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Predigt über Psalm 59 im Rahmen der Predigtreihe ... - KaleidoSKOP

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<strong>Predigt</strong> <strong>über</strong> <strong>Psalm</strong> <strong>59</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Predigt</strong>reihe <strong>der</strong> Gesamtkirchengemeinde:<br />

Das Buch <strong>der</strong> Preisungen – ausgewählte <strong>Psalm</strong>en<br />

Pfarrer Ulrich Deißinger, Backnang-Waldrems<br />

<strong>Psalm</strong> <strong>59</strong><br />

2 Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden<br />

und schütze mich vor meinen Wi<strong>der</strong>sachern.<br />

3 Errette mich von den Übeltätern<br />

und hilf mir von den Blutgierigen!<br />

4 Denn siehe, HERR, sie lauern mir auf;<br />

Starke rotten sich wi<strong>der</strong> mich zusammen ohne meine Schuld und Missetat.<br />

5 Ich habe nichts verschuldet; /sie aber laufen herzu und machen sich bereit.<br />

Erwache, komm herbei und sieh darein!<br />

6 Du, HERR, Gott Zebaoth, Gott Israels,<br />

wache auf und suche he<strong>im</strong> alle Völker!<br />

Sei keinem von ihnen gnädig,<br />

die so verwegene Übeltäter sind. SELA.<br />

7 Jeden Abend kommen sie wie<strong>der</strong>,<br />

heulen wie die Hunde und laufen in <strong>der</strong> Stadt umher.<br />

8 Siehe, sie geifern mit ihrem Maul;<br />

Schwerter sind auf ihren Lippen: »Wer sollte es hören?«<br />

9 Aber du, HERR, wirst ihrer lachen<br />

und aller Völker spotten.<br />

10 Meine Stärke, zu dir will ich mich halten;<br />

denn Gott ist mein Schutz.<br />

11 Gott erzeigt mir reichlich seine Güte,<br />

Gott lässt mich auf meine Feinde herabsehen.<br />

12 Bringe sie nicht um, dass es mein Volk nicht vergesse;<br />

zerstreue sie aber mit deiner Macht, Herr, unser Schild,<br />

und stoß sie hinunter!<br />

13 Das Wort ihrer Lippen ist nichts als Sünde;<br />

darum sollen sie sich fangen in ihrer Hoffart mit all ihren Flüchen und Lügen.<br />

14 Vertilge sie ohne alle Gnade, vertilge sie, dass sie nicht mehr da sind!<br />

Lass sie innewerden, dass Gott Herrscher ist in Jakob,<br />

bis an die Enden <strong>der</strong> Erde. SELA.<br />

15 Jeden Abend kommen sie wie<strong>der</strong>,<br />

heulen wie die Hunde und laufen in <strong>der</strong> Stadt umher.<br />

16 Sie laufen hin und her nach Speise<br />

und murren, wenn sie nicht satt werden.<br />

17 Ich aber will von deiner Macht singen<br />

/und des Morgens rühmen deine Güte;<br />

denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.<br />

18 Meine Stärke, dir will ich lobsingen; denn Gott ist mein Schutz, mein gnädiger Gott.


2<br />

Liebe Gemeinde,<br />

• (die Anziehungskraft <strong>der</strong> <strong>Psalm</strong>en )<br />

Das Gebetsbuch <strong>der</strong> Bibel - die <strong>Psalm</strong>en - nehmen wir in den Blick mit <strong>der</strong> <strong>Predigt</strong>reihe in <strong>der</strong><br />

Gesamtkirchengemeinde für die nächsten 4 Sonntage. Die <strong>Psalm</strong>en haben eine große Anziehungskraft.<br />

Von Anfang an haben Christen mit diesen Gebeten gelebt. Sie haben die alten Gebete<br />

Israels <strong>im</strong> Gottesdienst gebetet. Diese Gebete sind bis heute Teil ein jeden Gottesdienstes.<br />

Die <strong>Psalm</strong>en prägen auch vielfach unser persönliches Glaubensleben. Viele Konfirmationsdenksprüche<br />

sind einem <strong>Psalm</strong> entnommen. Mit <strong>Psalm</strong>verse bringen manchmal Eltern ihre<br />

