08.05.2014 Aufrufe

Verbum 14

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

10 11<br />

Auf der anderen Seite ist der transzendente göttliche Geist doch in allem<br />

intellektualen Leben anwesend, und so werden konjekturale Aussagen<br />

möglich, die vom Abbild zum Urbild emporsteigen.<br />

Zu den Grundlagen einer solchen konjekturalen Erkenntnis gehört<br />

die Erfahrung, dass der menschliche Geist mit aller Macht danach strebt,<br />

seine Erkenntnisse anderen mitzuteilen. Das Streben nach Anerkennung<br />

und Ruhm ist konstitutiv für den Intellekt.<br />

„Wir erfahren in uns, dass unsere einsichshafte Natur mit allem Eifer<br />

versucht, ihre Herrlichkeit kundzutun, die sie durch das Einsehen hat.<br />

Deshalb verlangen diejenigen, die sich freuen, nach solchen, die ihre<br />

Freude teilen, wie Christus am Beispiel der Freude über das Finden des<br />

verlorenen Sohnes, des verlorenen Schafes und der verlorenen Drachme<br />

zeigt. Und ganz allgemein wird der Besitz eines Gutes nicht als angenehm<br />

empfunden, wenn er nicht mit einem anderen geteilt wird, weil so unser<br />

Ruhm und unsere Freude kund werden”. 15<br />

Der Gedanke taucht bei Cusanus mehrmals auf. In der Predigt CLIV<br />

(<strong>14</strong>54) findet er eine Bestätigung dafür in der Tatsache, dass die Menschen<br />

gerne Bücher schreiben, um ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. 16<br />

In einer seiner letzten Schriften, der Reformatio generalis, greift er den<br />

Gedanken nochmals auf:<br />

„Wir sehen nämlich, dass die denkende Natur, die an Gottes Güte<br />

teilhat, eine Neigung hat zu sich mitteilender Darstellung ihrer selbst, wie<br />

15<br />

Sermo CLXXXVII, n. 6, lin. 1–9: Experimur autem in nobis, quod intellectualis<br />

nostra natura quaerit omni diligentia gloriam suam, quam habet intelligendo,<br />

notam facere. Et propterea gaudentes congaudentes desiderant et quaerunt, ut de<br />

gaudio inventionis perditi filii, perditae ovis et perdidae dragmae Christus exemplificat.<br />

Et generaliter ob hoc, ut gloria et laetitia nostra nota fiant, nullis boni sine socio<br />

iucunda est possessio.<br />

16<br />

Sermo CLIV, n. 21: Si consideramus, quomodo intellectus se communicat<br />

cum gaudio, ut experimur per scripturas: nisi sunt scribentes suum communicare<br />

intellectum, Deus autem qui est purissimus intellectus, voluit divitias suas communicare<br />

et notas facere, et in hoc homo est finis creaturarum, quia habet intellectum,<br />

qui est capax notitiae, quem Deus ut noscatur creavit. Die deutsche Übersetzung in:<br />

Nikolaus von Kues. Predigten in deutscher Übersetzung. B. 3, Münster, 2007. S. 191<br />

hat fälschlicher Weise ‚nisi’ mit ‚wenn nicht’ übersetzt; richtig muss es heißen: Die<br />

Schreibenden haben sich bemüht (nisi von niti), ihr Verständnis mitzuteilen…<br />

es uns die Bücher der Weisen zeigen, die deswegen herausgegeben sind,<br />

dass ein jeder darin sein Denken zeigt und diejenigen, die aufnahmewillig<br />

sind, zur Teilhabe daran aufruft”. 17<br />

Dieser soziale, kommunikative Aspekt des Denkens ist nach Nikolaus<br />

in Gott selbst grundgelegt.<br />

„Wie der einsichthafte Geist seine Herrlichkeit nur kundtun kann,<br />

indem er andere zur Teilhabe ruft, denen er sich mitzuteilen versucht, so<br />

erschafft nach unserem Urteil auch der allmächtige Gott alles, damit die<br />

Reichtümer seiner Herrlichkeit bekannt und anerkannt werden”. 18<br />

Greift man auf die Metapher von der Welt als Buch zurück, so<br />

bedeutet das, dass Gott nicht nur das Buch der Schöpfung schaffen<br />

musste, sondern zugleich auch einen Leser, der dieses Buch als Ausdruck<br />

der göttlichen Herrlichkeit entziffern kann, eben den vernunftbegabten<br />

Menschen.<br />

In der vorliegenden Predigt fasst Cusanus diesen Sachverhalt in<br />

dem Satz zusammen: „Vult igitur Deus cognosci. Gott will erkannt<br />

werden”, 19 einem Satz, den er auch sonst zitiert. 20 Gottes Güte drängt<br />

17<br />

Reformatio generalis (h XV,2: Opuscula ecclesiastica. Р. 17–57), n. 1 (Р. 20):<br />

Videmus enim naturam intellectualem dei bonitatem participantem inclinari ad sui<br />

ostensionem et participationem, quemadmodum nos docent libri sapientum, qui<br />

propter hoc editi suntut quisque suum intellectum ostendat et ad eius participationem<br />

dociles vocet.<br />

18<br />

Sermo CLXXXVII n. 6, lin. 8–16: Et sicut intellectus gloriam suam non potest<br />

notificare, nisi ad participationem vocet alios, quibus se notitur communicare,<br />

ut sic alii in suis intellectibus degustent gloriam suam, quam intelligendo in se habet,<br />

sic iudicamus Deum omnipotentem omnia facere, ut divitiae gloriae suae notae fiant<br />

et cognoscantur, ut Apostolus in multis locis dicit.<br />

19<br />

Sermo CLXXXVII, n. 7: Vult igitur Deus cognosci. Unde propter hoc sunt<br />

omnia, et ideo homo creatus, ut ait Paulus Actuum 17.<br />

20<br />

Sermo CCXC, n. 12: intellectus vult intelligi et cognosci. De beryllo enthält<br />

den Satz zwar nicht wörtlich, aber dem Sinne nach, n. 4, n. 6 u.ö.. In der Schrift<br />

De aequalitate (h X,1, n. 3) kommt er auf De beryllo zurück und präzisiert: Legisti<br />

in Beryllo nostro, quomodo intellectus vult cognosci. Dico nunc hoc verum a se et<br />

aliis; et hoc non est aliud nisi quod se et alia vult cognoscere, cum in cognoscendo<br />

sit vita eius et laetitia. Vgl. zu dieser Stelle: Schwaetzer H. Aequalitas. Erkenntnistheoretische<br />

und soziale Implikationen eines christologischen Begriffs bei Nikolaus<br />

von Kues: Eine Studie zu seiner Schrift De aequalitate. 2. durchgs. Aufl. Hildesheim,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!