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Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Wien

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Bologna Abbrecherquoten von 50% normal waren, 7 halten wir heute Abbrecherquoten von<br />

30% für einen Skandal, 8 wobei – man höre und staune – in Deutschland in den<br />

Fachhochschulen, die angeblich wesentlich besser ausgestattet und näher an den<br />

Bedürfnissen von Studierenden und späteren Arbeitgebern orientiert unterrichten, mit 39%<br />

die Abbrecherquote 14% über der der Universitäten liegt. 9 In den technischen Disziplinen<br />

geht man von einer Abbrecherquote von 50% aus, in der Sozial- und Kulturanthropologie an<br />

der Universität <strong>Wien</strong> liegt die Abbrecherquote im 3.Semester bei 49%, in der Politologie bei<br />

37%. 10<br />

Die Studierenden sind weniger mobil als zuvor und arbeiten dafür wie die Weltmeister, 63%<br />

sind neben dem Studium erwerbstätig, eine Zahl aus Deutschland, 11 die in etwa auch den<br />

Erhebungen in der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität <strong>Wien</strong><br />

entsprechen. Im Bachelorstudium, das ergeben die Umfragen an meinem Institut, arbeiten<br />

die Studierenden überwiegend weniger als 20 Stunden pro Woche, im Master-Studium in der<br />

Regel mehr als 20 Stunden. Dementsprechend ist das Selbststudium bei Studierenden nicht<br />

beliebt. Untersuchungen ergaben, daß sie beispielsweise im November, einem Monat ohne<br />

viel Abwechslungen, ca. 2,26 Stunden/Tag mit dem Selbststudium verbringen, im Dezember<br />

steht Weihnachten vor der Tür, die für das Selbststudium zur Verfügung stehende Zeit sinkt<br />

in einen nicht meßbaren Bereich, um dann im Januar, wenn die Semesterendprüfungen vor<br />

der Tür stehen, auf 4-5 Stunden pro Tag anzusteigen. 12 Die ECTS als Meßeinheiten für die<br />

Belastung der Studierenden durch das Studium sind längst eine Währung ohne Gegenwert.<br />

Die Studierenden bedienen sich ihrer, um sich über das Studium zu beklagen. Dabei haben<br />

sie ein leichtes Spiel, denn ein und dieselbe Lehrveranstaltung, so z.B. ein Seminar im<br />

Master-Studiengang, kann in der einen Disziplin 5 ECTS und in der anderen 15ECTS<br />

kosten. Niemand hat an der Universität <strong>Wien</strong> versucht, dies zu vereinheitlichen, weil alle<br />

wußten, daß unter den Bedingungen der Vergleichbarkeit über Fächergrenzen hinweg die<br />

wichtigste Voraussetzung für die Einführung der Bologna-Architektur nicht einzulösen<br />

gewesen wäre: die so genannte Kostenneutralität. Wenn man im Zuge einer derart<br />

grundlegenden Umstrukturierung des Studiums - wie in Österreich – eine zuvor vierjähriges<br />

Diplomstudium auf ein nun 5-jähriges BA- und MA-Studium umstellen muß, dann kann man<br />

mit den ECTS nur so verfahren, wie es die meisten Fächer getan haben: Sie werden<br />

schlichtweg verteilt, daß zum Schluß 180 bzw. 120 Punkte zusammen kommen. Nach der<br />

Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme sollte man da lieber nicht fragen, auch wenn viel Zeit damit<br />

vertan wurde, über die Plausibilität des ECTS-Systems und die Wertigkeit eines einzelnen<br />

Punktes nachzudenken.<br />

Was ist los an unseren Universitäten? Angeblich braucht die Wirtschaft und die Gesellschaft<br />

jeden Mann und jede Frau, damit wir eine Wissensgesellschaft entwickeln und uns von der<br />

industriellen Produktion schrittweise lösen können. Angeblich ist es das Beste, was man für<br />

sein Erwerbsleben tun kann, zu studieren und einen guten Studienabschluß zu erringen. Und<br />

doch haben wir oft nicht hoch motivierte, sondern von der Sache abgelenkte, nicht wohl<br />

vorbereitete, sondern gehetzt vom Arbeitsplatz in letzter Minute ins Seminar stürmende<br />

Studierende vor uns, die uns im letzten Jahr während ihrer Revolte mitgeteilt haben, daß sie<br />

sich am wohlsten an der Universität fühlen, wenn sie dort mit einander kommunizieren und<br />

gleichzeitig sich selbst bekochen dürfen. Die Universität <strong>Wien</strong> hat dieser Spaß konservativen<br />

Schätzungen zu Folge pro Tag mindestens 25.000 Euro gekostet. Wirklich Spaß hat das<br />

Ganze nur einem sehr geringen und von Tag zu Tag geringer werdenden Teil der<br />

Studierenden gemacht, die anderen sind weiter brav zu unseren Lehrveranstaltungen<br />

gekommen. Ist alles also gar nicht so schlimm, wie man es der Lektüre der einschlägigen<br />

Zeitungen entnehmen kann? Haben hier vielleicht ewig Gestrige die Gunst der Stunde<br />

erfaßt, als sich der studentische Protest lautstark artikulierte, um ein Rollback-Manöver in<br />

2<br />

7 Herbert Hrachovec siehe http://philo.at/wiki/index.php/Herbert_Hrachovec_%28MuD_09%29/Audimax-<br />

Besetzung# Beitrag_ von_Herbert_Hrachovec_in_der_.C3.9Cbung_23.10.2009<br />

8 Statistiker melden hohe Abbrecherquoten, FR v. 10.12.2009.<br />

9 Deutsche Studie: Viele Studienabbrecher beim Bachelor, Wirtschaftsblatt v. 15.2.2008.<br />

10 Herbert Hrachovec, ebd.<br />

11 Die Presse v. 24.1.2010.<br />

12 Ebd.

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