Freude und Dankbarkeit <strong>über</strong> die Geburt eines Kindes in <strong>der</strong> Geburtsanzeige zum Ausdruck.<br />

Und <strong>Psalm</strong>worte stehen <strong>über</strong> viele Todesanzeigen. So begleiten uns <strong>Psalm</strong>worte in <strong>der</strong> ganzen<br />

Breite unseres Lebens. Die große Anziehungskraft <strong>der</strong> <strong>Psalm</strong>en liegt wohl darin, dass wir in ihnen<br />

Worte und Bil<strong>der</strong> finden für die Vielfalt und den Spannungsreichtum unseres Lebens. Die<br />

Beter <strong>der</strong> <strong>Psalm</strong>en drücken ihre Freude und ihren Dank in Loblie<strong>der</strong>n aus. Sie schreien aber<br />

auch ihre Not und Verzweiflung in bedrängen<strong>der</strong> Not heraus und bitten Gott um Hilfe. Freude<br />

und Dank – und daneben Ärger, Klage und tiefste Verzweiflung: Alles, was <strong>im</strong> Leben da ist, hat<br />

vor Gott Raum und Gehör. Das lehren uns die <strong>Psalm</strong>en. Darin liegt ihre Anziehungskraft<br />

⇒ Und doch liegt in dieser großen Breite auch etwas Befremdliches und Provozierendes. Denn<br />

es gibt auch <strong>Psalm</strong>en, die wir nicht ohne weiteres nachsprechen - geschweige denn nachbeten<br />

können. Das sind Gebete, in denen ein Beter nicht nur seine unerträgliche Not schil<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n<br />

ausdrücklich Gott um die Vernichtung seiner Feinde bittet. „Suche sie he<strong>im</strong> – sei keinem<br />

von ihnen gnädig“: Rachepsalmen werden diese Sammlung <strong>der</strong> Gebete genannt, weil darin die<br />

Bitte um Rache und Vergeltung <strong>im</strong> beson<strong>der</strong>en hervortritt. Mit diesen Rachepsalmen wollen wir<br />

uns heute anhand des <strong>59</strong>. <strong>Psalm</strong>es beschäftigen:<br />

⇒ <strong>Psalm</strong> <strong>59</strong> lesen<br />

1. Können wir diese Worte wirklich beten?<br />

In meiner Lutherbibel sind wichtige <strong>Psalm</strong>worte fettgedruckt hervorgehoben. Sie eignen sich <strong>im</strong><br />

beson<strong>der</strong>en zum Auswendiglernen. In dem <strong>Psalm</strong> <strong>59</strong>, den wir gerade gehört haben, hat meine<br />

Luther-Bibel keine Vers und auch kein Wort fett hervorgehoben. Von Harmonie und Trost ist<br />

nichts zu spüren. Vielmehr best<strong>im</strong>men aggressive Worte dieses Gebet. Das Wort Rache kommt<br />

zwar in ihm nicht vor, aber <strong>der</strong> Sache nach handelt es sich in <strong>der</strong> Tat um ein Gebet, in dem Gott<br />

um die Tötung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sacher angefleht wird.<br />

In einer kleinen Gruppen sprachen wir <strong>über</strong> <strong>Psalm</strong>en, die uns wichtig sind. Viele vertraute<br />

<strong>Psalm</strong>worte trugen wir zusammen: „Der Herr ist mein Hirte; befiehl dem Herrn deine Wege<br />

u.s.w. “. Doch dann fragte einer aus <strong>der</strong> Gruppe: „Und was machen wir mit den <strong>Psalm</strong>en, die<br />

nicht so schön klingen? Können wir diese auch beten?. Da kamen die Rachepsalmen(auch<br />

Fluchpsalmen genannt) uns in den Blick. Vielleicht hat das mancher sich gerade be<strong>im</strong> Hören<br />

auch <strong>über</strong>legt: Kann man so beten? Können wir/ dürfen wir als Christen diese Worte beten?<br />

