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Kriminalistik-SKRIPT

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SKR-<strong>SKRIPT</strong>: Strafrecht<br />

Willen des Sterbenden erfolgt, Rechnung getragen (Lackner,<br />

§ 216 Rdn. 6; Otto, Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen<br />

Delikte, 5. Aufl. 1998, S. 36; ders., JK 87, StGB, § 216/<br />

3; Herzberg, JZ 1988, 186 f.). Der Grund dafür, daß die<br />

Einstellung der Behandlungsmaßnahmen in Übereinstimmung<br />

mit dem Willen des Patienten rechtmäßig sei, soll<br />

sich einerseits daraus ergeben, daß dieses Verhalten das<br />

Selbstbestimmungsrecht des Patienten, sein Grundrecht auf<br />

Behandlungsfreiheit realisiere (so Otto, Delikte, S. 36).<br />

Andererseits wird darauf abgestellt, daß dem Dritten unter<br />

den gegebenen Umständen um höherer Werte willen eine<br />

Erlaubnis – in concreto ein Rechtfertigungsgrund aus § 34<br />

StGB – zuzubilligen sei (so Herzberg, JZ 1988, 186f.).<br />

Nach dieser Ansicht hätte M zwar eine tatbestandsmäßige<br />

Tötungshandlung verwirklicht, wäre aber zumindest gerechtfertigt,<br />

sofern die anderen Tatbestandsvoraussetzungen<br />

des § 216 Abs. 1 StGB vorliegen würden. Zu diesem<br />

Ergebnis würde auch das LG Ravensburg NStZ 1987, 230<br />

gelangen.<br />

(3) Teilweise wird in diesen Fällen aber auch eine strafbare,<br />

weil tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte<br />

Tötungshandlung angenommen, sofern es sich um das<br />

Verhalten eines Dritten handelt (s. dazu die Nachweise bei<br />

Stoffers, MDR 1992, 624). Nach dieser Ansicht müßte M<br />

gemäß § 216 Abs. 1 StGB bestraft werden, falls die übrigen<br />

Voraussetzungen vorliegen würden.<br />

(4) Im Hinblick darauf, daß die verschiedenen Ansichten<br />

zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, bedarf es der<br />

Stellungnahme. Für die Ansicht, die im Abbruch zwecklos<br />

gewordener Behandlungsmaßnahmen keine tatbestandsmäßige<br />

Tötungshandlung i. S. d. § 216 Abs. 1 StGB sieht,<br />

spricht, daß derjenige, der eine nutzlose und gegen den<br />

Willen des Patienten eingeleitete Sterbensverlängerung<br />

abbricht und dadurch dem unweigerlich verlöschenden<br />

Leben den Weg frei macht, im krankheitsbedingten natürlichen<br />

Tod zu enden, nicht das Rechtsgut „Leben“ verletzt.<br />

§ 216 StGB ist im Lichte des grundgesetzlich verankerten<br />

Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde nach<br />

seinem Sinn und Zweck auszulegen. Sinn des Tötungsverbotes<br />

ist es, das Leben zu erhalten. Die Verwirklichung<br />

dieses Zieles gebietet aber nicht, den sich im Todeskampf<br />

befindlichen Menschen gewaltsam und gegen seinen Willen<br />

am Sterben zu hindern. Dies muß hinsichtlich der Frage<br />

der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung auch dann gelten,<br />

wenn der Behandlungsabbruch durch einen Dritten herbeigeführt<br />

wird. Denn in einem solchen Fall hat der Abbruch<br />

der Behandlung, unabhängig davon, durch wen er erfolgt<br />

ist, nichts mehr mit der Verletzung von Lebensschutzinteressen<br />

zu tun. Aus diesem Grund überzeugt es auch nicht,<br />

die Tatbestandsmäßigkeit zu bejahen und erst auf der<br />

Rechtswidrigkeitsebene darauf abzustellen, daß das Selbstbestimmungsrecht<br />

des Patienten durch das Abschalten<br />

realisiert werde. Demzufolge ist der Auffassung unter (1)<br />

zu folgen.<br />

Eine gegenteilige Ansicht wäre gut vertretbar. Sofern<br />

eine tatbestandliche Tötungshandlung bejaht würde, wäre<br />

zu prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen des § 216 Abs.<br />

