die grosse transformation - Naturfreunde Altkreis Grafschaft Hoya
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NATURFREUNDE AKTIV<br />
ZEITSPRUNG<br />
16 Erstbesteigungen und ein Schuhplattler<br />
Im Juli 1932 fand <strong>die</strong> „erste deutsche Arbeiter-Kaukasus-Expedition“ statt<br />
T Von Martin Krauß ist erschienen:<br />
Der Träger war immer<br />
schon vorher da – Die Geschichte<br />
des Wanderns und Bergsteigens<br />
in den Alpen; 222 Seiten;<br />
Nagel & Kimche, München,<br />
2013; ISBN 9783312005581;<br />
Preis 19,90 Euro.<br />
Otto Herzog, der zum bürgerlichen Deutsch-Österreichischen<br />
Alpenverein (DÖAV) gehörte, genauer:<br />
zur Sektion Bayerland des DÖAV.<br />
Der verstand sich als Eliteklub, und in ihm waren<br />
auch prominente und einflussreiche Nazis<br />
vertreten, etwa Paul Bauer, seit 1923 NSDAP-Mitglied<br />
und seit den späten Zwanzigerjahren eine<br />
der wichtigsten Figuren im deutschen Expeditionsalpinismus.<br />
An Otto Herzog prallte das alles seltsam<br />
ab: Bei Bayerland war er, weil er dort besser<br />
klettern konnte als etwa in der erst 1919 gegründeten<br />
Alpinistengilde der NaturFreunde. Als er 1919<br />
aufgrund seiner Beteiligung an der Räterevolution<br />
wegen „Beihilfe zum Hochverrat“<br />
angeklagt wurde,<br />
sagte Paul Bauer für ihn aus,<br />
er habe nur deshalb mitgemacht, „um besser auf<br />
<strong>die</strong> Roten einwirken zu können“. Auch nach 1933<br />
soll Herzog von Bauer protegiert worden sein und<br />
so <strong>die</strong> NS-Herrschaft überlebt haben.<br />
So ganz selbstverständlich gehörte Herzog<br />
aber nicht zur Kaukasus-Expedition. Deren Leiter,<br />
der Dresdner KPD-Politiker Hans Donath,<br />
schrieb in seinem Bericht (den er übrigens erst<br />
1972 in Dresden als hektografiertes Manuskript<br />
vorlegte), Herzog habe sich „als ausgesprochener<br />
Individualist (...) nicht in das Kollektiv der<br />
Münchner einpassen“ können. Alpinistisch<br />
war der Münchner aber der beste der Expedition.<br />
Ganz alleine schaffte er im Kaukasus drei<br />
schwierige Erstbesteigungen. Überhaupt liest<br />
sich <strong>die</strong> Gesamtbilanz der Expedition gut: 21<br />
Bergbesteigungen, davon 16 Erstbesteigungen,<br />
fünf Mal konnten neue Routen oder erstmalige<br />
Überschreitungen vermeldet werden.<br />
Als <strong>die</strong> Gruppe wieder unten war, schaute<br />
sie sich ein antireligiöses Theaterstück an:<br />
„Wie <strong>die</strong> 14. Division in das Para<strong>die</strong>s einmarschierte“.<br />
Eine Woche waren sie in Moskau<br />
und führten viele Gespräche. Auch Otto Herzog<br />
interessierte sich für <strong>die</strong> Sowjetunion. „Alles,<br />
was man von ehrlichen Berichterstattern,<br />
ausgenommen fanatisch eingestellte Par-<br />
ŇKaukasische Ň Gipfel und ihre Bezwinger im Jahr 1932.<br />
bNaturFreunde gehen in <strong>die</strong> Berge. Das regte<br />
im Jahr 1932 einige Nazis mächtig auf. Eine<br />
„Luxusfahrt roter Bonzen“ glaubte der Freiheitskampf,<br />
<strong>die</strong> Tageszeitung der NSDAP für Sachsen,<br />
denunzieren zu müssen. Denn zwölf deutsche<br />
Bergsteiger machten sich im Juli 1932 auf<br />
<strong>die</strong> Reise in <strong>die</strong> Sowjetunion: „1. Deutsche Arbeiter-Kaukasus-Expedtion“<br />
nannte sich <strong>die</strong> Unternehmung,<br />
und dass zum ersten Mal proletarische<br />
Bergsteiger aus Deutschland auf Fünftausender<br />
steigen sollten, war gar nicht mal das<br />
Bemerkenswerteste daran.<br />
Erst wenige Jahre zuvor, 1930, hatte sich <strong>die</strong><br />
Wander- und Bergsteigerorganisation der Arbeiterbewegung<br />
so gespalten, wie <strong>die</strong> Parteien und<br />
anderen Organisationen auch: Neben den NaturFreunden<br />
gab es <strong>die</strong> von Kommunisten getragene<br />
NaturFreunde-Opposition/Vereinigte<br />
Kletterabteilungen<br />
e.V. (NFO/<br />
VKA). Letztere war Teil der Interessengemeinschaft<br />
für Rote Sporteinheit und Mitglied der Roten<br />
Sport Internationale. Aber als es 1932 in den<br />
Kaukasus ging, waren tatsächlich NaturFreunde<br />
und NaturFreunde-Opposition vereint: Bergsteiger<br />
von den VKA Dresden, den NaturFreunden<br />
Dresden, vom Sächsischen Bergsteigerbund und<br />
von den NaturFreunden München. Die Alpinisten<br />
aus Bayern brachten noch einen anderen<br />
Arbeiterbergsteiger mit: den Rätekommunisten<br />
teigänger aller Schattierungen, bis heute gehört<br />
hat, kann ich bestätigen“, schrieb er. Und seinen<br />
Spaß hatte er auch: Die Mitreisenden waren<br />
leicht pikiert, als Herzog in einem kaukasischen<br />
Dorf einen Schuhplattler vorführte. Herzog<br />
schreibt von seiner Ankunft in Hamburg:<br />
„Endlich weht mich eine frische Brise von meinen<br />
drei drolligen Kaukasus-Kumpanen hinweg,<br />
der bayerischen Heimat entgegen.“ Dort ereilte<br />
<strong>die</strong> drei Münchner NaturFreunde im Herbst 1932<br />
das gleiche Schicksal wie ihre Dresdener Kameraden<br />
schon 1930: Unter der Überschrift „Säuberung<br />
von kommunistischen Schädlingen“ wurden<br />
sie von den NaturFreunden ausgeschlossen.<br />
Die Expedition blieb einzigartig. Eine mit den<br />
sowjetischen Gastgebern vereinbarte Pamir-Expedition<br />
kam 1933 aus nachvollziehbaren Gründen<br />
nicht zustande. Die meisten Teilnehmer wurden<br />
nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten<br />
verhaftet und viele ermordet.c MARTIN KRAUSS<br />
4-2013 NATURFREUNDiN SEITE 25