Entspricht das dem Geist <strong>der</strong> Seligpreisungen Jesu – wie wir sie gerade gehört haben: „Selig<br />

sind die Friedfertigen ...? Stellt nicht Jesus eine ganze an<strong>der</strong>e Haltung uns vor Augen: Liebet<br />

eure Feine, segnet die euch verfluchen...<br />

• Im Normalfall müssen wir uns mit dieser Frage gar nicht beschäftigen. Denn diese <strong>Psalm</strong>en<br />

werden – wo nur möglich- umgangen. Bei manchen christlichen Auslegern kommen sie auch<br />

ziemlich schlecht weg: So urteilt einer <strong>über</strong> den <strong>Psalm</strong> 109, <strong>der</strong> dem unsrigen vergleichbar ist:<br />

„Dieses Gebet ist in beson<strong>der</strong>em hohen Masse unchristlich (B. Duhm). Ein an<strong>der</strong>er Ausleger<br />

sagt: „Im Bereich des christlichen Glaubens haben diese Gedanken keinen Platz (F. Baumgärtel)“.<br />

So ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass <strong>der</strong> <strong>59</strong>. <strong>Psalm</strong> und ähnliche seiner Art in unserem<br />

Gesangbuch, aus dem wir die <strong>Psalm</strong>en beten, nicht vorkommen. O<strong>der</strong> es werden sperrige Passagen<br />

ausgelassen. Ein Paradebeispiel ist <strong>der</strong> <strong>Psalm</strong> 139, den wir vorher miteinan<strong>der</strong> gebetet<br />

haben. Seine Aussagen <strong>über</strong> die Geborgenheit bei Gott berühren viele. „Ich danke dir, dass ich<br />

wun<strong>der</strong>bar gemacht bin“ So schließt ein erster Gedankengang <strong>über</strong> das Gehe<strong>im</strong>nis <strong>der</strong> Nähe<br />

Gottes <strong>im</strong> Leben und Tod ab. Aber dann schiebt sich auf einmal ein schriller Misston in das bisher<br />

so wohlklingende Gebet ein: „Ach Gott wollest du doch die Gottlosen töten“. Das wird aber


3<br />

in unserem Gesangbuch ausgelassen. Ich muss zugeben: mir war es nicht unrecht, dass diese<br />

Worte verschwiegen werden: Sie stören die Harmonie <strong>der</strong> ansonsten so tröstlichen Klänge.<br />

• Und doch müssen wir uns fragen: Was tun wir, wenn wir diese sperrigen Worte einfach <strong>über</strong>gehen?<br />

Belügen wir uns dann nicht selber? Die <strong>Psalm</strong>en beten das Leben mit all seinen Seiten.<br />

Sie bringen darum alles, was da ist und was einen Menschen umtreibt vor Gott. Gefühle <strong>der</strong><br />

Freude, des Dankes, die Bitte um Hilfe, aber dann eben auch das, was wir nicht so gerne nach<br />

außen zeigen: die Wut, <strong>der</strong> Hass auf an<strong>der</strong>e, die Bitte um Rache und Vergeltung. Diese Gefühle<br />

und Gedanken sind in unserem Leben ja da. Manches könne wir gut unter dem Deckel halten<br />

(und machen gute Miene zum bösen Spiel). Aber es ist trotzdem da. Das wird uns deutlich,<br />

wenn wir die Situation des Beters in den Blick nehmen und uns fragen: „Wer betet denn hier“<br />

2. Ein Mensch in tiefster Verzweiflung<br />

Aus den Aussagen, die <strong>der</strong> Beter in dem <strong>Psalm</strong> <strong>über</strong> sich und seine Lebenssituation macht,<br />

wird deutlich: Hier betet ein zutiefst verzweifelter Mensch. Er fühlt sich am Ende, und zwar nicht<br />

nur innerlich, seelisch, son<strong>der</strong>n am Ende, weil sein Leben auf des Messers Schneide steht. Er<br />

wird verfolgt und ist vom Tode bedroht. Seine Wi<strong>der</strong>sacher lauern ihm auf wie wilde Straßenhunde,<br />

die nachts aus dem Hinterhalt auftauchen und angreifen. Diese Wi<strong>der</strong>sacher haben ihn<br />

um Hab und Gut gebracht. Sie gehen verbrecherisch vor. Offensichtlich ist es ihnen gelungen,<br />

in <strong>der</strong> Stadt St<strong>im</strong>mung gegen ihr Opfer zu machen, vielleicht haben sie damit sogar vor Gericht<br />

