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fließende' Rede und der ‚gefrorene' Text. Metaphern ... - metaphorik.de

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Metapher auf die Honigbiene, die <strong>de</strong>n sorgfältig gesammelten Nektar zu Honig<br />

verwan<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> als Nahrung für die heranwachsen<strong>de</strong> Brut einsetzt. Die nach wie vor<br />

gebrauchte Formulierung, ‚Jeman<strong>de</strong>m Honig um <strong>de</strong>n Bart streichen‘ erinnert noch an<br />

dieses Bildfeld.<br />

Der Nachklang einer ganzheitlichen sensorischen Wahrnehmung, <strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Terminologie <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeitgenossen faßbar wird, scheint für <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>m<br />

geschriebenen Wort <strong>und</strong> für die Aneignung <strong>de</strong>s Wortes aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Schrift von<br />

konstitutiver Be<strong>de</strong>utung: Die Wahrnehmung (<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeichen) mit <strong>de</strong>n Augen, die<br />

Aufnahme (<strong>de</strong>s Tones) über das Ohr, <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachvollzug <strong>de</strong>s Sprechens (das<br />

Schmecken) mit <strong>de</strong>n Lippen, die Sensomotorik <strong>de</strong>s Körpers im Rhythmus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Wortfolge <strong>und</strong> die Internalisierung <strong>de</strong>s Blickes im Prozeß <strong>de</strong>s Nachsinnens<br />

kennzeichnen das ganzheitliche Erfassen eines Schriftwerkes, das sehr viel mehr ist<br />

als die bloße Aufnahme von Information. In diesem Sinne heißt es bei Leclerq:<br />

„Für die Alten heißt meditieren einen <strong>Text</strong> lesen <strong>und</strong> ihn ‚par cœur‘ - in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

stärksten Be<strong>de</strong>utung dieses Ausdrucks - lernen, also mit seinem ganzen<br />

Wesen - mit seinem Leib, weil die Lippen ihn aussprechen, mit <strong>de</strong>m<br />

Gedächtnis das ihn festhält, mit <strong>de</strong>m Verstand, <strong><strong>de</strong>r</strong> seinen Sinn begreift,<br />

mit <strong>de</strong>m Willen, <strong><strong>de</strong>r</strong> ihn in die Tat umzusetzen verlangt.“[28]<br />

Die Aneignung <strong><strong>de</strong>r</strong> Schrift als ein Ganzheitserlebnis für Körper <strong>und</strong> Geist zu <strong>de</strong>uten,<br />

erscheint auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong><strong>de</strong>r</strong> zeitgenössischen Schriftmetaphern als notwendiges<br />

Postulat <strong>und</strong> als eine vielversprechen<strong>de</strong> Aufgabe <strong><strong>de</strong>r</strong> mittelalterlichen <strong>und</strong><br />

spätmittelalterlichen Poetik. Das gilt beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s dann, wenn man mit Zumthor davon<br />

ausgeht, daß je<strong><strong>de</strong>r</strong> dichterisch-fiktive <strong>Text</strong> vor <strong>de</strong>m 15. Jh. „in seiner Tiefenstruktur<br />

eine Zielgerichtetheit“ birgt, die auf mündlicher Überlieferung beruht:<br />

„Der <strong>Text</strong> will gesprochen wer<strong>de</strong>n, will sich durch die Stimme entfalten. In<br />

einem solchen Kontext muß daher je<strong><strong>de</strong>r</strong> Umgang mit <strong>de</strong>m <strong>Text</strong> -<br />

gleichgültig ob er sich im Gesang, im Vortrag o<strong><strong>de</strong>r</strong> in öffentlicher Lektüre<br />

vollzieht, unabhängig vom Grad <strong><strong>de</strong>r</strong> Theatralisierung als Performanz<br />

aufgefaßt wer<strong>de</strong>n.“[29]<br />

In diesem Sinne betont Zumthor mehrfach,[30] daß <strong><strong>de</strong>r</strong> gesprochene <strong>Text</strong> durch <strong>und</strong><br />

um <strong>de</strong>n Körper <strong>de</strong>s Interpreten herum Profil gewinnt: „Autour d'un corps humain par<br />

l'opération <strong>de</strong> sa voix, <strong>de</strong> tous les facteurs sensoriels, affectifs, intellectifs d'une<br />

action totale, à la fois spectacle et participation.“[31] Neben <strong><strong>de</strong>r</strong> Metaphorik <strong>de</strong>s<br />

Speisens <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>käuens ist hier die Dramaturgie <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper, das<br />

gemeinschaftsstiften<strong>de</strong> Moment einer szenischen Aufführung von Sprache,<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s hervorgehoben.<br />

Die Verwendung von Körpermetaphern steht unter <strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>s historischen<br />

Wan<strong>de</strong>ls, erweist sich aber als ein Phänomen <strong><strong>de</strong>r</strong> longue durée. Einerseits wird das<br />

semantische Feld <strong><strong>de</strong>r</strong> körperorientierten Kommunikation verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t <strong>und</strong> beeinflußt<br />

durch <strong>Metaphern</strong>, die auf neue Technologien verweisen (auf <strong>de</strong>n Buchdruck:<br />

‚ausprägen‘ <strong>und</strong> ‚Ausdruck‘; auf Funk <strong>und</strong> Telephon: ‚keinen Anschluß fin<strong>de</strong>n‘, ‚eine<br />

lange Leitung haben‘; auf elektronische Datenverarbeitung: ‚Elektronengehirn‘,

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