Kohlfahrt für EinsteigerInnen - Dr. TANJA A. PUTTINGER
Kohlfahrt für EinsteigerInnen - Dr. TANJA A. PUTTINGER
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Die <strong>Kohlfahrt</strong>zeit richtet sich ganz nach seinem Namenspatron, dem Grünkohl. Dieser schmeckt, wie<br />
bereits erwähnt, am besten, wenn er "Frost gehabt" hat. Hieraus ergibt sich, dass nach dem ersten<br />
Frost, meistens im November, die Saison losgeht. Im Dezember sind <strong>Kohlfahrt</strong>en aufgrund der Fülle<br />
von anderen Veranstaltungen eher selten. Die Hauptzeit ist von Januar bis Ende Februar/Anfang<br />
März. Traditionell beendet ist die Saison am Gründonnerstag, der wahrscheinlich daher seinen Namen<br />
bekommen hat.<br />
<strong>Kohlfahrt</strong>en sind eine regionale Eigenheit des oldenburgisch- ostfriesischen und bremischen Raums.<br />
Die Südoldenburger, obgleich sie zum Oldenburgischen gehören, essen zwar auch liebend gern<br />
Grünkohl, kennen diese Sitte aber allenfalls als merkwürdigen Ritus eines benachbarten<br />
Volksstammes. Über Gründe hier<strong>für</strong> gibt es nur Spekulationen... Im Laufe der Jahre entwickelten sich<br />
aus dem "Kohlfahren" überaus populäre Prozessionen, zu denen sich im Laufe der Zeit regionale und<br />
auch lokale Eigenheiten unterschiedlicher Art gesellten.<br />
Auf den Fremden mögen Kohlfahrer einen seltsamen Eindruck machen - und die meisten in<br />
Deutschland sind Fremde, was diese Sitte angeht. Die <strong>Kohlfahrt</strong> ist Brauch, so skurril wie rituell, dass<br />
sich im Jahr 1985 der Volkskundler Martin Westphal an die Arbeit machte, ihn mit der<br />
sozialwissenschaftlichen Methode der "teilnehmenden Beobachtung" gründlich zu studieren. An drei<br />
<strong>Kohlfahrt</strong>en nahm er teil. Herausgekommen ist 1988 eine umfangreiche Doktorarbeit.<br />
Dadurch, daß gerade in den letzen Jahren vereinzelt <strong>Kohlfahrt</strong>en auch außerhalb der eben genannten<br />
Grenzen veranstaltet werden, haben unsere norddeutschen Kulturbotschafter, als Veranstalter, der<br />
Grünkohlkultur auch international zu höchstem Ansehen verholfen.<br />
Eine <strong>Kohlfahrt</strong> vor 180 Jahren<br />
"Hielt der Frost länger an, so verabredeten sich wohl die Honoratioren zu einer Partie aufs Land,<br />
meldeten sich bei einem wohlhabenden Landmann auf den folgenden Tag zu einem "langen Kohl" an<br />
und wurden dann in dem nach Bauernmanier aufgeputzten Hause festlich empfangen. In der Mitte<br />
des Hauses waren lange Bretter auf Böcke gelegt, mit weißen Tischtüchern bedeckt; die Ehrenplätze<br />
wurden aus gefüllten Kornsäcken drei aufeinander, gebildet; die Hausfrau hatte den Kohltopf mit<br />
Schinken, halbem Schweinskopf und Mettwurst zu Feuer gebracht, und dann auf den Klang des<br />
Posthorns gehorcht. Denn ein solcher Zug hatte einen Vorreiter, und wenn der sich hören ließ,<br />
standen der Hausherr und die Frau mit ihrem Volk vor der Türe und riefen Willkommen!<br />
Dann wurden die Gäste in die Stübe geführt, wo schon eine Kanne mit heißer Milch <strong>für</strong> die Damen<br />
und eine Flasche mit deutschem Kornbranntwein <strong>für</strong> die Herren bereitstand; die Pferde wurden mit<br />
Decken behangen und in den Stall geführt.<br />
Auf dem großen Tische stand <strong>für</strong> jeden Gast ein blankgeputzter zinnerner Teller, an beiden Enden<br />
des Tisches ein hausbackenes Brot, ein Teller voll Butter und ein ganzer Käse, mehr zum Staat als<br />
zum Essen. Die Hausfrau brachte zwei bis drei große Kummen mit Kohl, so fett, daß er nicht mehr<br />
dampfte, ein großes Stück geräuchertes Rindfleisch, Schinken, Wurst und Schweinskopf schmückten<br />
die Tafel. Dann war tüchtig eingehauen, der Bierkrug fehlte auch nicht, und zur Freude des Wirts<br />
sagten alle: "Es bleibt doch wahr, der Kohl schmeckt auf dem Lande immer besser als in der Stadt!"<br />
Nach dem Tisch wurde Kaffee getrunken, bis es Zeit zum Anspannen war. Von Bezahlung war keine<br />
Rede, das hätte den Hausherrn beleidigt, der den Besuch <strong>für</strong> eine große Ehre hielt; aber es wurde<br />
eine kleine Summe zusammengelegt und der Hausfrau überreicht, um sie unter die Dienstboten zu<br />
verteilen. Dann ging die Fahrt im Jubel wieder zur Stadt zurück, und noch lange wurde von solcher<br />
Kohlpartie gesprochen."