Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Wien
Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Wien
Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Wien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Kultusminister hatten offenbar ihr Ohr nah an den Studierenden, wenn sie erkannten, daß<br />
die Prüfungen das Hauptproblem sind. Doch ist die Verschulung im Sinne von Strukturierung<br />
der Studiengänge genauso ein Ergebnis der Massenuniversität wie die Verschulung im<br />
Sinne einer steten Leistungskontrolle durch Prüfungen. In beiden Fällen handelt es sich um<br />
eine Anpassung an die Tatsache, daß wir nun mit wesentlich größeren Lerngruppen<br />
operieren als in der Vergangenheit. In der Massenuniversität ist das „freie“ Lernen nicht<br />
praktizierbar. Früher ging man davon aus, daß erwachsene Menschen studieren, weil sie<br />
lernen wollen und verzichtete weitgehend auf Prüfungen und Benotungen. Der Gedanke<br />
einer Hochschuldidaktik war undenkbar, weil erwachsene Menschen mit starker<br />
Lernmotivation nicht durch didaktische Maßnahmen zum Lernerfolg geführt werden müssen.<br />
Heute sind wir didaktisch beflissener als die Mehrheit der Mittelschullehrer, die schon stolz<br />
sind, wenn sie einen Beamer anwerfen können. 16<br />
Wenn die Wirtschaft über eine mangelnde Vorbereitung der Universitäten auf das<br />
Berufsleben klagt, 17 dann meinen die Personalabteilungen oft, daß die Absolventen der<br />
Universitäten der alltäglichen Leistungsdisziplin distanziert gegenüber stehen - um es einmal<br />
sehr vorsichtig zu formulieren. In dem Sinne versteht die Wirtschaft unter der Verschulung<br />
noch etwas Anderes, nämlich die Notwendigkeit zur Disziplinierung der Studierenden. Für<br />
die Wirtschaft heißt Verschulung nicht nur eine stärkere Normierung der Lehrinhalte und<br />
Überprüfbarkeit der Abschlüsse, sie heißt auch mehr Kontrolle und Disziplin über den<br />
Lernprozeß. Die Herren und Damen in den Personalabteilungen befürchten, die jungen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach vollzogenem Studium erst wieder umständlich und<br />
langwierig daran gewöhnen zu müssen, daß man pünktlich zur Arbeit zu erscheinen und die<br />
Aufgaben in einer vorgegeben Zeit zu erledigen hat, die man gestellt bekommt. Man stellt<br />
man sich vor - ich fürchte, die meisten Arbeitgeber wissen gar nicht, wie es heute auf der<br />
Universität aussieht –, die Studierenden könnten derzeit an den Universitäten tun und<br />
lassen, was sie wollten. Ob sie eine Arbeit früher oder später abgeben, regelmäßig zu den<br />
Lehrveranstaltungen erscheinen und mehr oder weniger pünktlich sind, so meint die so<br />
genannte Wirtschaft, sei an der Universität egal. Ironischerweise ist das Wort Verschulung in<br />
diesem Kontext durchaus irreführend. An der Schule wird sehr wahrscheinlich heute weitaus<br />
weniger kontrolliert als an den Universitäten, nur daß die Wirtschaft dies noch nicht gemerkt<br />
hat<br />
Eine Verschulung im Sinne einer transparenten Strukturierung des Lernprozesses<br />
einschließlich der dazu gehörigen multiplen Formen der Leistungskontrolle ist unvermeidlich.<br />
Eine meiner Beobachtung nach in Österreich besonders ausgeprägte Tendenz, die Augen<br />
vor dem weltweiten Wettbewerb unter den akademisch gebildeten Arbeitskräften zu<br />
verschließen und so zu tun, als gäbe es keine Konkurrenz, der man sich zu stellen hat, ist<br />
schädlich: für die Universitäten, die Studierenden und unsere gemeinsame Zukunft.<br />
Schwierig und bisher weitgehend ungelöst ist dabei das Problem der intrinsischen<br />
Motivation. Wir merken, daß die Studierenden sich darauf einstellen, ihre Punkte<br />
einzusammeln, ohne je darüber nachzudenken, für welche Bereiche ihres Studiums sie sich<br />
besonders interessieren. Sie vergessen den Stoff, den sie im ersten Semester per Klausur<br />
absolviert haben, nachhaltig und lernen bevorzugt für das Kurzzeitgedächtnis. Oft betrachten<br />
sie die Lehrenden als unprofessionell, die im Bologna-System immer noch daran festhalten,<br />
daß die Studierenden sich selbst , ihre Fähigkeiten und Interessen, entdecken müssen, um<br />
hinterher einen Beruf ergreifen zu können, für den sie sich einsetzen und mit dem sie sich<br />
identifizieren.<br />
Eine der zugrundeliegenden Annahmen des Paradigmenwechsels in den Bildungskonzepten,<br />
so Alexandra Hausstein, besteht darin, dass moderne Wissensgesellschaften für<br />
ihr wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein fähiges<br />
Humankapital benötigen, damit gemeint Menschen, die in der Lage sind, sich selbst zu<br />
managen und in gewisser Weise ihre eigenen Unternehmer sind, indem sie ihr Kapital an<br />
Wissen ständig aktualisieren, auf den Markt bringen und sozial einsetzen. Im Gegensatz<br />
6<br />
16 Alexandra Hausstein: Paradigmenwechsel in der Lehre. In: www.inst.at/trans/17Nv/4-3/4-3_hausstein17.htm.<br />
17 Verpatzte Reform. Sind die Unis noch zu retten, Die Presse v. 11.3.2010.