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Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Wien

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Kultusminister hatten offenbar ihr Ohr nah an den Studierenden, wenn sie erkannten, daß<br />

die Prüfungen das Hauptproblem sind. Doch ist die Verschulung im Sinne von Strukturierung<br />

der Studiengänge genauso ein Ergebnis der Massenuniversität wie die Verschulung im<br />

Sinne einer steten Leistungskontrolle durch Prüfungen. In beiden Fällen handelt es sich um<br />

eine Anpassung an die Tatsache, daß wir nun mit wesentlich größeren Lerngruppen<br />

operieren als in der Vergangenheit. In der Massenuniversität ist das „freie“ Lernen nicht<br />

praktizierbar. Früher ging man davon aus, daß erwachsene Menschen studieren, weil sie<br />

lernen wollen und verzichtete weitgehend auf Prüfungen und Benotungen. Der Gedanke<br />

einer Hochschuldidaktik war undenkbar, weil erwachsene Menschen mit starker<br />

Lernmotivation nicht durch didaktische Maßnahmen zum Lernerfolg geführt werden müssen.<br />

Heute sind wir didaktisch beflissener als die Mehrheit der Mittelschullehrer, die schon stolz<br />

sind, wenn sie einen Beamer anwerfen können. 16<br />

Wenn die Wirtschaft über eine mangelnde Vorbereitung der Universitäten auf das<br />

Berufsleben klagt, 17 dann meinen die Personalabteilungen oft, daß die Absolventen der<br />

Universitäten der alltäglichen Leistungsdisziplin distanziert gegenüber stehen - um es einmal<br />

sehr vorsichtig zu formulieren. In dem Sinne versteht die Wirtschaft unter der Verschulung<br />

noch etwas Anderes, nämlich die Notwendigkeit zur Disziplinierung der Studierenden. Für<br />

die Wirtschaft heißt Verschulung nicht nur eine stärkere Normierung der Lehrinhalte und<br />

Überprüfbarkeit der Abschlüsse, sie heißt auch mehr Kontrolle und Disziplin über den<br />

Lernprozeß. Die Herren und Damen in den Personalabteilungen befürchten, die jungen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach vollzogenem Studium erst wieder umständlich und<br />

langwierig daran gewöhnen zu müssen, daß man pünktlich zur Arbeit zu erscheinen und die<br />

Aufgaben in einer vorgegeben Zeit zu erledigen hat, die man gestellt bekommt. Man stellt<br />

man sich vor - ich fürchte, die meisten Arbeitgeber wissen gar nicht, wie es heute auf der<br />

Universität aussieht –, die Studierenden könnten derzeit an den Universitäten tun und<br />

lassen, was sie wollten. Ob sie eine Arbeit früher oder später abgeben, regelmäßig zu den<br />

Lehrveranstaltungen erscheinen und mehr oder weniger pünktlich sind, so meint die so<br />

genannte Wirtschaft, sei an der Universität egal. Ironischerweise ist das Wort Verschulung in<br />

diesem Kontext durchaus irreführend. An der Schule wird sehr wahrscheinlich heute weitaus<br />

weniger kontrolliert als an den Universitäten, nur daß die Wirtschaft dies noch nicht gemerkt<br />

hat<br />

Eine Verschulung im Sinne einer transparenten Strukturierung des Lernprozesses<br />

einschließlich der dazu gehörigen multiplen Formen der Leistungskontrolle ist unvermeidlich.<br />

Eine meiner Beobachtung nach in Österreich besonders ausgeprägte Tendenz, die Augen<br />

vor dem weltweiten Wettbewerb unter den akademisch gebildeten Arbeitskräften zu<br />

verschließen und so zu tun, als gäbe es keine Konkurrenz, der man sich zu stellen hat, ist<br />

schädlich: für die Universitäten, die Studierenden und unsere gemeinsame Zukunft.<br />

Schwierig und bisher weitgehend ungelöst ist dabei das Problem der intrinsischen<br />

Motivation. Wir merken, daß die Studierenden sich darauf einstellen, ihre Punkte<br />

einzusammeln, ohne je darüber nachzudenken, für welche Bereiche ihres Studiums sie sich<br />

besonders interessieren. Sie vergessen den Stoff, den sie im ersten Semester per Klausur<br />

absolviert haben, nachhaltig und lernen bevorzugt für das Kurzzeitgedächtnis. Oft betrachten<br />

sie die Lehrenden als unprofessionell, die im Bologna-System immer noch daran festhalten,<br />

daß die Studierenden sich selbst , ihre Fähigkeiten und Interessen, entdecken müssen, um<br />

hinterher einen Beruf ergreifen zu können, für den sie sich einsetzen und mit dem sie sich<br />

identifizieren.<br />

Eine der zugrundeliegenden Annahmen des Paradigmenwechsels in den Bildungskonzepten,<br />

so Alexandra Hausstein, besteht darin, dass moderne Wissensgesellschaften für<br />

ihr wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein fähiges<br />

Humankapital benötigen, damit gemeint Menschen, die in der Lage sind, sich selbst zu<br />

managen und in gewisser Weise ihre eigenen Unternehmer sind, indem sie ihr Kapital an<br />

Wissen ständig aktualisieren, auf den Markt bringen und sozial einsetzen. Im Gegensatz<br />

6<br />

16 Alexandra Hausstein: Paradigmenwechsel in der Lehre. In: www.inst.at/trans/17Nv/4-3/4-3_hausstein17.htm.<br />

17 Verpatzte Reform. Sind die Unis noch zu retten, Die Presse v. 11.3.2010.

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