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Das päpstliche Schuldbekenntnis: wirklich ein «mea ... - Kirchen.ch

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Neue Z}r<strong>ch</strong>er Zeitung BRIEFE AN DIE NZZ Freitag, 24.03.2000 Nr.71 69<br />

<strong>Das</strong> päpstli<strong>ch</strong>e <strong>S<strong>ch</strong>uldbekenntnis</strong>:<br />

<strong>wirkli<strong>ch</strong></strong> <strong>ein</strong> «mea culpa»?<br />

Der a<strong>ch</strong>tungsvolle Eindruck vor dem päpstli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>S<strong>ch</strong>uldbekenntnis</strong> (NZZ vom 13. 3. 2000)<br />

vergeht <strong>ein</strong>em, sobald man etwas genauer liest,<br />

ni<strong>ch</strong>t nur wegen der unvollständigen und nur ungefähren<br />

Auflistung der kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>uldenfälle.<br />

Ist dies die Spra<strong>ch</strong>e <strong>ein</strong>es ehrli<strong>ch</strong>en und glaubwürdigen<br />

<strong>S<strong>ch</strong>uldbekenntnis</strong>ses? Mehrmals werden<br />

Verstösse und Ungere<strong>ch</strong>tigkeiten in <strong>ein</strong>em<br />

Passiv genannt, das man nun <strong>wirkli<strong>ch</strong></strong> ni<strong>ch</strong>t als<br />

<strong>ein</strong>e indirekte Nennung Gottes lesen kann. Vielmehr<br />

ist es so mögli<strong>ch</strong>, die Täter weder zu nennen<br />

und s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> ihnen zu fragen: «Lasst<br />

uns beten für die Frauen, die allzuoft erniedrigt<br />

und ausgegrenzt werden»: von wem? «Lass die<br />

Christen der Leiden gedenken, die dem Volk<br />

Israel in der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te auferlegt wurden» – von<br />

wem? «Lasst uns beten für die Minderjährigen,<br />

die missbrau<strong>ch</strong>t wurden» – von wem?<br />

Dann überras<strong>ch</strong>t es, wie bei der S<strong>ch</strong>uldfrage die<br />

sonst auf dem als so wesentli<strong>ch</strong>en Lehr­, Leitungs­<br />

und Priesteramt insistierende Kir<strong>ch</strong>e ganz<br />

unhierar<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und uninstitutionell und «demokratis<strong>ch</strong>»<br />

daherkommt und ­redet; wie die Amtsträger,<br />

die sonst <strong>ein</strong>e spezifis<strong>ch</strong>e Voll­Ma<strong>ch</strong>t und<br />

so au<strong>ch</strong> <strong>ein</strong>e spezifis<strong>ch</strong>e Verantwortung <strong>ein</strong>nehmen<br />

und ausüben, si<strong>ch</strong> im grösseren Volk Gottes<br />

verstecken und untertau<strong>ch</strong>en: in den «Mens<strong>ch</strong>en<br />

der Kir<strong>ch</strong>e, die zu ni<strong>ch</strong>t evangeliumsgemässen<br />

Methoden gegriffen haben», unter den «Gliedern,<br />

die dir ungehorsam sind», in den «Gläubigen, die<br />

<strong>ein</strong>ander verurteilten und bekämpften»: Solidarität<br />

na<strong>ch</strong> unten?<br />

In wel<strong>ch</strong>er Zeitform äussert si<strong>ch</strong> das <strong>S<strong>ch</strong>uldbekenntnis</strong>?<br />

Fast immer und au<strong>ch</strong> dort in der Vergangenheit,<br />

wo si<strong>ch</strong> die kir<strong>ch</strong>enamtli<strong>ch</strong>en Verstösse<br />

bis in die Gegenwart hin<strong>ein</strong>ziehen: «au<strong>ch</strong><br />

Christen haben si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uldig gema<strong>ch</strong>t, indem sie<br />

Mens<strong>ch</strong>en ausgrenzten und ihnen Zugänge verwehrten».<br />

Dies bezieht si<strong>ch</strong> im Zusammenhang<br />

auf die glei<strong>ch</strong>e Würde von Völkern, Kulturen<br />

und: von Männern und Frauen! Und wie sieht es<br />

in Gegenwart und Zukunft aus mit dem Vorsatz<br />

«der Wahrheit in der Milde der Liebe zu dienen»?<br />

Gedenkt etwa die Glaubenskongregation,<br />

für die hier Kardinal Ratzinger das <strong>S<strong>ch</strong>uldbekenntnis</strong><br />

spra<strong>ch</strong>, ihre Zensur­ und Verurteilungsbüros<br />

zu s<strong>ch</strong>liessen und «si<strong>ch</strong> bewusst zu<br />

bleiben, dass si<strong>ch</strong> die Wahrheit nur mit der Kraft<br />

der Wahrheit selbst dur<strong>ch</strong>setzt»?<br />

Alles in allem: ni<strong>ch</strong>t <strong>ein</strong> «mea culpa», bei dem<br />

die Kir<strong>ch</strong>e und ihre Amtsinstitutionen und ­träger<br />

geradestehen für si<strong>ch</strong> selber und für ihre Vorgänger,<br />

die sie sonst au<strong>ch</strong> als Gestorbene in «seligem<br />

Angedenken» mit si<strong>ch</strong> identifiziert, sondern <strong>ein</strong><br />

si<strong>ch</strong> versteckendes und untertau<strong>ch</strong>endes und abs<strong>ch</strong>iebendes<br />

