist als die Rechtslage. Der Rechtsanwalt<br />
benötigt viel Augemaß, um einerseits<br />
die Produktion nicht platzen zu lassen,<br />
andererseits aber nichtsdestotrotz die<br />
Interessen seines Mandanten zu wahren.<br />
Man darf schließlich auch nicht vergessen,<br />
dass man es häufig mit Leuten zu tun<br />
hat, die sich primär als Künstler sehen. Das<br />
bedeutet, dass sie häufig zu Entscheidungen<br />
neigen, die aus ihrer künstlerischen<br />
Perspektive quasi zwingend erscheinen,<br />
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />
aber schlicht irrational sind. Die Überschreitung<br />
von Budgets ist da noch der<br />
voraussehbarste Fall. Gut lässt sich auch<br />
die Verzweiflung von Miramax über die<br />
Weigerung von Martin Scorsese verstehen,<br />
seine „Gangs of New York“ auf unter vier<br />
Stunden zu kürzen. Eine tödlicher Fehler<br />
ist es auf jeden Fall, den künstlerischen<br />
Ehrgeiz eines Beteiligten zu verletzen. In<br />
diesem Fall kann ein unsinniger Rechtsstreit<br />
unausweichlich sein, bei dem<br />
schließlich alle Beteiligten mit leeren Händen<br />
dastehen. Hier wird der Anwalt häufig<br />
zum Schlichter oder gar zum Psychiater.<br />
Die Besonderheiten der Tätigkeit<br />
als Medienanwalt<br />
Schon oben wurde erläutert, dass aufgrund<br />
der Schwierigkeiten bei der Durchführung<br />
von Filmproduktionen das Vertrauensverhältnis<br />
in der Branche eine wohl<br />
noch größere Rolle spielt als im übrigen<br />
Geschäftsverkehr. Wenn man sich auf ein<br />
Unternehmen einlässt, dass trotz aller<br />
möglichen und nötigen Kalkulation nicht<br />
vollständig im voraus zu überblicken ist,<br />
muss man sich in schwierigen Situationen<br />
auf die Partner verlassen können. Dies gilt<br />
ganz besonders für das Verhältnis Anwalt<br />
und Mandant. Kurze Reaktionszeiten und<br />
eine persönliche Betreuung stehen an erster<br />
Stelle. Dies gilt nicht nur für die Filmproduktion,<br />
sondern für den gesamten<br />
Medienbereich. Dazu kommt die Bereitschaft,<br />
sich auf unkonventionelle Charaktere<br />
einlassen zu wollen. Der nur streng<br />
logisch denkende Karrierejurist ist dazu<br />
eher weniger geeignet. Viele Mitarbeiter<br />
unserer Kanzlei haben daher nicht den<br />
ganz geraden Weg zum Anwaltsberuf eingeschlagen.<br />
Man sollte künstlerisch geprägte<br />
Leute nicht nur tolerieren, sondern<br />
am besten mögen. Der Mandant sollte<br />
sich nicht nur rein rechtlich und wirtschaftlich,<br />
sondern auch emotional gut<br />
aufgehoben fühlen.<br />
Martin Franz ist<br />
Mitarbeiter des<br />
Max-Planck-Instituts für<br />
internationales Patent-,<br />
Urheber und Wettbewerbsrecht<br />
in München und<br />
Mitarbeiter der Kanzlei<br />
Lausen Rechtsanwälte.<br />
Für den Medienanwalt bestehen in der<br />
Regel auch weitergehende Möglichkeiten,<br />
auf das operative Geschäft Einfluss zu<br />
nehmen. Man hat es häufig nicht wie in<br />
anderen Branchen mit rechtlich gut vorgebildeten<br />
Kaufleuten zu tun, die den Anwalt<br />
lediglich für die Feinheiten der Vertragsgestaltung<br />
oder das Gerichtsverfahren<br />
benötigen. Der Mandant hat in unsere<br />
Branche häufig eher eine Idee, deren praktische<br />
Ausgestaltung noch sehr offen ist.<br />
Wir versuchen daher, zum Beispiel im<br />
Filmbereich eine umfassende Beratung anzubieten,<br />
die Projektplanung, Verhandlung<br />
mit Dritten, Budgetplanung, Erstellung<br />
des Rückflussplans, Vertragsgestaltung,<br />
Kontrolle der Produktion und<br />
Überwachung der Verwertung umfasst.<br />
Etwas weniger originell ist, dass auch<br />
in der Medienbranche gute Noten, sicheres<br />
Englisch und am besten noch mindestens<br />
eine andere Fremdsprache Grundvoraussetzungen<br />
sind.<br />
Fazit: Die Medienbranche ist sicher<br />
häufig etwas chaotischer als beispielsweise<br />
die Autoindustrie. Ich persönlich finde sie<br />
allerdings auch wesentlich interessanter.<br />
justament drei 2002 11
<strong>Titel</strong><br />
Die Grenzen der Wahrheit<br />
Das Grundgesetz schützt die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit. Aber Äußerungen<br />
und Presseberichte können verletzen. Wer sich gegen beeinträchtigende Berichterstattung<br />
wehrt, kann sich seinerseits auf die Verfassung berufen.<br />
Dr. Georg Seyfarth<br />
m Januar 1969 wurden bei einem Über-<br />
auf ein Munitionsdepot der Bundes-<br />
Ifall<br />
wehr in Lebach vier Soldaten brutal getötet,<br />
ein weiterer wurde schwer verletzt. Die<br />
Tat war von drei Jugendlichen begangen<br />
worden. Die Täter wurden rasch gefaßt<br />
und verurteilt. Der Fall erregte seinerzeit<br />
bundesweit großes Aufsehen. Das ZDF<br />
produzierte Anfang 1972 ein Dokumentar-Fernsehspiel<br />
über den “Lebach-Mord”,<br />
in dem die drei Täter im Bild gezeigt und<br />
wiederholt namentlich genannt wurden.<br />
Gegen die Ausstrahlung setzte sich damals<br />
ein Tatbeteiligter, der kurz vor der Haftentlassung<br />
stand, mit einer Unterlassungsklage<br />
zur Wehr. Nachdem er mit seinem<br />
Unterlassungsbegehren zunächst vor den<br />
Zivilgerichten gescheitert war, untersagte<br />
das Bundesverfassungsgericht 1973 in der<br />
berühmten Lebach-Entscheidung dem<br />
ZDF die Ausstrahlung des Fernsehspiels<br />
(BVerfGE 35, 202).<br />
Meinungs- und Medienfreiheiten<br />
Das Lebach-Urteil ist Generationen von<br />
Jurastudenten als Schulfall der widerstreitenden<br />
verfassungsrechtlichen Schutzgüter<br />
der Meinungs- und Medienfreiheit einerseits<br />
und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
andererseits bekannt. In der Tat<br />
konnte sich das ZDF damals mit guten<br />
Gründen auf die Verfassung berufen:<br />
Art. 5 I GG garantiert jedem das Recht,<br />
seine Meinung in Wort, Schrift und Bild<br />
frei zu äußern und zu verbreiten. Er gewährleistet<br />
überdies die Pressefreiheit und<br />
die Freiheit der Berichterstattung durch<br />
Rundfunk und Film (Medienfreiheiten).<br />
Die Meinungsfreiheit ebenso wie die<br />
Medienfreiheiten sind für eine freiheitliche<br />
Grundordnung schlechthin konstituierend.<br />
Jeder soll im Prinzip frei sagen können,<br />
was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren<br />
Gründe für sein Urteil angibt<br />
oder angeben kann. Die freiheitliche Demokratie<br />
lebt davon, daß Fragen von allgemeiner<br />
Relevanz frei und offen debattiert<br />
werden. Der unbefangene Austausch<br />
von Meinungen und gegenläufigen Positionen<br />
ist Voraussetzung individueller Entfaltung<br />
sowie demokratischer Entscheidungsfindung<br />
und Kontrolle. Das Grundrecht<br />
verbietet dem Staat deshalb, eine<br />
Äußerung inhaltlich zu bewerten. Es ist<br />
unerheblich, ob eine Äußerung wertvoll<br />
oder wertlos, richtig oder falsch, emotional<br />
oder rational begründet ist.<br />
Während die Meinungsfreiheit einzelne<br />
Äußerungen vor allem inhaltlich schützt,<br />
dienen die Medienfreiheiten der Sicherung<br />
der Aufgabe und der Funktion von Presse,<br />
Rundfunk und Fernsehen. Die Rundfunkfreiheit<br />
ist dabei im Kern Programmfreiheit.<br />
Sie gewährleistet,<br />
daß die Gestaltung<br />
des Programms<br />
Sache des Rundfunks<br />
bleibt und<br />
sich an publizistischen<br />
Kriterien ausrichten<br />
kann. Im Zentrum der grundrechtlichen<br />
Gewährleistung der Pressefreiheit<br />
steht das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt<br />
und Form eines Publikationsorgans<br />
frei zu bestimmen. Von der Eigenart oder<br />
dem Niveau des Presseerzeugnisses oder<br />
der Berichterstattung im einzelnen hängt<br />
der verfassungsrechtliche Schutz nicht ab.<br />
Die Gewährleistung beschränkt sich nicht<br />
auf politische Programme, sondern umfaßt<br />
ebenso die unterhaltenden. Deshalb konnte<br />
sich das ZDF im Lebach-Fall ebenso auf<br />
die Verfassung berufen wie etwa die Boulevardblätter,<br />
die Berichte über Caroline<br />
von Monaco oder andere Prominente veröffentlichen<br />
und bebildern.<br />
Ehrschutz und allgemeines<br />
Persönlichkeitsrecht<br />
Das Grundgesetz gewährleistet die Meinungs-<br />
und Medienfreiheiten allerdings<br />
nicht vorbehaltlos, sondern setzt ihnen<br />
durch die allgemeinen Gesetze, also etwa<br />
die strafrechtlichen Beleidigungstatbestände,<br />
und das Recht der persönlichen<br />
Ehre Schranken (Art. 5 II GG). Wer sich<br />
gegen herabsetzende, falsche oder rufschädigende<br />
Äußerungen zur Wehr setzen<br />
will, kann sich darüber hinaus in aller<br />
Regel auf das verfassungsrechtlich gewährleistete<br />
“allgemeine Persönlichkeitsrecht”<br />
berufen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
ist eine der beiden Ausprägungen<br />
des Grundrechts auf freie Entfaltung<br />
der Persönlichkeit, das in Art. 2 I GG gewährleistet<br />
wird. Im Unterschied zur allgemeinen<br />
Handlungsfreiheit, die dem Einzelnen<br />
das Recht gibt, zu tun und zu lassen,<br />
was er will, also die aktive Seite der Persönlichkeitsentfaltung<br />
zum Gegenstand<br />
hat, geht es bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />
um die Freiheit von nachteiligen<br />
Einwirkungen des Staates oder von<br />
Dritten auf die Persönlichkeit. Aufgabe des<br />
allgemeinen<br />
Persönlichkeitsrechts<br />
ist es, die<br />
engere persönliche<br />
Lebenssphäre<br />
und die<br />
Erhaltung ihrer<br />
Grundbedingungen zu gewährleisten, soweit<br />
das nicht durch spezielle Grundrechte<br />
geschieht. Seine Bedeutung kommt darin<br />
zum Ausdruck, daß die Rechtsprechung<br />
bei der Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
von Anfang an auch die<br />
Garantie der Menschenwürde (Art. 1 I GG)<br />
mitzitiert hat.<br />
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
schützt auch vor nachteiligen und ehrkränkenden<br />
Äußerungen und Medienberichten.<br />
Das gilt zum Beispiel für verfälschende und<br />
entstellende Darstellungen. Niemand muß<br />
sich nachsagen lassen, er sei Mitglied einer<br />
umstrittenen Vereinigung oder habe etwas<br />
Bestimmtes gesagt, wenn das gar nicht<br />
stimmt. Manchmal entfaltet das Grundrecht<br />
seine Schutzwirkung aber auch<br />
gegenüber wahrer Berichterstattung. Das<br />
zeigte der Lebach-Fall besonders eindrucksvoll:<br />
Das ZDF-Dokumentarspiel enthielt<br />
keine unwahren Behauptungen. Jedoch<br />
stand der Kläger, als die Ausstrahlung beabsichtigt<br />
war, kurz vor der Entlassung aus<br />
der Haft. Seine Wiedereingliederung in die<br />
Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe<br />
(Resozialisierung) wäre wesentlich erschwert<br />
worden, wenn die Brutalität und<br />
Verabscheuungswürdigkeit des Verbrechens<br />
durch die Ausstrahlung des Fernsehspiels<br />
noch einmal mit großer Breitenwirkung<br />
in Erinnerung gerufen worden wären.<br />
IManchmal entfaltet das Grundrecht seine<br />
Schutzwirkung aber auch gegenüber<br />
wahrer Berichterstattung. Das zeigte<br />
der Lebach-Fall besonders eindrucksvoll.<br />
12<br />
justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
Juristische Fachseminare<br />
INSTITUT FÜR ANGEWANDTES RECHT<br />
FACHANWALT<br />
2002/2003<br />
Eine persönlichkeitsbeeinträchtigende Stigmatisierung<br />
wäre die Folge gewesen. Davor will das<br />
Grundrecht schützen.<br />
Abwägung der Verfassungsgüter<br />
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Lebach-<br />
Fall mithin eine Abwägung vorzunehmen, die typisch<br />
für den Konflikt von Meinungs- und Medienfreiheiten<br />
einerseits und den verfassungsrechtlichen<br />
Positionen der Betroffenen<br />
andererseits war. Das Ergebnis der Abwägung<br />
hängt stets von den konkreten Umständen des<br />
Falls ab. Es spielt etwa eine Rolle, ob eine Äußerung<br />
oder Berichterstattung eine die Öffentlichkeit<br />
wesentlich berührende Frage betrifft, bei der<br />
die Vermutung der freien Rede besteht, oder allein<br />
im Rahmen einer “privaten” Auseinandersetzung<br />
fällt. Auf der anderen Seite ist die Schwere der<br />
Ehr- oder Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu beachten.<br />
Sogenannte Schmähkritik, bei der nicht<br />
mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern<br />
allein die jenseits polemischer und überspitzter<br />
Kritik liegende Diffamierung der angegriffenen<br />
Person im Vordergrund steht, ist regelmäßig<br />
untersagt. Im Lebach-Urteil 1973 befand das<br />
Bundesverfassungsgericht, daß die Ausstrahlung<br />
des Films zu einer gravierenden Persönlichkeitsbeeinträchtigung<br />
führe, und entschied deshalb<br />
gegen das ZDF und gegen die Rundfunkfreiheit.<br />
Der Lebach-Fall fand übrigens in den 90er<br />
Jahren eine unerwartete publizistische und juristische<br />
Fortsetzung. 1996 produzierte Sat1 abermals<br />
einen Fernsehfilm über den Lebach-Mord,<br />
diesmal allerdings mit fiktiven Namen und ohne<br />
die Täter im Bild zu zeigen. Wieder wehrten sich<br />
die damaligen Täter gegen die Ausstrahlung.<br />
Nunmehr entschied das Bundesverfassungsgericht<br />
jedoch für Sat1 und gab der Rundfunkfreiheit<br />
den Vorrang (NJW 2000, 1859). Denn der<br />
Sat1-Film erlaubte keine Identifizierung der<br />
Täter, und die Empörung über die Tat war mittlerweile<br />
verblaßt, so daß eine stigmatisierende<br />
Wirkung nicht zu erwarten war. Da zudem das<br />
allgemeine Persönlichkeitsrecht keinen Anspruch<br />
darauf vermittelt, in der Öffentlichkeit nur so<br />
dargestellt zu werden, wie es einem gefällt, gab<br />
das Bundesverfassungsgericht 1999 in der zweiten<br />
Lebach-Entscheidung der Rundfunkfreiheit<br />
den Vorzug.<br />
Dr. Georg Seyfarth<br />
ist Rechtsanwalt in Düsseldorf.<br />
ARBEITSRECHT<br />
26. Fachanwaltslehrgang in Berlin<br />
Sept./Okt./Nov./Dez. 2002<br />
27. Fachanwaltslehrgang in Nürnberg/Lengenfeld<br />
Januar/Februar/März 2003<br />
28. Fachanwaltslehrgang in Hamburg<br />
April/Mai/Juni 2003<br />
