Staatsanwaltschaft - KSBS
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<strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
Weisungen I – <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
§ 1 Glossar<br />
A. Wesentliche Einvernahmen<br />
Wesentliche Einvernahmen gemäss Art. 307 Abs. 2 sind Einvernahmen zur Sache<br />
mit dem Beschuldigten oder Opfern nach OHG. Sonstige Geschädigteneinvernahmen<br />
gelten nicht in diesem Sinn als wesentlich. Zu unterscheiden sind die „wesentlichen<br />
Einvernahmen“ von den informellen „Sachverhaltsabklärungen“ durch die Polizei,<br />
beispielsweise bei Meldung eines Delikts durch ein Opfer mit notwendiger sofortiger<br />
Fahndung. Hier ist die Polizei befugt, das Opfer kurz informell zu den Fakten<br />
und dem Signalement des Täters zu befragen (analog „Gefahr im Verzug“).<br />
B. Schwere Straftat und andere schwer wiegende Ereignisse<br />
Vgl. Weisung II § 1 A.<br />
C. Gefahr in Verzug<br />
Gefahr in Verzug ist namentlich gegeben bei Fluchtgefahr des Verdächtigen, beim<br />
Entstehen einer Gefahr für Polizei, Verdächtige oder Drittpersonen bei Zuwarten<br />
(analog Notstandskonstellation), bei akuter Wiederholungsgefahr oder Aufrechterhaltung<br />
des rechtswidrigen Zustands (Dauerdelikt), bei Ausführungsgefahr.<br />
D. Durchsuchung von Personen/Fahrzeugen/Behältnissen<br />
Wird die Polizei befugt, eine Person zum Öffnen von Fahrzeugen oder Behältnissen<br />
zu verpflichten, ist sie immer auch befugt, diese Gegenstände zu durchsuchen, unabhängig<br />
von der Gewährleistung der Personensicherheit.<br />
§ 2 Pikett<br />
Der Pikettdienst für das Erwachsenenstrafrecht und das Jugendstrafrecht wird gemeinschaftlich<br />
ausgeübt und erstreckt sich auf das gesamte Kantonsgebiet inkl.<br />
Engelberg. Er dauert von Montag, 8.00 Uhr bis Montag, 8.00 Uhr.<br />
<strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
Postfach 1561, 6061 Sarnen<br />
Tel. 041 666 62 40, Fax 041 666 66 30<br />
stawa@ow.ch<br />
www.ow.ch
§ 3 Abklärungen der persönlichen Verhältnisse gemäss Art. 308 Abs.<br />
2 StPO<br />
Für den Fall, dass im Rahmen des Gerichts- oder Strafbefehlsverfahrens über die<br />
Strafe entschieden werden soll, verpflichtet Art. 308 Abs. 2 StPO die <strong>Staatsanwaltschaft</strong>,<br />
auch die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person in angemessener<br />
Weise abzuklären. Die <strong>Staatsanwaltschaft</strong> hat deshalb die Abklärungen zur Person<br />
vorzunehmen und diese aktenkundig zu machen (Art. 195 Abs. 2).<br />
Als Umkehrschluss aus Abs. 2 ergibt sich, dass bei einer sich abzeichnenden Einstellung<br />
des Verfahrens keine Beweiserhebungen zur Person durchzuführen sind.<br />
Dies wird konkret mit dem Gesetzeswortlaut von Art. 161 untermauert, in welchem<br />
unter Hinweis auf den Schutz der Privatsphäre postuliert wird, solche Abklärungen<br />
nur dann vorzunehmen, wenn mit einer Bestrafung zu rechnen sei.<br />
Als Erhebungen über die persönlichen Verhältnisse sind v.a. Erhebungen zum Lebenslauf,<br />
Vorstrafen- und Leumundsberichte, Steuerauskünfte, Betreibungs- und<br />
Konkursregisterauszüge sowie allfällige Medizinalberichte wie Arztberichte, Therapieberichte,<br />
psychiatrische Gutachten gemeint.<br />
Diese Erhebungen haben im Verhältnis zur Bedeutung der Straffälle zu stehen. Allerdings<br />
haben die Untersuchungshandlungen besonders ausführlich zu sein, wenn<br />
das Gericht sein Urteil vorwiegend aufgrund der Akten der Untersuchung fällt. In<br />
jedem Fall muss zumindest ein Vorstrafenbericht eingeholt werden, soweit nicht<br />
sogleich eine Nichtanhandnahme erfolgt.<br />
Exkurs: Art. 195 Abs. 1 StPO befugt u.a. auch die Polizei, amtliche Berichte und<br />
Arztberichte einzuholen. Dies kann, im Systemzusammenhang interpretiert, allerdings<br />
bloss Arztberichte bezüglich Opfern betreffen. Hierfür müsste auch von der<br />
Polizei (analog dem Einholen von Opferberichten durch die <strong>Staatsanwaltschaft</strong>)<br />
beim Opfer vorgängig eine Entbindungserklärung eingeholt werden, welche der Anfrage<br />
an den Arzt beigelegt wird. In Obwalden bleibt diese Kompetenz der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
vorbehalten.<br />
Die Polizei kann die finanziellen Verhältnisse nur auf Delegation der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
abklären. Dies macht bloss im Rahmen einer delegierten Einvernahme zur<br />
Sache Sinn. Ansonsten hat die <strong>Staatsanwaltschaft</strong> das Formular direkt an den<br />
Beschuldigten zu senden.
