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Was ist eigentlich Grundlagenforschung in der Wirtschaftsinformatik?

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WI – MEINUNG/DIALOG<br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>eigentlich</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik?<br />

DOI 10.1007/s11576-008-0130-1<br />

Die Autoren<br />

Prof. Dr. Robert W<strong>in</strong>ter<br />

Universität St. Gallen<br />

Institut für Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Müller-Friedberg-Strasse 8<br />

9000 St. Gallen<br />

Schweiz<br />

robert.w<strong>in</strong>ter@unisg.ch<br />

Prof. Dr. Helmut Krcmar<br />

Prof. Dr. Elmar J. S<strong>in</strong>z<br />

Prof. Dr. Stephan Zelewski<br />

Prof. Alan R. Hevner, Ph.D.<br />

This article is also available <strong>in</strong> English<br />

via http://www.spr<strong>in</strong>gerl<strong>in</strong>k.com and<br />

http://www.bise-journal.org: W<strong>in</strong>ter R,<br />

Krcmar H, S<strong>in</strong>z EJ, Zelewski S, Hevner<br />

AR (2008) What <strong>in</strong> Fact is Fundamental<br />

Research <strong>in</strong> Bus<strong>in</strong>ess and Information<br />

Systems Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g? Bus Inf Syst Eng.<br />

doi: 10.1007/s12599-008-0024-1.<br />

Die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik hat sich als<br />

eigenständige Subdiszipl<strong>in</strong> „zwischen“<br />

Wirtschaftswissenschaften und Informatik<br />

zum<strong>in</strong>dest im deutschen Sprachraum<br />

etabliert. Dies wird dadurch deutlich,<br />

dass e<strong>in</strong>erseits die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik-<br />

Kommission zu den größten Kommissionen<br />

des Verbands <strong>der</strong> Hochschullehrer<br />

für Betriebswirtschaft zählt und dass<br />

an<strong>der</strong>erseits die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik-<br />

Fachgruppe die größte Fachgruppe <strong>der</strong><br />

Gesellschaft für Informatik bildet.<br />

Gleichwohl könnte aus <strong>der</strong> Positionierung<br />

„zwischen“ Wirtschaftswissenschaften<br />

und Informatik <strong>in</strong> Analogie zu an<strong>der</strong>en<br />

„B<strong>in</strong>destrich“-Subdiszipl<strong>in</strong>en geschlossen<br />

werden, dass es sich alle<strong>in</strong> um e<strong>in</strong>e<br />

angewandte Wissenschaft handelt, die<br />

Erkenntnisse ihrer „Referenz“-Diszipl<strong>in</strong><br />

Informatik auf Unternehmen und Verwaltungen<br />

bzw. umgekehrt Erkenntnisse<br />

ihrer „Referenz“-Diszipl<strong>in</strong> Wirtschaftswissenschaften<br />

auf Informationsverarbeitung<br />

anwendet. Dies hätte zur Konsequenz,<br />

dass nicht nur die notwendigen<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong>en auf die „Referenz“-Diszipl<strong>in</strong>en<br />

beschränkt wären, son<strong>der</strong>n<br />

dass die bekanntlich beson<strong>der</strong>s auf<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> fokussierte öffentliche<br />

Forschungsför<strong>der</strong>ung entsprechend<br />

auszurichten wäre.<br />

An<strong>der</strong>erseits gibt es verschiedene Versuche,<br />

„Theorien“, „Diszipl<strong>in</strong>kerne“ bzw.<br />

„Kernbeiträge“ <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu identifizieren – z. B. <strong>in</strong> Form von<br />

(Modellierungs-)Methoden als Theorien<br />

(Greiffenberg 2003), konzeptioneller<br />

Modellierung als Diszipl<strong>in</strong>kern (Frank<br />

1999) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Unterstützung von Integration<br />

(Heilmann 1989). Außerhalb des<br />

deutschsprachigen Raums f<strong>in</strong>den sich vermehrt<br />

Versuche, neben <strong>der</strong> auf die Sozialwissenschaften<br />

verweisenden Reflexion<br />

von Informationssystem-Entwicklung<br />

und -E<strong>in</strong>satz den (Informationssystem-)<br />

Gestaltungsprozess und se<strong>in</strong>e Reflexion<br />

als eigenständigen Kernbeitrag anzusehen<br />

(z. B. Hevner et al. 2004) und dort auch<br />

Theorieentwicklung zu platzieren (z. B.<br />

Kuechler und Vaishnavi 2008).<br />

Diese Diskussionsrunde beschäftigt<br />

sich deshalb mit <strong>der</strong> Frage, ob die <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

e<strong>in</strong> Bestandteil <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatikforschung<br />

se<strong>in</strong> darf/soll<br />

und, wenn ja, worauf sich dieser begründet.<br />

Die Diskussionsbeiträge adressieren<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die folgenden Fragen:<br />

jDarf die <strong>Grundlagenforschung</strong> überhaupt<br />

e<strong>in</strong> Bestandteil <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatikdiszipl<strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>ist</strong> dies<br />

e<strong>in</strong> Privileg unserer „Referenzdiszipl<strong>in</strong>en“?<br />

jEx<strong>ist</strong>iert e<strong>in</strong> „common body“ von<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik-Theorien und,<br />

wenn ja, welche Theorien gehören<br />

dazu? Welche Rolle spielt diesbezüglich<br />

zum e<strong>in</strong>en die mo<strong>der</strong>ne Organisationsforschung<br />

bzw. könnte sie spielen?<br />

Zum an<strong>der</strong>en stellt sich die Frage,<br />

welche Bedeutung <strong>der</strong> Systemtheorie <strong>in</strong><br />

diesem Kontext zukommt. Ist sie geeignet,<br />

zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> universelles Vokabular<br />

für die „Integration“ <strong>der</strong> „Referenzdiszipl<strong>in</strong>en“<br />

bereitzustellen?<br />

jKann die Formalisierung <strong>der</strong> Informatik<br />

helfen, grundlegende Zusammenhänge<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik zu<br />

beschreiben und zu verstehen?<br />

jMit welchen grundlegenden Themen<br />

sollte sich die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

künftig (o<strong>der</strong> weiter) befassen und zu<br />

welchen (neuen?) Anwendungsfel<strong>der</strong>n<br />

könnten diese Grundlagen künftig beitragen?<br />

Me<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung zu dieser Diskussionsrunde<br />

haben die folgenden Herren angenommen<br />

(<strong>in</strong> alphabetischer Reihenfolge):<br />

jProf. Alan R. Hevner, Ph.D., Citigroup/<br />

Hidden River Chair of D<strong>ist</strong>ributed<br />

Technology, Information Systems and<br />

Decision Sciences, College of Bus<strong>in</strong>ess<br />

Adm<strong>in</strong><strong>ist</strong>ration, University of South<br />

Florida<br />

jProf. Dr. Helmut Krcmar, Lehrstuhl<br />

für Wirtschafts<strong>in</strong>formatik, Fakultät<br />

Informatik, Technische Universität<br />

München<br />

jProf. Dr. Elmar J. S<strong>in</strong>z, Lehrstuhl für<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

Systementwicklung und Datenbankanwendung,<br />

Universität Bamberg<br />

jProf. Dr. Stephan Zelewski, Institut für<br />

Produktion und Industrielles Informationsmanagement,<br />

Universität Duisburg-Essen<br />

Kollege Krcmar stellt die Bedeutung <strong>der</strong><br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> für die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

heraus und for<strong>der</strong>t zu e<strong>in</strong>er<br />

Intensivierung <strong>der</strong> Forschungsaktivitäten<br />

<strong>in</strong> diese Richtung auf. Er verdeutlicht, dass<br />

e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige Fokussierung <strong>der</strong> gestaltungsorientierten<br />

Forschung auf Ziel-Mittel-<br />

Zusammenhänge zu kurz greift und deshalb<br />

die resultierenden Forschungsergebnisse<br />

konsequent ebenso auf die theoretische<br />

Ebene überführt werden müssen.<br />

Kollege S<strong>in</strong>z votiert aufgrund <strong>der</strong> Eigenständigkeit<br />

<strong>der</strong> Themen-Ziele-Komb<strong>in</strong>ation<br />

für e<strong>in</strong>e anwendungsorientierte<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik.<br />

Er identifiziert die „Dauerthemen“<br />

konzeptuelle Modellierung, Architekturen<br />

und Gestaltung <strong>der</strong> Automatisierung<br />

betrieblicher Systeme als zentrale<br />

Themen solcher <strong>Grundlagenforschung</strong>.<br />

Kollege Zelewski sieht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em längeren<br />

Beitrag die Wurzeln <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong>s-Diskussion<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Identitäts- und Profilierungskrise,<br />

wofür se<strong>in</strong>er Ansicht nach u. a.<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

die Ablehnung gestaltungsorientierter Beiträge<br />

<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen bzw. US-amerikanischen<br />

Publikationsorganen ursächlich <strong>ist</strong>.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund schlägt er neben<br />

<strong>der</strong> Verortung <strong>der</strong> Grundlagen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

<strong>in</strong> den wissenschaftstheoretischen<br />

„Vorentscheidungen“ vor, die identitätsstiftenden<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

durch fundamentale Theorien<br />

zu schaffen. Diesbezüglich äußert er jedoch<br />

Zweifel, ob bzw. <strong>in</strong>wieweit die Organisations-<br />

und die Systemtheorie hierzu e<strong>in</strong>en<br />

(alle<strong>in</strong>igen) Beitrag le<strong>ist</strong>en können. Stattdessen<br />

for<strong>der</strong>t er, von bestimmten Theorien<br />

zu abstrahieren und sich e<strong>in</strong>em Theorienpluralismus<br />

zuzuwenden. In Bezug auf die<br />

Art <strong>der</strong> Theorien diskutiert er weiterh<strong>in</strong> formalsprachliche<br />

Theorien. Er schließt se<strong>in</strong>en<br />

Diskussionsbeitrag mit e<strong>in</strong>er kurzen Erörterung<br />

ab, wie sich objektwissenschaftliche<br />

Forschungsthemen für die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

identifizieren lassen.<br />

Ebenso wie die Kollegen Krcmar und<br />

Zelewski hält auch Kollege Hevner die<br />

Erforschung <strong>der</strong> Grundlagen <strong>der</strong> Information<br />