FAMILIENRECHT<br />
29. Fachanwaltslehrgang in Berlin<br />
Sept./Okt./Nov./Dez. 2002<br />
30. Fachanwaltslehrgang in Nürnberg/Lengenfeld<br />
Januar/Februar/März 2003<br />
31. Fachanwaltslehrgang in Hamburg<br />
April/Mai/Juni 2003<br />
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justament drei 2002<br />
13
<strong>Titel</strong><br />
Wie steht’s um die Quote,<br />
Frau Vorsitzende?<br />
Gerichtsverhandlungen im Fernsehen – Realitätsverlust oder Weiterbildung?<br />
Manch einer kann da ins Schleudern kommen.<br />
Kristina Orthmann<br />
ch, was waren sie schön, die guten<br />
Aalten Zeiten als Verhandlungen noch<br />
vor Gericht stattfanden und das Urteil<br />
eines Richters ein natürliche Autorität<br />
besaß. Doch diese Zeiten sind nun leider<br />
vorbei: Es begab sich an einem gewöhnlichen<br />
Freitag morgen, an dem mich<br />
meine Wege ins Amtsgericht führten, um<br />
an einer Verhandlung teilzuhaben. Der<br />
Fall stellte sich schnell als wenig spektakulär<br />
heraus. Der Angeklagte gab alles zu<br />
und war seinen Äußerungen nach nur<br />
dort, um sich seine Strafe abzuholen.<br />
Dies klingt soweit noch ganz gut: ein<br />
geständiger Angeklagter, der reuig seine<br />
Strafe entgegennimmt. Letzteres gestaltete<br />
sich dann jedoch ungewöhnlich<br />
schwierig. Das vom Richter festgelegte<br />
Strafmaß war dem Angeklagten nämlich<br />
zu hoch. Nachvollziehbar: fürs geständig<br />
sein nun auch noch zahlen müssen?<br />
Doch darum ging es gar nicht. Vielmehr<br />
war sich der Angeklagte sicher, dem<br />
Richter sei bei Festlegung des Strafmasses<br />
ein Irrtum unterlaufen. Sodann klärte<br />
er den Richter darüber auf, dass er gestern<br />
im Fernsehen eine Verhandlung gesehen<br />
habe, in der bei selbiger Tat das<br />
Strafmaß wesentlich niedriger ausgefallen<br />
sei. So, nun wissen wir‘s – war doch<br />
schon immer so: Was im Fernsehen läuft<br />
ist richtig – und vor allem nicht falsch!<br />
Realitätsverlust oder Weiterbildung fragt<br />
man sich? Dem wahren Leben so nah<br />
und doch so fern?! Die Rede ist von Barbara<br />
Salesch und ihren Nachfolgern, die<br />
nachmittags im Fernsehen Recht sprechen.<br />
Sie und ihr Kollege Richter Holt<br />
Richterin<br />
Barbara Salesch bei<br />
der Rechtsfindung<br />
scheinen streitend um Drei auf den Kanälen<br />
Deutschlands einen unergründlichen<br />
Zauber auf die Menschen auszuüben,<br />
der sie am Fernseher fesselt.<br />
Immerhin hat es Jura nun geschafft,<br />
die Bretter dieser Welt zu erobern- weg<br />
vom staubig trockenen Langeweile-<br />
Image! Jura goes Hollywood!<br />
Wartet nun eine ähnliche Karriere auf<br />
die Juristen dieser Nation wie sie zuvor<br />
Dr. Stefan Frank und Schwester Stefanie<br />
in zahlreiche Arztserien erfahren haben?<br />
Weiterbildung per Fernseher? Immerhin<br />
war zumindest Frau Barbara Salesch<br />
auch im wahren Leben Richterin und<br />
sollte also ihr Handwerk verstehen. Doch<br />
scheinbar führt auch diese Performance<br />
zu unvermeidbaren Verwechslungen von<br />
Realität und Show. Warum selber leben,<br />
wenn uns im Fernsehen doch alles so<br />
schön vorgespielt wird? Es wird uns gezeigt,<br />
was sich im Leben der Familien von<br />
nebenan abspielt. Es strengt nicht an<br />
und es ist real! Jawohl, den Eindruck bekommt<br />
man jedenfalls, wenn Frau Meier<br />
tränenüberströmt gesteht, dass sie sich in<br />
tiefster Eifersucht und Verzweiflung befand,<br />
als die mit dem Messer auf ihren<br />
Mann einstach. Das Leben im Fernsehen<br />
perfekt nachbereitet- second hand sozusagen.<br />
Einerseits gut, denn wer möchte<br />
sich schon selbst in den Irrungen und<br />
Wirrungen der jeweiligen Straftäter befunden<br />
haben? Künstliche Realität andererseits,<br />
die uns zum passiven Statisten<br />
werden lässt, der sich immer tiefer in<br />
seine Couch kuschelt und das Leben an<br />
sich vorbeiziehen lässt.<br />
Doch gönnen wir zumindest Justitia<br />
die Karriere! Schliesslich hatte sie es nie<br />
leicht im Leben – von Beginn an gefürchtet,<br />
ohne wahre Freunde und von vielen<br />
zu Nutze gemacht und so lange verdreht<br />
bis es endlich passte. Nun ist ihre Zeit<br />
gekommen, um die Ungerechtigkeiten<br />
dieser Welt vor den Augen der Menschheit<br />
klarzustellen. Ob jedoch Barbara Salesch<br />
& Co auf Dauer das richtige Forum<br />
dafür bieten, bleibt fraglich.<br />
Der Angeklagte musste sich schliesslich<br />
damit abfinden, dass er die vom<br />
Richter für ihn vorgesehene Strafe<br />
bekam. Doch diesen schien inzwischen<br />
etwas ganz anderes zu beschäftigen:<br />
eilig brach er auf- schliesslich war es<br />
schon kurz vor Drei...<br />
Informationen<br />
Auf der Seite www.sat1.de/richterin/ gibt es<br />
jede Menge Informationen zur Serie.<br />
Dort werden zum Beispiel auch die Anwälte<br />
vorgestellt, die in der Serie mitspielen und<br />
übrigens auch im richtigen Leben<br />
Rechtsanwälte sind.<br />
Das Buch zur Serie:<br />
„Richterin Barbara Salesch – Meine spannendsten<br />
Fälle“ von Nathalie John.<br />
Dino Verlag 2002,<br />
€ 7,95,<br />
ISBN 3-89748-608-3<br />
14<br />
justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
Eine Hymne an Edel & Starck<br />
Anwaltsserien im Fernsehen – unrealistisch aber schön<br />
Katharina Mohr<br />
elcher Jurist würde schon ehrlich<br />
Wsagen, dass er sich Anwaltsserien<br />
gerne anguckt. Liebling Kreuzberg? Total<br />
unrealistisch und klamottig. Ich muss zugeben:<br />
Ich habe es vom ersten Tag an geliebt.<br />
Und bin deswegen auch so glücklich<br />
über die neue Serie auf Sat1: Edel und<br />
Starck. Was? Noch nie gesehen? Montags<br />
abends um viertel nach neun auf Sat1?<br />
Schade, denn im Moment ist Sendepause.<br />
Die erste Staffel ist bereits vorbei. Aber die<br />
zweite ist gerade in der Mache und bald<br />
werden die beiden Fernsehanwälte wieder<br />
auf der Mattscheibe auftauchen. Rebecca<br />
Immanuel und Christoph M. Ohrt alias<br />
Sandra Starck und Felix Edel.<br />
Ich finde es einfach schön, die geräumige<br />
Kanzlei in der Rykestraße im Prenzlauer<br />
Berg von Berlin, direkt am Wasserturm.<br />
Jeder Anwalt hat ein mindestens<br />
30 m 2 großes Zimmer, da muss die Arbeit<br />
doch einfach leicht von der Hand gehen.<br />
In der Mitte sitzt Biene, die rührige Sekretärin,<br />
die schlechte Stimmungen auffängt,<br />
während der Arbeit versucht, nebenbei ihre<br />
eigene Tochter zu erziehen und sich vor<br />
allem heimlich wünscht, dass Sandra und<br />
Felix bald zusammenfinden. Und zwischen<br />
den beiden knistert es auch ganz gehörig,<br />
wie es sich für richtige Juristen gehört.<br />
Jeden Morgen treffen sie sich, um erst<br />
einmal einen Kaffe zu trinken und sich auf<br />
den Arbeitstag vorzubereiten. Sehr charakteristisch<br />
übrigens für den Prenzlauer Berg<br />
– junge Leute sitzen im Café. Vom Modetrend<br />
des Prenz’lbergs haben sich Sandra<br />
und Felix aber nicht anstecken lassen. Sie<br />
sehen nicht aus, wie die Statisten eines<br />
70er Jahre Films, sondern sind immer<br />
ziemlich adrett und konservativ herausgeputzt.<br />
Felix relativ brav in Anzug und Kravatte,<br />
wie es sich für einen ordentlichen<br />
Anwalt gehört. Sandra immer hoch elegant<br />
und weiblich.<br />
Gemeinsam einen Kaffee trinken<br />
und dabei den neuesten Fall lösen<br />
Das netteste an der Kanzlei ist, dass die<br />
beiden eigentlich jeden Fall gemeinsam<br />
lösen. Wie sich das die Serienschreiber vorgestellt<br />
haben, weiss ich nicht. Werden die<br />
Anwälte von ihren Mandanten so gut bezahlt,<br />
dass sie sich auch zu zweit um ein<br />
einzelnes Mandat kümmern können?<br />
Dabei scheinen ihre Fälle nicht besonders<br />
viel Geld abzuwerfen. Sie sind im übrigen<br />
so spannend auch nicht: Nachbarschaftsstreit,<br />
Scheidung oder Körperverletzungen.<br />
Das Übliche eben. Das Lustige ist auch,<br />
dass weder Edel noch Starck besonders oft<br />
an ihren Schreibtischen sitzen und sich<br />
Schriftsätze aus den Fingern saugen. Aber<br />
nehmen wir es damit nicht zu genau. Eine<br />
realistische Serie über den Alltag eines Anwalts<br />
würde vermutlich nicht wirklich viele<br />
Zuschauer vor den Bildschirm locken. Oder<br />
doch?<br />
Offensichtlich bin ich mit meiner Begeisterung<br />
nicht ganz allein. Im Online-<br />
Forum unter www.sat1.de übertreffen sich<br />
die Teilnehmer mit ihren Begeisterungsrufen.<br />
Personen namens „snack“,<br />
„milka05“ oder auch „Serena X“<br />
schreiben solche schönen<br />
Sachen wie, dass Felix<br />
M. Ohrt total süß<br />
ist, auch wenn<br />
seine Frisur etwas brav daherkommt und<br />
das Rebecca Immanuel unheimlich schöne<br />
Beine hat und man(n) ihr jeden Wunsch<br />
von den Augen ablesen würde. Aber das<br />
Lob beschränkt sich nicht auf das Auftreten<br />
der beiden Hauptdarsteller. Auch der<br />
Plot, die Musik und die Ausstattung kommen<br />
offensichtlich gut an. An den juristisch<br />
nicht korrekten Details wird auch<br />
schon mal ein bisschen herumgemosert,<br />
aber insgesamt kann das doch die Begeisterung<br />
über die Serie nicht bremsen.<br />
Was aber macht die Faszination dieser<br />
Serie aus? Der Traum, auch einmal so zu<br />
arbeiten? Vielleicht sind es die Aufnahmen<br />
von Berlin, das im Fernsehen immer noch<br />
viel schöner aussieht, als in Wirklichkeit?<br />
Oder die Begeisterung für die beiden<br />
Hauptdarsteller? Klar, manchmal sind die<br />
Geschichten ein bisschen blöd, aber für<br />
eine in Deutschland produzierte Serie hält<br />
es sich in Grenzen. Vielleicht reicht das<br />
schon aus, um jeden Montag wieder die<br />
Glotze einzuschalten, wenn der <strong>Titel</strong>song<br />
von Tom Jones erklingt „It’s not unusual<br />
to be loved by anyone...“<br />
Info: www.sat1.de/edelstarck<br />
Sandra Starck (Rebecca Immanuel)<br />
und Felix Edel (Christoph M. Ohrt) sind die<br />
Hauptdarsteller der neuen Anwaltsserie auf Sat1.<br />
<br />
justament drei 2002<br />
15
<strong>Titel</strong><br />
www.blood-is-red.de<br />
Nach dem Schock ist vor dem Schock: Auf dem Computerspiele-<br />
Markt stehen derzeit alle Zeichen auf Erfurt. Die Beziehung zwischen<br />
Jugendschützern und der „Gamer-Community“ bleibt<br />
kompliziert.<br />
Lorraine Haist<br />
ls nach dem Amoklauf im Zimmer des<br />
AErfurter Attentäters das Computerspiel<br />
„Counterstrike“ gefunden wurde,<br />
war vielen schnell klar, dass ihm dieses<br />
Spiel wohl als eine Art Trainingslager für<br />
die Tat gedient haben mußte. Das Spielszenario<br />
des Ego-Shooters, bei dem zwei<br />
bis an die Zähne bewaffnete Teams – die<br />
einen als Terroristen, die anderen als Anti-<br />
Obwohl diese „Screenshots“ aus den<br />
Terror-Einheiten – gegeneinander kämpfen,<br />
läßt diese Vermutung jedenfalls zu.<br />
als gewaltverherrlichend kritisierten<br />
Spielen eine deutliche Sprache sprechen,<br />
heißt das noch nicht, dass sie<br />
tionspiel in menschlichen Teams gespielt,<br />
Andererseits wird das komplexe Ac-<br />
auch die Gewaltbereitschaft ihrer<br />
die sich irgendwo online am Computer<br />
Spieler erhöhen. Juristisch gesprochen<br />
fehlt es hier wohl an der „Zuretion<br />
mit den anderen Mitspielern ist ge-<br />
gegenübersitzen. Ständige Kommunikachenbarkeit“fragt,<br />
denn ohne die Entwicklung einer<br />
gemeinsamen Strategie ist auch bei<br />
„Counterstrike“ am Ende kein Kampf gegen<br />
den Terrorismus zu gewinnen. Gerne<br />
Die Diskussion, ob inszenierte Bilder<br />
treffen sich „Counterstrike“-Fans auch<br />
der Gewalt zu weiterer Gewalt führen,<br />
zum gemütlichen Beisammensein auf riesigen<br />
Spieleparties, wo in den Pausen bei<br />
ist wohl so alt wie die Bilder der Gewalt<br />
selbst. Vor den Computerspielen<br />
einem Kaltgetränk vermutlich auch mal<br />
waren Videos oder noch früher Kinofilme<br />
die „tieferen Ursachen“ für Ge-<br />
andere Dinge zur Sprache kommen. Sollte<br />
es sich also bei diesem und vielen ähnlich<br />
walttaten. Hier sei an den heftigen<br />
gearteten PC-Spielen doch nicht nur um<br />
Streit in den siebziger Jahren über<br />
stumpfes Geballer handeln, das einen jugendlichen<br />
Computerspiel-Fanatiker durch<br />
Stanley Kubricks Clockwork Orange<br />
erinnert, dessen Gewaltszenen detailgetreu<br />
in die Realität umgesetzt wur-<br />
tägliches Exerzieren an virtuellen Waffen<br />
früher oder später zum ganz realen Mörder<br />
macht?<br />
den. Und noch früher in der Geschichte<br />
wurden die öffentlichen Hinrichtungsszenen<br />
für die Grausamkeit der<br />
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Schriften (BPjS) weist mit ihrer<br />
Menschen verantwortlich gemacht.<br />
im Mai dieses Jahres getroffenen Entscheidung<br />
zumindest in diese Richtung.<br />
Sie hat „Counterstrike“ gegen die Forderungen<br />
einer breiten Öffentlichkeit nicht<br />
indiziert und sich damit den Unmut von<br />
Mit der Zeit haben sich also die Bilder<br />
immer wieder verändert. Nur die<br />
mann eingehandelt, die das Vorgehen<br />
Bundesfamilienministerin Christine Berg-<br />
Gewalt ist geblieben. Hierzu sei an<br />
der BPjS als „nicht nachvollziehbar“ kritisierte.<br />
die brillante Analyse von Michel Foucault<br />
in „Überwachen und Strafen“<br />
Mit dem Absegnen von „Counterstrike“<br />
ist die BPjS zur allseitigen Verwun-<br />
erinnert, die gerade für Juristen auch<br />
heute noch lesenwert ist.<br />
derung deutlich von ihrer bisherigen, im<br />
Es ist wichtig, nach den tatsächlichen<br />
Ursachen jugendlicher Gewalt<br />
beralen Bewertungspraxis abgerückt. So<br />
Bezug auf Computerspiele nicht eben li-<br />
zu forschen. Zumal das hier in Frage<br />
beriet das zwölfköpfige Gremium aus Vertretern<br />
unterschiedlicher gesellschaftlicher<br />
stehende Zensurverbot wohl eine der<br />
grundlegendsten demokratischen<br />
Gruppen auch erst über den Indizierungsantrag,<br />