§ 4 Einvernahmen<br />
A. Delegation von Einvernahmen an Mitarbeiter der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
Mit Art. 311 Abs. 1 bringt der Gesetzgeber seine Intention zum Ausdruck, dass die<br />
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Beweiserhebungen, welche gemäss Art.<br />
299 Abs. 2 und Art. 308 Abs. 1 für den Entscheid über die Erledigung des Verfahrens<br />
notwendig sind, im Grundsatze selbst durchzuführen haben. Allerdings kann<br />
durch Bund oder Kantone die Möglichkeit geschaffen werden, einzelne Beweiserhebungen<br />
in die Kompetenz von Untersuchungsbeamten, Assistenten, Adjunkten,<br />
Sekretären, Praktikanten oder anderen Funktionären der <strong>Staatsanwaltschaft</strong>en zu<br />
legen, wobei es sich hier jeweils um keine generelle Delegation handeln darf. Vielmehr<br />
hat die jeweilige Delegation bloss für den Einzelfall zu geschehen. Sodann<br />
bleibt der Entscheid über die Delegation dem verfahrensleitenden Staatsanwalt<br />
vorbehalten – mit anderen Worten fliesst kein justiziables Recht aus einer gesetzlich<br />
verankerten kantonalen Delegationsmöglichkeit.<br />
Je nach kantonaler Regelung können auch Staatsanwaltsassistenten, Rechtspraktikanten,<br />
Sekretärinnen etc. gewisse Ermittlungs-Aufträge an die Polizei oder Gutachtens-<br />
resp. Berichtsaufträge an Sachverständige erlassen. In Obwalden ist dies<br />
gemäss Art. 44c GOG möglich für die Beweisführung in einfachen Fällen, insbesondere<br />
die Durchführung von Einvernahmen und Augenscheinen, einzelne Untersuchungshandlungen<br />
in allen Fällen, sowie die Erledigung von Rechtshilfeersuchen.<br />
Allerdings dürfen Delegationen nur an Staatsanwaltsassistenten erfolgen.<br />
Diese haben konkret und schriftlich, vom zuständigen Staatsanwalt unterschrieben,<br />
zu erfolgen. Eine blosse Aktennotiz genügt, da es sich um interne<br />
Kompetenzdelegationen handelt.<br />
Delegierbar sind alle Arten von Einvernahmen, ausser Konfrontationseinvernahmen<br />
und Schlusseinvernahmen.<br />
B. Delegation von Einvernahmen an die Polizei<br />
1. GRUNDSATZ<br />
Art. 312 Abs. 1 basiert auf Art. 311 Abs. 1, welcher der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> die<br />
Pflicht zur eigenhändigen Beweiserhebung auferlegt und ihr damit die Führungsrolle<br />
in der Untersuchung zuerkennt. Art. 312 Abs. 1 bildet nun eine Ausnahme von diesem<br />
in Art. 311 Abs. 1 vernormten Grundsatz und ermöglicht die Delegation der<br />
Beweiserhebungskompetenz an die Polizei.