Erfolg. Wir werden an die Praxis von Ausbeutern erinnert, gegen die auch die Propheten <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> zu Felde gezogen sind. Auf diesem Hintergrund müssen wir dieses Gebet hören: hier ist<br />

ein Mensch am Ende eines vergeblichen Kampfes um sein Recht angelangt. Alles hat er versucht,<br />

doch ohne Erfolg. Kurz, hier ist einer von denen, die Jesus selig preist, wenn er sagt:<br />

„Selig sind die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden (Mt 5,6).<br />

Und dieser Mensch tut nun das Letzte, was ihm noch bleibt: Er fühlt sich an seiner Notlage unschuldig.<br />

Er schreit das erlittenen Unrecht vor Gott. er bittet Gott inständig, ihm Recht zu schaffen-<br />

gegen alle, die ihm Unrecht tun. Es geht also nicht darum, dass einer <strong>über</strong> allem steht, je<strong>der</strong><br />

Selbstkritik erhaben, und durchgängig ein guter, unbescholtener Mensch zu sein,. Es geht<br />

vielmehr darum, dass ihm in dieser konkreten Not sein Recht genommen wird . „Ich habe nichts<br />

verschuldet, sie laufen herzu und machen sich bereit. Gott, erwache, komm herbei und sieh<br />

darein ...<br />

• Kann man diese Worte heute beten? Auf diesem Hintergrund möchte ich als erste Antwort geben:<br />

Ja, wir können. Wir müssen sogar diese Worte beten: dort, wo auch heute Menschen Unrecht<br />

angetan wird, dort wo Unrechtstaten zum H<strong>im</strong>mel schreien. Dort müssen sie be<strong>im</strong> Namen<br />

genannt werden – um Gottes Namen willen.. Beispiele dafür gibt es in unserem persönlichen<br />

Umfeld und in unserer Gesellschaft nur zu viele.<br />

⇒ Auch ihr Jugendliche kennt das. Da wird einer aus <strong>der</strong> Klasse gehänselt, mehr und mehr<br />

drängen sie ihn in die Ecke, machen sich <strong>über</strong> ihn lustig. Es gehört Mut dazu, aus dieser<br />

Gruppendynamik auszubrechen und dazu „Nein“ zu sagen. Das ist nicht einfach. Vielleicht<br />

stehe ich dann als Einzelner da – gegen alle.<br />

⇒ Das Unrecht be<strong>im</strong> Namen nenne müssen wir als Christen, wo Unternehmensführungen die<br />

Gewinnsteigerung zur obersten Max<strong>im</strong>e ihres Handelns machen. Nach dem Prinzip „<strong>der</strong> Zweck<br />

heiligt die Mittel“ wird jedes ethisches verantwortliches Bewusstsein zurückgedrängt. Da werden<br />

dann halt Arbeitsbereiche ausgelagert o<strong>der</strong> abgebaut, Beschäftigte unter Druck gesetzt nach<br />

dem Motto „Vogel friss o<strong>der</strong> stirb“. Aber die Situation des Einzelnen, seine Familie, die Ängste<br />

um den Arbeitsplatz kommen nicht mehr in den Blick - o<strong>der</strong> es wird eben bewusst in Kauf genommen,<br />

weil es <strong>der</strong> Weltmarkt scheinbar nicht an<strong>der</strong>s zulässt. Der <strong>Psalm</strong> nennt Unrecht be<strong>im</strong><br />

Namen.<br />

⇒Doch wenn wir diesen <strong>Psalm</strong> beten, kann es auch passieren, das wir uns selbst auf <strong>der</strong> Seite<br />

<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sacher vorfinden. Wo unterstützen wir Unrechtsverhalten? Durch unser Kaufverhalten<br />

unsere Bequemlichkeit, unser Schweigen? Ein Beispiel: Es ist <strong>der</strong> Verdienst <strong>der</strong> „Einen-Welt-<br />

Läden“ in den letzten Jahren, dass sie uns ins Bewusstsein gebracht haben, dass nicht alles,<br />

was billig ist, auch gerecht ist, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welthandel ungerechte Strukturen enthält. Wenn <strong>der</strong><br />

Kaffee zu Dumping-Preisen <strong>im</strong> Supermarkt angeboten wird, bedeutet dass, dass auch den Bau­


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ern in Südamerika und Afrika Dumping-Preise für ihre Ernte bezahlt wurden. Dem versucht die<br />