als es die Einschätzung praktizie-<br />
Freiheiten schützt.<br />
render „Counterstrike“-Fans gehört hatte.<br />
16 justament drei 2002
<strong>Titel</strong><br />
„Medienkompetenz“<br />
heißt das Zauberwort<br />
Die Debatte um Erfurt hatte aber nicht nur<br />
Auswirkungen auf die Art der Entscheidungsfindung<br />
bei der BPjS. Insbesondere<br />
dem Gesetzgeber ging es um ein Zeichen,<br />
welches unter anderem das selbst gestekkte<br />
Ziel einer künftigen Anleitung von<br />
Kindern und Jugendlichen zum eigenverantwortlichen<br />
und kritischen Umgang mit<br />
Medieninhalten verdeutlichen sollte. Er<br />
trieb daher die Verabschiedung eines<br />
neuen Jugendschutzgesetzes zügig voran,<br />
das ab 1. Januar 2003 das Gesetz zum<br />
Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit<br />
(JÖSchG) und das Gesetz über die Verbreitung<br />
jugendgefährdender Schriften und<br />
Medieninhalte (GjS) in sich vereinen soll.<br />
Als wichtigsten Änderungspunkt wird<br />
das neue Gesetz eine generelle Kennzeichnungspflicht<br />
für Video- und Computerspiele<br />
enthalten, wie sie schon lange für<br />
Filme und Videos existiert. Damit darf kein<br />
Computerspiel mehr ohne Altersfreigabestempel<br />
in den Handel gelangen. Bei Verletzung<br />
dieser Abgabebeschränkungen<br />
drohen zukünftig hohe Bußgelder.<br />
Darüber hinaus sieht das neue Gesetz<br />
eine Stärkung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende<br />
Schriften vor, deren Zuständigkeit<br />
sich künftig auch dem Namen<br />
nach auf sämtliche „Medien“ erstreckt.<br />
Nach der neuen Regelung sollen die Prüfer<br />
nicht mehr nur auf Antrag von Jugendämtern<br />
über die Indizierung eines bestimmten<br />
Mediums entscheiden dürfen. Vielmehr ist<br />
eine Ausdehnung des Kreises der möglichen<br />
Antragsteller auf Schulen, Polizei und Verfassungsschutz<br />
vorgesehen. Die Prüfstelle<br />
soll außerdem Anregungen von Trägern der<br />
freien Jugendhilfe zu einer Indizierung aufgreifen.<br />
Ziel dieser Erweiterungen ist es, jugendgefährdende<br />
Medienangebote möglichst<br />
lückenlos zu indizieren.<br />
Darüber hinaus sollen im nächsten Jahr<br />
Medien, die „den Krieg verherrlichen, die<br />
Menschen in einer die Menschenwürde<br />
verletzenden Weise darstellen oder Jugendliche<br />
in geschlechtsbetonter Körperhaltung<br />
zeigen“, auch schon ohne Indizierung<br />
nicht mehr verkauft, vertrieben oder<br />
beworben werden dürfen. Die Auswirkungen<br />
einer Indizierung bleiben also offensichtlich<br />
dieselben: das Produkt darf nicht<br />
an Minderjährige verkauft werden; Vertrieb<br />
und Werbung sind nach der Indizierung<br />
verboten. Den Computerspiel-Herstellern,<br />
die in Deutschland von einem erfolgreichen<br />
Spiel oftmals hunderttausende<br />
Exemplare absetzen, drohen hierdurch<br />
drastische Einbußen. Sie entwickeln daher<br />
einige Phantasie, um einer Indizierung<br />
ihrer Spiele zu entgehen. Als einfachste<br />
und gebräuchlichste Maßnahme werden<br />
viele Spiele schon im Vorfeld für den deutschen<br />
Markt entschärft. Da in den indizierungsgefährdeten<br />
Computerspielen die<br />
Darstellung von Blut eine wesentliche<br />
Rolle spielt, verzichten die Hersteller in der<br />
deutschen Version inzwischen oft gänzlich<br />
auf die Darstellung von Blut oder verwenden<br />
statt der roten Blutfarbe neutralere<br />
Farben wie blau, grün, violett oder gar<br />
weiß. Martialische Tötungsszenarien, die<br />
zerschossene oder zerstückelte Leichen<br />
zeigen, gelten als besonders jugendgefährdend.<br />
Zu den Entschärfungsmaßnahmen<br />
der Hersteller gehört daher auch, dass sich<br />
Leichen auf dem Bildschirm in Luft auflösen<br />
oder gehäutete Leichen durch bekleidete<br />
ersetzt werden. Oft werden auch aus<br />
Schmerzensschreien einfach Grunzlaute.<br />
„Get Blood into your Game!“<br />
Viele Computerspiel-Fans möchten dennoch<br />
nicht auf die Todesschreie der Opfer<br />
verzichten und sehen in diesen „Anpassungen“<br />
ungerechtfertigte Zensur. In ihrer<br />
Spiellaune beeinträchtigt, versuchen sie<br />
daher, die einschränkenden Maßnahmen<br />
in Eigenregie rückgängig zu machen und<br />
so den möglichst unveränderten Originalzustand<br />
der Spiele wiederherzustellen. Anders<br />
als bei Videos, die einen den deutschen<br />
Bestimmungen entsprechenden,<br />
„jugendgerechten Schnitt“ erhalten und<br />
damit nachhaltig verändert sind, lassen<br />
sich die Entschärfungen in den deutschen<br />
Versionen der PC-Spiele auf unterschiedliche<br />
Art und Weise tatsächlich meist wieder<br />
aufheben. Auch hier bietet das Internet<br />
vielfältige Möglichkeiten. So kann sich der<br />
Spielfreak dort entsprechende Programmergänzungen,<br />
so genannte Patches, herunterladen,<br />
die – oftmals von den jugendliche<br />
Spielern selbst programmiert –<br />
bereits bestehende und installierte Programme<br />
modifizieren. Nur ein kleiner<br />
Patch ist nötig, um bei einem entschärften<br />
Spiel wieder blutige Animationen sehen zu<br />
können. Mittlerweile gibt es zahlreiche<br />
Webseiten, die derartige „Blut-Patches“<br />
unter so programmatischen Namen wie<br />
www. blood-is-red.de zum Download anbieten.<br />
Einfachster Weg wird jedoch nach<br />
wie vor die Online-Bestellung der unveränderten<br />
Originalversion eines Spiels im<br />
Herstellerland sein.<br />
Der Jugendschutz hat hier bisher nicht<br />
die notwendige Rechtsgrundlage, um<br />
gegen solche Tipps und Tricks vorgehen zu<br />
können. Ob sich hier mit den umfangreichen<br />
Veränderungen des neuen Jugendschutzgesetzes<br />
eine Verbesserung erreichen<br />
läßt, bleibt allerdings trotzdem fraglich.<br />
Denn seit es das Internet gibt,<br />
erscheint ein lückenloser Jugendschutz,<br />
wie ihn der Gesetzgeber mit dem novellierten<br />
Jugendschutzrecht erreichen will,<br />
schon aufgrund der unüberschaubaren<br />
Anzahl von Webseiten als illusorisch. Das<br />
neue Gesetz sieht daher auch eine verstärkte<br />
Zusammenarbeit der BPjS mit den<br />
Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle<br />
der Wirtschaft vor. Schon jetzt<br />
versieht die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle<br />
(USK), Vertragspartner des Verbandes<br />
der Unterhaltungssoftware-Industrie<br />
(VUD), im Auftrag der Spielehersteller<br />
deren Produkte mit (allerdings unverbindlichen)<br />
Alterseinstufungen. Nach dem<br />
Willen des Gesetzgebers soll sie in Zukunft<br />
auch – im Auftrag und unter der Aufsicht<br />
von Landesbehörden – jugendbeeinträchtigende<br />
Inhalte von Computerspielen feststellen<br />
und daraufhin verbindliche Jugendschutzmaßnahmen<br />
treffen können.<br />
Aber auch diese arbeitsteilige Lösung erscheint<br />
nur bedingt erfolgversprechend.<br />
Denn die Bundesprüfstelle bleibt nach wie<br />
vor alleine für die Indizierung von jugendgefährdenden<br />
Inhalten im Internet zuständig.<br />
Und da hat sie alle Hände voll zu tun.<br />
Informationen<br />
http://www.bmfsfj.de<br />
Webseite des Bundesfamilienministeriums<br />
http://www.bpjs.bmfsfj.de<br />
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften<br />
http://www.usk.de<br />
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle<br />
http://www.gamer-gegen-gewalt.de<br />
justament drei 2002<br />
17
Interview<br />
Der Glamouranwalt<br />
In letzter Zeit ist ein wachsendes Interesse der Medien an rechtlichen Auseinandersetzungen<br />
festzustellen – egal ob diese inzeniert sind, wie bei Barbara Salesch, oder real, wie beim<br />
Untersuchungsausschuss des Bundestages. Hier ein Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Prinz.<br />
Was glauben Sie, ist der Grund für dieses<br />
neue Interesse der Medien an juristischen<br />
Themen?<br />
Ich glaube, dass das Interesse eigentlichschon<br />
immer da war. Die Leute interessieren<br />
sich für juristische Themen. Eine juristische<br />
Auseinandersetzung ist ja wie ein<br />
Wettkampf. Es wetteifern zwei Parteien<br />
miteinander und befolgen dabei bestimmte<br />
vorgegebene Regeln. Das ist wie bei<br />
einer sportliche Auseinandersetzung. Die<br />
Leute finden das interessant. Ich habe<br />
immer schon festgestellt, dass es ein grosses<br />
Interesse daran gibt, wenn ich selbst in<br />
irgendwelchen Talkshows war oder mich<br />
mit Journalisten über juristische Themen<br />
unterhalten habe. Denken Sie an die erfolgreiche<br />
Sendung „Wie würden Sie entscheiden?“.<br />
Dies zeigt doch, dass immer<br />
schon ein großer Bedarf da gewesen ist.<br />
Vielleicht ist dieser Bedarf von den Medien<br />
aber früher nicht so erfüllt worden, wie es<br />
das Publikum gerne gehabt hätte. Manchmal<br />
ist es natürlich auch die Person der<br />
Streitenden, die das Interesse hervorruft.<br />
Sie selbst sind einer der bekanntesten deutschen<br />
Anwälte. Dies ist u. a. auch auf die Bekanntheit<br />
Ihrer Mandanten zurückzuführen.<br />
Wie ist damals der erste Kontakt zu Ihrer<br />
prominenten Mandantschaft entstanden?<br />
Ich war 1985 gerade mit dem zweiten<br />
Staatsexamen und meiner Promotion fertig<br />
geworden und plante, so schnell wie möglich<br />
nach New York zurückzugehen, wo ich<br />
bereits als Anwalt zugelassen war und gerne<br />
arbeiten wollte. Bis dahin hatte ichmich nur<br />
für internationales Recht interessiert.<br />
Vor der geplanten Rückkehr nach New<br />
York arbeitete ich vorübergehend bei<br />
einem Freund in dessen Anwaltskanzlei.<br />
Zu dieser Zeit suchte der berühmte Arzt<br />
Prof. Julius Hackethal in seinem Sterbehilfefall<br />
einen neuen Strafverteidiger. Er<br />
hatte einer Krebspatientin, die unter grossen<br />
Schmerzen litt, Zyankali gegeben. Da<br />
er wußte, dass er sie nicht aktiv töten<br />
durfte, hatte er ihr den Becher mit dem<br />
Gift gegeben und sie hatte ihn dann selbst<br />
getrunken. Nun war höchst umstritten, ob<br />
dies eine Tötung in mittelbarer Täterschaft<br />
oder bloß straflose Beihilfe zur Selbsttötung<br />
war. Der Anwalt, der Hackethal bisher<br />
vertreten hatte, war verstorben. Nun wollte<br />
Hackethal einen ganz jungen Anwalt,<br />
der von der Praxis noch „unverdorben“ war<br />
und den er mit seinen Ideen formen konnte.<br />
Auf Umwegen gelangte er dann an<br />
mich. Nachdem ich mir das Material zu<br />
dem Fall angesehen hatte, sah ich darin<br />
eine große Chance – ich war zu dem Zeitpunkt<br />
28 Jahre alt – habe meine Abreise<br />
nach New York verschoben und stattdessen<br />
das Hackethal-Mandat übernommen.<br />
Ihr erster Fall betraf also den strafrechtlichen<br />
Bereich?<br />
Das war meine erste und einzige Strafverteidigung.<br />
Aber der Fall hatte eigentlich<br />
mehr mit Medien zu tun als mit Strafverteidigung.<br />
Rund um Hackethal gab es damals<br />
wahnsinnig viel Medienrecht. Das<br />
fing an mit Bücher- und Interviewverträgen.<br />
Außerdem war Hackthal sehr streitbar<br />
und wehrte sich gegen unwahre Berichterstattungen.<br />
Plötzlich war ich mitten in<br />
einem hochinteressanten Fall, der die Öffentlichkeit<br />
sehr beschäftigte, der dauernd<br />
auf irgendwelchen <strong>Titel</strong>seiten abgefeiert<br />
wurde und der eine Menge mit Medienrecht<br />
zu tun hatte. Als wir mit dem Verfahren<br />
nach zwei Jahren fertig waren, verstand<br />
ich was von Medienrecht. Ausserdem<br />
war ich durch diesen Fall populär geworden<br />
und bekam weitere sehr interessante<br />
Mandate. 1989 kam dann – das ist sicherlich<br />
auch nochmal ein Meilenstein gewesen<br />
– Karl Lagerfeld mit vielen interessanten<br />
Verfahren, die dazu führten, dass wir<br />
uns auch international mit medienrechtlichen<br />
Fragen befassen mussten.<br />
War Ihre Bekanntheit aus den vorhergehenden<br />
Verfahren ausschlaggebend dafür, dass<br />
sich Personen wie Karl Lagerfeld an Sie gewandt<br />
haben?<br />
Man darf die Medienpräsenz nicht überschätzen.<br />
Wir haben die guten und interessanten<br />
Mandate nicht deshalb bekommen,<br />
weil jemand angerufen hat und gesagt<br />
hat „Ich habe etwas über Sie in der<br />
Zeitung gelesen“. Es ist vielmehr fast<br />
immer die Empfehlung zufriedener Mandanten<br />
gewesen. Ich glaube, dass da natürlich<br />
auch die Werbung des Anwalts ansetzt:<br />
Sind die Mandanten zufrieden,<br />
empfehlen sie einen auch weiter.<br />
Welche Bedeutung hat der Name „Prinz“ inzwischen<br />
erlangt? Ist es schon einmal vorgekommen,<br />
dass eine Gegenpartei schon allein<br />
deshalb klein beigeben hat, weil Ihr Name<br />
auf dem Briefkopf stand?<br />
Das kann ich so nicht beurteilen. Aber unsere<br />
Gegner nehmen sicherlich ernst, was<br />
wir ihnen schreiben. Wenn wir ein Mandat<br />
übernehmen, wissen unsere Gegner, dass<br />
wir das Mandat auch professionell anpakken.<br />
Unsere Sozität beschäftigt sich mit<br />
Medienrecht nunmehr seit 17 Jahren. Wir<br />
haben sicherlich ein hohen Grad an Sachkenntnis.<br />
Führt dies dann dazu, dass viele Fälle auch<br />
aussergerichtlich geklärt werden können?<br />
Zunächst muss man differenzieren zwischen<br />
einstweilige Verfügungsverfahren<br />
einerseits und Hauptsacheverfahren andererseits.<br />
Wir führen sehr viele Verfahren<br />
nur im Bereich der einstweiligen Verfügung,<br />
weil dann beide Parteien sehr<br />
schnell sehen, was auf dem Tisch liegt und<br />
wie das Gericht die Situation sieht. Wenn<br />
dann noch auf beiden Seiten professionelle<br />
Anwälte sind, wissen beide Seiten bereits<br />
nach dem einstweiligen Verfügungsverfahren,<br />
wie ein Hauptsacheverfahren<br />
wohl ausgehen wird. Dann sind wir in der<br />
Lage, uns schnell zu einigen. Vor dem Verfügungsverfahren<br />
werden aber nur wenige<br />
Fälle – vielleicht 10% – beendet. Weitere<br />
70% werden erledigt im oder nach dem<br />
einstweiligen Verfügungsverfahren, so<br />
dass der Prozentsatz der Fälle, die nachher<br />
