09.04.2014 Aufrufe

Palstek 3-2001 - auf den Internetseiten von Markus Drenckhan

Palstek 3-2001 - auf den Internetseiten von Markus Drenckhan

Palstek 3-2001 - auf den Internetseiten von Markus Drenckhan

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Bücher<br />

gelesen <strong>von</strong> <strong>Markus</strong> <strong>Drenckhan</strong><br />

Wer glaubt, Inseln seien<br />

nur Landh<strong>auf</strong>en im Wasser,<br />

der irrt. Jede Insel<br />

ist einzigartig in ihrer Geschichte,<br />

ihrer Form, ihrer Oberfläche. Der<br />

Geologe Rolf Reinicke erzählt in<br />

seinem neuen Buch die Geschichten<br />

der Ostseeinseln. Er fängt im Sü<strong>den</strong><br />

der Ostsee mit Fünen, Seeland, Rügen<br />

und Usedom an und setzt seine Inselbeschreibungen<br />

dann fort über Öland,<br />

Gotland, das Åland-Archipel, die<br />

weniger bekannte Saaremaa bis hin<strong>auf</strong><br />

zu <strong>den</strong> nördlichsten Eilan<strong>den</strong><br />

Seskarö oder Hailuoto im Bottnischen<br />

Meerbusen. Einen Großteil des Buchs<br />

machen Fotografien aus; keine Postkartenmotive,<br />

sondern Variationen<br />

und Details des einen Themas: der<br />

schmale Küstenstrich zwischen Meer<br />

und Land. Für <strong>den</strong> Geologen eröffnet<br />

sich der Einblick in die „Bauweise“<br />

der Inseln, der wissenschaftlich weniger<br />

interessierte Betrachter ist fasziniert<br />

<strong>von</strong> der Vielfältigkeit der Küsten<br />

des Binnenmeeres. Sand und Steine<br />

präsentieren sich in unzähligen Formen:<br />

als Strandwall, Sandhaken, Steilufer<br />

oder Klippe, als Strand aus Sand,<br />

Kies oder Geröll. Spektakulär in ihrer<br />

stillen Art sind vor allem auch die<br />

Fotos <strong>von</strong> felsigen Buchten, <strong>den</strong> Kreideküsten<br />