Systems-Forschung für notwendig. Er<br />

misst <strong>in</strong> diesem Zusammenhang <strong>der</strong> Systemtheorie<br />

hohe Bedeutung bei und stellt<br />

die Komplexität, die Komposition/Komb<strong>in</strong>ation<br />

sowie die Kontrolle als grundlegende<br />

Konzepte heraus. In Bezug auf die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Konzepte for<strong>der</strong>t er die Formulierung<br />

von Theorien, die bezüglich <strong>der</strong><br />

Skalierbarkeit und Effizienz zukünftiger<br />

Informationssysteme Aussagen zulassen<br />

und dabei gleichzeitig empirisch überprüfbar<br />

s<strong>in</strong>d. Abschließend macht er deutlich,<br />

dass für die Schaffung dieser Grundlagen<br />

auf verschiedene Forschungsdiszipl<strong>in</strong>en<br />

und Paradigmen zurückgegriffen werden<br />

sollte, da nur so zukünftige Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

adressiert werden können.<br />

Die Beiträge machen deutlich, dass h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

nicht das „ob“ fraglich<br />

<strong>ist</strong>, wohl aber das „wie“. Neben <strong>der</strong> „Rückbes<strong>in</strong>nung“<br />

auf die Systemtheorie f<strong>in</strong>det<br />

sich die For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>em expliziten,<br />

als kons<strong>ist</strong>ente Basis jedoch noch auszugestaltenden<br />

Theorienpluralismus.<br />

Wenn auch Sie zu diesem Thema o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>em Artikel <strong>der</strong> Zeitschrift Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Stellung nehmen möchten,<br />

dann senden Sie Ihre Stellungnahme<br />

(max. 2 Seiten) bitte an Hans-Ulrich.<br />

Buhl@wiwi.uni-augsburg.de.<br />

Prof. Dr. Robert W<strong>in</strong>ter<br />

Institut für Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Universität St. Gallen<br />

Literatur<br />

Frank U (1999) Conceptual modell<strong>in</strong>g as the core<br />

of the <strong>in</strong>formation systems discipl<strong>in</strong>e – perspectives<br />

and ep<strong>ist</strong>emological challenges. Proceed<strong>in</strong>gs<br />

of the fifth Americas conference on<br />

<strong>in</strong>formation systems (AMCIS), Milwaukee,<br />

S 695–697<br />

Greiffenberg S (2003) Methoden als Theorien <strong>der</strong><br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik. In: Uhr W, Esswe<strong>in</strong> W,<br />

Schoop E (Hrsg) Wirtschafts<strong>in</strong>formatik 2003,<br />

Band II – Medien, Märkte, Mobilität. Physica,<br />

Heidelberg, S 947–968<br />

Heilmann H (1989) Integration: E<strong>in</strong> zentraler Begriff<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik im Wandel<br />

<strong>der</strong> Zeit. HMD 26(150):46–58<br />

Hevner A, March S, Park J, Ram S (2004) Design<br />

science <strong>in</strong> <strong>in</strong>formation systems research. MIS<br />

Quarterly 28(1):75–105<br />

Kuechler W, Vaishnavi V (2008) Theory development<br />

<strong>in</strong> design science research: anatomy of a<br />

research project. In: Vaishnavi V, Baskerville R<br />

(Hrsg) Proceed<strong>in</strong>gs of the third <strong>in</strong>ternational<br />

conference on design science research <strong>in</strong> <strong>in</strong>formation<br />

systems and technology (DESRIST<br />

2008), Atlanta, S 1–15<br />

Innovationen als Voraussetzung<br />

für <strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik wird wegen ihres<br />

Realitätsbezugs und ihrer Gestaltungsorientierung<br />

oft als angewandte Wissenschaft<br />

bezeichnet. Mit dieser „Klarstellung“ wird<br />

gerne die Bemerkung verbunden, die<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> dazu fände <strong>in</strong> den<br />

Referenzdiszipl<strong>in</strong>en statt, also <strong>in</strong> Ökonomie,<br />

Organisationslehre, Informatik, um<br />

nur e<strong>in</strong>ige zu nennen.<br />

Dass dem mitnichten so se<strong>in</strong> muss und<br />

e<strong>in</strong>e selbstbewusste Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

sowohl <strong>der</strong> angewandten Forschung<br />

wie <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> ihrer<br />

Diszipl<strong>in</strong> bedarf und dies auch kann, will<br />

dieser Beitrag zeigen und damit zugleich<br />

auffor<strong>der</strong>n, mehr <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik zu treiben.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>ist</strong> nur s<strong>in</strong>nvoll <strong>in</strong> Abgrenzung zum<br />

Begriff <strong>der</strong> angewandten Forschung.<br />

Während letzterer Forschungsaktivitäten<br />

eng mit <strong>der</strong> Lösung aktueller Probleme <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />

o<strong>der</strong> kulturellen Praxis verknüpft, legt<br />

die <strong>Grundlagenforschung</strong> den Fokus auf<br />

die Erklärung von Phänomenen <strong>in</strong> Natur<br />

und Gesellschaft, ohne e<strong>in</strong>en konkreten<br />

Anwendungszusammenhang vorauszusetzen.<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> liefert<br />

dabei Erklärungsmodelle für die Strukturen<br />

und Zusammenhänge des jeweiligen<br />

Erkenntnisobjekts. <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

endet bei e<strong>in</strong>em zufrieden stellenden<br />

Erklärungsmodell für das untersuchte<br />

Phänomen, während die angewandte Forschung<br />

diese Modelle anwendet, um e<strong>in</strong>e<br />

Nutzen stiftende Lösung für e<strong>in</strong> gegebenes,<br />

bisher unzureichend gelöstes Problem<br />

zu entwickeln.<br />

Solche unterschiedlichen Zielstellungen<br />

s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik. So<br />

hat sie diese Divergenz von <strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre<br />

übernommen. Chmielewicz<br />

unterscheidet zwischen theoretischer<br />

Forschung als Suche nach Ursache-Wirkungs-Beziehungen<br />

und technologischer<br />

Forschung als Suche nach<br />

Ziel-Mittel-Beziehungen (Chmielewicz<br />

1979). Zur Lösung von Problemen s<strong>in</strong>d<br />

die theoretischen Grundlagen <strong>in</strong> Form<br />

<strong>der</strong> erkannten Ursache-Wirkungs-Beziehungen<br />

„anzuwenden“, <strong>in</strong>dem sie zu Ziel-<br />

Mittel-Beziehungen umgeformt werden.<br />

Untersucht man den Zusammenhang<br />

dieser Forschungsebenen genauer, offenbart<br />

sich, dass zudem unterschiedliche<br />

Konzeptionen des Erkenntnis- respektive<br />

Gestaltungsobjekts zu Grunde liegen.<br />

E<strong>in</strong> kritisch-rationales Wissenschaftsverständnis<br />

(im angelsächsischen Sprachraum<br />

häufig mit dem Positivismus gleichgesetzt)<br />

stellt zunächst e<strong>in</strong> Modell möglicher<br />

Ursache-Wirkungs-Beziehungen<br />

über e<strong>in</strong>e Klasse von Phänomenen auf,<br />

also beispielsweise die Akzeptanz neuer<br />

Informationssysteme <strong>in</strong> Unternehmen.<br />

Diese Ursache-Wirkungs-Beziehungen<br />

werden anschließend an e<strong>in</strong>er Menge von<br />

Instanzen <strong>der</strong> Klasse untersucht, beispielsweise<br />

durch die Befragung für die Akzeptanz<br />

relevanter Akteure <strong>in</strong> Unternehmen.<br />

Forschung auf technologischer Ebene h<strong>in</strong>gegen<br />

beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bei e<strong>in</strong>em bisher<br />

nur unzureichend gelösten Problem,<br />

zum Beispiel <strong>der</strong> Pilotierung e<strong>in</strong>er virtuellen<br />

Community für Krebspatienten. Zur<br />

Ermittlung nutzenstiften<strong>der</strong> Ziel-Mittel-Beziehungen<br />

müssen dabei die spezifischen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen des Gestaltungsobjekts<br />

berücksichtigt werden. Die<br />

Unterscheidung von Rigorosität und Relevanz<br />

(„Rigor vs. Relevance“) lässt sich auf<br />

diese Forschungskonzeptionen zurückführen.<br />

Diese Skizzierung von Forschungskonzeptionen<br />

könnte dazu führen, <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

nur auf <strong>der</strong> theoretischen<br />

Ebene zu sehen, d. h. mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />

von Erklärungsmodellen, also Theorien,<br />

zu verknüpfen. Gestaltungsorien-<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

tierte Forschung wäre dann <strong>in</strong> jedem Falle<br />

immer angewandte Forschung, d. h. die<br />

Ursache-Wirkungs-Beziehung von Theorien<br />

werden <strong>in</strong> Ziel-Mittel-Beziehungen<br />

lediglich „übersetzt“. Dies <strong>ist</strong> jedoch zu<br />

kurz gegriffen.<br />

Gestaltungsorientierte Forschung als<br />

Suche nach neuartigen Problemlösungen<br />

muss e<strong>in</strong> essenzieller Bestandteil e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

se<strong>in</strong>. Die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

hat mit Informationssystemen als<br />

soziotechnische Systeme e<strong>in</strong>e Domäne<br />

gewählt, welche e<strong>in</strong>em schnellen technischen<br />

Fortschritt unterliegt. Dieser <strong>ist</strong><br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den Referenzdiszipl<strong>in</strong>en <strong>der</strong><br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik zuzurechnen. Mit<br />

dem Ziel e<strong>in</strong>er „optimale[n] Bereitstellung<br />

von Informationen und die Unterstützung<br />

von Kommunikation nach wirtschaftlichen<br />

Kriterien“ (Wissenschaftliche<br />

Kommission Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

1994, S. 80) bzw. <strong>der</strong> „s<strong>in</strong>nvollen Vollautomation“<br />

(Mertens 1995, S. 48) muss sich<br />

die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik mit <strong>der</strong> Nutzen<br />

stiftenden Anwendung dieser neuen technischen<br />

Möglichkeiten beschäftigen. Die<br />

resultierende Suche nach Innovationen als<br />

Kern gestaltungsorientierter Forschung<br />

hat aber zur Folge, dass nur beschränkt<br />

auf die Ergebnisse <strong>der</strong> theoretischen<br />

Ebene zurückgegriffen werden kann,<br />

schlichtweg weil die <strong>in</strong>tendierten Anwendungen<br />

ex<strong>ist</strong>ieren<strong>der</strong> Theorien nicht mehr<br />

mit den nun vorzuf<strong>in</strong>denden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