tatsächlich ins Hauptsacheverfahren gelangen,<br />
eher gering ist.<br />
Wie fühlen Sie sich persönlich in der Rolle<br />
des „Prominenten“?<br />
Ich habe das nicht so gerne. Ich finde es<br />
angenehmer, anonym und zurückgezogen<br />
zu leben und lege besonderen Wert auf ein<br />
ungestörtes Privatleben.<br />
Viele Ihrer Mandanten sind letztlich auch<br />
darauf angewiesen, in den Medien präsent<br />
zu sein. Gibt es deshalb schon mal Fälle, wo<br />
eine unwahre Berichterstattung auch einfach<br />
hingenommen wird?<br />
Natürlich ist das so. Unsere Tätigkeit beschränkt<br />
sich nicht darauf, dass wir uns<br />
18<br />
justament drei 2002
Interview<br />
einen juristischen Sachverhalt angucken<br />
und juristische Ansprüche durchprüfen.<br />
Wir schauen uns natürlich das Ganze an.<br />
Das sichere Beherrschen der Ansprüche<br />
und die Kenntnis, wie man sie durchsetzen<br />
kann, ist nur das Basis-Handwerkszeug.<br />
Wenn ich festgestellt habe, was ich mit juristischen<br />
Mitteln erreichen kann, beginnt<br />
aber die ganzheitliche Denkarbeit. Dann<br />
überlege ich mir: „Hat der Mandant denn<br />
auch etwas davon? Tue ich ihm einen Gefallen<br />
mit einer Gegendarstellung oder<br />
einer Unterlassungsverfügung oder ist es<br />
viel sinnvoller, wir machen irgendetwas<br />
anderes?“ Wenn z. B. der Fußballtrainer<br />
des örtlichen Bundesligavereins gerne<br />
gegen den Sportteil der Lokalpresse prozessieren<br />
möchte, dann liegt es nahe, ihm<br />
davon abzuraten. Er sollte lieber mit seinen<br />
Kritikern kommunizieren, sie mal anrufen<br />
und zum Bier einladen. Dasselbe gilt<br />
natürlich auch für andere Berufsgruppen,<br />
die ständig Medienberührung haben, z. B.<br />
Politiker: Hier stellt sich oft die Frage, ob<br />
eine Prozess wirklich sinnvoll ist oder ob es<br />
nicht ratsamer ist, in einen Kommunikationsprozess<br />
mit den Medien einzutreten.<br />
Werden in solchen Fällen auch schon mal<br />
„Deals“ zwischen der Presse und den Mandanten<br />
vermittelt und wie sehen diese aus?<br />
Das kommt schon vor. Einen Image-Schaden<br />
kann ich mit den normalen zivilrechtlichen<br />
Mitteln gar nicht reparieren, jedenfalls<br />
nicht auf eine vernünftige Art und<br />
Weise. Also muss ich dem Mandanten helfen,<br />
den entstandenen Schaden irgendwie<br />
auszugleichen. Das ist im Regelfall nicht<br />
durch jahrelange Prozesse bis zum BGH zu<br />
erreichen, sondern durch einen pragmatischen<br />
Ansatz. Es gibt natürlich auch auf<br />
der Gegenseite sehr kompetente Rechtsabteilungen,<br />
die das genauso sehen und die,<br />
wenn sie die Aufforderung zum Abdruck<br />
der Gegendarstellung und zur Abgabe der<br />
Unterlassungsverpflichtungserklärung auf<br />
dem Tisch haben, von selber auf die Idee<br />
kommen, uns vorzuschlagen, den ganzen<br />
Jurakram beiseite zu schieben und z. B. die<br />
neue Platte des Mandanten zu besprechen<br />
oder sie zu verlosen.<br />
Gibt es besondere Regeln zu beachten im<br />
Umgang mit Ihren prominenten Mandanten?<br />
Prof. Dr. Matthias Prinz ist zugelassener<br />
Rechtsanwalt in New York und Hamburg<br />
und prominentestes Mitglied der Kanzlei<br />
„Prinz Neidhardt Engelschall“ in Hamburg,<br />
die jedes Jahr über 500 medienrechtliche<br />
Verfahren betreut. Sein Tätigkeitsschwerpunkt<br />
liegt im Bereich des Internationalen<br />
Rechts, des Kommunikationsrechts und des<br />
Medienrechts. Er ist ausserdem Honorarprofessor<br />
an der FU Berlin und der FH Wiesbaden<br />
und Autor des 1999 im C.H. Beck Verlag<br />
erschienenen Buches „MEDIENRECHT -<br />
Die zivilrechtlichen Ansprüche“.<br />
Wirkliche Stars sind angenehm. Sie müssen<br />
sich nicht mehr inszenieren. Das sind häufig<br />
vernünftige, amüsante, geniale Leute,<br />
mit denen man sehr gut umgehen und<br />
kommunizieren kann. Nur die, die noch<br />
dabei sind, richtig wichtig zu werden, sind<br />
manchmal etwas mühsam. Aber da hilft es<br />
natürlich, dass ich im Laufe der Jahre eine<br />
Menge Erfahrung im Umgang mit Mandanten<br />
gesammelt habe.<br />
Wenn sich ein junger Student mit der Frage<br />
an Sie wendet, in welchem Bereich er sich<br />
spezialisieren sollte: Würden Sie ihm Medienrecht<br />
empfehlen?<br />
Dagegen spricht zunächst einmal, dass dieser<br />
Markt sehr klein ist. Die Zahl der medienrechtlichen<br />
Positionen ist sehr begrenzt.<br />
Das Rechtsgebiet selbst ist nach wie<br />
vor faszinierend, weil es ein Gebiet mit sehr<br />
wenigen gesetzlichen Regelungen und<br />
einem sich ständig weiter entwickelndem<br />
Richterrecht ist. Darum handelt es sich um<br />
ein extrem flexibles und immer wieder neu<br />
geschöpftes Rechts. Es ist spannend, immer<br />
mittendrin zu sein in dieser Entwicklung.<br />
Man muss allerdings in der Lage sein, sich<br />
in andere Rechtsgebiete extrem schnell einzuarbeiten,<br />
weil man die verschiedenen<br />
Sachverhalte vor der presserechtlichen Bewertung<br />
erst mal verstanden haben muss.<br />
Wenn z. B. ein Wirtschaftsunternehmen,<br />
dem Bilanzmanipulationen vorgeworfen<br />
werden, zu Ihnen kommt, müssen sie sich<br />
mit dessen Bilanzfachleuten zusammensetzen<br />
und verstehen, was die Medien dem<br />
Unternehmen eigentlich vorwerfen. Anschließend<br />
müssen sie dies in dem Antrag<br />
auf einstweilige Verfügung so nachvollziehbar<br />
umsetzen, dass das Gericht die<br />
schwierigen Fragen des Bilanzrechts im<br />
einstweiligen Verfügungsverfahren schnell<br />
überblicken kann. Die stetige Auseinandersetzung<br />
mit rechtlichen Problemen aus<br />
ganz verschiedenen Bereichen macht unsere<br />
Arbeit so besonders interessant. Aber<br />
auch unsere Erfahrungen mit den Mandanten,<br />
die teilweise wirklich beeindruckende<br />
Persönlichkeiten sind, sind sehr wertvoll.<br />
Über welche besonderen Fähigkeiten muss<br />
ein Medienrechtler – neben den entsprechenden<br />
Fachkenntnissen – verfügen?<br />
Er muss einen Sinn für die Medien haben.<br />
Alle, die heute für uns tätig sind, haben<br />
sich irgendwann einmal intensiv mit Medien<br />
beschäftigt, haben ein Volontariat<br />
gemacht oder für eine Schülerzeitung geschrieben.<br />
Man muss die Mechanismen der<br />
Medien verstehen können. Ausserdem –<br />
das gilt für alle Juristen – muss man sich<br />
vom „Fachidioten-Approach“ lösen und<br />
versuchen, offen zu sein. Man muss darüber<br />
hinaus alternative Lösungsmöglichkeiten<br />
im Blick haben. Zusätzlich hilft es natürlich<br />
beim Umgang mit Medien, wenn<br />
man eine klare und deutliche Sprache<br />
spricht. Das ist ja bei Juristen auch nicht<br />
immer der Fall. Ob sich jemand als Medienrechtler<br />
eignet, kann man letztlich<br />
aber erst nach einiger Zeit der praktischen<br />
Erprobung feststellen. Deshalb nehmen<br />
wir so gerne Referendare und stellen dann<br />
in der Zusammenarbeit fest, ob jemand<br />
wirklich Talent hat für unseren Job. In der<br />
Vergangenheit haben wir das Wachstum<br />
unserer Kanzlei an zusätzlichen Mitarbeitern<br />
auch fast immer aus unseren Referendaren<br />
rekrutiert.<br />
Das Gespräch führte Ingo Sparmann<br />
justament drei 2002<br />
19
Ausbildung<br />
Standortbestimmung<br />
Die bundesdeutsche Juristenausbildung im europäischen Vergleich.<br />
Ein Gespräch mit Dr. Ranieri.<br />
ie deutsche Juristenausbildung ist im<br />
Deuropäischen Vergleich gar nicht so<br />
schlecht wie immer wieder behauptet<br />
wird.“ Professor Ranieri weiß wovon er<br />
spricht, er lehrt seit viel Jahren an verschiedenen<br />
europäischen Universitäten<br />
zum Beispiel in Saarbrücken oder in Strasbourg.<br />
Bereits in der JZ 1997, 801ff. und<br />
JZ 1998, 831ff. hat er sich zu diesem<br />
Thema geäußert. Ferner hat er Stellung<br />
genommen zum Entwurf des Gesetzes zur<br />
Reform der Juristenausbildung.<br />
Welche Kritik ist nun insbesondere im<br />
europäischen Vergleich berechtigt? Professor<br />
Ranieri hat hierzu Stellung genommen:<br />
Die deutsche Juristenausbildung, welche<br />
durch Staatsexamina abgeschlossen wird,<br />
ist in seiner bestehenden Form einzigartig.<br />
Das deutsche Modell hat praktisch die Universität<br />
aus der Juristenausbildung weitgehend<br />
verdrängt. Es fehlt nicht nur ein Universitätsabschlussexamen,<br />
sondern auch,<br />
dass Prüfungen und sonstige Leistungen<br />
während der Universitätskarriere keine Berücksichtigung<br />
bei der Bewertung des 1.<br />
Staatsexamens finden. Damit hat die Universität<br />
keine Möglichkeit, Einfluß auf die<br />
wissenschaftliche Prägung und Orientierung<br />
des Studiums zu nehmen und muss<br />
sich der Ausrichtung der Rechtsausbildung<br />
auf die fallbezogene Gutachtentechnik<br />
IEine staatliche Besoldung der Rechtspraktikanten<br />
existiert in keinem europäischen<br />
Land in einer vergleichbaren Form<br />
wie für das deutsche Referendariat.<br />
beugen. Professor Ranieri bedauert, dass<br />
die völlige Freiheit des deutschen Studenten<br />
häufig zu einem ineffizienten Studierverhalten<br />
verführt.<br />
In keinem anderen europäischen Land<br />
wird die Juristenausbildung ohne eine universitäre<br />
Prüfung abgeschlossen. Allerdings<br />
kann die Universitätsprüfung in<br />
manchen romanischen Ländern kein Vorbild<br />
sein. So ist in Frankreich, Italien und<br />
Spanien die beherrschende Stellung der<br />
Mündlichkeit im Unterricht und vor allem<br />
im Prüfungswesen problematisch. Ferner<br />
sind der abstrakte und theoretische Charakter<br />
der Lehre und die repetitiven Prüfungsanforderungen<br />
in den Universitätsexamina<br />
zu bemängeln. Schriftliche Aufnahmeprüfungen,<br />
die in Form von<br />
Rechtsgutachten zu verfassen sind, stellen<br />
die Bewerber häufig vor unüberwindbare<br />
Schwierigkeiten. Auch das Referendariat in<br />
ist seiner bestehenden Form einzigartig.<br />
Nur Österreich und Schweden haben eine<br />
ähnliche praktische<br />
Ausbildungsphase unter<br />
staatlicher Aufsicht. Jedoch<br />
hat in fast allen<br />
kontinentalen Ländern<br />
der junge Jurist heute<br />
nach dem Universitätsbesuch<br />
noch als Praktikant eine mehrjährige<br />
langwierige und intensive Beschäftigung<br />
mit der Berufspraxis zu absolvieren.<br />
Die staatliche Justizverwaltung und die<br />
Rechtsanwaltskammern organisieren und<br />
beaufsichtigen auch hier die praktische<br />
Ausbildungsphase.<br />
Staatliche Besoldung<br />
Eine staatliche Besoldung der Rechtspraktikanten<br />
existiert in keinem europäischen<br />
Land in einer vergleichbaren Form wie für<br />
das deutsche Referendariat. In den meisten<br />
kontinentalen Ländern ist diese praktische<br />
Ausbildungsphase der privaten und so<br />
auch der wirtschaftlichen Initiative der Betroffenen<br />
überlassen. Dies gilt vor allem<br />
für die Anwaltsprüfung. In Spanien scheint<br />
es sogar üblich zu sein, dass der frische<br />
Universitätsabsolvent, der sich eigentlich<br />
gleich als Anwalt niederlassen könnte,<br />
selbst ein Honorar zahlt, um in besonders<br />
guten Kanzleien auf die Praxis vorbereitet<br />
zu werden.<br />
Ist das Modell des deutschen Staatsexamens<br />
demnach nur ein Relikt eines vergangenen<br />
autoritären Staatsverständnisses?<br />
Professor Ranieri betont, dass ein realistischer<br />
Vergleich zeigt, dass das<br />
deutsche Staatsexamen funktional Entsprechungen<br />
in nahezu sämtlichen kontinentalen<br />
Ländern findet. Dies in der Form<br />
von unter staatlich Aufsicht durchgeführten<br />
Eignungsprüfungen für den Zugang<br />
zu einer bestimmten juristischen Profession.<br />
Allerdings sind diese Eignungsprüfungen<br />
je nach Berufsausgang, wie etwa<br />
Aufnahme in die Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft<br />
oder in das Notariat, unterschiedlich<br />
strukturiert.<br />
In Italien gelten die „concorsi“ für die<br />
Aufnahme in die Justiz und vor allem diejenigen<br />
für die Aufnahme in das Notariat,<br />
als unüberwindbar. Dies beweisen die<br />
IDies könnte zur „Proletarisierung<br />
der Anwaltschaft“ führen, wie es<br />
bereits in anderen europäischen<br />
Ländern der Fall ist.<br />
hohen Durchfallquoten, die am Appellationsgericht<br />
Mailand heute zwischen 80<br />
und 90% liegen. Die Folge ist, daß ehemalige<br />
Richter private und sehr teure Vorbereitungsschulen<br />
für Prüfungskandidaten<br />
betreiben. Zu beachten<br />
ist dabei, daß<br />
sich deren Angebot<br />
kaum von den deutschen<br />
Repetitorien<br />
unterscheidet. Das<br />
differenzierte System<br />
von spezifischen Eingangs- und Fachprüfungen<br />
offenbart allerdings eine weitaus<br />
höhere professionelle Flexibilität. Die starre<br />
Einheitlichkeit des preußischen Modells<br />
des sogenannten „Volljuristen“ scheint<br />
somit in der Tat bei einem internationalen<br />
Vergleich den heutigen ausdifferenzierten<br />
Anforderungen der juristischen Fachqualifikationen<br />
nicht immer zu entsprechen.<br />
Die Kritik an dem hohen Alter in dem<br />
die deutschen Juristen ihre Ausbildung abschliessen,<br />
hält Prof. Ranieri hingegen für<br />
nicht überzeugend. Ein Altersvergleich mit<br />
den ausländischen Universitätsabsolventen<br />
ist irreführend. Vielmehr müssen die Kandidaten<br />
der deutschen Staatsexamina mit<br />
denen verglichen werden, welche die Eignungs-<br />
und Zulassungsprüfungen bestehen<br />
müssen. Im Ergebnis lägen kaum wesentliche<br />
Altersunterschiede vor.<br />
Die Reform der Juristenausbildung<br />
Die Reform der deutschen Juristenausbildung<br />
ist nach Professor Ranieris Ansicht<br />
erforderlich und begrüßenswert . Den wesentlichen<br />
Kern einer Studienreform sieht<br />
er jedoch in einer radikalen Befreiung der<br />
Fakultäten von den derzeitigen bürokratischen<br />
Regulierungen. Er fordert deren<br />
kompromisslose Entlassung in die Freiheit,<br />
um die eigenen Qualitäts- und Erfolgsansprüche<br />
