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TITELTHEMA<br />
Diabetische Fußläsionen –<br />
Pathogenese und Therapie<br />
H. Rietzsch<br />
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden<br />
III. Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr. H.-E. Schröder)<br />
Der Diabetes mellitus ist zu einer der<br />
häufigsten Erkrankungen geworden.<br />
Mindestens 4 Millionen Menschen leiden<br />
derzeit in Deutschland an einem<br />
diagnostizierten Diabetes mellitus. Das<br />
sind nahezu 5% der Bevölkerung unseres<br />
Landes. Hinzu kommt eine hohe<br />
Dunkelziffer, wie auch die Zahl der Erkrankten<br />
im Steigen begriffen ist. Die<br />
Entwicklung des Diabetes mellitus zu<br />
einer Volkskrankheit ist dabei insbesondere<br />
auf die große Zahl der sogenannten<br />
Typ-II-Diabetiker, auch Altersdiabetiker<br />
genannt, zurückzuführen.<br />
Die diabetische Stoffwechselstörung<br />
in dieser Form ist Teil des metabolischen<br />
Syndroms, das ätiologisch einerseits<br />
unstrittig auf genetische Disposition<br />
zurückzuführen ist, andererseits<br />
aber auch erheblich durch zivilisatorisch<br />
bedingte Faktoren wie Überernährung,<br />
Bewegungsmangel und Alkoholkonsum<br />
beeinflußt wird. Immerhin<br />
treten Erkrankungen im Sinne des metabolischen<br />
Syndroms wie Diabetes<br />
oder auch Gicht bei viel Bewegung und<br />
normokalorischer Ernährung in den<br />
Hintergrund. Sie waren in der Vergan-<br />
DIABETISCHE FOLGESCHÄDEN (TAB. 1)<br />
Mikroangiopathie<br />
Diabetische Nephropathie<br />
Diabetische Retinopathie<br />
Somatische Mikroangiopathie<br />
Diabetisches Spätsyndrom<br />
Polyneuropathie<br />
Sensomotorische Neuropathie<br />
Autonome Neuropathie<br />
Mononeuropathie<br />
Diabetisches-Fuß-Syndrom<br />
genheit auf wohlhabende Kreise der<br />
Bevölkerung beschränkt und hatten bei<br />
weitem nicht den Status einer Volkskrankheit.<br />
Ein gestiegener Lebensstandard sowie<br />
die Bemühungen und die Erfolge<br />
der Medizin, so vor allem bei der Bekämpfung<br />
von Infektionsseuchen, sind<br />
die Ursachen für ein ständig zunehmendes<br />
Lebensalter und einen durchschnittlich<br />
besseren Gesundheitszustand<br />
der Bevölkerung. Dabei bewahrheitet<br />
sich auch ein Grundsatz der Diabetologie,<br />
der davon ausgeht, daß man<br />
diabetisch wird, wenn man nur lange<br />
genug lebt. An dieser Stelle sei angemerkt,<br />
daß auch der insulinpflichtige<br />
Typ-I-Diabetes als ein in vielen Fällen<br />
autoimmunologisch bedingtes Krankheitsbild<br />
eine Zunahme der Patientenzahlen<br />
zu verzeichnen hat.<br />
Insgesamt hat sich also die Situation<br />
dahingehend entwickelt, daß immer<br />
mehr Diabetiker mit ihrer Krankheit immer<br />
länger leben und eine Zunahme<br />
der diabetesbedingten Spätschäden<br />
zwangsläufig erscheint. In der Tat hat<br />
sich der diabetische Fuß in den letzten<br />
Makroangiopathie<br />
Koronarsklerose – IHK<br />
Zerebralsklerose – CVI<br />
Beinarteriensklerose – pAVK<br />
Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt in<br />
der Diabetesbehandlung entwickelt.<br />
Die diabetische Fußkomplikation bindet<br />
mindestens 20% der gesamten Behandlungsaufwendungen<br />
für die Diabeteserkrankung<br />
und stellt somit einen<br />
ganz wesentlichen Kostenfaktor dar,<br />
ganz abgesehen von dem Leiden der<br />
Patienten, die wegen der häufig veranlaßten<br />
Amputationen nicht selten immer<br />
noch als Krüppel im weitesten Sinne<br />
aus der Behandlung hervorgehen. Welche<br />
Möglichkeiten aber bestehen nun,<br />
um der Entwicklung dieser Spätkomplikation<br />
entgegenzuwirken?<br />
DER „DIABETISCHE FUSS“ –<br />
EIN MULTIFAKTORIELLER SPÄTSCHADEN<br />
Der Diabetes mellitus ist eine Systemerkrankung<br />
mit akuter und chronischer<br />
Gefahr für den Betroffenen. Die<br />
Lebensgefahr durch das diabetische<br />
Koma ist dabei eine wesentliche Ursache<br />
für die Angst vor der Krankheit.<br />
Dementsprechend steht die Vermeidung<br />
solcher risikoreichen Ereignisse<br />
im Zentrum der therapeutischen Bemühungen<br />
und Selbstverantwortung des<br />
Patienten. Aber auch die gefürchteten<br />
Spätschäden sind von nicht untergeordneter<br />
Bedeutung. In einer Latenz<br />
von unter Umständen vielen Jahren<br />
können sich diese vor allem bei Blutzuckern<br />
gut entwickeln, die nicht zu einem<br />
Koma führen und dem Patienten<br />
zudem kaum Beschwerden verursachen.<br />
Aufgrund der Erkenntnis, daß<br />
eine nahenormoglycämische Blutzukkereinstellung<br />
die Entstehung von<br />
Spätschäden weitgehend vermeiden<br />
kann, wurden Empfehlungen für eine<br />
gute Stoffwechseleinstellung bei Diabetikern<br />
erarbeitet (Euronorm). Der<br />
Erfolg dieser Bemühungen wurde<br />
eindrucksvoll in den Ergebnissen der<br />
DCCT-Studie widergespiegelt.<br />
Diabetische Folgeschäden betreffen<br />
den ganzen Körper. Im Vordergrund<br />
stehende klinische Manifestationen<br />
sind in das sogenannte „Diabetische<br />
Spätsyndrom“ eingegangen (Tab. 1).<br />
An allen Organen kommt es zu Veränderungen<br />
durch die Verzuckerung der<br />
Struktureiweiße, woraus sich ein genereller<br />
Leistungsverlust erklären läßt. Besonders<br />
ist dabei auch die Verminderung<br />
kognitiver Leistungen beim Diabetiker<br />
zu erwähnen.<br />
Eine herausragende Stellung nimmt<br />
das „Diabetische-Fuß-Syndrom“ ein,<br />
weil schleichende Veränderungen an<br />
8<br />
HARTMANN WundForum 2/95