übere<strong>in</strong>stimmen. Es fehlt so<br />

<strong>der</strong> „theoretische Unterbau“ (Chmielewicz<br />

1979, S. 182). Die wissenschaftliche<br />

Durchdr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es neuen Phänomens<br />

beg<strong>in</strong>nt also nicht auf <strong>der</strong> theoretischen<br />

Ebene, son<strong>der</strong>n sollte im Rahmen gestaltungsorientierter<br />

Forschung (vgl. hierfür<br />

Witte 1997) beg<strong>in</strong>nen. Erst hier können<br />

die, für theoretische Forschung notwendigen,<br />

Begriffe und Konstrukte identifiziert<br />

bzw. entwickelt werden.<br />

E<strong>in</strong>e eigenständige <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

bedarf jedoch <strong>der</strong> konsequenten Überführung<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse gestaltungsorientierter<br />

Forschung auf die theoretische<br />

Ebene. Die neu identifizierten Ziel-Mittel-Beziehungen<br />

wurden ja ohne e<strong>in</strong> adäquates<br />

Erklärungsmodell hierfür entwickelt.<br />

E<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe <strong>der</strong> theoretischen<br />

Forschung liegt nun <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Identifikation <strong>der</strong>, den erkannten Ziel-<br />

Mittel-Beziehungen zu Grunde liegenden,<br />

Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Beispiele<br />

hierfür f<strong>in</strong>den sich etwa bei Briggs<br />

(2006) bzw. den Designtheorien (z. B. Gregor<br />

und Jones 2007).<br />

Hier werden jedoch die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrativen Sicht von Erklärungs-<br />

und Gestaltungsorientierung deutlich.<br />

Es <strong>ist</strong> e<strong>in</strong>e differenzierte Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem dafür notwendigen<br />

Theoriebegriff erfor<strong>der</strong>lich. Pragmatische<br />

Vorschläge wie etwa die Designtheorien<br />

s<strong>in</strong>d dabei nicht mehr als <strong>der</strong> erste Schritt<br />

und können eher als effektives Kommunikations<strong>in</strong>strument<br />

angesehen werden.<br />

Dass die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik Erklärungs-<br />

und Theoriebeitrag auf angewandter<br />

und Grundlagenebene mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

verb<strong>in</strong>den kann, stellt ihre Forscher<br />

vor größere Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

als sog. „uniparadigmatische“ Wissenschaften.<br />

So s<strong>in</strong>d bestehende Theoriemodelle<br />

erklärungsorientierter Forschung,<br />

wie beispielsweise das struktural<strong>ist</strong>ische<br />

Theoriekonzept, an die spezifischen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen gestaltungsorientierter<br />

Forschung anzupassen. Auch wäre zu klären,<br />

welche Rolle die Artefakte gestaltungsorientierter<br />

Forschung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e konzeptionelle<br />

Modelle als Repräsentationen<br />

<strong>der</strong> Problemlösung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen <strong>in</strong>tegrierten<br />

Theorieverständnis spielen können<br />

bzw. sollten. Ebenso s<strong>in</strong>d die forschungsmethodischen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong><br />

die Weiterentwicklung des Methodenkanons<br />

zu überführen.<br />

Dies verstanden, s<strong>in</strong>d Realitätszugang,<br />

Transdiszipl<strong>in</strong>arität um e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Theorieverständnis herum und <strong>der</strong> bereits<br />

vorhandene Methodenpluralismus herausragende<br />

Wettbewerbsvorteile <strong>der</strong> deutschen<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik.<br />

Prof. Dr. Helmut Krcmar<br />

Lehrstuhl für Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Fakultät Informatik<br />

Technische Universität München<br />

Literatur<br />

Briggs RO (2006) On theory-driven design and<br />

deployment of collaboration systems. International<br />

Journal of Human-Computer Studies<br />

64(7):573–582<br />

Chmielewicz K (1979) Forschungskonzeptionen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftswissenschaft (Band 92), 2. Aufl.<br />

Poeschel, Stuttgart<br />

Gregor S, Jones D (2007) The anatomy of a design<br />

theory. J the Association for Information Systems<br />

(JAIS) 8(5): 312–335<br />

Mertens P (1995) Wirtschafts<strong>in</strong>formatik: von den<br />

Moden zum Trends. In: König W (Hrsg) Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

’95: Wettbewerbsfähigkeit,<br />

Innovation, Wirtschaftlichkeit. Physica, Heidelberg,<br />

S 25–64<br />

Wissenschaftliche Kommission Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

(1994) Profil <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik.<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 36(1):80–81<br />

Witte E (1997) Feldexperimente als Innovationstest<br />

– Die Pilotprojekte zu neuen Medien. Zeitschrift<br />

für betriebswirtschaftliche Forschung<br />

49(5):419–436<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik – Versuch<br />

e<strong>in</strong>er Positionsbestimmung<br />

E<strong>in</strong>e eigene <strong>Grundlagenforschung</strong> benötigt<br />

e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong> dann,<br />

wenn die Grundlagen von Nachbar- und<br />

Stammdiszipl<strong>in</strong>en nicht ausreichen, um<br />

die angestrebten Erkenntnisziele zu erreichen.<br />

Dies wie<strong>der</strong>um bedeutet, dass die<br />

jeweilige Diszipl<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichend gegenüber<br />

Nachbar- und Stammdiszipl<strong>in</strong>en unterscheidbar<br />

se<strong>in</strong> muss, also Merkmale von<br />

Eigenständigkeit aufwe<strong>ist</strong>. Die Eigenständigkeit<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik wird<br />

im Grunde seit Jahrzehnten nicht mehr <strong>in</strong><br />

Frage gestellt (He<strong>in</strong>rich et al. 2007, S. 13).<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

als eigenständige<br />

wissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>e wissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong> def<strong>in</strong>iert<br />

sich im Wesentlichen über ihren Gegenstand,<br />

ihre (Erkenntnis-) Ziele und ihre e<strong>in</strong>gesetzten<br />

Methoden und Verfahren. Ihren<br />

Gegenstandsbereich (Objektbereich) teilt<br />

die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>in</strong> erster Näherung<br />

mit <strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre: die<br />

Unternehmung bzw. ihre Sub- und Supersysteme<br />

wie Unternehmensbereiche und<br />

Unternehmensverbünde, o<strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

betriebliche Systeme <strong>in</strong> Wirtschaft und<br />

Verwaltung. In den Zielen unterscheidet<br />

sich die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik von <strong>der</strong><br />

Betriebswirtschaftslehre. Während die<br />

Ziele <strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre am<br />

wirtschaftlichen Handeln gemäß dem<br />

Rationalpr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Ökonomie ausgerichtet<br />

s<strong>in</strong>d (Wöhe und Dör<strong>in</strong>g 2008, S. 1 ff),<br />

beziehen sich die Ziele <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

auf die Informationsverarbeitung<br />

<strong>in</strong> betrieblichen Systemen. Letztere<br />

unterliegt natürlich ebenfalls dem Pr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit. Gleichwohl<br />

werden an dieser Stelle die Unterschiede<br />

zur Betriebswirtschaftslehre deutlich: Die<br />

Ziele <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik s<strong>in</strong>d auf<br />

die Analyse, Gestaltung und Lenkung des<br />

betrieblichen Informationssystems ausgerichtet.<br />

Gegenstand <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>for-<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

matik <strong>ist</strong> das betriebliche Informationssystem<br />

als das <strong>in</strong>formationsverarbeitende<br />

Teilsystem e<strong>in</strong>es betrieblichen Systems<br />

(Ferstl und S<strong>in</strong>z 2008, S. 1 f).<br />

Die Eigenständigkeit e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen<br />

Diszipl<strong>in</strong> wird allgeme<strong>in</strong><br />

anhand des Tupels (Gegenstand, Ziele)<br />

begründet, welches sich im Fall <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

h<strong>in</strong>reichend von dem<br />

<strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre unterscheidet.<br />

Die e<strong>in</strong>gesetzten Methoden und Verfahren<br />

spielen für die Frage <strong>der</strong> Eigenständigkeit<br />

h<strong>in</strong>gegen ke<strong>in</strong>e Rolle (vgl. He<strong>in</strong>rich<br />

et al. 2007, S. 13). Vielmehr muss e<strong>in</strong>e<br />

Diszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Methoden und<br />

Verfahren zur Erreichung <strong>der</strong> Ziele offen<br />

se<strong>in</strong>. Die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik schöpft<br />

hier traditionell aus dem Fundus <strong>der</strong><br />

Wirtschaftswissenschaften, speziell <strong>der</strong><br />

Betriebswirtschaftslehre, sowie natürlich<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus dem Fundus <strong>der</strong> Informatik,<br />

<strong>der</strong>en Gegenstand und Ziele auf<br />

Systeme zur computergestützten Informationsverarbeitung<br />

ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Da<br />

betriebliche Informationssysteme soziotechnische<br />

Systeme darstellen, kommen<br />

Methoden <strong>der</strong> Systemtheorie, <strong>der</strong> Kybernetik,<br />

<strong>der</strong> Organisationsforschung, <strong>der</strong><br />

Arbeitswissenschaften, <strong>der</strong> Kognitionswissenschaften,<br />

<strong>der</strong> Psychologie und <strong>der</strong><br />

Soziologie mit h<strong>in</strong>zu und werden vermutlich<br />

<strong>in</strong> Zukunft zunehmende Bedeutung<br />

erlangen.<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

In enger Auslegung <strong>ist</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

zweckfrei und dient ausschließlich<br />

dem Ziel <strong>der</strong> Wissensvermehrung,<br />

während die angewandte Forschung auf<br />

die Umsetzbarkeit <strong>der</strong> Erkenntnisse zur<br />

Lösung konkreter Anwendungsprobleme<br />

zielt. Diese enge Auslegung von <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>ist</strong> vermutlich nur <strong>in</strong><br />

wenigen Diszipl<strong>in</strong>en anwendbar. In wohl<br />

den me<strong>ist</strong>en Diszipl<strong>in</strong>en stehen mehr o<strong>der</strong><br />

weniger konkrete Anwendungsfel<strong>der</strong>,<br />

wenn auch nicht konkrete Anwendungen,<br />

im Mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong>,<br />

<strong>der</strong> im Übrigen auch immer die<br />

Möglichkeit des Scheiterns zugestanden<br />

werden muss. Auch die traditionell <strong>der</strong><br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> verpflichtete Deutsche<br />

Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft (2008, S. 31)<br />

unterstützt seit e<strong>in</strong>igen Jahren <strong>in</strong> allen<br />

För<strong>der</strong>verfahren den Erkenntn<strong>ist</strong>ransfer<br />

<strong>in</strong> die wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />

Anwendung.<br />

Die <strong>Grundlagenforschung</strong> im Bereich<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>ist</strong> im Wesentlichen<br />

als anwendungsorientierte <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

charakterisierbar. Ihr<br />

Ziel <strong>ist</strong> die Entwicklung von grundlegenden<br />

Theorien, Methoden und Verfahren<br />

zur Analyse, Gestaltung und Lenkung<br />

betrieblicher Informationssysteme.<br />

Häufig geht es dabei um die Integration<br />

und Weiterentwicklung von Erkenntnissen<br />

aus den Stammdiszipl<strong>in</strong>en Betriebswirtschaftslehre<br />

und Informatik. Entsprechend<br />

kann die <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

vielfach auch nur <strong>in</strong> Kooperation mit<br />

Stamm- und Nachbardiszipl<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvoll<br />

durchgeführt werden (zur Kooperation<br />

mit <strong>der</strong> Informatik vgl. Jarke 2009).<br />

Wichtige Forschungsfel<strong>der</strong> für <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

s<strong>in</strong>d (nach <strong>der</strong> subjektiven Sicht des<br />

Verfassers):<br />

jKonzeptuelle Modellierung: Ziel <strong>ist</strong><br />

die Entwicklung von grundlegenden<br />

Methoden und Verfahren zur Rekonstruktion<br />

betrieblicher Sachverhalte<br />

und Handlungen <strong>in</strong> Form von Modellen,<br />

welche die Analyse und Gestaltung<br />

des Informationssystems unterstützen.<br />

Wie <strong>in</strong> vielen Diszipl<strong>in</strong>en, so stellen<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

Modelle e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten methodischen<br />

Hilfsmittel dar.<br />

jArchitekturen: Die Komplexität<br />

betrieblicher Informationssysteme<br />

erfor<strong>der</strong>t grundlegendes und methodisch<br />

gesichertes Wissen zur Strukturierung<br />

und zum Management <strong>der</strong><br />

Architekturen dieser Systeme sowie<br />

zur architekturbasierten Integration<br />

von Teilsystemen. Aktuelle Teil-Forschungsfel<strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>d Unternehmensarchitekturen<br />

und serviceorientierte<br />

Architekturen.<br />

jGestaltung <strong>der</strong> Automatisierung<br />

betrieblicher Systeme: Hier muss man<br />

sich vor Augen führen, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Betriebswirtschaftslehre IT-Systeme<br />

vielfach konzeptuell als masch<strong>in</strong>elle<br />

Hilfsmittel für die menschliche Aufgabendurchführung<br />

betrachtet werden.<br />

Umgekehrt werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Informatik<br />

betriebliche Informationssysteme<br />

vielfach unter dem Blickw<strong>in</strong>kel<br />

e<strong>in</strong>es Anwendungsfeldes für IT-Systeme<br />

betrachtet – Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

als e<strong>in</strong>e (die größte) Angewandte<br />

Informatik. Beide Sichtweisen greifen<br />

<strong>in</strong> Bezug auf den Gegenstand und<br />

die Ziele <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu kurz. Spezifische <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>ist</strong><br />

notwendig, um Theorien und Modelle<br />

zur Automatisierung betrieblicher Systeme<br />

zu gew<strong>in</strong>nen. Hier kommt u. a.<br />

<strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Mensch-Computer-Schnittstelle<br />

unter E<strong>in</strong>beziehung<br />

arbeitswissenschaftlicher, organisationstheoretischer,<br />

kognitionswissenschaftlicher,<br />

psychologischer und<br />

soziologischer Erkenntnisse beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zu.<br />

In <strong>der</strong> Bearbeitung dieser Forschungsfel<strong>der</strong><br />

we<strong>ist</strong> die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

über die Jahrzehnte ihres Bestehens<br />

h<strong>in</strong>weg e<strong>in</strong>e beachtenswerte Konstanz<br />

auf. Dies steht im E<strong>in</strong>klang mit den<br />

Befunden e<strong>in</strong>er Delphi-Studie (He<strong>in</strong>zl et<br />

al. 2001), wonach Fragen <strong>der</strong> Architektur<br />

und <strong>der</strong> Beherrschung <strong>der</strong> Komplexität<br />

von Informationssystemen sowie <strong>der</strong><br />

Mensch-Masch<strong>in</strong>e-Schnittstellen zu den<br />

wichtigsten Erkenntniszielen <strong>der</strong> nächsten<br />

drei bzw. zehn Jahre gehören. Die von<br />

Mertens (2006) analysierten „Moden“ des<br />

Faches Wirtschafts<strong>in</strong>formatik betreffen<br />

dagegen eher nicht Fragen <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong>.<br />

Fazit<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>ist</strong> als eigenständige<br />

Diszipl<strong>in</strong> neben <strong>der</strong> angewandten<br />

Forschung auch <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

verpflichtet. Hierzu <strong>ist</strong> es notwendig, sich<br />

e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> längerfr<strong>ist</strong>ig stabilen Forschungsl<strong>in</strong>ien<br />

bewusst und an<strong>der</strong>erseits<br />

bezüglich <strong>der</strong> gewählten Methoden und<br />

Verfahren <strong>in</strong>novativ, offen und flexibel zu<br />

se<strong>in</strong>. Die Breite <strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong> sollte dabei<br />

als Chance begriffen werden und nicht zu<br />

ideologischen Richtungskämpfen führen.<br />

Kuriosität <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung darf nicht<br />

durch e<strong>in</strong>e standardisierte Beurteilung von<br />

Forschungsoutput unterdrückt werden.<br />

Prof. Dr. Elmar J. S<strong>in</strong>z<br />

Lehrstuhl für Wirtschafts<strong>in</strong>formatik,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Systementwicklung<br />

und Datenbankanwendung<br />

Universität Bamberg<br />

Literatur<br />

Deutsche Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft (2008) Perspektiven<br />

<strong>der</strong> Forschung und ihrer För<strong>der</strong>ung<br />

2007–2011. Wiley-VCH, We<strong>in</strong>heim<br />

Ferstl OK, S<strong>in</strong>z EJ (2008) Grundlagen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik,<br />

6. Aufl. Oldenbourg, München<br />

He<strong>in</strong>rich LJ, He<strong>in</strong>zl A, Roithmayr F (2007) Wirt-<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

schafts<strong>in</strong>formatik. E<strong>in</strong>führung und Grundlegung,<br />

3. Aufl. Oldenbourg, München<br />

He<strong>in</strong>zl A, König W, Hack J (2001) Erkenntnisziele<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>in</strong> den nächsten drei<br />

und zehn Jahren. WIRTSCHAFTSINFORMATIK<br />

43(3):223–233<br />

Jarke M (2009) Perspektiven <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Informatik. WIRTSCHAFTS-<br />

INFORMATIK 51(1)<br />

Mertens P (2006) Moden und Nachhaltigkeit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik. Arbeitspapier Nr.<br />

1/2006, Universität Erlangen-Nürnberg, Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

I<br />

Wöhe G, Dör<strong>in</strong>g U (2008) E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Betriebswirtschaftslehre, 23. Aufl. Vahlen,<br />

München<br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>eigentlich</strong><br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik?<br />

Die deutschsprachige Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

sche<strong>in</strong>t seit geraumer Zeit unter<br />

e<strong>in</strong>er Identitäts- und Profilierungskrise zu<br />

leiden. Auslöser dieser Krise <strong>ist</strong> vermutlich<br />

<strong>der</strong> verschärfte <strong>in</strong>ternationale Publikationswettbewerb,<br />

<strong>der</strong> vor allem auf dem<br />

„Markt“ führen<strong>der</strong> US-amerikanischer<br />

Fachzeitschriften des Information Systems<br />

Research ausgetragen wird. Angestachelt<br />

durch Vorgaben von Bildungspolitikern<br />

und Bildungstechnokraten, die deutsche<br />

Forschung im Allgeme<strong>in</strong>en – und somit<br />

auch die deutschsprachige Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

im Beson<strong>der</strong>en – müsse <strong>in</strong>ternational<br />

besser „sichtbar“ se<strong>in</strong>, besteht e<strong>in</strong><br />

erheblicher Druck, verstärkten Zugang zu<br />

den o. a. Fachzeitschriften zu erlangen.<br />

Dies trifft <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch auf Nachwuchswissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

und Nachwuchswissenschaftler<br />

zu, <strong>der</strong>en Chancen<br />

für e<strong>in</strong>e Karriere im real ex<strong>ist</strong>ierenden<br />

Wissenschaftsbetrieb erheblich davon<br />

abhängen, wie viele Publikationen sie <strong>in</strong><br />

solchen Fachzeitschriften, nach Möglichkeit<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> berühmt-berüchtigten<br />

„Triple-A-Journals“, platzieren können.<br />

<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>es Beitrags zur Rubrik<br />

„WI – Me<strong>in</strong>ung/Dialog“ sei es dem Verfasser<br />

nachgesehen, dass er <strong>in</strong> <strong>der</strong> gebotenen Kürze<br />

ke<strong>in</strong>e „ausgewogenen“ und entsprechend<br />

„differenzierten“ Argumente vorzutragen vermag,<br />

son<strong>der</strong>n zu „holzschnittartigen“, zuweilen sogar<br />

„provokativen“ Formulierungen neigt. Sie sollen<br />

zum Dialog, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zum Wi<strong>der</strong>spruch<br />

anregen. Darüber h<strong>in</strong>aus räumt <strong>der</strong> Verfasser von<br />

vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, dass er vorrangig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre<br />

verankert <strong>ist</strong>, sodass ihm E<strong>in</strong>schätzungen<br />

zur Wirtschafts<strong>in</strong>formatik nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Rolle als e<strong>in</strong> „<strong>in</strong>teressierter Zaungast“ möglich s<strong>in</strong>d.<br />

