22.05.2014 Aufrufe

geht es zum Interview aus dem Passivhaus Kompendium 2010 im ...

geht es zum Interview aus dem Passivhaus Kompendium 2010 im ...

geht es zum Interview aus dem Passivhaus Kompendium 2010 im ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

einführung<br />

„Wir stehen<br />

erst am Anfang!“<br />

<strong>Interview</strong> mit Ernst Ulrich von Weizsäcker<br />

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Physiker und Biologe, ist einer der renommiert<strong>es</strong>ten deutschen Wissenschaftler und b<strong>es</strong>chäftigt<br />

sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigem Wirtschaften. Er fordert seit Langem eine Revolution der Energieeffizienz<br />

und zeigte schon vor rund zwanzig Jahren, wie durch die Lenkungswirkung einer ökologischen Steuerreform<br />

R<strong>es</strong>sourcenschonung mit der Erhöhung d<strong>es</strong> allgemeinen Lebensstandards kombiniert werden kann.<br />

Der Spross der Wissenschaftler- und Politiker-Familie von Weizsäcker war während der zwei Legislaturperioden der<br />

rot-grünen Regierungszeit Bund<strong>es</strong>tagsabgeordneter und gilt heute offiziell als Ruh<strong>es</strong>tändler. Tatsächlich ist er <strong>im</strong>mer<br />

noch ein Handlungsreisender in Sachen Energieeffizienz und berät derzeit China, wo das Thema Energieeffizienz<br />

einen sehr hohen politischen Stellenwert hat.<br />

Dass Ernst Ulrich von Weizsäckers Familie seit zwei Jahren in einem Passivh<strong>aus</strong> wohnt, war für Johann<strong>es</strong> Laible ein<br />

Anlass, ihn in seinem Domizil <strong>im</strong> Schwarzwald zu b<strong>es</strong>uchen.<br />

Herr von Weizsäcker, Ihre Familie lebt seit etwa zwei Jahren in einem<br />

Passivh<strong>aus</strong>. Haben Sie zuvor auch schon effizient gewohnt?<br />

Das vorige H<strong>aus</strong> in Bonn war vor unserem Einzug katastrophal schlecht<br />

isoliert. Dann haben wir <strong>im</strong> Zuge der Modernisierung wenigstens gutschließende<br />

Doppelglasfenster eingebaut und auch sonst ein bisschen<br />

was getan. Trotz<strong>dem</strong> <strong>es</strong> war natürlich längst kein Passivh<strong>aus</strong>. Aber <strong>es</strong><br />

war ein schön<strong>es</strong> H<strong>aus</strong>!<br />

Sie wohnen jetzt in einem Passivh<strong>aus</strong> in der Nähe von Freiburg. Wie<br />

kam <strong>es</strong> dazu?<br />

Meine Frau fand, das passe sehr gut zu meinen politischen Aussagen.<br />

Und unsere Tochter ist noch viel ökologischer als ich; sie wollte in Bahnhofsnähe<br />

wohnen, weil die Familie auf das Auto verzichtet. Und dabei<br />

wollte sie nicht die Kosten, die be<strong>im</strong> Auto eing<strong>es</strong>part werden, durch<br />

Heizung wieder verlieren. Ich selbst fand <strong>es</strong> natürlich eine großartige<br />

Idee und habe ja auch in meinem Buch „Faktor 4“ schon Propaganda<br />

für das Passivh<strong>aus</strong> gemacht. Außer<strong>dem</strong> habe ich mir von Leuten, die<br />

selbst in Passivhäusern wohnen, sagen lassen, dass die Luftqualität hervorragend<br />

ist.<br />

Können Sie das denn jetzt <strong>aus</strong> eigener Erfahrung b<strong>es</strong>tätigen?<br />

Ja! Für mich ist das Passivh<strong>aus</strong> sehr angenehm und hat eine wirklich<br />

hohe Lebensqualität. Unser H<strong>aus</strong> ist auch sehr schön g<strong>es</strong>taltet und<br />

überdi<strong>es</strong> funktional. Wir haben hier außer<strong>dem</strong> eine sehr erfreuliche<br />

Lebensgemeinschaft mit einer unserer Töchter und deren Familie, und<br />

die zweite Tochter, die in Freiburg studiert, ist ebenfalls eingezogen.<br />

Anfangs waren auch noch meine über 90-jährigen Schwiegereltern<br />

dabei, für die das letzte Lebensjahr ein Stück weit paradi<strong>es</strong>isch war.<br />