«tua, sua culpa» (d<strong>ein</strong>e, s<strong>ein</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>uld). Wie zum ersten Petrus kann die Magd<br />

au<strong>ch</strong> zum aktuellen Petrus sagen: «d<strong>ein</strong>e Spra<strong>ch</strong>e<br />

verrät di<strong>ch</strong> ja» (Mt. 26, 73).<br />

Dietri<strong>ch</strong> Wiederkehr (Luzern)<br />

emerit. Theologieprofessor<br />

*<br />

Der Papst hat es unterlassen, si<strong>ch</strong> für das zu<br />

ents<strong>ch</strong>uldigen, was am s<strong>ch</strong>wersten auf s<strong>ein</strong>er Kir<strong>ch</strong>e<br />

lastet: die Verfäls<strong>ch</strong>ung der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Bots<strong>ch</strong>aft<br />

(NZZ vom 13. 3. 00). Er wird dessen ni<strong>ch</strong>t<br />

gewahr, weil er und s<strong>ein</strong>e Kir<strong>ch</strong>e <strong>ein</strong>e selbst vers<strong>ch</strong>uldete,<br />

verstellte Si<strong>ch</strong>t haben. Es geht um Ursa<strong>ch</strong>en<br />

und Folgen jener Sünden, für die si<strong>ch</strong> der<br />

Papst nun ents<strong>ch</strong>uldigt. So haben diese Sünden<br />

engstens mit der über Jahrhunderte verhängnisvollen<br />

Verfilzung der Kir<strong>ch</strong>e mit weltli<strong>ch</strong>en<br />

Mä<strong>ch</strong>ten zu tun. Sol<strong>ch</strong>es entheiligt – feierli<strong>ch</strong>e<br />

Rituale ändern da ni<strong>ch</strong>ts –, was na<strong>ch</strong> «geistigen<br />

Gesetzen» s<strong>ein</strong>en Nieders<strong>ch</strong>lag in dem von der<br />

Kir<strong>ch</strong>e vermittelten Glauben findet: Der Teufel<br />

s<strong>ch</strong>läft ni<strong>ch</strong>t! Er, hundertfa<strong>ch</strong> in der Bibel erwähnt<br />

und für den Papst <strong>ein</strong>e reale Wesenheit,<br />

nutzt zielgeri<strong>ch</strong>tet das dur<strong>ch</strong> die kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Untaten<br />

ges<strong>ch</strong>affene «geistige Feld». Und daraus hat<br />

si<strong>ch</strong> jener unabwägbare S<strong>ch</strong>aden an der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en<br />

Bots<strong>ch</strong>aft entwickelt, den die Kir<strong>ch</strong>e als<br />

Teil <strong>ein</strong>es verstrickten Ganzen ni<strong>ch</strong>t wahrnimmt.<br />

Eine Zäsur ihrer «Glaubenss<strong>ch</strong>ätze» hat sie denn<br />

au<strong>ch</strong> nie für nötig era<strong>ch</strong>tet. Zwar hat sie jetzt den<br />

irdis<strong>ch</strong>­si<strong>ch</strong>tbaren Folges<strong>ch</strong>äden gegenüber ihr<br />

Auge geöffnet, mehr ni<strong>ch</strong>t und re<strong>ch</strong>t paus<strong>ch</strong>al<br />

obendr<strong>ein</strong>, so dass die Frage offenbleibt, in wel<strong>ch</strong>er<br />

zeitli<strong>ch</strong>en Ferne die Wahrheit in Klarheit<br />

auferstehen wird.<br />

Wolfgang Eisenbeiss (St. Gallen)<br />

*<br />

Im «Heiligen Jahr» bekennt der Papst die Sünden<br />

der Kir<strong>ch</strong>e. Ein S<strong>ch</strong>ritt, dem wohl Bea<strong>ch</strong>tung<br />

ges<strong>ch</strong>enkt werden muss. Jan Hus und Giordano<br />

Bruno beispielsweise erhalten leider dadur<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong>mals die Mögli<strong>ch</strong>keit, <strong>ein</strong>en humaneren<br />

© 2000 Neue Zür<strong>ch</strong>er Zeitung AG Blatt 1


Neue Z}r<strong>ch</strong>er Zeitung BRIEFE AN DIE NZZ Freitag, 24.03.2000 Nr.71 69<br />

Tod zu sterben. Es ist andererseits fragli<strong>ch</strong>, wie<br />

die jetzige Generation für Taten ihrer Vorväter<br />

büssen kann oder soll. Rückwirkend ist ni<strong>ch</strong>t viel<br />

zu ma<strong>ch</strong>en, aber vorausblickend. Wie? «. . . indem<br />

sie Werke verri<strong>ch</strong>ten, die der Reue entspre<strong>ch</strong>en»,<br />

heisst es in der Apostelges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 26, 20.<br />

Nun seien wir also gespannt, wie er künftig aussehen<br />

wird, der Umgang mit anderen Ideologien,<br />

Glaubensgem<strong>ein</strong>s<strong>ch</strong>aften und Andersdenkenden.<br />

Urs H<strong>ein</strong>z Aerni (Züri<strong>ch</strong>)<br />

© 2000 Neue Zür<strong>ch</strong>er Zeitung AG Blatt 2

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