Sie können niemals „repräsentative“ o<strong>der</strong> „angemessene“<br />

Urteile wie aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Insi<strong>der</strong>s<br />

darstellen, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaftlergeme<strong>in</strong>de<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik fest verankert <strong>ist</strong>.<br />

Angesichts dieser Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

wird es als schmerzlich empfunden,<br />

dass deutschsprachige Wirtschafts<strong>in</strong>formatiker<strong>in</strong>nen<br />

und Wirtschafts<strong>in</strong>formatiker<br />

oftmals erleben müssen, mit<br />

ihren Forschungsarbeiten von den Herausgebern<br />

und Referees <strong>der</strong> führenden<br />

US-amerikanischen Fachzeitschriften<br />

des Information Systems Research abgelehnt<br />

zu werden, weil ihre Beitragsangebote<br />

– angeblich o<strong>der</strong> tatsächlich – nicht<br />

dem State of the Art entsprechen würden.<br />

In <strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

wird weith<strong>in</strong> die Überzeugung<br />

geteilt, dass die Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>de<br />

des Information Systems Research von<br />

e<strong>in</strong>er unreflektierten und e<strong>in</strong>seitigen<br />

wissenschaftstheoretischen Ausrichtung<br />

geprägt sei, die <strong>in</strong> „szient<strong>ist</strong>ischer“<br />

Anlehnung an „Vorbil<strong>der</strong>“ naturwissenschaftlicher<br />

Forschung quantitativ-empirische<br />

Analysen e<strong>in</strong>deutig bevorzuge. Beiträge<br />

<strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik,<br />

die oftmals e<strong>in</strong>e konstruktive<br />

und evaluative Ausrichtung besitzen<br />

(Konstruktion von Software-Prototypen<br />

sowie Evaluation ihrer Vor- und Nachteile<br />

unter betrieblichen Anwedungsbed<strong>in</strong>gungen),<br />

besäßen vor diesem H<strong>in</strong>tergrund<br />

kaum Chancen auf dem <strong>in</strong>ternationalen,<br />

d. h. vor allem US-amerikanischen,<br />

Publikationsmarkt.<br />

E<strong>in</strong>e erste Antwort auf diese Situationsdiagnose<br />

besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er radikalen<br />

Anpassung an die Usancen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

an die wissenschaftstheoretischen<br />

„Vorgaben“ des US-amerikanisch<br />

geprägten Information Systems Research.<br />

Diese radikale Anpassungsstrategie lässt<br />

Erfolge h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

„Sichtbarkeit“ erwarten, bedeutet aber<br />

den Identitätsverlust e<strong>in</strong>er eigenständigen<br />

deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik.<br />

Daher wird <strong>in</strong> weiten Kreisen <strong>der</strong><br />

deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

auch e<strong>in</strong>e Alternative als zweite Antwort<br />

auf die „<strong>in</strong>ternationale“, d. h. <strong>eigentlich</strong><br />

US-amerikanische, Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

verfolgt. Diese Antwortalternative besteht<br />

dar<strong>in</strong>, beson<strong>der</strong>en Wert auf die <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu legen. Die <strong>Grundlagenforschung</strong>, die<br />

nicht nur, aber vor allem <strong>in</strong> wissenschaftstheoretischer<br />

Perspektive wesentlich breiter<br />

(vor allem plural<strong>ist</strong>ischer) und tiefer als<br />

das Information Systems Research aufgestellt<br />

<strong>ist</strong>, soll <strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

e<strong>in</strong>e eigenständige Identität<br />

verleihen und sie zugleich gegenüber<br />

dem quantitativ-empirisch „verengten“,<br />

aus wissenschaftstheoretischer Perspektive<br />

oftmals als oberflächlich empfundenen<br />

Information Systems Research profilieren.<br />

Im Folgenden wird ausschließlich<br />

aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> zweiten Antwortalternative<br />

argumentiert.<br />

Wenn den zuvor skizzierten E<strong>in</strong>schätzungen<br />

zugestimmt wird, sollte seitens<br />

<strong>der</strong> (deutschsprachigen) Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

die <strong>Grundlagenforschung</strong> auf<br />

ke<strong>in</strong>en Fall ihren Referenzdiszipl<strong>in</strong>en wie<br />

Informatik und Betriebswirtschaftslehre<br />

überlassen werden. Stattdessen stellt die<br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

e<strong>in</strong> willkommenes Instrument<br />

dar, das zur Identitätsbildung und Profilierung<br />

gegenüber dem konkurrierenden<br />

Information Systems Research maßgeblich<br />

beizutragen vermag. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

sollten Vertreter <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

nicht darauf hoffen, dass seitens<br />

Informatik und Betriebswirtschaftslehre<br />

diejenigen Grundlagen erforscht werden,<br />

die für die Erfahrungs- und Erkenntnisobjekte<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik von<br />

beson<strong>der</strong>em Interesse s<strong>in</strong>d, wie z. B. für<br />

Modellierungssprachen und Referenzmodelle.<br />

Es bleibt Aufgabe <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik,<br />

sich selbst um die Erforschung<br />

dieser Grundlagen zu kümmern und nicht<br />

nur auf „angewandte“ – und somit drittmittelträchtige<br />

– Forschung zu setzen.<br />

Wenn die Ansicht geteilt wird, die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

solle sich selbst um die<br />

Erforschung ihrer Grundlagen kümmern,<br />

erhebt sich die Anschlussfrage, worauf<br />

sich e<strong>in</strong>e solche <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

erstrecken sollte. Diese Frage lässt sich<br />

von e<strong>in</strong>em „Zaungast“ nicht abschließend<br />

beantworten, son<strong>der</strong>n muss dem Diskurs<br />

<strong>der</strong> Fachwissenschaftler<strong>in</strong>nen und<br />

Fachwissenschaftler vorbehalten bleiben.<br />

Aus <strong>der</strong> Perspektive e<strong>in</strong>es Außenstehenden<br />

bieten sich grundsätzlich zwei unterschiedliche<br />

Ansätze an, die jedoch ke<strong>in</strong>eswegs<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> konkurrieren müssen,<br />

son<strong>der</strong>n sich auch ergänzen können.<br />

E<strong>in</strong>erseits <strong>ist</strong> es möglich, die Grundlagen<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>in</strong> den wissenschaftstheoretischen<br />

„Vorentscheidungen“<br />

zu verorten, die im sogenannten Basisbereich<br />

e<strong>in</strong>er jeden Wissenschaft getroffen<br />

werden (müssen). Über wissenschaftstheoretische<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

<strong>ist</strong> an an<strong>der</strong>en Stellen schon viel<br />

geschrieben worden. Dazu gehören vor<br />

allem ontologische, ep<strong>ist</strong>emologische und<br />

methodologische Basisentscheidungen.<br />

Die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik kann sich <strong>in</strong><br />

dieser H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong>ternational profilieren,<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

<strong>in</strong>dem sie nicht e<strong>in</strong>seitig auf e<strong>in</strong> quantitativ-empirisches<br />

Methodenideal setzt,<br />

das oftmals mit e<strong>in</strong>em naiv anmutenden<br />

ep<strong>ist</strong>emologischen Realismus komb<strong>in</strong>iert<br />

auftritt, son<strong>der</strong>n auch alternative wissenschaftstheoretische<br />

Grundsatzpositionen<br />

zulässt. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>ist</strong> es <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

möglich, durch e<strong>in</strong>en<br />

wissenschaftstheoretischen Pluralismus<br />

e<strong>in</strong>e eigene Identität zu entwickeln und<br />

sich dadurch vom methodenfokussierten<br />

Monismus des Information Systems<br />

Research abzuheben.<br />

An<strong>der</strong>erseits kann versucht werden,<br />

identitätsstiftende Grundlagen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

durch e<strong>in</strong>en „common<br />

body of theories“ zu schaffen. Dazu wäre<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Anzahl fundamentaler Theorien<br />

erfor<strong>der</strong>lich, die sich als h<strong>in</strong>reichend<br />

„abstrakt“ o<strong>der</strong> „allgeme<strong>in</strong>“ erweisen, um<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same theoretische Basis für die<br />

breite Vielfalt von – vornehmlich anwendungsorientierten<br />

– Forschungsbeiträgen<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik darstellen<br />

zu können. Als Kandidaten für e<strong>in</strong>e solche<br />

theoretische Basis werden des Öfteren<br />

die Systemtheorie und die Organisationstheorie<br />

genannt. Der Verfasser <strong>ist</strong> äußerst<br />

skeptisch gegenüber solchen Versuchen,<br />

für die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik e<strong>in</strong> <strong>der</strong>art<br />

„verb<strong>in</strong>dliches“ Theorien-Fundament zu<br />

identifizieren. Für diese Skepsis sprechen<br />

im Wesentlichen zwei Gründe.<br />

Erstens lassen sich erhebliche Zweifel<br />

äußern, ob die beiden vorgenannten Theorien<br />

für e<strong>in</strong>en „common body of theories“<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik geeignet<br />

s<strong>in</strong>d. „Die“ Organisationstheorie ex<strong>ist</strong>iert<br />

streng genommen überhaupt nicht. Vielmehr<br />

zerfällt sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Vielzahl von mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

konkurrierenden Theorievarianten,<br />

die sich oftmals h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

ontologischen, ep<strong>ist</strong>emologischen und<br />

methodologischen Basisentscheidungen<br />

deutlich vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterscheiden.<br />

Angesichts e<strong>in</strong>er solchen Heterogenität<br />

kommt we<strong>der</strong> „die“ Organisationstheorie<br />

als Ganzes noch e<strong>in</strong>e partikuläre Theorievariante<br />

für e<strong>in</strong> identitätsstiftendes, theoretisches<br />

Fundament <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

<strong>in</strong> Betracht. „Die“ Systemtheorie<br />

stellt zwar auch ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Theorie<br />

dar. Aber immerh<strong>in</strong> lässt sich e<strong>in</strong> systemtheoretisches<br />