Wir hatten also vier Generationen in einem H<strong>aus</strong>.<br />

Waren denn Ihrer Frau und Ihnen außer der Min<strong>im</strong>ierung d<strong>es</strong> Heizwärmebedarfs<br />

noch andere Aspekte wichtig?<br />

Wichtig war uns die richtige H<strong>im</strong>melsrichtung für H<strong>aus</strong>, Terrasse<br />

und Garten, auch wegen der Lebensqualität, in<strong>dem</strong> man Außenraum<br />

gewinnt, wo man sich fast neun Monate <strong>im</strong> Jahr aufhalten kann.<br />

18<br />

passivh<strong>aus</strong> kompendium <strong>2010</strong>


einführung<br />

Hatten Sie denn Probleme mit <strong>dem</strong> örtlichen Bebauungsplan?<br />

Ja. Die Straße verläuft süd-südw<strong>es</strong>tlich vom H<strong>aus</strong>, und vom Bebauungsplan<br />

wurde verlangt, dass die straßenseitige Front nicht weiter als vier<br />

oder fünf Meter von der Straße entfernt ist. Da haben wir das H<strong>aus</strong> mit<br />

Unterstützung d<strong>es</strong> Architekten, Meinhard Hansen, der di<strong>es</strong>bezüglich<br />

gute Ideen hatte, „künstlich“ in das Grundstück hereingezogen. Weil<br />

aber auch die Giebelhöhe f<strong>es</strong>tgelegt war, musste der Giebel unterbrochen<br />

werden, um so weiter nach hinten in das Grundstück zu kommen.<br />

Mit einem kleinen Quertrakt konnten wir dann für b<strong>es</strong>onnten und vor<br />

Nordwinden g<strong>es</strong>chützten Außenraum sorgen. Dafür die Genehmigung<br />

zu bekommen, war nicht einfach, hat letztlich aber funktioniert.<br />

Energie ist ja Ihr Thema. Erneuerbare Energien boomen und dank Subventionen<br />

boomen sie auch <strong>im</strong> Wohnungsbau. Ist das in Ihren Augen<br />

der geeignete Weg in Richtung Energiewende?<br />

Ich persönlich halte das Energieeinspeiseg<strong>es</strong>etz und die zinsgünstigen<br />

KfW-Kredite für eine zwar volkswirtschaftlich anfangs teure, aber<br />

auf die Dauer richtige, weil nachhaltige Politik. Es gibt <strong>im</strong>mer wieder<br />

Berechnungen, dass man CO 2<br />

viel b<strong>es</strong>ser anders einspart als etwa<br />

durch Solarenergie, insb<strong>es</strong>ondere durch Effizienz. Aber man kann ja<br />

beid<strong>es</strong> tun, und beid<strong>es</strong> hat Deutschland <strong>im</strong> Saldo technologisch und<br />

hinsichtlich der Arbeitsplätze <strong>aus</strong>drücklich g<strong>es</strong>tärkt.<br />

„Saldo“ ist ein Stichwort auch <strong>im</strong> Wohnungsbau. Es gibt eine Tendenz,<br />

f<strong>es</strong>tg<strong>es</strong>chrieben etwa auch in der Energieeinsparverordnung, dass<br />

weniger gute Effizienz durch den Einsatz erneuerbarer Energien <strong>aus</strong>geglichen<br />

werden kann. Was halten Sie von di<strong>es</strong>em Bilanzierungsansatz?<br />

Ich finde <strong>es</strong> legit<strong>im</strong> in einem Jahrzehnt, in <strong>dem</strong> man die Industrie der<br />

erneuerbaren Energien wirklich fördern will. Auf Dauer halte ich das<br />

nicht für gut. Ich vermute sogar, dass man in hundert Jahren über ein<br />

Zuviel an erneuerbaren Energien klagen wird. Bei Agrotreibstoffen sieht<br />

man <strong>es</strong> schon heute, bei Wasserkraft auch, bei Windenergie ist <strong>es</strong> <strong>im</strong><br />