oder <strong>den</strong> Schneeverwehungen<br />

<strong>auf</strong> dem Gellen. Auf einigen Fotos<br />

taucht auch die Kraft <strong>auf</strong>, die erst seit<br />

kurzem, aber dafür sehr deutlich in<br />

Gestaltung und Veränderung der<br />

Inseln eingreift: der Mensch.<br />

Mit <strong>den</strong> begleiten<strong>den</strong> Texten entsteht<br />

ein neuer Blick <strong>auf</strong> längst bekannt<br />

Geglaubtes. In leicht verständlichen<br />

Worten beschreibt Reinicke<br />

die geologischen Ereignisse <strong>von</strong> Jahrmillionen.<br />

Er verwendet zwar Fachbegriffe,<br />

aber er erklärt sie auch. Die<br />

unterschiedliche Entstehung <strong>von</strong><br />

Nord- und Südostsee durch Erdalter<br />

oder Eiszeit und ihre Schnittstelle in<br />

einer einzigen Insel, Bornholm, wird<br />

in der Kombination <strong>von</strong> Bild und<br />

Texten nachvollziehbar.<br />

Zu jedem Kapitel gibt es übersichtliche<br />

Kartenskizzen. Ergänzt wer<strong>den</strong><br />

Texte und Fotos durch Info-Kästen<br />

mit Grafiken zu speziellen Themen<br />

wie Blumen oder Vögel, Versteinerungen<br />

oder Bernstein, aber auch<br />

Brücken, Windmühlen oder Leuchttürme.<br />

Inseln der Ostsee beschreibt Erdgeschichte<br />

aus Millionen <strong>von</strong> Jahren,<br />

und es gelingt dem Autor mit seiner<br />

Sprache, unsere Maßstäbe für Zeit zu<br />

beeinflussen. Man spürt: Reinicke hat<br />

jene Geduld, die er empfiehlt, um an<br />

einem windstillen Tag <strong>den</strong> Ti<strong>den</strong>hub<br />

<strong>auf</strong> der Insel Poel zu beobachten, der<br />

rund 20 Zentimeter betragen soll.<br />

Das Buch transportiert die Geschwindigkeit<br />

der Geologie, ohne auch nur<br />

einen Moment langweilig zu wer<strong>den</strong>.<br />

Im Gegenteil, es macht Lust hinzusehen<br />

<strong>auf</strong> scheinbar Gewohntes wie<br />

Land, Sand, Felsen oder Steine. Entstan<strong>den</strong><br />

ist ein geologischer Urlaubsführer,<br />

der Tipps für die schönsten<br />

Aus- und Übersichten gibt, aber auch<br />

<strong>auf</strong> oft übersehene Details und deren<br />

Bedeutung hinweist.<br />

Wenn der Autor das letzte Bild des<br />

Buchs vom Herbstlicht über dem<br />

Kreidefelsen <strong>auf</strong> Rügen mit <strong>den</strong><br />

Worten versieht: „an einem der<br />

schönsten Ufer aller Inseln der Ostsee“,<br />

dann fiele mir diese Entscheidung<br />

angesichts der langen Reihe<br />

<strong>von</strong> Fotos schwer. Wir wollen ihm<br />

diesen Superlativ aber nachsehen als<br />

Verpflichtung an sein deutschsprachiges<br />

Publikum und an seine eigene<br />

Geschichte, die eng mit <strong>den</strong> Inseln<br />

Vorpommerns verbun<strong>den</strong> ist.<br />

Rolf Reinicke: Inseln der Ostsee, 198<br />

Seiten, Format 22,5 mal 30 cm, viele<br />

Farbfotos, DSV-Verlag, Hamburg 2000,<br />

48,- DM.<br />

Wie jede Transportart, die<br />

in der Vergangenheit<br />

neue Wege eröffnete, hat<br />

auch die Seefahrt ihre dunkle Geschichte.<br />

Was für die Bahn die Deportationszüge<br />

und für die Luftfahrt die<br />

Bombenflüge waren, fängt für die<br />

Schifffahrt nicht erst mit <strong>den</strong> heimtückischen<br />

U-Booten an: Über Jahrhunderte<br />

hielten Frachtsegler <strong>den</strong> Handel<br />

mit Menschen <strong>auf</strong> der Dreiecksroute<br />

über <strong>den</strong> Atlantik <strong>auf</strong>recht. Das schwärzeste<br />