Vokabular identifizieren,<br />

das den me<strong>ist</strong>en Varianten „<strong>der</strong>“ Systemtheorie<br />

geme<strong>in</strong>sam zugrunde liegt.<br />

Es besitzt den Vorzug, auf e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>art<br />

hohen Abstraktionsebene angesiedelt zu<br />

se<strong>in</strong>, dass es sich auf e<strong>in</strong>e große Vielfalt<br />

objektwissenschaftlicher Erfahrungs- und<br />

Erkenntnisobjekte anwenden lässt. H<strong>in</strong>zu<br />

kommt, dass die Systemtheorie aus wissenschaftstheoretischer<br />

Perspektive e<strong>in</strong>e<br />

Strukturwissenschaft darstellt. Sie kann<br />

auf alle Realwissenschaften angewendet<br />

werden, die sich darauf e<strong>in</strong>lassen, die für<br />

sie relevanten Realitätsausschnitte mit den<br />

sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Systemtheorie zu „begreifen“. Daher<br />

könnte die Systemtheorie zum<strong>in</strong>dest h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihres Vokabulars als e<strong>in</strong>heitsstiftendes,<br />

identitätsbildendes Fundament<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik <strong>in</strong> Betracht<br />

gezogen werden. Dennoch lassen sich<br />

gegenüber diesem Ans<strong>in</strong>nen gravierende<br />

Bedenken äußern, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> hier gebotenen<br />

Kürze nur kurz gestreift werden können.<br />

E<strong>in</strong>erseits <strong>ist</strong> fraglich, ob das systemtheoretisch<br />

etablierte Vokabular ausreicht,<br />

um „alle“ Erkenntnisobjekte <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu umfassen. Denn die<br />

Systemtheorie <strong>ist</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „Denk- und<br />

Argumentationsmuster“ verhaftet, das<br />

auf Begrifflichkeiten wie Elemente, Attribute<br />

von Elemente sowie Relationen zwischen<br />

Elementen fokussiert <strong>ist</strong>. Damit lassen<br />

sich vor allem Strukturen von Systemen<br />

sprachlich umfassend beschreiben.<br />

Aber diese Begrifflichkeiten bieten nur<br />

wenig Entfaltungsmöglichkeiten, um<br />

an<strong>der</strong>e Sachverhalte ebenso elegant und<br />

vollständig zu erfassen. Dazu gehören<br />

beispielsweise auf <strong>der</strong> Objektebene Prozesse<br />

(„Geschäftsprozesse“), die <strong>in</strong> gegebenen<br />

Systemstrukturen ausgeführt werden,<br />

sowie auf <strong>der</strong> Metaebene Sprachen,<br />

mit <strong>der</strong>en Hilfe Systeme e<strong>in</strong>schließlich<br />

ihrer Strukturen und Prozesse modelliert<br />

werden.<br />

Zweitens hält es <strong>der</strong> Verfasser für grundsätzlich<br />

verfehlt, e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitsstiftendes,<br />

identitätsbildendes Fundament <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

<strong>in</strong> bestimmten Theorien<br />

suchen zu wollen. Denn jede solche<br />

Theorie <strong>ist</strong> mit Entscheidungen („Vorurteilen“)<br />

<strong>in</strong> ihrem Basisbereich verknüpft,<br />

die das Erkenntnispotenzial <strong>der</strong> betroffenen<br />

Theorie von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>schränken.<br />

E<strong>in</strong>e erkenntnisoffene, plural<strong>ist</strong>isch<br />

angelegte Wirtschafts<strong>in</strong>formatik zeichnet<br />

sich – auch <strong>in</strong> bewusster Profilierung<br />

gegenüber dem Information Systems<br />

Research – dadurch aus, dass ke<strong>in</strong>e A-priori-Festlegung<br />

auf „bevorzugte“ theoretische<br />

Fundamente erfolgt. Vielmehr sollten<br />

unterschiedlichste Theorien mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

konkurrieren.<br />

Diese Theorienkonkurrenz kann sich<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e darauf erstrecken, entwe<strong>der</strong><br />

Erklärungen für Sachverhalte zu liefern,<br />

die als „<strong>in</strong>teressant“ o<strong>der</strong> als „problematisch“<br />

empfunden werden und z. B.<br />

als „stylized facts“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>de<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik aufbereitet<br />

wurden, o<strong>der</strong> „technologisches“<br />

Wissen über Wirkungszusammenhänge<br />

bereitzustellen, die sich für die Konstruktion<br />

von Artefakten <strong>der</strong> Informationsund<br />

Kommunikationstechnik nutzen<br />

lassen. Aus dieser erklärungs- bzw. konstruktionsorientierten<br />

Perspektive wäre<br />

es verfehlt, bestimmte Theorien für die<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik als „fundamental“<br />

auszuzeichnen. Stattdessen <strong>ist</strong> neben dem<br />

Methodenpluralismus, <strong>der</strong> von mehreren<br />

Vertretern <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

propagiert wird, auch e<strong>in</strong> Theorienpluralismus<br />

zu for<strong>der</strong>n. Denn die Konkurrenz<br />

zwischen alternativen Theorien lässt es<br />

am ehesten erwarten, wissenschaftlichen<br />

Fortschritt durch verbesserte Erklärungsbzw.<br />

Gestaltungsle<strong>ist</strong>ungen auf theoretischem<br />

Fundament zu erzielen.<br />

Selbst dann, wenn e<strong>in</strong>e Fokussierung<br />

auf bestimmte Theorien (o<strong>der</strong> Familien<br />

von Theorievarianten) im Interesse e<strong>in</strong>es<br />

Theorienpluralismus abgelehnt wird,<br />

könnte erwogen werden, e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Art von Theorien für die Identitätsstiftung<br />

und Profilierung <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu empfehlen. Hierfür kommen<br />

vor allem formalsprachlich verfasste Theorien<br />

<strong>in</strong> Betracht. Zugunsten dieser Formalisierungspräferenz<br />

spricht, dass angesichts<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Dom<strong>in</strong>anz des<br />

Information Systems Research mit se<strong>in</strong>em<br />

quantitativ-empirisch ausgerichteten Forschungsdesign,<br />

das von vorn here<strong>in</strong> auf<br />

Quantifizierungen und damit e<strong>in</strong>hergehende<br />

Formalisierungen ausgelegt <strong>ist</strong>,<br />

weitgehende Formalisierungen von theoretischen<br />

Arbeiten <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

am ehesten darauf hoffen können,<br />

<strong>in</strong>ternationale Resonanz zu erfahren.<br />

Der Verfasser bekennt, dass er selbst<br />

e<strong>in</strong>e große Vorliebe für (weitgehend) formalsprachlich<br />

verfasste Theorien hegt.<br />

Die Formalisierung von Theorien bietet<br />

m<strong>in</strong>destens drei bedeutsame Vorteile.<br />

Erstens <strong>ist</strong> Formalisierung mit dem „heilsamen<br />

Zwang“ verknüpft, das tatsächlich<br />

Geme<strong>in</strong>te explizit und präzise darzulegen<br />

– und sich nicht auf ebenso „bedeutungsschwangere“<br />

wie vieldeutige Formulierungen<br />

<strong>der</strong> natürlichen Sprache zurückzuziehen.<br />

Zweitens besitzen formale<br />

Sprachen, wie z. B. die Prädikatenlogik<br />

(1. Stufe) als L<strong>in</strong>gua franca <strong>der</strong> Wissenschaftstheorie,<br />

den Vorzug „<strong>in</strong>ternationaler<br />

Verständlichkeit“. Sie unterliegen also<br />

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WI – MEINUNG/DIALOG<br />

nicht dem „bias“, dass wissenschaftliche<br />

Beiträge, die von ke<strong>in</strong>em „native speaker“<br />

des anglophonen Sprachraums verfasst<br />

wurden, von vornhere<strong>in</strong> mit Sprachbarrieren<br />

zu kämpfen haben. Drittens können<br />

formalsprachlich verfasste Theorien<br />

wesentlich e<strong>in</strong>facher h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Fort- o<strong>der</strong> Rückschrittlichkeit mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

verglichen werden, als es für natürlichsprachliche<br />

Theorieformulierungen<br />

möglich wäre. H<strong>in</strong>sichtlich dieses Aspekts<br />

des Theorienvergleichs wird vor allem auf<br />

das wissenschaftstheoretische Konzept<br />

des Non Statement View bzw. Strukturalismus<br />

verwiesen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ebenso detailreiche<br />

wie strenge Beurteilung <strong>der</strong> Forto<strong>der</strong><br />

Rückschrittlichkeit von Theorien <strong>in</strong><br />

sogenannten Theoriennetzen erlaubt – bis<br />

h<strong>in</strong> zur Feststellung <strong>der</strong> Inkommensurabilität<br />

von Theorien.<br />

Trotz dieser unbestreitbaren Vorteile<br />

e<strong>in</strong>er weitgehenden Formalisierung von<br />

Theorien <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik sei<br />

davor gewarnt, <strong>in</strong> formalsprachlich verfassten<br />

Theorien e<strong>in</strong> „Heilmittel“ für alle<br />

drängenden Fragen <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zu sehen. E<strong>in</strong>erseits lassen sich<br />

gravierende wissenschaftstheoretische<br />

Argumente für die Überzeugung anführen,<br />

dass es unmöglich <strong>ist</strong>, alle „wichtigen“<br />

Aspekte e<strong>in</strong>er Theorie re<strong>in</strong> formalsprachlich<br />

auszudrücken. Dazu gehört<br />

beispielsweise die Notwendigkeit, mittels<br />

natürlichsprachlicher Korrespondenzregeln<br />

(o<strong>der</strong> Äquivalenten) Beziehungen<br />

zwischen den formalsprachlichen Konstrukten<br />

e<strong>in</strong>er Theorie und den „betroffenen“<br />

realen Sachverhalten aus ihrem<br />

<strong>in</strong>tendierten Anwendungsbereich herzustellen.<br />

H<strong>in</strong>zu kommen grundsätzliche<br />

wissenschaftstheoretische E<strong>in</strong>sichten wie<br />

das Löwenheim-Skolem-Theorem (Putnam<br />

1980, S. 464 ff; Qu<strong>in</strong>e 2003, S. 75 ff;<br />

Stegmüller und von Kibéd 1984, S. 222 ff,<br />

264 f, 267 f, 440 f). Sie lassen es als unmöglich<br />

ersche<strong>in</strong>en, den <strong>in</strong>tendierten Anwendungsbereich<br />

e<strong>in</strong>er Theorie jemals mit<br />

re<strong>in</strong> formalsprachlichen Ausdrucksmitteln<br />

vollständig zu spezifizieren.<br />

Abschließend wird die Frage aufgegriffen,<br />

mit welchen Themen sich die Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zukünftig – eventuell<br />

unter Fortführung bereits bearbeiteter<br />

Forschungsthemen – befassen sollte, um<br />

sich im <strong>in</strong>ternationalen Publikationswettbewerb<br />

Erfolg versprechend zu positionieren,<br />

und <strong>in</strong> welcher H<strong>in</strong>sicht die <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

zur Bearbeitung solcher Themen beitragen<br />

könnte. Der Verfasser fühlt sich<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, solche Themen zu identifizieren.<br />