Die konkreten Aufträge haben im Regelfall schriftlich zu ergehen, in dringenden Fällen<br />
genügt allerdings Mündlichkeit. Als dringende Fälle sind Konstellationen gemeint,<br />
in denen eine Durchsuchung oder die Durchführung einer Einvernahme angeordnet<br />
werden soll, die verfügende Stelle aber nur telefonisch erreicht werden<br />
kann oder aber die technischen Mittel zur Ausfertigung einer schriftlichen Verfügung<br />
nicht vorhanden sind.<br />
Mit dem Willen, Untersuchungshandlungen, welche sich bei der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
aufdrängen, nicht der Polizei delegieren zu können, hat der Gesetzgeber sodann<br />
verdeutlicht, dass Einvernahmen, gleichsam die Grossmehrheit derjenigen Beweiserhebungen,<br />
welche die <strong>Staatsanwaltschaft</strong> eigenhändig durchführen kann, nicht<br />
ohne Not der Polizei delegiert werden sollten, sobald die Untersuchung von der<br />
<strong>Staatsanwaltschaft</strong> eröffnet ist.<br />
Nicht delegiert werden dürfen die ersten wesentlichen Einvernahmen bei schweren<br />
Straftaten (Art. 307 Abs. 2), die Schlusseinvernahmen (Art. 317) sowie Einvernahmen<br />
in Verfahren, in denen die Glaubhaftigkeit resp. Schuldfähigkeit der einzuvernehmenden<br />
Person in Frage steht oder der Fall rechtlich komplex zu werden<br />
scheint. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Delegation von Konfrontationseinvernahmen.<br />
Die Verfahrensbeteiligten haben bei delegierten Einvernahmen dieselben Verfahrensrechte<br />
wie bei Einvernahmen durch die <strong>Staatsanwaltschaft</strong>.<br />
2. MODALITÄTEN DER DELEGATION<br />
Formell hat die Delegation in der Art eines Auftrags zu ergehen. Sie benennt, ähnlich<br />
einer Verfügung, die (mutmasslichen) Parteien (konkret mit Namen, jeweiliger<br />
Parteistellung und Rechten und den Namen der Anwälte), das zu untersuchende<br />
Delikt, den Auftragsnehmer sowie die Art der Untersuchungshandlung (Art der Einvernahme<br />
etc.), welche durch die Polizei vorgenommen werden soll und trägt die<br />
Unterschrift des Auftraggebers. Je nach kantonaler Gesetzgebung kann anstelle des<br />
Staatsanwaltes auch ein Mitarbeiter der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> Delegationsaufträge erlassen.<br />
In Obwalden ist dies nicht möglich.<br />
Bei delegierten Einvernahmen muss nebst den Personalien und konkreten Verfahrensstellungen<br />
der Parteien auch angegeben werden, ob bei der Polizei mehrere<br />
Personen die Einvernahme durchführen müssen (vgl. Art. 44d GOG), wie lange<br />
der Zeuge oder die Auskunftsperson Stillschweigen gemäss Art. 165 StPO bewahren<br />
soll sowie, dass das Opfer gemäss Art. 152 StPO die Vermeidung der Begegnung<br />
mit dem Beschuldigten verlangen kann.
Erscheint eine Partei nicht zur Einvernahmen, kontaktiert der polizeiliche Sachbearbeiter<br />
die <strong>Staatsanwaltschaft</strong>, welche entscheidet, ob die Einvernahme trotzdem<br />
durchgeführt wird. In diesem Fall hat der Staatsanwalt eine Ergänzung der Delegationsverfügung<br />
nachzureichen, resp. diese dann direkt in die Akten zu legen.<br />
Da es sich beim Delegationsauftrag lediglich um eine behörden- und vor allem<br />
verfahrensinterne Anordnung handelt, muss diese, wie die Eröffnungsverfügung<br />
keiner Partei mitgeteilt werden. Es kann gegen den Delegationsauftrag auch keine<br />
Beschwerde geführt werden, da es sich, wie bei der Eröffnungsverfügung, bloss<br />
um eine behördeninterne Anordnung handelt.<br />
Allerdings kann mittels der Verwertbarkeit der Beweismittel in Gerichtsverfahren die<br />
Rechtmässigkeit der Delegation nachträglich überprüft werden. Insbesondere von<br />
Bedeutung ist hierbei, dass die Vorschrift von Art. 307 Abs. 2 befolgt wurde, welche<br />
wichtige Einvernahmen und Untersuchungshandlungen kategorisch der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
vorbehält. Werden solche Untersuchungshandlungen an die Polizei delegiert,<br />
