einblick dezember 2013 - Kinderschutzbund
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„SpürSinn. Mein Gefühl stimmt!“<br />
Präventionsarbeit an Förderschulen gegen sexuelle Gewalt<br />
Präventionsangebote gegen sexualisierte<br />
Gewalt sind an vielen Grundschulen<br />
bereits etabliert. Es mangelt<br />
allerdings an Konzepten für Mädchen<br />
und Jungen mit Förderbedarf. Nur wenige<br />
Konzepte berücksichtigen deren<br />
Lerntempo und mögliche Kommunikationsbarrieren.<br />
Seit März 2012 führt der DKSB Münster<br />
– unterstützt durch die Aktion<br />
Mensch und die Mascheski Foundation<br />
– Präventionsangebote gegen<br />
sexuelle Gewalt an Kindern auch an<br />
Förderschulen durch. Im September<br />
<strong>2013</strong> hatten wir die Hälfte des dreijährigen<br />
Förderzeitraums erreicht. Grund<br />
genug, um über die ersten Erfahrungswerte<br />
in der Arbeit mit Kindern in<br />
unterschiedlichen Förderbereichen zu<br />
resümieren.<br />
„SpürSinn. Mein Gefühl stimmt!“<br />
orientiert sich an den Grundaspekten<br />
der Präventionsarbeit mit Kindern gegen<br />
sexuelle Gewalt. Diese richten sich<br />
direkt an Kinder und Jugendliche und<br />
wurden in den 90er Jahren aufbauend<br />
auf amerikanische Präventionsprogramme<br />
entwickelt. Unsere Beratungsstelle<br />
setzt diese Grundaspekte schon<br />
über viele Jahre in der Präventionsarbeit<br />
mit Kindern an Regelschulen ein.<br />
Die Grundaspekte, zu denen gearbeitet<br />
wird, enthalten die zentrale Themen<br />
Körpergrenzen, Gefühle, Berührungen,<br />
Geheimnisse, „Nein sagen“ und natürlich<br />
„Hilfe holen“. Ein weiterer Aspekt<br />
ist, dass die Kinder Möglichkeiten finden,<br />
sich auszudrücken, um sexuellen<br />
Missbrauch benennen zu können. Dabei<br />
ist es immer besonders wichtig,<br />
dass die Verantwortung für sexuellen<br />
Missbrauch nicht auf die Kinder verlagert<br />
wird.<br />
Kinder mit Beeinträchtigung und Behinderung<br />
sind mehr gefährdet, sexuelle<br />
Gewalt zu erfahren als andere Kinder.<br />
Sie machen andere Körpererfahrungen,<br />
zum Beispiel im Zusammenhang<br />
mit notwendiger Assistenz.<br />
Diffuse Körpergrenzen erschweren das<br />
Verstehen und Umsetzen von eigenen<br />
Grenzen und Grenzen von Anderen.<br />
Kinder mit Förderbedarf sind es eher<br />
gewohnt, unangenehmen Situationen<br />
ausgesetzt zu sein (vielfältige Untersuchungen,<br />
Krankenausaufenthalte,<br />
etc.). Da ist es schwer, den eigenen<br />
Gefühlen zu vertrauen und in anderen<br />
Situationen „Nein“ zu sagen. Sie erleben<br />
vermehrt einen unklaren Umgang<br />
mit sexuellen Grenzen im familiären<br />
und sozialen Umfeld. Dazu kommt,<br />
dass die Sexualentwicklung meistens<br />
a-synchron zur kognitiven, emotionalen<br />
und sozialen Entwicklung läuft. In unserer<br />
praktischen Arbeit (zurzeit in<br />
einer Klasse mit zehn Kindern in einer<br />
Förderschule für körperliche und motorische<br />
Entwicklung) sieht das beispielsweise<br />
so aus: Die motorischen und körperlichen<br />
Förderbedarfe werden unter<br />
anderem begleitet von Mutismus, epileptischen<br />
Anfällen, Lernschwierigkeiten<br />
bis zur geistigen Behinderung, eingeschränkten<br />
Sprachmöglichkeiten,<br />
psychotischem Verhalten und Krampfanfällen.<br />
Zwei Kinder sitzen im Rollstuhl. Eins<br />
davon ist mehrfachbehindert und leidet<br />
zusätzlich unter Krampfanfällen. Wir<br />
müssen immer darauf achten, ob das<br />
Kind gleich anfängt zu krampfen oder<br />
ob es die Übung zu Ende machen kann.<br />
Mit der Zeit lernen wir diese Reaktionen<br />
im Gesicht abzulesen. Gleichzeitig<br />
wird es über eine Integrationskraft betreut,<br />
die ihm die Kommunikation über<br />
einen Talker ermöglicht. Dies ist ein<br />
Gerät, das über die Augen gesteuert<br />
wird und unterschiedliche Themenfelder<br />
für einen „sprachlichen“ Ausdruck<br />
bereithält. Diese Themenfelder können<br />
erweitert werden, und wir konnten<br />
schon neue Gefühle in den Talker mit<br />
aufnehmen. Manchmal muss ein Kind<br />
die Einheit verlassen, weil es nicht<br />
mehr sitzen kann und ganz schnell zu<br />
einer Physiotherapeutin muss. Ab und<br />
an werden von den Kindern Geschichten<br />
frei erfunden. Immer braucht es<br />
eine klare Reaktion und ganzheitliche<br />
Einschätzung aller im Betreuungsprozess<br />
verankerten Erwachsenen.<br />
Kinder im Zusammenhang mit Assistenzbedarf<br />
(ausgenommen sind an<br />
der Stelle Kinder, die schwer mehrfachbehindert<br />
und nicht über die Präventionsarbeit<br />
erreichbar sind) benötigen<br />
eine besondere Auseinandersetzung<br />
mit dem Baustein „Mein Körper gehört<br />
mir“. Sie sind nicht immer in der Lage,<br />
frei darüber zu entscheiden, wer pflegerische<br />
Aufgaben übernehmen darf. Da<br />
gilt es daran zu arbeiten, in welchen Bereichen<br />
das Kind mitbestimmen kann,<br />
wie eine solche Situation in der Schule<br />
gelöst werden kann und was die<br />
Bezugspersonen für die Kinder tun können,<br />
um deren Selbstbestimmung zu<br />
unterstützen.<br />
In der sehr intensiven Arbeit mit Kindern<br />
und ihren Entwicklungsmöglichkeiten<br />
kann niemals nach Schema „F“<br />
vorgegangen werden. Zusammen mit<br />
den Kindern können wir viel Neues lernen<br />
über unterschiedlichste Möglichkeiten<br />
der Wahrnehmung und des Ausdrückens.<br />
Und auch darüber, dass eine<br />
gewisse Langsamkeit die Intensität des<br />
Erfahrens der Kinder großzügig unterstützt.<br />
Nicola Dubicanac, Mitarbeiterin der<br />
Fachberatungsstelle im DKSB Münster<br />
Quellen:<br />
Amyna e.V.: "Sexualisierte Gewalt verhindern/<br />
Selbstbestimmung ermöglichen", 2009<br />
AKSA, DKSB, Zartbitter : "Leitfaden für pädagogische<br />
Fachkräfte in (Förder-)Schulen, <strong>2013</strong><br />
Unser Projekt „SpürSinn. Mein Gefühl<br />
stimmt!“ wird gefördert durch:<br />
Mascheski Foundation<br />
Dezember <strong>2013</strong>