Dazu s<strong>in</strong>d Delphi-Studien, wie<br />

sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachzeitschrift WIRTSCHAFTS-<br />

INFORMATIK bereits mehrfach durchgeführt<br />

wurden, weitaus besser geeignet.<br />

O<strong>der</strong> es mag auf die Weitsicht von „WI-<br />

Gurus“ vertraut werden, die auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>de <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

bekannt s<strong>in</strong>d. Auf beide<br />

Aspekte wird im Folgenden nicht weiter<br />

e<strong>in</strong>gegangen. Stattdessen wird auf <strong>der</strong><br />

„Metaebene“ die Frage angerissen, wie<br />

sich objektwissenschaftliche Forschungsthemen<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik identifizieren<br />

lassen, die für die zukünftige Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik von<br />

beson<strong>der</strong>em Interesse se<strong>in</strong> könnten. Der<br />

Verfasser empfiehlt hierfür das wissenschaftstheoretische<br />

Konzept <strong>der</strong> „stylized<br />

facts“, das bereits an früherer Stelle kurz<br />

angesprochen wurde.<br />

„Stylized facts“ stellen Sachverhalte<br />

dar, die von kont<strong>in</strong>genten E<strong>in</strong>zelfällen so<br />

weit abstrahieren, dass sie <strong>in</strong> zahlreichen<br />

Situationen beobachtet werden können.<br />

Zugleich „reduzieren“ sie das Beobachtungsmaterial<br />

auf jene Aspekte, die aus<br />

theoretischer Perspektive e<strong>in</strong>er überzeugenden<br />

Erklärung bedürfen und nicht<br />

auf das Erklärungs<strong>in</strong>teresse e<strong>in</strong>er speziellen<br />

Theorie beschränkt s<strong>in</strong>d. Seitens <strong>der</strong><br />

<strong>Grundlagenforschung</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

müsste also versucht werden,<br />

Problemstellungen zu identifizieren, die<br />

nicht nur <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er speziellen Theorie<br />

als <strong>in</strong>teressant ersche<strong>in</strong>en, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> gesamten Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik auf größere<br />

Resonanz stoßen. Bibliometrische Analysen<br />

zu relativ häufig thematisierten Forschungsthemen<br />

könnten <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht<br />

wertvolle E<strong>in</strong>sichten vermitteln.<br />

Wenn es <strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

gelänge, sich auf e<strong>in</strong>en Kanon solcher<br />

„stylized facts“ zu verständigen, besäße<br />

sie e<strong>in</strong>e wohldef<strong>in</strong>ierte Menge von „erforschungswürdigen“<br />

Sachverhalten. Dies<br />

wäre <strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht zu begrüßen.<br />

E<strong>in</strong>erseits wäre es zur Beurteilung <strong>der</strong><br />

Fort- o<strong>der</strong> Rückschrittlichkeit von Theorien<br />

hilfreich, das Erklärungs- o<strong>der</strong> Prognosepotenzial<br />

dieser Theorien auf e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same Basis – die „stylized facts“ –<br />

beziehen zu können. An<strong>der</strong>erseits besäße<br />

die deutschsprachige Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

e<strong>in</strong>en Wettbewerbsvorteil gegenüber<br />

ihrem US-amerikanischen Pendant,<br />

dem Information Systems Research.<br />

Denn im Information Systems Research<br />

wird nahezu jede Fragestellung – sei sie<br />

auch noch so trivial – mit dem „geballten“<br />

Instrumentarium quantitativ-empirischer<br />

Methoden untersucht. Demgegenüber<br />

würde sich die deutschsprachige<br />

Wirtschafts<strong>in</strong>formatik dadurch auszeichnen,<br />

e<strong>in</strong>e Analyse nicht schon dann als<br />

wissenschaftlich gehaltvoll anzuerkennen,<br />

wenn sie mit dem etablierten methodischen<br />

Instrumentarium durchgeführt<br />

wurde („Methodenfetischismus“). Vielmehr<br />

würde es als e<strong>in</strong> Qualitätsmerkmal<br />

<strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

gelten, dass sie sich primär mit<br />

solchen Forschungsfragen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzt,<br />

die durch e<strong>in</strong>e vorangehende Verständigung<br />

auf erforschungswerte „stylized<br />

facts“ als beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressant ausgezeichnet<br />

wurden.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs <strong>ist</strong> <strong>der</strong> Verfasser nicht so<br />

„blauäugig“ anzunehmen, dass e<strong>in</strong>e Verständigung<br />

auf erforschungswerte „stylized<br />

facts“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaftsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

problemlos herbeigeführt<br />

werden könnte. Vielmehr <strong>ist</strong> damit zu<br />

rechnen, dass unterschiedliche „Schulen“<br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik – im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

„Paradigmen“ von Kuhn (Kuhn 2003; vgl.<br />

auch Feyerabend 1974; Hoyn<strong>in</strong>gen-Huene<br />

1989) – darauf dr<strong>in</strong>gen werden, diejenigen<br />

Themen als erforschungswerte „stylized<br />

facts“ durchzusetzen, die ihren eigenen<br />

Forschungsvorlieben entsprechen. Dieser<br />

wissenschaftssoziologische „Prov<strong>in</strong>zialismus“<br />

steht e<strong>in</strong>em schlagkräftigen Auftreten<br />

<strong>der</strong> deutschsprachigen Wirtschafts<strong>in</strong>formatik<br />

im <strong>in</strong>ternationalen Publikationswettbewerb<br />

entgegen. Dies <strong>ist</strong> aber<br />

e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Problem, das mit den hier<br />

erörterten Aspekten <strong>der</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>der</strong> Wirtschafts<strong>in</strong>formatik nur<br />

noch wenig geme<strong>in</strong>sam hat.<br />

Literatur<br />

Prof. Dr. Stephan Zelewski<br />

Institut für Produktion und Industrielles<br />

Informationsmanagement<br />

Universität Duisburg-Essen<br />

Feyerabend PK (1974) Kuhns Struktur wissenschaftlicher<br />

Revolution – e<strong>in</strong> Trostbüchle<strong>in</strong> für<br />

Spezial<strong>ist</strong>en? In: Lakatos I, Musgrave A (Hrsg)<br />

Kritik und Erkenntnisfortschritt, Abhandlungen<br />

des Internationalen Kolloquiums über<br />

die Philosophie <strong>der</strong> Wissenschaft. London<br />

1965. Band 4. Vieweg, Wiesbaden, S 191–222<br />

Hoyn<strong>in</strong>gen-Huene P (1989) Die Wissenschaftsphilosophie<br />

Thomas S. Kuhns – Rekonstruktion<br />

und Grundlagenprobleme. Vieweg, Wiesbaden<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

Kuhn TS (2003) Die Struktur wissenschaftlicher<br />

Revolutionen. Son<strong>der</strong>ausgabe. Suhrkamp,<br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

Putnam H (1980) Models and reality. The Journal<br />

of Symbolic Logic 45(3):464–482<br />

Qu<strong>in</strong>e WVO (2003) Ontologische Relativität und<br />

an<strong>der</strong>e Schriften. Klostermann, Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong><br />

Stegmüller W, von Kibéd MV (1984) Probleme<br />

und Resultate <strong>der</strong> Wissenschaftstheorie und<br />

Analytischen Philosophie. Band III: Strukturtypen<br />

<strong>der</strong> Logik. Spr<strong>in</strong>ger, Heidelberg<br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Grundlagenforschung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Information-Systems-<br />

Forschung? – E<strong>in</strong>e Diskussion<br />

Als me<strong>in</strong>en Beitrag zu dieser Diskussion<br />

möchte ich vorschlagen, dass wir die<br />

wissenschaftlichen und <strong>in</strong>genieurtechnischen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Information-<br />

Systems(IS)-Forschung überdenken. Wir<br />

nehmen wahr, dass software<strong>in</strong>tensive<br />

Informationssysteme nahezu jeden<br />

Bereich des menschlichen Lebens<br />

revolutioniert haben. Dennoch führt<br />

e<strong>in</strong> Mangel an wissenschaftlichen und<br />

<strong>in</strong>genieurtechnischen Grundlagen sowie<br />

e<strong>in</strong> unberechenbares betriebliches Umfeld<br />

zu hohem Ausfallrisiko, Sicherheitsverletzungen<br />

und Anwen<strong>der</strong>unzufriedenheit.<br />

Wir haben e<strong>in</strong> kritisches Stadium erreicht.<br />

Während <strong>in</strong>krementelle Verbesserungen<br />

bestehen<strong>der</strong> Ideen und Artefakte e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Richtung vorgeben, hat die<br />

Forschung bisher den Wendepunkt noch<br />

nicht gefunden, an dem e<strong>in</strong>e neue Art des<br />

Denkens das Fachgebiet <strong>in</strong> vollkommen<br />

neue und transformative Richtungen<br />

vorwärts br<strong>in</strong>gt. Mutige neue Systemkonzeptualisierungen<br />

s<strong>in</strong>d notwendig – von<br />

grundlegenden Gestaltungs-, Weiterentwicklungs-<br />

und Anpassungskonzepten<br />

bis h<strong>in</strong> zu fortgeschrittenen Systemen, die<br />

menschliche und masch<strong>in</strong>elle Fähigkeiten<br />

nahtlos <strong>in</strong>tegrieren. Neue Technologien<br />

wie Mehrkernprozessoren, Pervasive und<br />

Mobile Comput<strong>in</strong>g sowie autonome Anwendungen<br />

(z. B. automatisierte Medikamentenliefersysteme<br />

und Landesysteme<br />

<strong>in</strong> Flugzeugen) machen neues Denken<br />

noch dr<strong>in</strong>glicher.<br />

E<strong>in</strong> möglicherweise radikaler Ansatz<br />

zum Überdenken <strong>der</strong> IS-Grundlagen<br />

besteht dar<strong>in</strong>, mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Menge<br />

an <strong>in</strong>tellektuellen Treibern des Systemdenkens<br />

zu beg<strong>in</strong>nen und dann e<strong>in</strong> tiefgehendes<br />

Verständnis für diese Treiber<br />

auf reale Probleme mittels IS-Forschung<br />

anzuwenden. Ausgehend von me<strong>in</strong>er<br />

Erfahrung als gestaltungsorientierter Forscher<br />

und Berater <strong>in</strong> vielen Industrieprojekten<br />

denke ich, dass die folgenden drei<br />

Systemkonzepte die größten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

und Möglichkeiten für transformative<br />

IS-Forschung bieten: Komplexität,<br />

Komposition und Kontrolle.<br />

Die Beherrschung von Komplexität<br />

(technisch, menschlich und gesellschaftlich)<br />

im Rahmen von Entwicklung,<br />

Betrieb und Weiterentwicklung software<strong>in</strong>tensiver<br />

Systeme stellt e<strong>in</strong>e vorrangige<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung dar. Forschung zum<br />