Initiative <strong>der</strong> Einen Welt entgegenzusteuern. Ich finde es wichtig, dass in unserer Gemeinde ab<br />

und an auch ein kleiner „Einen-Welt-Stand“ aufgebaut ist. Doch wie ist dann be<strong>im</strong> Gemeindefest?<br />

Greifen wir dann wie<strong>der</strong>, aufgrund <strong>der</strong> großen Menge, auf den billigen Tschibo-<br />

Kaffee zurück? Ich weiß, das ist nicht einfach – aber gerade die unbequemen Aussagen <strong>der</strong><br />

Rachepsalmen <strong>über</strong> erlittenes Unrecht muten uns zu, uns <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> neu zu fragen, wie<br />

glaubwürdiges Leben sich gestaltet.<br />

3. Die Bitte um Aufrichtung des Rechts und Vernichtung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sacher<br />

In den Rachepsalmen bringen die Beter schreiend und klagend ihr erlittenes Unrecht vor Gott.<br />

Doch <strong>der</strong> Stachel dieser <strong>Psalm</strong>en sitzt noch tiefer. Dieser Stachel zeigt sich darin, dass <strong>der</strong> Beter<br />

Gott nicht nur bittet, ihm sein Recht wie<strong>der</strong>zugeben. Son<strong>der</strong>n ausdrücklich schließt er die<br />

Vernichtung seiner Wi<strong>der</strong>sacher in seine Bitte ein. „wache auf, Herr und suche he<strong>im</strong> alle Völker<br />

....– vertilge sie ohne alle ...Gnad, vertilge sie, dass sie nicht mehr da sind ....<br />

Gerade diese Gebetsanliegen rufen die Kritiker des <strong>Psalm</strong>s auf den Plan. Es geht doch nicht<br />

an, Gott um den Tod an<strong>der</strong>er Menschen zu bitten. Doch schon ein Blick auf die dunklen Kapitel<br />

christlicher Geschichte wird uns davor bewahren, zu schnell den Stab <strong>über</strong> den Beter zu brechen.<br />

Auch mit fromm klingenden Worten kann an<strong>der</strong>en Menschen viel Unrecht angetan<br />

werden. Im 1. Weltkrieg mussten Soldaten mit <strong>der</strong> Aufschrift „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss<br />

in den Krieg ziehen. Doch nicht Gott hat diesen Krieg angezettelt, son<strong>der</strong>n politisches<br />

Machtkalkül.<br />

Der Beter des <strong>Psalm</strong> bleibt dagegen ehrlich. Er schiebt Gott keine Alibifunktion zu. Nein, gerade<br />

indem er Gott um die Tötung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sacher bittet, verzichtet er darauf, selbst zur Waffe zu<br />

greifen. Er vertraut darauf, dass Gott seinem Volk Recht verschafft (5. Mose 32,36).<br />

Was wäre unserer Geschichte an Leid erspart geblieben, hätten Christen dieses Wort beherzigt!<br />

Sie hätten praktisch nie so gewaltsam auftreten können, wenn sie das Schicksal <strong>der</strong><br />

Wi<strong>der</strong>sacher Gott anhe<strong>im</strong> gestellt hätten, statt mit einem „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss<br />

selbst gegen die Feinde zu ziehen. Und gewiss wären wir auch in unserem persönlichen Leben<br />

weniger grausam, wenn wir das, was wir gegen an<strong>der</strong>e auf dem Herzen haben, <strong>im</strong> Gebet vor<br />

Gott zu bringen. So hat es dieser Beter erlebt: Seine Lebenssituation war unerträglich geworden.<br />

Seine Wut brauchte ein Ventil. Er war ihm nur möglich zu <strong>über</strong>leben mit <strong>der</strong> Bitte, dass<br />

Gott nicht nur das Unrecht, son<strong>der</strong>n auch die Übeltäter aus dem Weg schafft.<br />

4. Der Schutzraum Gottes zeigt weitere Wege: das Kreuz Christi<br />

⇒ Können wir diese Worte beten?. Wenn ich ehrlich zu mir selber bin und die Gefühle, die in<br />

mir da sind, zulasse, dann muss ich eingestehen: Es kann Zeiten geben, in denen ich als bedrängter<br />