Kommen, bei Geothermie ist <strong>es</strong> höchstwahrscheinlich und bei Photovoltaik<br />

wird die Diskussion in <strong>dem</strong> Moment anfangen, wo die ersten<br />

Anlagen Sondermüll werden. Erneuerbare Energien sind natürlich allemal<br />

b<strong>es</strong>ser als Kernenergie und Kohle, aber zu glauben, <strong>es</strong> sei ökologisch<br />

gut, so viel wie möglich davon zu produzieren, gilt nur so lange,<br />

wie sie CO 2<br />

und Uran verdrängen.<br />

Stattd<strong>es</strong>sen mehr Effizienz?<br />

Effizienz, ja! Da stehen wir überhaupt erst am Anfang d<strong>es</strong>sen, was möglich<br />

ist. Ich halte langfristig eine Verzwanzigfachung der Energieproduktivität<br />

für durch<strong>aus</strong> möglich. Ganz ähnlich wie bei der Arbeitsproduktivität,<br />

die sich <strong>im</strong> Laufe von 150 Jahren verzwanzigfacht hat. Das hätte<br />

zu Zeiten von Karl Marx oder David Ricardo kein Mensch für möglich<br />

gehalten.<br />

Zurück <strong>zum</strong> Passivh<strong>aus</strong>. Das Passivh<strong>aus</strong> ist volljährig geworden, vor<br />

knapp zwanzig Jahren hat Wolfgang Feist das erste Passivh<strong>aus</strong> realisiert.<br />

Viele fragen sich, wie man heute überhaupt noch anders bauen<br />

kann und doch ist das Passivh<strong>aus</strong> noch eher ein Nischenthema. Meine<br />

Frage an den Wissenschaftler und Politiker: Haben wir viel erreicht<br />

und müssen zufrieden sein mit der Entwicklung d<strong>es</strong> energieeffizienten<br />

Bauen in den letzten 18 bis 20 Jahren, oder st<strong>im</strong>mt <strong>es</strong>, wenn wir das<br />

Gefühl haben, dass <strong>es</strong> zu langsam vorwärts <strong>geht</strong>?<br />

Es ging auch nach meinem G<strong>es</strong>chmack zu langsam. Das hat <strong>im</strong> W<strong>es</strong>entlichen<br />

zwei Gründe: Erstens wurde bei der Geburt d<strong>es</strong> Passivh<strong>aus</strong>-Konzepts<br />

die Energieeffizienz-Diskussion <strong>im</strong> H<strong>aus</strong> beherrscht durch das<br />

Thema „Schlechte, muffige Luft“. Aus Großbritannien kam damals die<br />

Behauptung, dass die Raumluft wegen mangelnder Belüftung mit Radon<br />

radioaktiv belastet sei. So schien Energieeffizienz <strong>im</strong> H<strong>aus</strong> anfangs ökologisch<br />

hochproblematisch, weil viele Leute überzeugt waren, dass die<br />

Atemluft höchst ung<strong>es</strong>und sei. Erst durch die kontrollierte Wohnungslüftung<br />

ist di<strong>es</strong><strong>es</strong> Argument überwunden worden. Zum Zweiten war<br />

das zu einer Zeit unanständig niedriger Energiepreise. Das heißt, die<br />

ersten zwölf Jahre d<strong>es</strong> Passivh<strong>aus</strong><strong>es</strong> waren eine Zeit, in der sich das<br />

Einsparen von Energie <strong>aus</strong> Energiepreisgründen fast nicht lohnte. Jetzt<br />

ist das anders. Man wird aber vermutlich nicht nur über das Preissignal<br />

die Passivh<strong>aus</strong>-Entwicklung b<strong>es</strong>chleunigen können; so hat z.B. die<br />

Stadt Freiburg b<strong>es</strong>chlossen, dass Häuser auf städtischen Grundstücken<br />

und der soziale Wohnungsbau <strong>im</strong> Passivh<strong>aus</strong>standard gebaut werden<br />

müssen. Das könnte ich mir <strong>im</strong> Prinzip für alle deutschen Kommunen<br />

vorstellen, außer<strong>dem</strong> die entsprechenden G<strong>es</strong>etze auf Länder und Bund<strong>es</strong>ebene.<br />

Haben Sie vielen Dank für das G<strong>es</strong>präch, Herr von Weizsäcker.<br />

Fotos: Laible<br />

Ernst-Ulrich von Weizsäcker be<strong>im</strong> G<strong>es</strong>präch <strong>im</strong> Arbeitsz<strong>im</strong>mer sein<strong>es</strong> Passivh<strong>aus</strong><strong>es</strong><br />

passivh<strong>aus</strong> kompendium <strong>2010</strong> 19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!