Überdenken <strong>der</strong> Komplexität von Informationssystemen<br />

kann durch Vorbil<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en Wissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en, sowohl<br />

Natur- als auch Sozialwissenschaften,<br />

<strong>in</strong>spiriert werden. Man denke beispielsweise<br />

an die Entwicklung von IS-Artefakten,<br />

die bei hoher Komplexität genauso<br />

robust s<strong>in</strong>d wie biologische Organismen.<br />

Die Gestaltung von Modellen und Methoden<br />

für die Beherrschung von Komplexität<br />

erfor<strong>der</strong>t kreative Ideen für neue Abstraktionen,<br />

Darstellungen und Sprachen<br />

<strong>der</strong> Informationstechnologie (IT).<br />

Das Überdenken von Komplexität wird<br />

zwangsläufig dazu führen, dass Eigenschaften<br />

von IT-Artefakten an<strong>der</strong>s wahrgenommen<br />

werden. Aktuell geht man<br />

davon aus, dass, sofern e<strong>in</strong>e genaue Systemspezifikation<br />

im Voraus formuliert<br />

werden kann, natürlich e<strong>in</strong> den Stakehol<strong>der</strong>-Bedürfnissen<br />

entsprechendes System<br />

resultieren wird. E<strong>in</strong>e solche Annahme<br />

<strong>ist</strong> falsch, wenn Systeme komplex genug<br />

werden, um zu unerwartetem und emergentem<br />

Verhalten und Eigenschaften <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stabilen betrieblichen Umgebung<br />

zu führen. Software<strong>in</strong>tensive Informationssysteme<br />

unterliegen e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />

<strong>in</strong>kons<strong>ist</strong>enter, wi<strong>der</strong>sprüchlicher und<br />

nur teilweise verstandener Ziele mehrerer<br />

Akteure <strong>in</strong> Bezug auf Verhalten und<br />

Eigenschaften, wie z. B. Le<strong>ist</strong>ung, Zuverlässigkeit,<br />

Sicherheit, Nutzerfreundlichkeit<br />

und Nachhaltigkeit. Während Model-<br />

Check<strong>in</strong>g-Technologien e<strong>in</strong>ige nützliche<br />

Formen <strong>der</strong> Qualitätssicherung für Systeme<br />

bereitstellen, s<strong>in</strong>d neue Wege bzgl.<br />

Verständnis und Konzeptualisierung, wie<br />

Eigenschaften von Informationssystemen<br />

gemessen und bewertet werden können,<br />

erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Der Kern <strong>der</strong> Gestaltung und Entwicklung<br />

software<strong>in</strong>tensiver Informationssysteme<br />

<strong>ist</strong> die Komposition von Gesamtsystemen<br />

aus Komponenten, die von verschiedenen<br />

Akteuren <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Sprachen und anhand verschiedener<br />

Spezifikationen entwickelt werden können.<br />

Mashups s<strong>in</strong>d Beispiele für <strong>in</strong>novative<br />

Ansätze, verschiedene Software- und<br />

Informationskomponenten zusammenzusetzen.<br />

E<strong>in</strong> zusammengesetztes System<br />

muss <strong>in</strong> geeigneter Weise mit e<strong>in</strong>er komplexen,<br />

unsicheren Umwelt <strong>in</strong>teragieren<br />

und dem Gesamtsystem muss vertraut<br />

werden können. Dieses Konzept setzt voraus,<br />

dass Informationssystem-Implementierungen<br />

domänenspezifische Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />

den <strong>in</strong>tendierten Verwendungszweck<br />

sowie die zugrundeliegende Bas<strong>ist</strong>echnologie<br />

(Hardware und Software)<br />

berücksichtigen. Die erfolgreiche Identifizierung<br />

nützlicher Eigenschaften von<br />

Informationssystemen muss sich dabei<br />

auf die relevanten Diszipl<strong>in</strong>en beziehen.<br />

Wir brauchen neue Abstraktions-, Strukturierungs-,<br />

Verhaltens- und Konfigurationstheorien<br />

sowie neue Logiken, um<br />

große Systeme zur Unterstützung effizienter<br />

und nachhaltiger komponentenorientierter<br />

Entwicklungsansätze darstellen<br />

und untersuchen zu können. Neue<br />

Komplexitäts- und Kompositionstheorien<br />

s<strong>in</strong>d erfor<strong>der</strong>lich, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art und<br />

Weise über Skalierbarkeit zu diskutieren,<br />

die empirisch überprüft werden kann.<br />

E<strong>in</strong>e Schlüsselherausfor<strong>der</strong>ung wird se<strong>in</strong>,<br />

klare, nützliche und durchgängige Eigenschaften<br />

und Modelle zu identifizieren,<br />

die sich über Hard- und Softwaretechnologie-Plattformen,<br />

Problemdomäne,<br />

Nutzer<strong>in</strong>teraktion und Nutzungskontext<br />

erstrecken.<br />

Steuerung und Kontrolle von Informationssystemen<br />

<strong>ist</strong> <strong>in</strong> Umgebungen<br />

mit Software und Daten unterschiedlicher<br />

Herkunft, wie zum Beispiel Open-<br />

Source-Communitys und dynamischen<br />

Lieferketten, immer mehr zur Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

geworden. In solchen Szenarien<br />

betreffen Anfor<strong>der</strong>ungen an dynamische<br />

Komposition sowohl Menschen<br />

als auch Automation. Die menschliche<br />

Wahrnehmung begrenzt unsere Fähigkeiten<br />

zur Gestaltung komplexer Artefakte.<br />

Neue Techniken zur Vergrößerung<br />

<strong>der</strong> menschlichen <strong>in</strong>tellektuellen Kontrolle<br />

und Koord<strong>in</strong>ierung bei <strong>der</strong> Gestaltung,<br />

Entwicklung und Nutzung komplexer<br />

software<strong>in</strong>tensiver Informationssysteme<br />

s<strong>in</strong>d erfor<strong>der</strong>lich. Zum Beispiel<br />

kann e<strong>in</strong>e autonome Steuerung großer<br />

und verteilter software<strong>in</strong>tensiver Systeme<br />

die Erfor<strong>der</strong>nis nach menschlicher Überwachung<br />

während <strong>der</strong> Laufzeit reduzieren<br />

o<strong>der</strong> aufheben, während nach wie vor<br />

die Bedürfnisse <strong>der</strong> menschlichen Nutzer<br />

befriedigt werden. Konzepte zum (Selbst-<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009


WI – MEINUNG/DIALOG<br />

) Bewusstse<strong>in</strong> von Softwaresystemen und<br />

Mensch-Computer-Partnerschaften können<br />

zu e<strong>in</strong>er optimalen Systemle<strong>ist</strong>ung,<br />

verhandeltem Zugang zu Ressourcen und<br />

neuartigen, situationsadäquaten Informationssystemkonfigurationen<br />

führen.<br />

Forschungsprojekte <strong>in</strong> diesem Bereich<br />

können durch aufkommende Ideen im<br />

Bereich <strong>der</strong> kollektiven Intelligenz (z. B.<br />

„wisdom of the crowds“), virtueller Organisationen<br />

(z. B. Open-Source-Nutzer-<br />

Communitys) und kognitiven Abstraktions-,<br />

Zerlegungs-, und Synthesetheorien<br />

<strong>in</strong>spiriert werden. Da wir e<strong>in</strong>er Welt<br />

des Pervasive Comput<strong>in</strong>g und ubiquitärer<br />

cyber-physikalischer Geräte entgegensehen,<br />

<strong>ist</strong> es von wesentlicher Bedeutung,<br />

dass IT-Artefakte und die <strong>in</strong>tegrierten<br />

Super-Systeme zuverlässig, anpassungsfähig<br />

und nachhaltig s<strong>in</strong>d. IS-Forschung<br />

muss ihre Grundlagen aus verschiedenen<br />

Forschungsdiszipl<strong>in</strong>en und Paradigmen<br />

beziehen, um effektiv e<strong>in</strong>er Vielzahl von<br />

Systemherausfor<strong>der</strong>ungen zu begegnen.<br />

Drei <strong>der</strong> wichtigsten <strong>in</strong>tellektuellen Treiber<br />

<strong>der</strong> zukünftigen IS-Forschung werden<br />

sich mit Komplexitätsbeherrschung, Komposition<br />

und Kontrolle beschäftigen. Die<br />

Berücksichtigung dieser Treiber muss die<br />

Grundlage für die Gestaltung <strong>in</strong>novativer<br />

Artefakte und die Entwicklung rigoroser<br />

Theorien zum Überdenken von Entwicklung,<br />

Entstehung und Anpassung zukünftiger<br />

Informationssysteme se<strong>in</strong>.<br />

Ich b<strong>in</strong> dankbar für die vielen Gespräche<br />

mit Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen an <strong>der</strong> U.S.<br />

National Science Foundation, die <strong>in</strong> die<br />

hier zum Ausdruck gebrachten Ideen e<strong>in</strong>geflossen<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Prof. Alan R. Hevner, Ph.D.<br />

Citigroup/Hidden River Chair<br />

of D<strong>ist</strong>ributed Technology<br />

Information Systems and<br />

Decision Sciences<br />

College of Bus<strong>in</strong>ess Adm<strong>in</strong><strong>ist</strong>ration<br />

University of South Florida<br />

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2 | 2009

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