Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Felicitas Hoppe - Kirchen.ch

Neue Z}rcher Zeitung FEUILLETON Mittwoch, 11.10.2000 Nr.237 61
denkt.» Sie schreibt aus dem Kopf, ohne sich vorher
Konzepte aufzuzeichnen. Trockenschreiben,
wie sie es nennt, ist ihre Sache nicht. Die Materialfülle
zum Thema Seereise erfülle sie mit Panik.
«Ich bin kein Sammler, sondern ich folge meinem
Instinkt. Ich gehe in den Wald und suche mir
einen Baum, aus dem mache ich dann was.» Vor
der Seereise hatte sie von Pigafetta nicht mehr gewusst,
als in einem durchschnittlichen Lexikonartikel
steht: Der Italiener Antonio Pigafetta war
der Sekretär von Fernando Magellan und schrieb
als einer von achtzehn Männern, die von der ersten
Weltumseglung zurückkehrten, einen Reisebericht.
Als Felicitas Hoppe von ihrer Reise zurück
war, holte sie sich Bücher aus der Bibliothek
und las ein halbes Jahr – um dann alles wegzulegen
und die Reise auf eigene Faust in Literatur
zu verwandeln.
Beim Schreiben ist Felicitas Hoppe das offene
Ende wichtig; manchmal schreibt sie bis tief in
die Nacht hinein, zwölf, dreizehn, vierzehn Stunden.
Am Schreibtisch vergehe die Zeit wahnsinnig
schnell, es sei eine grosse Anspannung, und sie
rauche dabei sehr viel, obwohl sie sonst wochenlang
keine Zigarette anrühre. Schreiben sei kein
Rausch, sondern ein kontrollierter, rationaler Prozess
mit sehr viel Tempo. Trotzdem kommt sie
langsam voran, denn der Text wird ständig überarbeitet,
meist im Ganzen neu geschrieben, gekürzt,
geklärt. «Das ist wie beim Weitsprung: laufen,
laufen, laufen – und dann hoffen, dass man
diesmal zehn Zentimeter weiter kommt.» Schreiben
sei geistige Bewegung, der Bewegungsdrang
gehe in die Wörter. «Wie Klavierüben oder Ballett­Training.»
Felicitas Hoppe schreibt, seit sie
sechs Jahre alt ist – da «sitze» irgendwann die
Technik, auch wenn man das bei der Literatur nie
so sagen würde.
Als motorische Schreiberin ist Felicitas Hoppe
eine «Gefangene des Rhythmus». Die Sprache
treibt den Text oft geradezu physisch voran: In
der Erzählung «Balkon» steigert sich die Spannung
bis zum Ausruf. Die Tante vermietet ihren
Balkon stundenweise «an Frischluftnärrische, an
Menschen, die es lieben, morgens in rotseidene
Bademäntel gekleidet auf Balkone zu treten, sich
dort zu recken und zu strecken und die Zähne zu
blecken und auszurufen: GUTEN MORGEN,
DU SCHÖNER TAG, WAS BRINGST DU MIR
HEUTE?». «Ich weiss noch genau, wie ich die
Grossbuchstaben gedrückt habe und eine Leuchtschrift
sah.»
Seitenstrassenprosa
Längere Texte schreibt Felicitas Hoppe nicht in
Berlin, denn hier gibt es zu viel Ablenkung. Beide
Bücher hat sie bei Stipendiatsaufenthalten geschrieben,
«Pigafetta» übrigens im Laurenz­Haus
in Basel. («In der Schweiz sitzen und über Seefahrt
zu schreiben, ist halt schon Klasse.») Die
Geschichten in «Picknick der Friseure» enthalten
je in sich geschlossene Welten. Die Seereise, die
in «Pigafetta» erzählt beziehungsweise nicht
erzählt wird, hat stattgefunden: In 104 Tagen
reiste Felicitas Hoppe mit einem Containerschiff
um die Welt. Drei verschiedene Ansätze schlugen
fehl, bis es ihr gelang, die Wirklichkeit zu
erfinden. Die stilistische Verfremdung wirkt so
stark, dass manche Leser zweifelten, ob die Reise
überhaupt stattgefunden habe. «Manchmal
kommt es mir selbst erfunden vor.» Das Erzählen
in «Pigafetta» sei, wie in der Rahmengeschichte
von 1001 Nacht, der vergebliche Versuch, etwas
aufzuhalten. «Letztlich geht es um die Angst vor
dem Vergessenwerden, die Grundfrage der
Odyssee.»
Wenn sie ihre Texte nach ein oder zwei Jahren
wieder lese, staune sie, wie verschroben, komplex
und schwierig sie seien. «Manche Leser hoffen
auf Identifikationsflächen – wie bei einer Party,
wo man nicht ohne Gesprächspartner herumstehen
will.» Felicitas Hoppe nennt ihre Texte
«Seitenstrassenprosa», die Lust am Abbiegen sei
etwas Motorisches. Im Grunde aber sei Bücherschreiben
eine Vermeidung von Kommunikation,
deshalb sei die Begegnung mit dem Publikum auf
Lesungen eine unnatürliche Situation. Einmal
meldete sich ein Mann, dem «Picknick der Friseure»
sehr gefallen hatte und der von «Pigafetta»
tief enttäuscht war. «Am Schreiben interessiert
mich nur, dass ich machen kann, was ich will.
Und hier stand ein Mann, den ich enttäuscht
hatte! Was macht man da?»
Felicitas Hoppe schreibt, seit sie schreiben
kann, und doch hatte sie nie Schriftstellerin werden
wollen. Früher allerdings, als sie noch anderen
Tätigkeiten nachging, habe das Schreiben
mehr Spass gemacht. «Da habe ich einfach gesagt:
Heute schreibe ich mal wieder eine Geschichte.
So wie man sich sagt: Heute fahr ich mal
wieder raus, weil man sich bewegen möchte. Das
geht jetzt nicht mehr, weil ich diesen blöden Beruf
habe.» Mit zwei schmalen Büchern ist Felicitas
Hoppe eine der bekanntesten Autorinnen
ihrer Generation geworden. Sie hat Pläne für ein
drittes Buch («sicher nicht noch einmal Kurzprosa!»),
fühlt sich aber nicht unter Produktionsdruck.
Sie sei eine Zeitverschwenderin. «Jemand
hat einmal gesagt, dass jeder Schriftsteller eine
bestimmte Anzahl von Büchern hat, die er in sei­
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