selbst zu definieren.<br />
Als ein Schritt in diese Richtung kann<br />
der Beschluss des Verwaltungsausschusses<br />
der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen<br />
gesehen werden: vom Wintersemester<br />
an, sollen die Studienplätze im<br />
Fach Jura von den Hochschulen selbst vergeben<br />
werden und nicht mehr von der<br />
ZVS. Dies wird sicherlich die Konsequenz<br />
haben, dass einige Fakultäten einen lokalen<br />
Numerus Clausus einführen und dass<br />
so die übrigen Fakultäten einem verstärkten<br />
Wettbewerb ausgesetzt werden. „Mei-<br />
20<br />
justament drei 2002
Ausbildung<br />
nes Erachtens ist dies nur der Beginn einer<br />
Entwicklung, die unvermeidlich ist“, so<br />
Prof. Ranieri.<br />
Auch hält er frühzeitige Eignungskontrollen<br />
für notwendig. Eine solche Eignungsprüfung<br />
lässt sich sowohl durch eine<br />
nach drei oder vier Semestern zwischengeschaltete<br />
Prüfung als auch durch die systematische<br />
Einführung von Abschlussprüfungen<br />
nach jeder Lehrveranstaltung und<br />
einer Einführung von credit points erreichen.<br />
Dadurch wird verhindert, dass das<br />
große Erwachen erst am Ende des Studiums<br />
kommt.<br />
Der Gesetzentwurf zur Reform der Juristenausbildung<br />
ist nach Prof. Ranieris<br />
Ansicht jedoch in verschiedener Hinsicht<br />
zu widersprechen: Die Lösung des Reformvorschlags,<br />
welcher Abschlussprüfungen<br />
sowohl durch die Universität als auch<br />
durch die juristischen Justizprüfungsämter<br />
vorsieht, führt im Ergebnis zu einer gemischten<br />
Zuständigkeit der Fakultäten<br />
und der juristischen Prüfungsämter. „Dies<br />
ist ein fauler Kompromiss!“ Ein Kompromiss<br />
anstelle einer radikalen Reform: die<br />
angestrebte Lösung wählt zum Teil die<br />
Verantwortung des Staates und führt<br />
ausserdem zu einer Verantwortung der<br />
einzelnen Fakultäten ohne dass eine Korrespondenz<br />
zwischen diesen beiden Bereichen<br />
stattfindet. Der universitäre Teil der<br />
Prüfung würde in die Endnote einfließen,<br />
ohne dass der Staat eine Möglichkeit der<br />
Qualitätskontrolle hat. Auf der anderen<br />
Seite hat die Fakultät keinen Einfluss auf<br />
die Politik des JPA. Prof. Ranieri plädiert<br />
gegen diese gemischte Verantwortung.<br />
Stattdessen schlägt er ein System vor, das<br />
die Kompetenzen von Universität und Justizprüfungsamt<br />
klar trennt: die wissenschaftliche<br />
Ausbildung an den Universitäten<br />
soll frei von staatlicher Regulierung<br />
sein. Nach der jeweiligen Berufsentscheidung<br />
soll es dann berufsspezifische Staatsprüfungen<br />
geben als Eingangshürden zu<br />
den juristischen Fachberufen, so z.B. eine<br />
Anwalts- oder Richterzulassungsprüfung.<br />
Historischer Ursprung<br />
des Staatsexamens<br />
Damit besteht keine Notwendigkeit mehr,<br />
die Voraussetzungen für die Zulassung<br />
zum Richterdienst mit den Voraussetzungen<br />
zur Zulassung zur Anwaltschaft<br />
gleichzustellen. Die Idee einer einheitlichen<br />
Ausbildung, welche mit<br />
dem Staatsexamen abgeschlossen<br />
wird, ist<br />
nämlich historischen<br />
Ursprungs. Ende<br />
des 18. Jahrhunderts<br />
hatte das Examen in<br />
erster Linie die Funktion<br />
der Professionalisierung<br />
der Justiz in<br />
Preussen. Die Absolventen waren im wesentlichen<br />
Staatsdiener, die später auch im<br />
Staatsdienst als Beamte übernommen worden<br />
sind. Dies ist zur Zeit jedoch ganz und<br />
gar nicht der Fall: ein Großteil der heutigen<br />
Absolventen wird nicht im Staatsdienst<br />
landen. Somit läßt sich auch eine juristische<br />
Ausbildung, die auf den späteren<br />
Staatsdienst ausgerichtet ist, nicht halten.<br />
Allerdings sieht Professor Ranieri auch bei<br />
seiner vorgeschlagenen Reform Probleme:<br />
im wirtschaftlichen Sinne stellt sich die<br />
Frage, ob die Anwaltschaft willig und finanziell<br />
fähig sein wird, die Ausbildungsaufgabe<br />
für den eigenen Nachwuchs zu<br />
übernehmen. Fraglich bleibt auch, ob dann<br />
der Teil der Absolventen, welcher mit<br />
schlechten Noten des Studium anschließt<br />
von der Möglichkeit der professionellen<br />
Ausbildung ausgeschlossen würde. Dies<br />
könnte zur „Proletarisierung der Anwaltschaft“<br />
führen, wie es bereits in anderen<br />
europäischen Ländern der Fall ist.<br />
Ranking und Wettbewerb<br />
Auch können sich Probleme bei der Gewährleistung<br />
von Qualität und Gleichförmigkeit<br />
der Anforderungen ergeben. Die<br />
Qualitätsanforderungen bei rein universitären<br />
juristischen Prüfungen lassen sich<br />
aber dann erreichen, wenn die Fakultäten<br />
in eigener Verantwortung Lehrcurricula<br />
und Prüfungen zu vertreten haben. Dies<br />
sieht auch der Gesetzesentwurf vor, in dessen<br />
Begründung ausdrücklich ein Ranking<br />
und ein Wettbewerb gefordert wird. So<br />
könnte nach Prof. Ranieris Ansicht das<br />
Universitätsstudium auch aus Studentenperspektive<br />
wieder eine größere Rolle spielen.<br />
Die deutschen Rechtsfakultäten müssen<br />
in die Lage versetzt werden, dass der<br />
berufliche Erfolg der eigenen Absolventen<br />
sich tatsächlich lohnt- sie also ähnlich wie<br />
bei amerikanischem Law Schools ihre Absolventen<br />
als Visitenkarten für Qualität<br />
sehen und dieser letztendlich den Ruf der<br />
Fakultät ausmacht. Dringend ausbaubedürftig<br />
ist in Deutschland vor allem die<br />
wirtschaftliche Komponenete des Juristenausbildung.<br />
Betriebswirtschaftliche und<br />
steuerrechtliche Ausbildungsthemen sind<br />
von großer Wichtigkeit. Auch die internationalen<br />
Rechtsgebiete, wie z.B. das Internationale<br />
Privatrecht und die Kenntnisse<br />
über die europäischen Rechtsordnungen<br />
müssen verstärkt gelehrt werden. Die<br />
Wertschätzung der universitären Lehrangebote<br />
von studentischer Seite könnte ferner<br />
das Problem der kommerziellen Repetitorien<br />
lösen. Professor Ranieri bestätigt,<br />
dass die deutschen Universitäten momentan<br />
nicht in angemessener Weise auf die<br />
Anforderungen des Ersten Staatsexamens<br />
vorbereiten. Man könne nicht leugnen,<br />
dass die kommerziellen Repetitorien eine<br />
Nachfrage erfüllen, die innerhalb der Universitäten<br />
nur wenig Beantwortung erfährt.<br />
Mit Hilfe der Reform muss diesem<br />
Umstand dringend Abhilfe geschaffen<br />
werden. Auf dem Spiel steht nämlich nicht<br />
nur die Privatisierung des Universitätsunterrrichts,<br />
sondern auch die Trivialisierung<br />
der Didaktik und die Aufgabe eines wissenschaftlichen<br />
Anspruchs der Juristenausbildung.<br />
Universitäre Lehrveranstaltungen<br />
müssen vor allem darin bestehen,<br />
das methodische und theoretische Wissen<br />
zu vermitteln. Die argumentative Schulung<br />
setzt nämlich weit mehr als das Pauken<br />
von Fakten voraus. (vergl. auch Ranieri in<br />
JZ 2001, S. 856-861)<br />
Abschliessend bleibt zu sagen: Die Reform<br />
der Juristenausbildung ist notwendig<br />
und sinnvoll, um den angeführten Qualitätsproblemen<br />
der deutschen Juristenausbildung<br />
entgegenzuwirken. Nur so wird<br />
die Ausbildung dem europäischen und<br />
internationalen Vergleich standhalten<br />
können und letztendlich auch konkurrenzfähig<br />
sein.<br />
Das Gespräch führte Kristina Orthman<br />
justament drei 2002<br />
21
und danach<br />
Einstieg in die Verlagsbranche<br />
Zwischen Ratzingers Kindheitserinnerungen und diffizilem Vertragswerk<br />
Grafik: David Fuchs<br />
Dominik Heuel<br />
als Juristin oder Jurist in einem<br />
WVerlag arbeiten will, dem steht nicht<br />
nur die Rechtsabteilung offen. Auch Lektoratsstellen<br />
werden mit Juristen besetzt. Ein<br />
Praktikum bei Heyne, Rowohlt oder im Aufbau-Verlag<br />
kann helfen, sich über die verschiedenen<br />
Möglichkeiten klarer zu werden.<br />
Meine Wartezeit auf das Referendariat<br />
wollte ich darauf verwenden, das Verlagswesen<br />
kennen zu lernen, und das zur Abwechslung<br />
aus nicht-juristischer Sicht.<br />
Praktikumsplätze im Lektoratsbereich<br />
werden allerdings ein bis eineinhalb Jahre<br />
im Voraus vergeben, das gilt besonders für<br />
den Bereich gehobene Sachliteratur. Bei<br />
Siedler, Suhrkamp oder Herder ist also<br />
kurzfristig kaum etwas zu machen. Ich trat<br />
daher zunächst eine dreimonatige Praktikantenstelle<br />
im Lektorat des Heyne Verlags<br />
an, der eigentlich nicht zu meinen Favoriten<br />
zählte. Das Schwabinger Traditionshaus<br />
hat aber den Vorteil, dass auch Praktikanten,<br />
schon wegen des enormen Programmumfangs,<br />
eigenständige Aufgaben<br />
übertragen werden. Das Sachbuchprogramm<br />
bot eine schräge Mischung und<br />
reichte von „Sissi“-Biographien bis hin zu<br />
feinsinnigen Texten wie den Kindheitserinnerungen<br />
Joseph Ratzingers oder der<br />
Dissertation des Altmeisters der Liebe Erich<br />
Fromm aus dem Jahre 1922. Unter Anleitung<br />
meiner Lektorinnen (Lektoren sind<br />
im Verlag die seltene Ausnahme) arbeitete<br />
ich an Text und Cover, korrespondierte mit<br />
Übersetzern oder Verlagen und nahm an<br />
den verschiedenen Lektoratssitzungen teil.<br />
Der Großverlag hat außerdem den Vorteil,<br />
dass er über alle klassischen Ressorts<br />
verfügt: Lektorate, Herstellung, Presse,<br />
Werbung, Lizenzen, Rechtsabteilung und<br />
Vertrieb (für Praktikanten gibt es entsprechende<br />
Einführungen). Sonderlich ertragreich<br />
ist die Tätigkeit nicht, immerhin gab<br />
es eine mäßige monatliche Bezahlung. Es<br />
wird eine Mitarbeit für mindestens drei<br />
Monate gewünscht. Bei Interesse wendet<br />
man sich am besten direkt an das gewünschte<br />
Lektorat.<br />
Verlagsadresse:<br />
Wilhelm Heyne Verlag,<br />
Paul-Heyse-Str. 28,<br />
80336 München,<br />
Tel.: 089-5 14 80.<br />
Das Gegenteil von Massenproduktion betreibt<br />
der Rowohlt-Berlin-Verlag, bei dem<br />
ich zwei weitere Monate hospitierte. Der<br />
beschauliche Rowohlt-Ableger am Hackeschen<br />
Markt ist ein Nachwende-Produkt<br />
des Ex-Kulturstaatsministers Michael Naumann<br />
(damals Rowohlt-Verlagsleiter) mit<br />
Themenschwerpunkt Osteuropa. Das Programm<br />
verantwortet jetzt die vormalige<br />
Wunderlich-Chefin Siv Bublitz. Unter<br />
demselben Dach befinden sich noch die<br />
Rowohlt-Medienagentur und Hans Magnus<br />
Enzensbergers legendäres „Kursbuch“.<br />
Meine Aufgabe bestand neben dem<br />
Sichten der Presse und Mithilfe bei der<br />
Vorbereitung von Lesungen vor allem im<br />
Votieren von Manuskripten. Die Lektoren<br />
haben sich zwei bis drei mal Zeit genommen,<br />
die Gutachten ausführlich mit mir zu<br />
besprechen.<br />
Praktikumsplätze sind bei Rowohlt-<br />
Berlin sehr schwer zu ergattern. Die Mitarbeit<br />
soll nach Vorstellung des Verlags zwischen<br />
vier Wochen und drei Monaten dauern<br />
und ist unbezahlt. Zum Ausgleich<br />
bekommt man allerdings ein Kontingent<br />
an Büchern. Ansprechpartnerin für Praktikumsfragen<br />
ist Frau Thron.<br />
Verlagsadresse: Rowohlt-Berlin Verlag,<br />
Neue Promenade 5,<br />
10178 Berlin,<br />
Tel.: 030-2 85 38 40.<br />
Katharina Sack<br />
ber dem Hackeschen Markt in Berlins<br />
Üneuer Mitte thront das Gebäude des<br />
Aufbau-Verlages. Er wurde 1945 gegründet<br />
und war dann ein renommierter DDR-Verlag.<br />
Mittlerweile hat er einen wichtigen<br />
Platz auf dem Literaturmarkt gefunden<br />
und gehört mit drei weiteren Verlagen zur<br />
Aufbau-Verlagsgruppe.<br />
Kurz nach meinem ersten Staatsexamen<br />
begann ich ein viermonatiges Praktikum<br />
in der Rechts- und Lizenzabteilung.<br />
Eine der ersten Aufgaben, sozusagen zum<br />
Warmwerden, ist der Versand der Belegexemplare<br />
an die Autoren und Übersetzer,<br />
sowie die Erteilung von Abdruckgenehmigungen<br />
an andere Verlage. Beides stellt<br />
einen selten vor schwierige juristische Probleme,<br />
ist aber für die Sicherung der Autorenrechte<br />
von Bedeutung. Gleichzeitig<br />
lernt man so die Umsetzung eines Autorenvertrages<br />
kennen und versteht bestimmte<br />
Vertragsklauseln besser, weil man<br />
ihre praktische Relevanz kennt.<br />
Dagegen stellen sich bei der Kontrolle<br />
der Gültigkeit von Verträgen oder ihrer<br />
Anpassung an die aktuelle Sach- und<br />
Rechtslage hauptsächlich juristische Fragen.<br />
Spannend ist die Planung eines<br />
neuen Buchtitels. Zuerst muss recherchiert<br />
werden, ob es diesen oder einen ähnlichen<br />
<strong>Titel</strong> bereits gibt. Dann ist eventuell die<br />
rechtliche Zulässigkeit des geplanten <strong>Titel</strong>s<br />
zu klären. Sehr interessant wird es auch,<br />
wenn sich jemand durch ein Werk in seinem<br />
Persönlichkeitsrecht verletzt fühlt.<br />
Auch hierfür ist die Rechts- und Lizenzabteilung<br />
zuständig.<br />
Da der Verlag noch relativ klein ist, bekommt<br />
man von fast allen wichtigen Vorgängen<br />
etwas mit und erhält auch einen<br />
guten Überblick über anderen Abteilungen,<br />
wie Werbung, das Vertriebssystem,<br />
die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und<br />
das Marketing.<br />
Das Praktikum wird grundsätzlich nicht<br />
bezahlt, aber das ist letztendlich – wie auch<br />
die Mindestdauer von drei Monaten – Verhandlungssache.<br />
Ansprechpartner:<br />
Frau Kathrin Schulz<br />
Abt. Rechte und Lizenzen<br />
Neue Promenade<br />
10117 Berlin<br />
schulz@aufbau-verlag.de<br />
www.aufbau-verlag.de<br />
22<br />
justament drei 2002
und danach<br />
Good on ya, mate!<br />
Der LL.M. in Wellington, Neuseeland<br />
David Schmidtke<br />
er sich für den Magister Legum in der<br />
WHauptstadt Neuseelands entscheidet,<br />
findet sich nach langem Flug und einer informativen<br />
Einführungswoche im Postgraduate<br />
Room der Law Faculty im ehemaligen<br />
Regierungsgebäude wieder. Der Raum<br />
wird geteilt mit LL.M.-Studenten aus England,<br />
Indonesien, China, Pakistan, Indien,<br />
