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Paul Renner: Der große Fresser

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<strong>Paul</strong> <strong>Renner</strong>: <strong>Der</strong> <strong>große</strong> <strong>Fresser</strong><br />

20.10.2011 | 10:32 | von Hans Brenner (Die Presse - Schaufenster)<br />

Maler <strong>Paul</strong> <strong>Renner</strong> betreibt im Piemont ein illegales Wirtshaus, das er mit seinen bizarren kulinarischen<br />

Szenen bespielt.<br />

Hätte Marco Ferreris „Das <strong>große</strong> Fressen“ noch einen Koch, oder besser: einen Impresario gebraucht, er<br />

wäre der Idealkandidat gewesen: <strong>Paul</strong> <strong>Renner</strong>. Natürlich wäre er damals noch zu jung, inhaltlich aber der<br />

geeignete Mann gewesen: <strong>Der</strong> Vorarlberger <strong>Renner</strong> ist der kräftigste, weil wohl auch der derbste und<br />

abgründigste Maler, der sich mit dem „<strong>große</strong>n Fressen“ beschäftigt. Dieser Tage hat er sich im Piemont<br />

ein illegales Wirtshaus geschaffen, in dem er zwei Wochen lang allabendlich eine seiner legendären<br />

Sessions bietet. <strong>Renner</strong> sieht sich schon gern einmal als eines der Urgenies in der Küche – die bestehen<br />

aus „Hausfrauen, Dilettanten und Abenteurern“. Einem solchen Urgenie geht es um Experimentierlust,<br />

absurde Veredelung und natürlich kulinarische Grenzerfahrungen. Die findet <strong>Renner</strong> nicht zuletzt beim<br />

Sammeln: wilden Fenchel vom Ätna, aus dem ein Pesto entsteht, sehr intensiv schmeckende<br />

Gänseleberterrinen aus Budapest oder getrocknete Eselshoden, die <strong>Renner</strong> von einem Schamanen<br />

bekommen haben will.<br />

Wohlige Schauer. <strong>Renner</strong> liebt natürlich die Auflistung von wilden Innereien und verrückten Zutaten, die<br />

sehr modern sind und vor allem Einsteigern in die kulinarische Welt als schnelles Bekenntnis (statt<br />

ausgereiften Geschmacks) dienen: Da werden eben Euter, Hoden, Schimmel oder Blasen verwendet und<br />

verkocht, auf dass den – meist befreundeten Gästen – ein wohlig-ekliger Schauer über den nicht mehr<br />

ganz jungen Rücken läuft.<br />

Im schönen Piemont gibt es etwa Szenen und Auftritte wie „Amarcord Dei Tartufi“. Die Erklärung: „Die<br />

Nymphen Illyriens verehrten die runzligen Knollen als die Hoden des wilden Ebergottes Arhizos. An<br />

diesem Abend wird die Leibspeise von keuschen Liebhabern und göttlichen Wüstlingen in dionysischer<br />

Opulenz gefeiert.“<br />

Das „Menu aux truffes célestines“ erfährt durch den Vortrag des Gastrosophen und Schriftstellers Kurt<br />

Bracharz über „Die Strategie der Trüffelhändler“ seine endgültige Vergeistigung. Nun ja. Oder unter<br />

„Bestialische Gerüche & Geschmäcker“ ist eine maximale Geruchs- und Geschmackssteigerung unter<br />

dem Einsatz exotischer Wunderkammerprodukte und bester Piemont-Trüffeln zu verstehen, aus denen die<br />

Schüler der Tourismusschulen Bludenz durch ungewöhnliche Koch- und Serviermethoden eine<br />

experimentell-synästhetische Symphonie komponieren.<br />

Also vergleichsweise harmlos. Dann wird Essigmacher Erwin Gegenbauer noch eine „schwarze Messe“<br />

lesen. Das wird wohl so sein: „Die Wunderkammer vom illegalen Wirtshaus ist gefüllt mit den edelsten<br />

Essigen und Ölen des Dreimal Großen Hermetikers Erwin Gegenbauer. <strong>Der</strong> Großmeister der<br />

Fermentationskunst zelebriert eine schwarze Messe mit seinen sauren, süßen, salzigen und bitteren<br />

Essenzen.“<br />

Und natürlich wird <strong>Renner</strong> seiner ureigensten Rolle als Dandy nachkommen und im „The Decadent<br />

Sportsman“ – gemeinsam mit seinem alten Freund und Kollegen Medlar Lucan – die eine oder andere<br />

Orgie zelebrieren. Die beiden gründeten den „The Hell Fire Dining Club“, mit dem sie auch in der Wiener<br />

Kunsthalle für Aufsehen und einen guten Bluff sorgten.<br />

Das klingt alles ein wenig pubertär, steht aber dank <strong>Renner</strong>s solider Malkunst auf einem durchaus festen<br />

Fundament. <strong>Renner</strong> geht mit seinen inszenierten Orgien mit Fußnoten und verrückten Einfällen längst<br />

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auch auf Tournee, bekommt Aufträge für Bar-Happenings oder Tafelrunden von <strong>große</strong>n US-Häusern.<br />

Und seine Bilder hängen in zahlreichen heimischen und mitteleuropäischen Museen. Was da im<br />

Mittelpunkt steht?<br />

Lebensmittel natürlich. Das <strong>große</strong> Fressen.<br />

© Schaufenster<br />

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