verletzt dies Bundesrecht und höhlt die staatsanwaltschaftliche Untersuchungspflicht<br />
aus. Allerdings vermag eine bloss zu generell verfasste Delegation<br />
der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> dem Beweiswert der durch die Polizei korrekt erhobenen<br />
Beweise nicht zu schaden. Auch eine polizeiliche Beweiserhebung ohne Auftrag<br />
kann, sofern es sich nicht um der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> vorbehaltene Untersuchungshandlungen<br />
handelt, den Beweiswert nicht verlieren, sofern die zusätzlichen<br />
Parteirechte gemäss Art. 312 Abs. 2 gewährt wurden.<br />
Der Delegationsauftrag erfolgt immer an das Polizeikommando. Die Originale der<br />
erledigten Aufträge werden von der Polizei via Infodienst unverzüglich an die<br />
<strong>Staatsanwaltschaft</strong> gesendet.<br />
C. Vorladungen zu delegierten Einvernahmen<br />
Vorladungen zu delegierten Einvernahmen sind der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> vorbehalten.<br />
Entsprechend haben diese vom Staatsanwaltssekretariat in Absprache mit dem entsprechenden<br />
Sachbearbeiter zu erfolgen. Dieser meldet sich zur Terminabsprache<br />
bei Erhalt des Delegationsauftrags beim Staatsanwaltssekretariat.<br />
§ 5 Ausserordentliche Todesfälle und Ausrücken<br />
Ist der Tod gewaltsam durch Verbrechen, Selbsttötung, Unglücksfall oder ohne<br />
sichtbare Ursache eingetreten, so meldet der Arzt den Fall der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
oder der Polizei (Art. 12 Verordnung über die Friedhöfe und Bestattungen vom<br />
24.10.1991).
Informiert die Polizei oder der Arzt über einen Todesfall gemäss Art. 253 StPO geht<br />
der Pikettleistende oder mit dem Eingang betraute Staatsanwalt immer vor Ort.<br />
§ 6 Akteneinsicht<br />
Bei der Polizei wird generell keine Akteneinsicht gewährt. Dies betrifft auch die Herausgabe<br />
der Protokolle sowie das Aushändigen oder Zeigen von Fotographien (wie<br />
Radarfotos).<br />
§ 7 Augenschein<br />
Augenscheine gemäss Art. 193 StPO sind primär von der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> selbst<br />
vorzunehmen oder mittels einer Delegation gemäss Art. 312 StPO von der Polizei.<br />
Auch im schon durch die <strong>Staatsanwaltschaft</strong> geleiteten und allenfalls eröffneten Verfahren<br />
kann die Polizei ohne Delegation in einfachen Fällen Augenscheine durchführen.<br />
Dies gilt dann, wenn sie nähere Angaben zur Ergänzung oder Präzisierung des<br />
Rapports braucht (z.B. Ausmessen und Fotographieren des Unfall- oder Tatorts,<br />
Sichern von Tatspuren) und auf die Parteiöffentlichkeit verzichtet werden kann.<br />
Der Staatsanwalt/Jugendanwalt hat bei Untersuchungshandlungen gemäss Art. 193<br />
Abs. 5 StPO immer vor Ort zu erscheinen.<br />
§ 8 U-Haft<br />
Innert 24 Stunden seit Festnahme beantragt die Polizei bei der <strong>Staatsanwaltschaft</strong><br />
die Beantragung der Untersuchungshaft vor Zwangsmassnahmengericht. Die<br />
<strong>Staatsanwaltschaft</strong> hat einen negativen Entscheid der Polizei mittels des hierfür vorgesehenen<br />
Formulars unverzüglich mitzuteilen.<br />
§ 9 Durchsuchung/Untersuchung gemäss Art. 241 III StPO<br />
Art. 241 III ist folgendermassen auszulegen: Ist Gefahr im Verzug kann die Polizei<br />
einsehbare Körperöffnungen und Körperhöhlen ohne Befehl durchsuchen.<br />
Die Untersuchung nicht einsehbarer Körperöffnungen und Körperhöhlen wird immer<br />
von einem Arzt auf Anordnung der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> durchgeführt. Ist die betroffene<br />
Person damit einverstanden, braucht es jeweils keine Anordnung durch die<br />
<strong>Staatsanwaltschaft</strong>.
Diese Weisungen ersetzten sämtliche Weisungen des Verhöramtes an die Polizei<br />
sowie die Weisungen der <strong>Staatsanwaltschaft</strong> an das Verhöramt.<br />
Sarnen, 1.1.2011<br />
Die Oberstaatsanwältin:<br />
Dr.iur. E.Omlin