1 StGB gegeben sind. Am Vorliegen eines ausdrücklichen<br />

und ernstlichen Verlangens seitens F bestehen keine Bedenken.<br />

Das gilt ebenso für die Frage, ob M hierdurch zur<br />

Tötung bestimmt worden ist. Fraglich ist jedoch, ob M<br />

Täter des Tötungsdelikts ist, weil F möglicherweise – in<br />

Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ – nach<br />

dem Abschalten des Beatmungsgerätes bei klarem Bewußtsein<br />

war und es in der Hand hatte, M durch Blickkontakt,<br />

Gebärden oder eine maschinenschriftliche Weisung zum<br />

Wiedereinschalten des Gerätes zu veranlassen. Es ließe<br />

sich also begründen, daß F nach dem letzten Tatbeitrag des<br />

M die freie Entscheidung über Leben und Tod hatte und<br />

somit – unter Zugrundelegung der h. L. (s. dazu die<br />

Nachweise bei Lackner, § 216 Rdn. 3) – eine täterschaftliche<br />

Tötung des M entfiele; die Rechtsprechung (BGHSt 19,<br />

135; BGH GA 1986, 508; OLG München NJW 1987,<br />

2940) würde gleichwohl angesichts der (Mit)Beherrschung<br />

des unmittelbar zur Tötung führenden Gesamtgeschehens<br />

durch M eine täterschaftliche Tötung annehmen.<br />

b) Es bleibt also festzuhalten, daß M die F nicht i. S. d.<br />

§ 216 Abs. 1 StGB getötet hat, weil in dem Abschalten des<br />

Beatmungsgerätes keine tatbestandliche Tötungshandlung<br />

des M zu sehen ist.<br />

2. Ergebnis: Eine Strafbarkeit des M wegen einer Tötung<br />

auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB entfällt.<br />

II. M könnte sich durch das Einschließen des D in einem<br />

Ärztezimmer wegen einer Freiheitsberaubung gemäß § 239<br />

Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. a) M hat die Freiheitsberaubung mittels der Tathandlung<br />

des „Einsperrens“ verwirklicht, als er D in einem<br />

Ärztezimmer einschloß. Unter Einsperren wird nämlich die<br />

Verhinderung am Verlassen eines Raumes durch äußere<br />

Vorrichtungen verstanden, wobei ein Mensch eingesperrt<br />

ist, sobald er objektiv gehindert ist, von seiner Fortbewegungsfreiheit<br />

Gebrauch zu machen (Schönke/Schröder-<br />

Eser, § 239 Rdn. 5 m. w. N.).<br />

b) M hat auch vorsätzlich gehandelt.<br />

2. Fraglich ist, ob M rechtswidrig gehandelt hat. Das<br />

Handeln des M könnte durch Notwehr gemäß § 32 StGB in<br />

Form der Nothilfe gerechtfertigt sein.<br />

a) Das setzt zunächst das Vorliegen einer Notwehrlage,<br />

also eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs i. S. v.<br />

§ 32 Abs. 2 StGB voraus, und zwar des D gegenüber F.<br />

Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende<br />

Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen<br />

(Wessels/Beulke, AT, Rdn. 325). Rechtswidrig ist der Angriff,<br />

wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung<br />

steht (Schönke/Schröder-Lenckner, § 32 Rdn. 19). Das Beatmen<br />

durch das Beatmungsgerät gegen den Willen der F<br />

stellt – wie oben unter A. I. gesehen – eine Körperverletzung<br />

seitens D und somit einen rechtswidrigen Angriff auf<br />

die körperliche Integrität der F dar. Im Hinblick darauf, daß<br />

das Beatmen zum Zeitpunkt des Einsperrens noch andauerte,<br />

war der Angriff auch gegenwärtig.<br />

b) Sodann müßte das Einsperren zur Abwendung des<br />

Angriffs erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist alles,<br />

was zu einer wirksamen Verteidigung gehört, eine möglichst<br />

sofortige Beendigung des Angriffs erwarten läßt und<br />

die endgültige Beseitigung der Gefahr am besten gewährleistet<br />

(Wessels/Beulke, AT, Rdn. 335). Dabei ist die Erforderlichkeit<br />

der Verteidigung im Wege einer ex-ante Betrachtung<br />

objektiv zu bestimmen, d. h. maßgebend ist, wie<br />

ein besonnener Dritter in der Lage des Angegriffenen die<br />

im Zeitpunkt des Angriffs gegebenen und objektiv erkennbaren<br />

Umstände beurteilt hätte (vgl. BGH NJW 1989,<br />

3027). D war mit dem Abschalten des Beatmungsgerätes<br />

auch nach Vorlage des von F geschriebenen Zettels und<br />

weiterem, intensiven Zureden seitens M nicht einverstanden.<br />

Deshalb hatte M keine andere Wahl, als D einzusper-<br />

<strong>Kriminalistik</strong> 5/99<br />

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