Neuseeland und natürlich Deutschland.<br />
Die Popularität des LL.M. in Deutschland<br />
schlägt sich, wie wohl fast überall, auch<br />
hier nieder. So sind zwölf der 26 Studenten<br />
meiner Master Class Deutsche.<br />
Dass nun aber ausgerechnet hier so<br />
viele Deutsche sind, hat einen handfesten<br />
Grund. Zwischen Neuseeland und Deutschland<br />
besteht ein Ausbildungsabkommen,<br />
welches Deutsche dazu berechtigt, in Neuseeland<br />
zu den Inlandsgebühren zu studieren.<br />
Diese betragen 3800 neuseeländische<br />
Dollar für den einjährigen LL.M., etwa<br />
1900 Euro. Die internationalen Studiengebühren<br />
sind weitaus höher. So müssen die<br />
oben genannten Kommilitonen umgerechnet<br />
9000 Euro berappen.<br />
Große Kursauswahl<br />
Man bekommt etwas geboten für sein<br />
Geld. Das Seminarangebot für Master-Studenten<br />
ist zwar nicht in allen Trimestern<br />
gleich reichhaltig bestückt. Jedoch besteht<br />
immer die Möglichkeit, durch Teilnahme<br />
an den normalen Unikursen der neuseeländischen<br />
Studenten Punkte für den<br />
LL.M. zu sammeln. So ist die Kursauswahl<br />
recht vielfältig, und man hat das Vergnügen,<br />
mit einheimischen Studenten im Hörsaal<br />
zu sitzen. Der LL.M.-Student hat die<br />
Informationen<br />
Informationen ueber Anmeldefristen und<br />
Kursangebote des LL.M. in Wellington<br />
gibt’s unter:<br />
www.vuw.ac.nz /law/ postgrad.html.<br />
Ein besonderer Notendurchschnitt fuer<br />
deutsche Bewerber ist nicht erforderlich.<br />
Kontaktadressen von KPMG Legal finden<br />
sich bei:<br />
www.kpmglegal.co.nz.<br />
www.webinside.de/wissen/neuseeland<br />
freie Wahl von „Alternative Dispute Resolution“<br />
für Studenten im dritten Unijahr<br />
über Medicine and the Law in New Zealand<br />
bis zum „International Trade Law“<br />
Seminar für Postgraduierte und besonders<br />
qualifizierte neuseeländische Undergraduates.<br />
Zudem steht einem das Thema der<br />
Abschlussarbeit, die etwa ein Viertel des<br />
gesamten Programms ausmacht, frei, solange<br />
es ein wenig mit Recht zu tun hat<br />
und auf englisch geschrieben wird. So<br />
unterschiedlich die Rechtsgebiete sind, aus<br />
denen der deutsche Student hier wählen<br />
kann, so einheitlich ist am Ende der <strong>Titel</strong><br />
des Magister Legum, den er hinter seinem<br />
Namen mit zurück nach Hause nimmt.<br />
Integriertes Praktikum<br />
Ein weiterer großer Pluspunkt des LL.M.<br />
in Wellington ist die Möglichkeit, einen<br />
Teil des Masterprogramms als Intern in<br />
einer Anwaltskanzlei, einem Wirtschaftsunternehmen,<br />
am Gericht oder in Ministerien<br />
zu absolvieren. Inhaltlich muss<br />
das nichts mit den Kursen an der Law<br />
School zu tun haben. Universitäre Betreuung<br />
besteht während des Praktikums insoweit,<br />
als man in gelegentlichen Seminaren<br />
bei Wein und Keksen von seiner<br />
Rechtstätigkeit erzählt und am Ende<br />
einen Bericht schreibt. So konnte ich 40<br />
der für den LL.M. insgesamt erforderlichen<br />
120 Punkte durch ein Praktikum in<br />
einer neuseeländischen Großkanzlei erzielen.<br />
Drei Monate lang saß ich acht<br />
Stunden täglich in einem schicken Glasbüro<br />
und arbeitete für das Public Law<br />
Team von KPMG Legal New Zealand. Dort<br />
wurde ich freundlich aufgenommen und<br />
in die Gemeinschaft der 80 Anwälte integriert.<br />
Die Teilnahme an Fortbildungsseminaren<br />
und allen Social Events war<br />
ebenso selbstverständlich wie eigenverantwortliches<br />
Recherchieren und wöchentliche<br />
Präsentationen vor dem Team.<br />
Wem das nun nach viel Arbeit klingt,<br />
dem sei versichert: Gerade nach dem Aufwand,<br />
den man in Deutschland ja bekanntlich<br />
für die beiden Staatsexamina<br />
betreiben muss, ist dieses LL.M.-Jahr in<br />
Neuseeland ein zwar anspruchsvolles, aber<br />
nur selten stressiges und nie druckbeladenes.<br />
Ein 45-minütiger Seminarvortrag vor<br />
Juristen aus fünf verschiedenen Ländern,<br />
dazu noch auf englisch, ist eine große<br />
Sache. Aber zur Belohnung bleibt viel Zeit<br />
zum Reisen. Zu sehen gibt es in Neuseeland<br />
viel, und wer ein ganzes Jahr fuer den<br />
LL.M. veranschlagt, hat dafür auch mindestens<br />
zwei bis drei Monate Zeit. Dabei lernt<br />
man atemberaubende Landschaften kennen<br />
und immer freundliche, herzliche und<br />
hilfsbereite Kiwis.<br />
Nachteile? Keine. Na gut, vielleicht ein<br />
paar. Der für junge deutsche Juristen wohl<br />
schmerzlichste ist die leider recht unterentwickelte<br />
Medienkultur Neuseelands.<br />
Zeitungen und Fernsehen berichten über<br />
Weltpolitik, wenn überhaupt, nur am<br />
Rande. Ja, selbst die nationale Politik ist<br />
selten Gegenstand von Leitartikeln und<br />
den Top News der Acht-Uhr-Nachrichten.<br />
Dementsprechend gering ist das Interesse<br />
der Neuseeländer an aktuellen politischen<br />
Debatten. Aber so richtig verwunderlich ist<br />
das dann eigentlich auch nicht, denn Neuseeland<br />
ist ein kleines Land mit wenigen<br />
Problemen im Südpazifik am Ende der<br />
Welt, weit weg von World Trade Centres<br />
und palästinensischen Flüchtlingsghettos.<br />
Erfreulich unvoreingenommen begegnen<br />
einem dadurch die Leute, sei es im Pub,<br />
am Strand oder im Rugbystadion.<br />
justament drei 2002<br />
23
und danach<br />
Die Praktikantenfalle<br />
Ein Praktikum bei einer Filmproduktionsgesellschaft<br />
Udo Zöbelein<br />
ich mit großer Mappe und viel Brimbo-<br />
um eine unbezahlte Praktikum-<br />
Srium<br />
stelle zu bewerben, ist in der Medienbranche<br />
keine Seltenheit. Die angespannte Arbeitsmarktlage<br />
und der Wunsch, sich<br />
wenigstens in der Nähe von Kreativität<br />
und Glamour aufzuhalten, sind der Grund<br />
dafür, dass sich die Rechtsabteilungen großer<br />
Film- und Fernsehproduktionsfirmen<br />
vor Bewerbern kaum retten können. Und<br />
weil der Andrang so groß ist, steigen auch<br />
die Anforderungen an die Qualifikation.<br />
Viele sind im hohen Semester, die meisten<br />
jedoch schon mit dem ersten Examen fertig<br />
– und alle sind sie hochmotiviert: Freuen<br />
sich auf die ersten echten Fälle in ihrem<br />
Wahlfach und sind zu viel Arbeit auch<br />
ohne Bezahlung bereit. „In Praktika kann<br />
man Kontakte herstellen und wertvolle Erfahrungen<br />
für die Praxis sammeln.“<br />
Wie sie dann zuschnappen kann, die<br />
Praktikantennenfalle, möchte der Autor an<br />
einem Beispiel verdeutlichen. An einer Erfahrung,<br />
die er selbst machen musste.<br />
Die Beginn der Geschichte<br />
Es ist Spätsommer. In einer großen Filmproduktionsgesellschaft<br />
im Süden von<br />
Berlin, nennen wir den Ort Babelsberg, hat<br />
er nach langem Warten endlich einen<br />
Praktikumplatz bekommen. Die Anwältin,<br />
seine neue Chefin, macht einen netten<br />
Eindruck, ist im Moment aber sehr beschäftigt,<br />
so dass nicht ganz klar ist,<br />
was man machen könnte. Aber die<br />
Bedingungen stimmen: An seinem<br />
Arbeitsplatz steht ein<br />
Computer und er hat<br />
Internet-Anschluss. Die<br />
Kommunikation mit<br />
seiner Anwältin läuft<br />
über E-Mail – das ist<br />
zwar komisch, weil sie<br />
ja eigentlich nur wenige Meter entfernt ist<br />
aber O.K., schließlich leben wir im 21.<br />
Jahrhundert. Die Kommunikation hat<br />
dann mehr Struktur und man überlegt sich<br />
bei einer Nachfrage auch zweimal, was<br />
man schreibt. Ohne Aufgabe vergehen die<br />
ersten Tage. Zunächst zaghaft, dann bestimmter<br />
fragt er via E-Mail nach einer Arbeit<br />
für ihn. Jeden Tag mehrere Anfragen,<br />
leider keine Antwort. Wieder ist ein Tag<br />
vergangen und man hat hauptsächlich unmotiviert<br />
in einem Urheberrechtskommentar<br />
geblättert. Kommunikationsversuche<br />
morgens und abends bei dem erzwungenen<br />
Begrüßungskontakt werden abgewürgt.<br />
Man wird auf die Elektronik verwiesen.<br />
Sein Name auf den Mails ist „Christine“.<br />
Das war wohl seine Vorgängerin<br />
und noch hat niemand die Zeit gefunden,<br />
den Namen zu ändern.<br />
Nach der ersten Woche<br />
Inzwischen hat er Teile der Büroorganisation<br />
übernommen und auch die ersten juristischen<br />
„Aufgaben“ sind ihm kommentarlos<br />
eines Abends auf den Schreibtisch<br />
gelegt worden: Verträge abgleichen. Lizenzbestimmungen<br />
oder Standardarbeitsverträge<br />
für Schauspieler. Was genau er da<br />
ließt, versteht er nicht, Nachfragen per E-<br />
Mail ergibt keinen Sinn. Ohnehin lautet<br />
die Anweisung ja auch nicht verstehen,<br />
sondern abgleichen und zwar kommagenau.<br />
Das kann bei den ersten Verträgen<br />
noch interessant sein, schließlich bekommt<br />
man solche Verträge im Studium nicht zu<br />
Gesicht. Aber nach fünf abgeglichenen Lizenzverträgen<br />
weiß man zwar, was immer<br />
wieder geschrieben wird, der juristische<br />
Hintergrund erschließt sich aber nur sehr<br />
schwer. Dann Abwechslung: Die Rechtsabteilung<br />
soll eine bestimmte erbrechtliche<br />
Frage klären. Wahrscheinlich eine private<br />
Anfrage eines Mitarbeiters und unser<br />
Praktikant wird<br />
zur Recherche losgeschickt. Das benötigte<br />
Buch steht im Büro des Kollegen im selben<br />
Flur schräg gegenüber. Die ersten beiden<br />
Versuche scheitern an der Vorzimmerdame,<br />
da nicht gestört werden darf. Der Vormittag<br />
vergeht mit Nachfragen und der<br />
ungehörten Bitte, nur schnell das Buch zu<br />
herauszuholen. Nachdem seine Chefin Ergebnisse<br />
fordert, fasst er sich ein Herz. Es<br />
ist Nachmittag und die Vorzimmerdame<br />
nicht da. Er betritt nach Klopfen das Zimmer<br />
des Anwaltskollegen. Gereizt macht<br />
der sich Luft. Unangemessenes autodiätes<br />
Geblubber entweicht ihm von „wer glauben<br />
sie den, wer sie sind“ bis „bitte nur<br />
sprechen, wenn sie gefragt sind“. Aus dem<br />
Buch ist nichts geworden.<br />
Am nächsten Morgen kam der Praktikant<br />
dann nicht mehr zu seiner Ausbildungsstelle.<br />
Bei solchen unbezahlten<br />
„Praktika“ ist eine Kündigung nicht notwendig.<br />
Fazit<br />
Wie unverfroren Unternehmen in Zeiten<br />
der schlechten Arbeitsmarktlage sich dem<br />
Institut des Praktikums bedienen, ist unvorstellbar.<br />
Mit Ausbildung hat das in den<br />
wenigsten Fällen zu tun. Juristische Praktikanten<br />
hält man sich in er Filmbranche<br />
wie Stallhasen. Auf jeden freien Stuhl im<br />
Vorzimmer kann man einen setzen – kostet<br />
ja nichts. Unvorstellbar auch, dass aus<br />
diesen Praktika eine Festanstellung erwächst.<br />
Keine Rechtsabteilung stellt jemanden<br />
ein, der noch keine Erfahrung in<br />
einer echten Medienkanzlei gemacht hat.<br />
Wer wie die Praktikanten im eigenen Haus<br />
ständig die gleichen Verträge abgleicht,<br />
lernt doch nichts.<br />
Auch wer glaubt, in dieser Zeit Kontakte<br />
knüpfen zu können, ist naiv. Schon die<br />
Leute aus der Rechtsabteilung sind in der<br />
Firma zumeist verpönte Außenseiter, die<br />
kein Stück von dem eigentlichen Geschäft<br />
mitbekommen. Innerhalb der Rechtsabteilung<br />
ist der Konkurrenzdruck hoch und das<br />
schwächste Glied sind die Referendare.<br />
Alles in allem bleibt zu sagen:<br />
Bevor man ein Praktikum in der<br />
Rechtsabteilung einer Filmproduktionsfirma<br />
macht, ist es<br />
besser, in dieser Zeit ein gutes<br />
Buch zu lesen.<br />
24<br />
justament drei 2002 Grafik: David Fuchs
Auf dem Eis<br />
Bernhard Schlink schreibt über deutsche Vergangenheit, Schuld und Recht<br />
Literatur<br />
Jörn Reinhardt<br />
einem sicheren zeitlichen Abstand<br />
Aheraus erscheinen viele Dinge leichter.<br />
Man weiß eben mehr. Wann man nicht<br />
mehr hätte wegsehen dürfen zum Beispiel.<br />
Was man hätte tun müssen und wie. Wenn<br />
die Zusammenhänge erklärt und eingeordnet<br />
sind, wenn alles klar und übersichtlich<br />
wirkt, dann ist die Vergangenheit schon<br />
weitgehend bewältigt und weit weg.<br />
Eine These des neuen, jetzt bei Suhrkamp<br />
erschienenen Buches von Bernhard<br />
Schlink ist, dass dieser Zustand vermeintlicher<br />
Sicherheit ganz eigene Gefahren in<br />
sich trägt. „Vergangenheitsschuld und<br />
gegenwärtiges Recht“ ist der <strong>Titel</strong>, der in<br />
den letzten fünfzehn Jahren entstandene<br />
Essays und Aufsätze Schlinks auf ihren<br />
kleinsten gemeinsamen Nenner bringt. Im<br />
Zentrum steht die Auseinandersetzung<br />
mit der NS-Vergangenheit. Für Schlink<br />
und seine Generation, so kann man lesen,<br />
ist sie von zentraler Bedeutung. Immer<br />
wieder habe man die Thematik gegen<br />
Widerstände durchsetzen und behaupten<br />
müssen. Wenn Schlink darüber schreibt,<br />
geht es ihm nicht nur um abstrakte rechtliche<br />
und moraltheoretische Probleme. Es<br />
geht auch, und sehr detailliert, um die individuellen<br />
und kollektiven Strategien,<br />
Dinge unter den Teppich zu kehren. Es<br />
geht um das Regime von Taktgefühl und<br />
falscher Rücksichtnahme, das dafür sorgt,<br />
dass sie dort bleiben. Und um den großzügigen<br />
Umgang mit Biographien, der<br />
immer dann einsetzt, sobald die neue Zeit<br />
ihre Anforderungen stellt. In dieser Gemengelage<br />
erhält der Begriff der Kollektivschuld<br />
für Schlink einen Sinn. Kollektivschuld<br />
entstehe aus einer Solidarität<br />
mit den Tätern, die nie gänzlich aufgekündigt<br />
wird und vielleicht auch nicht so<br />
einfach aufgekündigt werden kann, weil<br />
es sich bei den Tätern um die Eltern oder<br />
Lehrer handelt. Den erforderlichen Emanzipationsprozess<br />
nennt er „Elternaustreibung“.<br />
„Lehreraustreibung“ wäre auch passend<br />
gewesen: Man erfährt von einer historischen<br />
Tagung am 4. Oktober im Jahr<br />
2000. Die Vereinigung der Deutschen<br />
Staatsrechtslehrer beschäftigt sich zum ersten<br />
Mal mit der NS - Vergangenheit. Viel<br />
Forschung und Literatur hat es zu diesem<br />
Thema bereits gegeben, und nun steht es<br />
