Verbum 14
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6 7<br />
auf: „Es gibt ein einziges erstes Prinzip, und das wird nach Anaxagoras<br />
Vernunft (Intellekt) genannt; von ihr geht alles ins Sein hervor, damit sie<br />
sich selbst offenbare”. 3 Nikolaus geht also noch hinter Plato zurück auf die<br />
Anfänge der abendländischen Philosophie, auf Anaxagoras. 4 Zugleich<br />
werden auch biblische Wurzeln der These deutlich, wenn er sagt, dass der<br />
Intellekt seine Freude daran findet, das Licht seiner Einsicht zu zeigen<br />
und mitzuteilen.<br />
Diese theologischen Implikationen möchte ich näher erläutern anhand<br />
der Pfingstpredigt von <strong>14</strong>55 über den Vers „Spiritus autem Paraclitus”<br />
(Io <strong>14</strong>,26); 5 die geistige Verwandtschaft zwischen dieser Predigt und den<br />
Sätzen aus De beryllo erklärt sich schon aus der Tatsache, dass Nikolaus<br />
in diesen Jahren an De beryllo arbeitete, auch wenn er die Schrift erst<br />
<strong>14</strong>59 vollenden konnte. Dass Nikolaus ähnlich wie Meister Eckhart<br />
philosophisch-theologische Gedanken in einer Predigt erörtert, ist bei<br />
ihm nicht ungewöhnlich. Insbesondere ist das nicht verwunderlich in<br />
einer Predigt zum Pfingstfest; denn der Intellekt ist für ihn ein Abbild<br />
des göttlichen Geistes. 6<br />
In der vorliegenden Predigt betrachtet Cusanus ganz ähnlich wie in<br />
De beryllo den Intellekt als Prinzip allen Seins. Während er aber in De<br />
beryllo in erster Linie philosophisch argumentiert, bestimmt er in der<br />
Predigt das eine erste Prinzip aller Dinge theologisch als Gott den Schöpfer<br />
aller Dinge, ohne dadurch den Bezug zur Philosophie aufzugeben; denn<br />
der christliche Schöpfergott meint nichts anderes als das einzige Prinzip<br />
3<br />
De beryllo Cap. 3, n. 4: „Oportet te primum attendere, unum esse primum<br />
principium, et id nominatur secundum Anaxagoram intellectus, a quo omnia in esse<br />
prodeunt, ut se ipsum manifestet… Hoc scire est primum, in quo complicite omnia<br />
dicenda continentur”.<br />
4<br />
Vgl. De Crescenzo L. Geschichte der griechischen Philosophie. Zürich, 1985,<br />
1988. S. 179–189.<br />
5<br />
Sermo CLXXXVII „Spiritus autem Paraclitus” (Jo <strong>14</strong>,26). Brixen, Pfingsten<br />
(25. Mai) <strong>14</strong>55.<br />
6<br />
Siehe auch: Gómez M. Alvarez. Die Lehre vom menschlichen Geist (intellectus/Vernunft)<br />
in den Sermones des Nikolaus von Kues // Die Sermones de Nikolaus<br />
von Kues II: Inhaltliche Schwerpunkte. Akten des Symposions in Trier vom 20.<br />
bis 22. Oktober 2005. MFCG 31. Trier, 2006. S. 211–240, bes. 232–233.<br />
aller Dinge, das seiner Meinung nach auch die heidnischen Philosophen<br />
annehmen. 7<br />
Als Prinzip, so fährt Cusanus fort, ist Gott reiner Intellekt. 8 Diese<br />
zunächst überraschende Herleitung des Intellekts aus der Idee des<br />
Prinzips macht deutlich, dass für Cusanus der Intellekt nicht primär eine<br />
Fähigkeit zu geistiger Wahrnehmung oder geistigem Sehen ist, sondern<br />
eine zeugende Kraft, Prinzip einer Bewegung.<br />
„Intellekt nennen wir jene Kraft, die aus sich selbst heraus zeugt und<br />
hervorbringt wie das Prinzip einer Bewegung”. 9<br />
Da es sich beim Intellekt um das erste Prinzip der Bewegung handelt,<br />
wird die Bewegung nicht von außen her angestoßen; der Intellekt bringt sie<br />
aus sich selbst hervor. Cusanus beruft sich dafür auf die Erfahrung, welche<br />
die Menschen mit ihrem Intellekt machen; sie erfahren, wie sie aus sich<br />
heraus bisher unbekannte und neue Kunstfertigkeiten (artes) erfinden. 10<br />
In anderen Predigten und Traktaten urteilt Nikolaus differenzierter über<br />
die produktive Tätigkeit des Intellektes; er unterscheidet zwischen dem<br />
göttlichen Intellekt, der die Dinge hervorbringt, und dem menschlichen<br />
Intellekt als dessen lebendigem Abbild, der die Ähnlichkeiten der Dinge<br />
schafft. In der kurz zuvor, am 22. Februar <strong>14</strong>55 gehaltenen Predigt<br />
CLXXIII sagt er: „ schafft in sich, insofern sie<br />
Bild ist, die Ähnlichkeiten aller Dinge”. 11<br />
7<br />
Sermo CLXXXVII, n. 2, lin. 1–<strong>14</strong>: Primo attendere debemus Deum esse creatorem<br />
omnium visibilium et invisibilium… Unum igitur omnium principium necesse<br />
est esse, quod et gentiles philosophi asserunt. Unde Paulus apostolus ad Romanos<br />
ait Deum manifestasse se ipsis per visibilia.<br />
8<br />
Sermo CLXXXVII, n. 2, lin. 15–16: Secundo considerandum quod Deus, cum<br />
sit principium, est purus intellectus.<br />
9<br />
Sermo CLXXXVII, n. 2, lin. 16–20: Nam nominamus intellectum virtutem<br />
illam, quae ex se ipsa generat et producit sicut principium motus; principium enim<br />
motus non habuit aliunde, ut sit principium, cum sit principium primum.<br />
10<br />
Ähnlich in dem Brief an den Novizen Nikolaus (Albergati-Brief), Cusanus-<br />
Texte IV,3: Das Vermächtnis des Nikolaus von Kues. Der Brief an Nikolaus Albergati<br />
nebst der Predigt in Montoliveto (<strong>14</strong>63) / Hrsg. u. erl. v. G. von Bredow. Heidelberg,<br />
1955; n. 23.<br />
11<br />
Siehe: De principio (<strong>14</strong>59) n. 21: universalis intellectus qui est aut conditor<br />
aut assimilator. Conditor est essentians , assimilator