Mensch so und nicht an<strong>der</strong>es beten kann. Da öffnen gerade diese Rachepsalmen eine<br />

große Weite: auch diese dunklen Gefühle haben vor Gott einen Raum. Gott gibt Raum meiner<br />

Ohnmacht. Gott gibt Raum meiner Wut. So müssen mich diese Gefühle nicht besetzt halten. So<br />

wird Gott zu einem Schutzraum auch in ohnmächtiger Wut („meine Stärke, zu dir will ich mich<br />

halten, Gott ist mein Schutz“(V.13) .Gott schützt mich, damit ich die Wut nicht gegen mich<br />

selber richte (und die Schuld bei mir suche). Gott schützt mich, weil ich dann den an<strong>der</strong>en, den<br />

ich als Übeltäter erfahre, stehen lassen kann. Gott schützt, weil er Wert und Würde jedes<br />

Mensch als unantastbar erklärt.<br />

⇒ Wer diesen Schutzraum erfährt, kann aufatmen. Er schaut um sich und entdeckt in diesem<br />

Schutzraum neue Fenster. Er blickt auf neue Wege. Die wuterfüllte Bitte um Vergeltung und<br />

einen gerechten Ausgleich kann in manchen Zeiten ein nötiger Schritt sein Aber es ist nicht das<br />

Ziel des Weges. Wir beten als Christen diese <strong>Psalm</strong>. Wir glauben, dass Gott in Jesus Christus<br />

selbst in diese Welt mit ihren Gegensätzen und Widrigkeiten hineingegangen ist. Er ist in das<br />

Zentrum des Hasses, des unerträglichen Leids und <strong>der</strong> Boshaftigkeit menschlicher Herzen<br />

selbst hineingekommen. Er hat das am eigenen Leib ertragen und ausgehalten. So begann sein<br />

Weg in einer abgelegenen Krippe und führte ihn an das Kreuz in Golgatha. Im Schutzraum<br />

Gottes sehen wir das Kreuz Christi als Ziel des Weges. In diesem Kreuz bietet Gott sich als<br />

Zielscheibe und Opfer dem Hass <strong>der</strong> Menschen an und hält dies bis zum Ende aus. Das Kreuz


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bedeutet, dass Gott den Menschen treu bleibt, bis er sein Ziel erreicht hat. Sein Ziel ist, dass<br />

Menschen mit ihm selbst und miteinan<strong>der</strong> versöhnt werden. Gott ist also selbst <strong>über</strong> Worte <strong>der</strong><br />

Rache und des Ausgleichs hinausgegangen. Christus bleibt nicht bei <strong>der</strong> Rache stehen, son<strong>der</strong>n<br />

eröffnet uns neue Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hoffnung: Wir sehen ihn an <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Leidenden und Unterdrückten,<br />

die ihren Schmerz herausschreien. Aber er steht auch neben den Unterdrückern:<br />

nicht als Helfershelfer – aber als Bru<strong>der</strong>, um ihre hasserfüllten Herzen zu verwandeln und ihnen<br />

einen neuen Blick für ihre Mitmenschen zu geben. Wir sehen Christus als die Verheißung und<br />

Gabe <strong>der</strong> Vergebung, die stärker ist als Hass Schmerz und Gewalt.<br />

• Können wir diese Rachepsalmen beten? Ja, mit diesen Worten gibt Gott uns einen Schutzraum,<br />

um Unerträgliches aussprechen und aushalten. Darum sollten wir keine Bogen um diese<br />

Worte machen. Wohl aber lockt uns Christus auf neue Wege, führt uns zu neuen Bil<strong>der</strong>n. Er<br />

führt uns dazu, dass wir bitten, wie es in einem Gesangbuchlied heißt:<br />

Komm in unsere stolze Welt, Herr mit deiner Liebe Werben.<br />

Überwinde Macht und Geld, lass die Völker nicht ver<strong>der</strong>ben. ...<br />

Komm in unser dunkles Herz, Herr mit deines Lichtes Fülle,<br />

dass nicht Neid, Angst, Not und Schmerz deine Wahrheit uns verhülle,<br />

die auch noch in tiefer Nacht, Menschen herrlich macht (EG 428). Amen<br />

⇒ Lied: EG 428: Komm in unsre stolze Welt

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