auf der offiziellen Agenda des Zentralorgans<br />
der Wissenschaft vom Öffentlichen<br />
Recht. In der Aussprache bedankt sich die<br />
Professorenschaft bei den Vortragenden.<br />
Für ihren Mut und dafür, dass sie das<br />
Thema so „sachlich“ angegangen seien,<br />
also nicht moralisierend nach Schuld und<br />
Verstrickungen einzelner Staatsrechtslehrer<br />
gefragt haben. Eine merkwürdige Geste.<br />
Schlink beklagt in seinem Aufsatz das Ausblenden<br />
der moralischen Frage als verpasste<br />
Chance. Wolle man die Gefährdungen<br />
ausloten, denen jede Rechtskultur ausgesetzt<br />
ist, müsse man individuelles Fehlverhalten<br />
und Schuld in den Mittelpunkt<br />
rücken.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen<br />
überrascht es dann, wie Schlinks<br />
Einschätzung der strafrechtlichen Bewältigung<br />
der kommunistischen Vergangenheit<br />
nach 1989 ausfällt. In der Bestrafung der<br />
Todesschüsse an der Mauer durch bundesdeutsche<br />
Gerichte sieht er eine Verletzung<br />
des Rückwirkungsverbotes. Die Rechtsprechung<br />
konnte zu einer Strafbarkeit nur gelangen,<br />
indem sie dem zur Tatzeit geltenden<br />
Recht durch eine quasi-naturrechtliche<br />
(Re-)Interpretation eine andere<br />
Bedeutung zumaß. Anstatt auf das Grenzgesetz<br />
der DDR, so wie es zur Tatzeit verstanden<br />
wurde, abzustellen, nahm man<br />
das Gesetz „in menschenrechtsfreundlicher<br />
Auslegung“(BGH). Für Schlink ist das ein<br />
Taschenspielertrick. Geltendes Recht im<br />
Sinne des Rückwirkungsverbotes könne<br />
immer nur sein, was zur Tatzeit als Recht<br />
anerkannt und praktiziert wurde. Jedes<br />
andere Verständnis verkürze das Recht um<br />
seine „Wirklichkeitsdimension“.<br />
Aber macht Schlink es sich an diesem<br />
Punkt nicht zu einfach? Was ist denn diese<br />
„Wirklichkeitsdimension“ des Rechts? Soll<br />
heißen: Wer entscheidet darüber, was<br />
wirklich ist und was nicht? Der Rechtspositivismus,<br />
so wie er hier vorgetragen wird,<br />
lässt die Täter entscheiden. Also die „offizielle“<br />
DDR mit ihren ganz unwirklichen<br />
Geheimhaltungsritualen, die sie um die<br />
Verletzung des Grenzregimes konstruieren<br />
musste, weil sie davon ausgehen durfte,<br />
dass nicht nur die Opfer, sondern die<br />
Mehrheit der Bevölkerung eine andere<br />
Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Grenzgesetzes<br />
hatte.<br />
Vergangenheitsschuld und<br />
gegenwärtiges Recht<br />
von Bernhard Schlink<br />
€ 8,50<br />
2002, edition suhrkamp<br />
ISBN: 3-518-12168-5<br />
Wie dünn ist das Eis<br />
Am Endes des Buches steht dann ein Epilog<br />
- und die Frage nach der Zukunft der<br />
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />
des Dritten Reiches und des Holocausts.<br />
Schlink diagnostiziert eine schleichende<br />
Banalisierung, eine Erinnerungskultur,<br />
deren moralisches Pathos ihm<br />
häufig leer erscheint und warnt vor Leichtfertigkeit<br />
und Zynismus als mögliche<br />
Gegenreaktionen: „Moralisches Pathos,<br />
das nicht in moralischem Engagement existentiell<br />
eingelöst wird, stimmt nicht, und<br />
die nächste Generation hat dafür durchaus<br />
ein Gespür“. Doch wird hier keiner neuen<br />
deutschen Fröhlichkeit das Wort geredet.<br />
Angesichts des Rückfalls in die Barbarei als<br />
einer realen Möglichkeit geht es Schlink<br />
um die Bewahrung kritischer Impulse.<br />
„Wenn damals das Eis, auf dem man sich<br />
kulturell und zivilatorisch sicher wähnte, in<br />
Wahrheit so dünn war – wie sicher ist das<br />
Eis, auf dem wir heute leben? Ist es mit<br />
dem Ablauf der Zeit dicker geworden, oder<br />
hat uns der Ablauf der Zeit nur vergessen<br />
lassen, wie dünn es ist?“. Wer selbst auf<br />
dem Eis steht, wird diese Fragen wahrscheinlich<br />
nie mit letzter Sicherheit beantworten<br />
können, sondern nur in dem Maß<br />
wie man sich mehr oder weniger vorsichtig<br />
voranbewegt.<br />
justament drei 2002<br />
25
Literatur<br />
Zivilprozessrecht<br />
für Referendare.<br />
von Rainer Oberheim<br />
„Resignierend senke ich das ermüdete Haupt …“<br />
Bemerkens- und liebenswerte Selbstkritik eines Studenten,<br />
die jeden Korrektor wieder versöhnlich stimmt<br />
Auf der Literaturliste, die die Ausbilder zu<br />
Beginn der Zivilstation austeilen, ist der<br />
„Oberheim“ meist zu finden. Ein ausführliches<br />
Werk, in dem sich zu allem<br />
Wichtigen etwas findet.<br />
Zum Durcharbeiten<br />
ist er wohl zu<br />
langatmig und um<br />
ihn als reines Nachschlagewerk<br />
zu nutzen,<br />
ist wiederum<br />
ein echter Kommentar,<br />
wie der von Thomas<br />
Putzo vorzuziehen.<br />
Aber so „mittendrin“<br />
ist es ein<br />
Preis: EUR 39,00<br />
ISBN 3-8041-2837-8<br />
gutes Buch. Mit vielen<br />
Tabellen und<br />
kleinen Grafiken ist<br />
der Stoff gut strukturiert<br />
und übersichtlich dargestellt. Und<br />
wirklich sehr gut ist es, weil der Luchterhandverlag<br />
es als einer der ersten geschafft<br />
hat, die ZPO-Reform einzuarbeiten.<br />
Da sich sehr viel geändert hat, kann<br />
man mit alten Texten sehr durcheinanderkommen.<br />
Nichts ist unangenehmer<br />
als ein Lehrbuch, bei dem man das Vertrauen<br />
auf die Richtigkeit verloren hat.<br />
Im August soll auch der große Konkurrent<br />
zum „Oberheim“ in der überarbeiteten<br />
Auflage erscheinen: Anders/Gehle,<br />
Das Assessorexamen im Zivilrecht. Wir<br />
sind gespannt.<br />
yt<br />
Dieses ist mit Abstand die eloquenteste,<br />
humorvollste und vor allem charmanteste<br />
Anmerkungen, die ich in meiner Zeit als<br />
Korrekturassistentin als Anhang einer in der<br />
Tat recht abenteuerlichen Hausarbeit eines<br />
Studenten der unteren Semester vorgefunden<br />
habe. Da Anmerkungen dieser Art die Bewertung<br />
aber nach wie vor leider so gar nicht beeinflussen<br />
können, sollte sie wenigstens in<br />
diesem Rahmen gebührenden Ruhm erlangen.<br />
«<br />
PS.: Sicherlich ist es dem/der Korrektor/-<br />
in nicht entgangen, dass es mir leider nicht<br />
gelungen ist, meine Zeit so einzuteilen, dass<br />
es zur Fertigstellung der Arbeit gereicht hat,<br />
weshalb auch ein Großteil der nicht einmal<br />
vollständigen Literaturangaben nicht zum<br />
Einsatz kam. Auf Grund des Zeitmangels<br />
und der vielen sich zum Teil überschneidenden,<br />
verwirrenden Argumentationen gelang<br />
mir auch nicht eine Beschränkung und<br />
Schwerpunktsetzung, die es möglich gemacht<br />
hätte, die diversen Fragmente für<br />
den Leser verständlich zusammenzufügen<br />
und zu(zu)ordnen. Ich hatte vorgesehen,<br />
Lücken dadurch zu schließen, dass ich wenigstens<br />
Meinungsstreits vervollständige,<br />
was nicht wirklich gelang. Resignierend<br />
senke ich das ermüdete Haupt und harre<br />
der Dinge. Möglicherweise habe ich mich<br />
von meinen Literaturrecherchen verleiten<br />
lassen und mich vom Hauptstrang des zu<br />
bearbeitenden Themas entfernt und/oder<br />
versucht Probleme zu vertiefen, wo keine<br />
gesehen werden sollten, oder es dem Sinne<br />
nach, keine gab. Daher bin ich auf die Besprechung<br />
und Korrektur gespannt. Bedenkt<br />
man die Materialfülle, die nun ungenutzt<br />
im Hefter verblieben ist, war meine<br />
Bearbeitungsstrategie vielleicht nicht ganz<br />
optimal. Auch war ich mit mir im Streite<br />
über die Zumutbarkeit dieses „Werkes“,<br />
allerdings hoffe ich auf den/die – hoffentlich<br />
- fertig gestellten Teil(e).<br />
Dies sollte nur der Klarstellung dienen,<br />
denn mir ist bewusst, dass dies nicht die<br />
Art und Weise ist, eine juristische Hausarbeit<br />
anzufertigen, zumal eine Korrekturlesung<br />
zeitlich nicht gelang und auch angesichts<br />
des Mangels an Komplettzusammenhang<br />
aussichtslos gewesen wäre, ganz zu<br />
schweigen von der vernachlässigten Gliederung<br />
/ Orthographie / Formatierung des<br />
Textes und der Fußnoten, und bitte um<br />
Entschuldigung, sollte dies zur Verstimmung<br />
während der Korrektur geführt<br />
haben, sehe es aber als gutes Zeichen,<br />
wenn dies Zeilen hier gelesen werden.<br />
Mit freundlichen Grüßen Der Verfasser<br />
Nachtrag: Zu allem Überfluss hat das Abdrucken<br />
im PC-Pool dazu geführt, dass meine<br />
Seitenformatierung nicht angenommen<br />
wurde und sich zusätzlich noch das Unübersichtlichkeitschaos<br />
verstärkt hat. Das ist also<br />
nicht meine Woche, wie man so sagt.<br />
Dieser Text wurde eingereicht<br />
von Susi Schmidt<br />
»<br />
Kritischer Erklärungsversuch<br />
oam Chomsky, Sprachwissenschaftler und der viel-<br />
am meisten gelesene und zitierte lebende Pu-<br />
Nleicht<br />
blizist, hat ein kleines Buch geschrieben, in dem er<br />
Interviews zusammenfasst, die er nach dem 11. September<br />
Journalisten aus der ganzen Welt gegeben hat.<br />
Einfache und bequeme Antworten wird man bei<br />
Chomsky nicht finden. Hart geht er mit der Politik der<br />
USA und dem CIA ins Gericht.<br />
Im Oktober wird ein neues Buch von Chomsky erscheinen,<br />
das auch im Zusammenhang der Themen dieses<br />
Hefts interessant sein dürfte:<br />
„Media Control:<br />
The Spectacular Achievements of Propaganda“,<br />
Open Media Series, Seven Stories Press,<br />
ISBN: 1-58322-536-6.<br />
Noam Chomsky, „9-11“ (Englisch),<br />
Seven Stories Press,<br />
ISBN 1-58322-489-0.<br />
Fehlermeldung<br />
Ja, ja. Wir haben es natürlich auch<br />
gemerkt.<br />
Die Humanistische Union (HU) ist<br />
eine ehrwürdige und eigenständige<br />
Bürgerrechtsbewegung und hat<br />
nichts mit der Berliner Humboldt<br />
(man beachte das dt!) Universität<br />
zu tun.<br />
Im übrigen kostet das in der<br />
letzten Ausgabe gepriesene<br />
Fischer - Taschenbuch von<br />
Cornelia Vismann („Akten“) keine<br />
astronomischen 35 Euro, sondern<br />
nur schlappe €14,90.<br />
26<br />
justament drei 2002
Almanca türkce ve türkce almanca hukuk sözlügü<br />
Deutsch-türkisches und türkisch deutsches Rechtswörterbuch<br />
Literatur<br />
ndlich kann man in Erfahrung bringen,<br />
Ewas Rechtsbegriffe wie Verwaltungsakt,<br />
Leistungskondiktion, Preisgefahr, negatorischer<br />
Anspruch etc. auf türkisch heißen.<br />
In landläufigen Wörterbüchern sucht man<br />
danach vergebens.<br />
Das heute in der Türkei bestehende<br />
Rechtssystem hat seine Anfänge im Jahr<br />
1923. In diesem Jahr erfolgte die Gründung<br />
der laizistischen türkischen Republik<br />
unter Aufhebung des Kalifats. Im juristischen<br />
Sektor bedeutete dies die radikale<br />
Abkehr vom islamischen Recht hin zum<br />
kontinentaleuropäischen Recht. So ist das<br />
heutige türkische Zivilgesetzbuch sehr<br />
stark vom schweizerischen geprägt, im Bereich<br />
des Verwaltungsrechts ist der französische<br />
Einfluß sehr stark und im Strafrecht<br />
hat man sich an französischen und italienischen<br />
Vorbildern orientiert. Diese Annäherung<br />
an Europa hat sich aber nicht in<br />
der Rechtssprache niedergeschlagen. Viele<br />
Rechtsbegriffe stammen aus dem arabischen<br />
oder persischen, was das Verständnis<br />
der Rechtsbegriffe auch für den Muttersprachler<br />
erschwert.<br />
Gerhard Köbler hat bereits zahlreiche<br />
Rechtswörterbücher herausgegeben. Mit<br />
dem jetzt in erster Auflage erschienenen<br />
deutsch-türkischen Rechtswörterbuch ist<br />
Rechtstürkisch<br />
Gehard Köbler<br />
€ 20,–<br />
April 2002,<br />
Vahlen München<br />
ISBN: 3-80062-828-7<br />
ein weiteres hinzugekommen. Es umfasst<br />
10 200 deutsche und 10 700 türkische<br />
Rechtsbegriffe. Das Bedürfnis nach einem<br />
derartigen Rechtswörterbuch ist groß. Zum<br />
einen leben in Deutschland schätzungsweise<br />
2 Mio. Türken, die im Alltag oftmals<br />
mit Rechtsbegriffen konfrontiert sind,<br />
denen sie zum Teil ratlos gegenüberstehen.<br />
Das Rechtswörterbuch kann hierbei<br />
eine Orientierungshilfe sein. Der Autor<br />
scheint dies mit dem <strong>Titel</strong> „Rechtswörterbuch<br />
für jedermann“ auch anzustreben.<br />
Zum anderen bestehen zwischen der Türkei<br />
und Deutschland vielfältige, insbesondere<br />
enge wirtschaftliche Beziehungen, die<br />
die Verwendung des Buches erforderlich<br />
machen können. Die Anschaffung kann<br />
daher nur empfohlen werden.<br />
Deniz Firtina / Ayhan Halat<br />
Dunkle und spannende Epoche<br />
em rechtsgeschichtlich interessierten<br />
DLeser ist die dreibändige Geschichte<br />
des öffentlichen Rechts in Deutschland<br />
von Michael Stolleis längst ein Begriff, hat<br />
sich diese Publikation doch bereits in kurzer<br />
Zeit als ein Standardwerk auf diesem<br />
Gebiet etabliert. Der letzte Band über die<br />
gleichermaßen spannende wie – gerade<br />
auch für die Rechtswissenschaften – dunkle<br />
Epoche von 1914-1945 ist jetzt in<br />
einer broschierten Sonderausgabe erschienen<br />
und damit erstmals für Studenten und<br />
Referendare erschwinglich geworden.<br />
Der <strong>Titel</strong> der Sonderausgabe sollte<br />
dabei nicht täuschen. Stolleis Ziel ist nicht<br />
eine umfassende rechtsgeschichtliche Darstellung.<br />
Der Schwerpunkt liegt eindeutig<br />
auf der Wissenschafts- und Forschungsgeschichte<br />
dieser Epoche. Dieser Ansatz ist<br />
für den Leser zunächst mit mehr Mühsal<br />
verbunden; im Ergebnis aber nicht weniger<br />
spannend. Gerade durch die akribische<br />
Schilderung der verschiedenen Forschungsansätze<br />
und Lehrmeinungen der<br />
wissenschaftlichen Akteure, die Stolleis<br />
nach den verschiedenen Universitäten aufgliedert<br />
und dem Leser damit zugleich ein<br />
Nachschlagewerk über die Geschichte seiner<br />
eigenen Universität zur Verfügung<br />
stellt, erschließt sich das rechtswissenschaftliche<br />
Gedankengut dieser Zeit in all<br />
seiner Ambivalenz aber auch Mitverantwortung<br />
für die Katastrophe des Nationalsozialismus<br />
besonders gut.<br />
Vielleicht auch durch die berühmte Radbruch`sche<br />
Formel ist die Ansicht nach wie<br />