Kapitel der christlichen Seefahrt<br />

nennt es Eigel Wiese. Der Autor macht<br />

es dem Leser nicht einfach – was<br />

angesichts des Themas auch nicht zu<br />

erwarten ist. Aber Wiese fällt kein<br />

schnelles Urteil, sondern reiht Details<br />

und Anekdoten des vierhundertjährigen<br />

Sklavenhandels aneinander, die<br />

er fast unkommentiert lässt. Mit Geschichten<br />

<strong>von</strong> Schiffen und Zahlen der<br />

buchhalterischen Verwaltung vermittelt<br />

er ein Bild der Normalität eines<br />

brutalen Handels, der in der damaligen<br />

Zeit <strong>auf</strong> keine moralische Kritik<br />

stoßen konnte, da alle einflussreichen<br />

Kreise, bis hin<strong>auf</strong> zu <strong>den</strong> Königshäusern,<br />

am Profit beteiligt waren.<br />

Die Bedeutung des Sklavenhandels<br />

für die europäische und amerikanische<br />

Wirtschaft macht das Buch sehr<br />

deutlich. Spanien und England finanzierten<br />

ihre Seeherrschaft über<br />

lange Zeit mit diesen Gewinnen. In<br />

einem Kapitel geht es um <strong>den</strong> deutschen<br />

Beitrag, <strong>den</strong>n auch die Schiffe<br />

der Hansestädte waren am Sklavenhandel<br />

beteiligt. Das Geld, das Wandsbek<br />

oder Flensburg zur Blüte verhalf,<br />

152 PALSTEK 3/01


stammte nicht zuletzt auch daher. Diese<br />

plötzliche, unerwartete Nähe nimmt dem<br />

Thema die geschichtliche und kulturelle<br />

Ferne. Sicherlich nicht zufällig folgt der<br />

Bericht eines Arztes <strong>auf</strong> einem deutschen<br />

Schiff, der beschreibt, wie Sklaven die Initialen<br />

des bran<strong>den</strong>burgischen Kurfürsten<br />

eingebrannt bekamen.<br />

Im Weiteren beschreibt das Buch die Stationen<br />

des Handels. In Afrika k<strong>auf</strong>ten die Bootsbesatzungen<br />

mit billigen europäischen Waren<br />

die Menschen, die einheimische Händler<br />

gefangen genommen hatten. Zu Hunderten<br />

unter Deck gesperrt, wur<strong>den</strong> die Versklavten<br />

nach Amerika gebracht und verk<strong>auf</strong>t.<br />

Es folgen Kapitel über Aufstände, über Piraten<br />

und ihre Bedeutung für <strong>den</strong> Sklavenhandel<br />

und über dessen Ende im 19. Jahrhundert.<br />

Da es fast ausschließlich Niederschriften<br />

und Archivmaterial in <strong>den</strong> Händlernationen<br />

gibt, beherrscht die europäische Sichtweise<br />

die Darstellungen.<br />

Die Abschaffung des Sklavenhandels, die bis<br />

weit in das 19. Jahrhundert dauerte, war für<br />

Wiese keine humanitäre Entscheidung, sondern<br />

eine Folge der <strong>auf</strong>kommen<strong>den</strong> Energieerzeugung<br />

durch Dampfkraft. Viele arbeitende<br />

Sklaven wür<strong>den</strong> ersetzt und könnten<br />

so eine gesellschaftliche Belastung erzeugen.<br />

Es bleibt konsequent dem Leser überlassen,<br />

sich aus der Sammlung der Einzelheiten ein<br />

Urteil zu bil<strong>den</strong>. Eine Gesamtzahl nennt<br />

Wiese eher beiläufig: Über zehn Millionen<br />

Menschen wur<strong>den</strong> zwischen dem 15. und<br />

19. Jahrhundert <strong>von</strong> Afrika nach Amerika<br />

verschleppt. Ungezählt sind die Menschen,<br />

die in Afrika durch Kriege, Ermordung oder<br />

<strong>auf</strong> dem Transport starben.<br />

Die Methode der unkommentierten Dokumentation<br />

<strong>von</strong> Brutalität und Unmenschlichkeit<br />

wird oft missverstan<strong>den</strong> oder kritisiert<br />

und ist immer ein Balanceakt. Diese<br />

Balance gelingt Wiese nicht immer, zuweilen<br />

verliert er in der Beschreibung <strong>von</strong> Einzelheiten<br />

<strong>den</strong> Blick <strong>auf</strong> das Ganze. So bemüht<br />

er sich beispielsweise an einer Stelle, die<br />

Zahlen der verschleppten Sklaven, die die<br />

mörderische Mittelpassage <strong>von</strong> Afrika nach<br />

Amerika nicht überlebten, dadurch zu relativieren,<br />

dass er Berichte <strong>von</strong> großzügigen<br />

und weniger brutalen Kapitänen dagegen<br />

stellt und beides mit <strong>den</strong> Zustän<strong>den</strong> <strong>auf</strong> <strong>den</strong><br />

Aussiedlerschiffen vergleicht.<br />

Die unkommentierte Darstellung der bürokratischen<br />

Normalität <strong>von</strong> Brutalität ohne<br />

Pathos oder Verurteilung gelingt über weite<br />

Strecken des Buchs. Sie lebt nicht zuletzt<br />

<strong>von</strong> der Schreibweise des Autors, der als<br />

Journalist bisweilen zur Reportageform greift.<br />

Eigel Wiese: Sklavenschiffe – Das schwärzeste<br />

Kapitel der christlichen Seefahrt, 160 Seiten,<br />

Format 21,5 mal 27,5 cm, Koehlers Verlagsgesellschaft,<br />

Hamburg 2000, 49,80 DM<br />

PALSTEK 3/01 153

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!