Staatsstrukturprinzipien - Alpmann Schmidt
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208<br />
RÜ 4/2012<br />
§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 278 BGB<br />
Haftung der Bahn für glatten Bahnsteig<br />
BGH, Urt. v. 17.01.2012 – X ZR 59/11<br />
Leitsätze<br />
a) Auch nach der rechtlichen Trennung<br />
von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch<br />
das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens<br />
vom 27. Dezember 1993<br />
(BGBl. I S. 2378, 1994 I S. 2439) ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen<br />
aufgrund<br />
eines Beförderungsvertrags verpflichtet,<br />
diejenigen Bahnanlagen wie Bahnhöfe<br />
und Bahnsteige, die der Fahrgast vor und<br />
nach der Beförderung benutzen muss,<br />
verkehrssicher bereitzustellen. Wird diese<br />
vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt,<br />
haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen<br />
gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2<br />
BGB.<br />
b) Werden die Bahnanlagen, die der Fahrgast<br />
für den Zu- und Abgang benutzen<br />
muss, durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen<br />
bereitgestellt, bedient sich<br />
das Eisenbahnverkehrsunternehmen des<br />
Infrastrukturunternehmens als Erfüllungsgehilfen<br />
und hat dessen Verschulden in<br />
gleichem Umfang zu vertreten wie ein<br />
eigenes Verschulden (§ 278 BGB).<br />
§ 9 Abs. 3 lit. b) EVO<br />
(Eisenbahnverkehrsordnung)<br />
Der Reisende ist verpflichtet, Fahrausweise<br />
und sonstige Karten nach Beendigung<br />
der Fahrt bis zum Verlassen des<br />
Bahnsteigs einschließlich der Zu- und<br />
Abgänge aufzubewahren.<br />
§ 10 EVO<br />
Der Tarif kann bestimmen, dass Bahnsteige<br />
nur mit gültigem Fahrausweis betreten<br />
werden dürfen.<br />
§ 1 Abs. 1 HaftpflG<br />
Wird bei Betrieb einer Schienenbahn<br />
oder einer Schwebebahn ein Mensch<br />
getötet, der Körper oder die Gesundheit<br />
eines Menschen verletzt oder eine Sache<br />
beschädigt, so ist der Betriebsunternehmer<br />
den Geschädigten zum Ersatz des<br />
daraus entstehenden Schadens verpflichtet.<br />
Fall<br />
Rechtsprechung<br />
Die Klägerin begehrt von der Deutschen Bahn AG Schadensersatz wegen eines<br />
Sturzes aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig. Die Klägerin erwarb<br />
bei der Deutschen Bahn AG einen Fahrausweis für eine Fahrt mit dem ICE von<br />
Solingen nach Dresden. Am 05.03.2006 stürzte die Klägerin auf dem Weg zum<br />
Zug auf dem Bahnsteig 1 des Bahnhofs Solingen-Ohligs (heute Solingen Hauptbahnhof)<br />
und verletzte sich dabei. Eigentümerin des Bahnhofs ist nicht die Beklagte,<br />
sondern die DB Station & Service AG, die der Deutschen Bahn AG die<br />
Benutzung des Bahnhofs vertraglich gestattet hatte. Steht der Klägerin ein Anspruch<br />
gegen die Deutsche Bahn AG zu?<br />
Entscheidung<br />
I. Die Klägerin könnte gegen die Deutsche Bahn AG einen Anspruch auf<br />
Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben.<br />
1. Schuldverhältnis<br />
Zwischen der Klägerin und der Deutschen Bahn AG müsste im Zeitpunkt des<br />
schädigenden Ereignisses ein Schuldverhältnis bestanden haben. Die Klägerin<br />
hatte bei der Deutschen Bahn AG einen Fahrschein für eine Fahrt mit dem ICE<br />
gekauft und somit mit der Bahn einen Beförderungsvertrag geschlossen. Mithin<br />
bestand zwischen den Parteien ein vertragliches Schuldverhältnis.<br />
2. Pflichtverletzung<br />
Die Deutsche Bahn AG müsste ferner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis<br />
verletzt haben. Fraglich ist insoweit, ob ein Beförderungsunternehmen verpflichtet<br />
ist, für die Sicherheit der Fahrgäste auch auf den nicht selbst bewirtschafteten<br />
Bahnsteigen zu sorgen:<br />
„[10] 2. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags<br />
verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast<br />
keinen Schaden erleidet. Dies betrifft zunächst den eigentlichen Beförderungsvorgang<br />
zwischen Ein- und Aussteigen. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist<br />
aufgrund eines Beförderungsvertrags darüber hinaus aber auch verpflichtet,<br />
dem Fahrgast einen sicheren Zu- und Abgang zu ermöglichen. Wird diese<br />
vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen<br />
gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB.<br />
[11] a) Vor der Eisenbahnstrukturreform war in der Rechtsprechung anerkannt,<br />
dass das Eisenbahnunternehmen aufgrund des Beförderungsvertrags verpflichtet<br />
ist, für einen sicheren Zugang und Abgang des Fahrgastes zu sorgen, insbesondere<br />
von ihm bereitgestellte Anlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der<br />
Beförderung benutzen muss, verkehrssicher zu halten … Hieran hat sich durch die<br />
rechtliche Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung<br />
des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378,<br />
1994 I S. 2439) nichts geändert.<br />
[12] b) Mit der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur wurden<br />
diese Teilbereiche dauerhaft verselbständigt und den einzelnen Bahnbetriebsunternehmern<br />
ein jeweils eigenständiger Gefahrenkreis zugeordnet, für den jeder im