vor weitverbreitet, gerade der Rechtspositivismus<br />
habe dazu beigetragen, die Juristen<br />
durch „legales Unrecht“ im Sinne des Nationalsozialismus<br />
zu korrumpieren. Die Realität<br />
juristischer Forschung und Lehre im<br />
Nationalsozialismus, wie sie Stolleis in großer<br />
Differenziertheit schildert, belegt allerdings<br />
vielfach das Gegenteil und bezeugt<br />
damit auch, dass die Rechtswissenschaft bei<br />
der Aufweichung rechtsstaatlicher Strukturen<br />
und dem Verlust von Normgebundenheit<br />
bis hin zur totalen Beliebigkeit einen<br />
durchaus aktiven Part gespielt hat.<br />
Bei der Lektüre des Buches begegnet<br />
einem zudem mancher nach wie vor<br />
klangvoller Name. Das gilt nicht nur für<br />
Theodor Maunz und Karl Larenz, deren<br />
unrühmliche Rolle im Nationalsozialismus<br />
ihrer juristischen Karriere auch nach 1945<br />
kein Abbruch getan hat. Beim Streifzug<br />
durch die Wissenschaftsgeschichte erfährt<br />
man unter anderem auch, dass der allen<br />
Juristen durch den gleichnamigen BGB-<br />
Kommentar bestens bekannte Otto Palandt<br />
Leiter des Reichs-Justizprüfungsamtes<br />
war und die Juristenausbildung unter<br />
seiner Ägide eine mehr „völkische Ausrichtung“<br />
erhalten hat.<br />
Deutlich wird damit nicht zuletzt auch die<br />
massive Verdrängungsleistung der Nachkriegszeit<br />
auf dem Gebiet des öffentlichen<br />
Rechts. Anders ist nicht zu erklären, warum<br />
ausgerechnet der bekannteste Grundgesetzkommentar<br />
mit Theodor Maunz von einem<br />
Geschichte des<br />
öffentlichen Rechts in<br />
Deutschland.<br />
Weimarer Republik und<br />
Nationalsozialismus<br />
von Michael Stolleis<br />
€ 29,90<br />
Februar 2002, C.H. Beck<br />
ISBN:3-40648-960-5<br />
Mann mitbegründet worden ist, der immerhin<br />
noch 1937 das Ende des subjektiv-öffentlichen<br />
Rechts und der Gesetzesbindung<br />
proklamiert hat. Stolleis verzichtet dennoch<br />
auf Polemik, sondern bleibt seiner objektiven<br />
und differenzierten Herangehensweise<br />
stets treu. Schon deswegen ist das Buch<br />
jedem an dieser Materie Interessierten nur<br />
wärmstens ans Herz zu legen.<br />
Patrick Ostendorf<br />
justament drei 2002<br />
27
Service<br />
Elchtest für Juristen<br />
Der Einschulungstest soll juristisches Denken überprüfen –<br />
hier eine Kurzversion für „fertige“ Studienabgänger.<br />
Bärbel Sachs<br />
ir gehören noch zu der glücklichen<br />
WGeneration Juristen, die Eliteschmieden<br />
– zumindest in Deutschland – nicht<br />
kennt. Bei uns stand nicht schon im Alter<br />
von 19 Jahren fest, wer dazu gehören<br />
würde und wer nicht. Staatsexamen war<br />
Staatsexamen, egal auch in welchem<br />
Bundesland es abgelegt worden war, und<br />
ob man in Bayreuth, Rostock oder Köln<br />
Jura studiert hatte – schnurzegal für die<br />
spätere Laufbahn.<br />
Wenn es nach der Bucerius Law School<br />
geht, soll sich das nun ändern. Die im Jahr<br />
2000 gegründete private Hochschule für<br />
Rechtswissenschaft hat sich Begabtenund<br />
Eliteförderung auf die Fahnen geschrieben.<br />
Auch schon der Name läßt erahnen,<br />
wo sie hinwill: elitäre Kaderschmiede<br />
nach amerikanischem Vorbild.<br />
Der Grundstein dafür ist die Auswahl<br />
der Studenten. Wie aber soll die Bucerius<br />
Law School die –nach eigenem Wunschdenken-<br />
zukünftige Elite aus ihren Bewerbern<br />
herausfiltern? Einige lassen sich vielleicht<br />
schon durch die hohen Studiengebühren<br />
abschrecken. Neben Schulnoten,<br />
einem Aufsatz, und dem Bewerbungsgespräch<br />
zieht die Schule dann zur Auslese<br />
ihrer Schüler einen eigens entwickelten<br />
Multiple-Choice-Test heran, der in besonderem<br />
Maße die Befähigung zum juristischen<br />
Denken prüfen soll.<br />
Haben Sie das Zeug zum<br />
Elite-Juristen<br />
Auch wenn unter uns schon (fast) fertigen<br />
Juristen sich wohl keiner ernsthaft für ein<br />
Studium bei Bucerius & Co interessiert,<br />
wollten wir es uns nicht nehmen lassen,<br />
den MC-Test anhand anhand beispielhaft<br />
ausgeführter Aufgaben einmal nachzuspielen.<br />
Denn wir wollen wenigstens wissen,<br />
nach welchen Kriterien die BLS auserwählt,<br />
und wie wir dabei ungefähr aussehen<br />
würden.<br />
Der echte Test hat 126 Aufgaben und<br />
dauert 200 Minuten. Eine komplette Anleitung<br />
mit diesen und weiteren Beispielsaufgaben<br />
gibt es auch unter<br />
http://www.law-school.de/<br />
downloads/Auswahlverfahren_2002.pdf<br />
Sie haben 12 Minuten Zeit, los geht’s!<br />
Bei den ersten drei Aufgaben lassen sich drei<br />
der vier Wörter unter einen gemeinsamen<br />
Oberbegriff bringen. Welches Wort passt<br />
nicht dazu?<br />
1. A Himbeere<br />
B Erdbeere<br />
C Stachelbeere<br />
D Brombeere<br />
2. A Hai<br />
B Qualle<br />
C Krokodil<br />
D Tintenfisch<br />
3. A Rauch<br />
B Dampf<br />
C Wolke<br />
D Dunst<br />
4. Die beiden Graphiken zum Thema „Untersuchungshaft“<br />
beziehen sich auf das Jahr<br />
1996. Sie informieren über die Gründe<br />
und die Dauer der Untersuchungshaft bei<br />
den insgesamt 38154 Betroffenen in den<br />
alten Bundesländern sowie in Berlin.<br />
Welche der folgenden Aussagen lässt<br />
bzw. lassen sich aus diesen Informationen<br />
ableiten? siehe Grafik rechts oben<br />
I. Die durchschnittliche Dauer der Untersuchungshaft<br />
lag unter drei Monaten.<br />
II.Bei manchen Untersuchungshäftlingen<br />
muss mehr als ein Grund für die Untersuchungshaftvorgelegen<br />
haben.<br />
A Nur Aussage I lässt sich ableiten.<br />
B Nur Aussage II lässt sich ableiten.<br />
C Beide Aussagen lassen sich ableiten.<br />
DKeine der beiden Aussagen lässt sich<br />
ableiten.<br />
Bei den folgenden zwei Aufgaben ist zu überprüfen,<br />
welche der beiden Behauptungen sich<br />
zwingend aus der eingangs präsentierten<br />
Feststellung ableiten lässt bzw. lassen.<br />
5. Feststellung: Manche Geistesgrößen des<br />
zwanzigsten Jahrhunderts fielen in ihrer<br />
Schulzeit durch eher schlechte Schulleistungen<br />
auf.<br />
Behauptungen:<br />
I. Herausragende geistige Fähigkeiten<br />
entwickeln sich erst im Anschluss an die<br />
Schulzeit.<br />
II. Im Einzelfall erlauben Schulleistungen<br />
keine zweifelsfreie Beurteilung geistiger<br />
Fähigkeiten.<br />
A Nur Behauptung I lässt sich ableiten.<br />
B Nur Behauptung II lässt sich ableiten.<br />
C Beide Behauptungen lassen sich<br />
ableiten.<br />
D Keine der beiden Behauptungen<br />
lässt sich ableiten.<br />
6. Feststellung:<br />
1995 standen die Rechtswissenschaften<br />
bei den Frauen auf Platz drei der meist belegten<br />
Studiengänge, bei den Männern gar<br />
auf Platz zwei.<br />
Behauptungen:<br />
I. Selbst wenn man annimmt, dass 1995<br />
insgesamt mehr Männer als Frauen studierten,<br />
kann man nicht davon ausgehen,<br />
dass in diesem Jahr mehr Männer als Frauen<br />
ein Studium der Rechtswissenschaften<br />
absolvierten.<br />
II. 1995 haben mehr als doppelt so viele<br />
Frauen ein anderes Fach studiert, als<br />
Frauen in einem rechtswissenschaftlichen<br />
Studiengang eingeschrieben waren.<br />
A Nur Behauptung I lässt sich ableiten.<br />
B Nur Behauptung II lässt sich ableiten.<br />
C Beide Behauptungen lassen<br />
sich ableiten.<br />
D Keine der beiden Behauptungen<br />
lässt sich ableiten.<br />
7. Kommissar Schlau wird zu einem Mordfall<br />
gerufen: Herr Tätlich wurde im Schlaf erschossen,<br />
die Mordwaffe ist verschwunden<br />
und Frau Tätlich ist tatverdächtig.<br />
Nach einer ersten Befragung von Frau<br />
Tätlich und einer Besichtigung des Tatorts<br />
stellt Kommissar Schlau Folgendes fest:<br />
Wenn Frau Tätlich Spuren der Tat vernichtet<br />
hat, dann freut sie sich auch über<br />
den Tod ihres Gatten.<br />
Nur wenn sie sich über den Tod ihres Gatten<br />
freut, dann weiß sie auch, wo die<br />
Mordwaffe ist.<br />
Wenn sie sich über den Tod ihres Gatten<br />
freut, dann ist sie die Täterin.<br />
Aufgrund der Reaktionen von Frau Tätlich<br />
muss ich davon ausgehen, dass sie sich<br />
nicht über den Tod ihres Gatten freut.<br />
28<br />
justament drei 2002
Service<br />
gründe der untersuchungshaft<br />
dauer der untersuchungshaft<br />
97%<br />
Wiederholungsgefahr<br />
2% 1%<br />
Flucht/<br />
Fluchtgefahr<br />
4%<br />
Welche der folgenden Thesen ist bzw.<br />
sind mit den Feststellungen von Kommissar<br />
Schlau vereinbar?<br />
I. Frau Tätlich ist die Täterin, aber sie hat<br />
keine Spuren der Tat vernichtet.<br />
II. Frau Tätlich ist nicht die Täterin und sie<br />
weiß nicht, wo die Mordwaffe ist.<br />
A Nur These I ist mit den Feststellungen<br />
von Kommissar Schlau vereinbar.<br />
B Nur These II ist mit den Feststellungen<br />
von Kommissar Schlau vereinbar.<br />
C Beide Thesen sind mit den Feststellungen<br />
von Kommissar Schlau vereinbar.<br />
DKeine der beiden Thesen ist mit<br />
den Feststellungen von Kommissar<br />
Schlau vereinbar.<br />
8. In der Innenstadt von Hamburg ist ein gerade<br />
fertig gestelltes Bürohaus eingestürzt.<br />
Die Baupolizei ermittelt und stellt<br />
dabei fest:<br />
Wenn es keinen Statikfehler gegeben hat,<br />
dann wurde mit zu billigem Material gebaut.<br />
Wenn nicht mit zu billigem Material gebaut<br />
wurde, dann gab es einen Statikfehler.<br />
Wenn sich der Architekt bereichern wollte,<br />
dann gab es keinen Statikfehler.<br />
Wenn sich der Architekt ins Ausland abgesetzt<br />
hat, dann wollte er sich bereichern.<br />
Verdunklungsgefahr<br />
Schwere der Tat<br />
31%<br />
27%<br />
23%<br />
14%<br />
5%<br />
Der Architekt spricht bei der Baupolizei<br />
vor: Er hat sich also nicht ins Ausland abgesetzt.<br />
Welche der folgenden Thesen ist bzw. sind<br />
mit den Feststellungen der Baupolizei vereinbar?<br />
I. Es hat einen Statikfehler gegeben und es<br />
wurde mit zu billigem Material gebaut.<br />
II. Der Architekt wollte sich bereichern<br />
und es wurde mit zu billigem Material gebaut.<br />
A Nur These I ist mit den<br />
Feststellungen vereinbar.<br />
B Nur These II ist mit den<br />
Feststellungen vereinbar.<br />
C Beide Thesen sind mit den<br />
Feststellungen vereinbar.<br />
DKeine der beiden Thesen ist mit den<br />
Feststellungen vereinbar.<br />
9. §19 Bundesangestelltentarif (BAT)<br />
(Auszug): Beschäftigungszeit ist die bei<br />
demselben Arbeitgeber nach Vollendung<br />
des 18. Lebensjahre in einem Arbeitsverhältnis<br />
zurückgelegte Zeit, auch wenn sie<br />
unterbrochen ist.<br />
§ 53 BAT(Auszug): Ordentliche Kündigung<br />
Nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren,<br />
frühestens jedoch nach Vollendung<br />
des 40. Lebensjahres, ist der Angestellte<br />
unkündbar.<br />
Nach einer Beschäftigungszeit von mindestens<br />
zwölf Jahren beträgt die Kündigungsfrist<br />
6 Monate zum Schluss eines<br />
Kalendervierteljahres.<br />
Sachverhalt: Der Langzeitarbeitslose<br />
Bernhard Schuster wird von der Stadt<br />
Köln während zweier Jahre zum Verwaltungsfachangestellten<br />
umgeschult. Er beginnt<br />
die Umschulung am 1. April; sein<br />
23. Geburtstag war am 28. September des<br />
Vorjahres; im Anschluss an die Umschulung<br />
arbeitet er weiterhin bei der Stadt<br />
Köln. Am Tag vor seinem 40. Geburtstag<br />
erhält er die Kündigung zum Ende des ersten<br />
Quartals des Folgejahres.<br />
Welche der beiden folgenden Aussagen<br />
lässt bzw. lassen sich aus einem Abgleich<br />
von Norm und Sachverhalt ableiten?<br />
Aussage I: Wenn die Umschulung zur Beschäftigungszeit<br />
zählt, dann ist die Kündigung<br />
unwirksam, weil Schuster eine Beschäftigungszeit<br />
nach §19 BAT von mehr<br />
als 15 Jahren aufweist.<br />
Aussage II: Wenn die Beschäftigungszeit<br />
erst nach der Umschulung beginnt, dannbleibt<br />
Schuster grundsätzlich kündbar,<br />
weil die 15 Jahre Beschäftigungszeit erst<br />
nach seinem 40. Geburtstag erreicht werden.<br />
A Nur Aussage I lässt sich ableiten.<br />
B Nur Aussage II lässt sich ableiten.<br />
C Beide Aussagen lassen sich ableiten.<br />
DKeine der beiden Aussagen lässt<br />
sich ableiten.<br />
Die Auflösung findet sich auf Seite 30 unten.<br />
Bewertung<br />
sieben bis neun richtige Antworten<br />
Das war wohl eindeutig nicht schwer genug<br />
für Sie. Sie können vor so viel high potential<br />
vermutlich kaum noch laufen. Gerd Bucerius<br />
(Zitat: „Wir haben in abenteuerlichen Reformen<br />
unser Hochschulwesen statt auf Elite<br />
und Wettbewerb auf breiteste Masse umgestellt<br />
und den Wettbewerb als unmoralisch<br />
denunziert“) würde Ihnen sicher das Du anbieten,<br />
lebte er noch. Auch wenn Ihr Staatsexamen<br />
nicht so gut ausgefallen sein sollte,<br />
müssten Ihre hohen Fähigkeiten im „analytischen<br />
und logischen Denken“, Ihr Umgang<br />
mit verschiedenartigen, komplexen Informationen“<br />
und Ihre „sprachliche Genauigkeit“,<br />
ja allerspätestens im Assessment-Center<br />
des Finanzamts wieder auffallen.<br />
vier bis sechs richtige Antworten<br />
Ihr Testergebnis ist zwar eigentlich ganz<br />
gut, unter elitären Gesichtspunkten jedoch<br />
allenfalls mittelmäßig. Sie zweifeln zuviel.<br />
Zum Beispiel daran, ob Ihre juristische Karriere<br />
davon abhängt, dass Sie das Logikrätsel<br />
der ZEIT regelmäßig lösen oder nicht.<br />
Auch sind Sie sich nicht wirklich sicher, ob<br />
die gewiefte Auswertung eines Tortendiagramms<br />
Ihren Mandanten aus der U-Haft<br />
holt. Mittelmaß.<br />
null bis drei richtige Antworten:<br />
Sie denken, die Welt ist ein bisschen komplexer<br />
als die Kategorie „Hai Qualle Tintenfisch”?<br />
Sie wollen nicht einsehen, warum<br />
hier schon wieder ein Test stattfindet, dessen<br />
Prüfungsumfang der Sache nach nur beschränkt<br />
sein kann? Sie haben wohl nach<br />
drei Aufgaben aufgehört? Dafür gibt’s vier<br />
Punkte extra.<br />
justament drei 2002<br />
29
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30 justament drei 2002