29.05.2014 Aufrufe

Jugendliche in der Slowakei und europäische Identität. Nationale

Jugendliche in der Slowakei und europäische Identität. Nationale

Jugendliche in der Slowakei und europäische Identität. Nationale

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Österreichisches Institut für Jugendforschung<br />

facts<br />

0505<br />

themenschwerpunkt:<br />

jugendliche <strong>und</strong> territoriale identitäten<br />

studien<br />

Neue Geme<strong>in</strong>schaften – neue <strong>Identität</strong>en? 2–3<br />

E<strong>in</strong>e Studie des ÖIJ: <strong>Jugendliche</strong> <strong>und</strong> territoriale <strong>Identität</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region Wien–Bratislava<br />

S<strong>in</strong>d wir EuropäerInnen?<br />

… o<strong>der</strong> müssen wir die Frage an<strong>der</strong>s stellen? 4–5<br />

Forschungsergebnisse des ÖIJ <strong>und</strong> IHS zu Jugend <strong>und</strong> <strong>Identität</strong><br />

<strong>Jugendliche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> <strong>und</strong> <strong>europäische</strong> <strong>Identität</strong> 6–7<br />

<strong>Nationale</strong> <strong>und</strong> übernationale <strong>Identität</strong>sentwürfe<br />

praxis<br />

Wien–Bratislava 8<br />

Über Reiseerfahrungen <strong>und</strong> über die Zusammenarbeit<br />

mit e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong><br />

buch rezension<br />

Resituat<strong>in</strong>g Culture 9<br />

E<strong>in</strong> Buch über Multikulturalismus <strong>und</strong> <strong>Identität</strong><br />

programm<br />

Leistung – Lust & Last 10<br />

Erziehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wettbewerbsgesellschaft<br />

„60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg“ 10<br />

Europäisches Jugendcamp


2<br />

Neue Geme<strong>in</strong>schaften – neue <strong>Identität</strong>en?<br />

E<strong>in</strong>e Studie des ÖIJ: <strong>Jugendliche</strong> <strong>und</strong> territoriale <strong>Identität</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region Wien–Bratislava<br />

studie<br />

Spannr<strong>in</strong>g, Re<strong>in</strong>gard/Wächter,<br />

Natalia/Datler, Georg (2005):<br />

Neue Geme<strong>in</strong>schaften – neue <strong>Identität</strong>en?<br />

Forschungsbericht des Österreichischen<br />

Instituts für Jugendforschung im Auftrag <strong>der</strong><br />

Österreichischen Nationalbank. Wien<br />

Text: Natalia Wächter<br />

Im Rahmen dieses Projektes <strong>in</strong>teressierte<br />

uns, ob sich <strong>Jugendliche</strong>, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Region Wien–Bratislava wohnen, mit dieser<br />

neuen Region identifizieren. Dazu<br />

stellten wir vorerst die Frage, ob sie dieses<br />

transnationale Gebiet überhaupt als<br />

e<strong>in</strong>e Region wahrnehmen o<strong>der</strong> ob sie nur<br />

bis zur jeweiligen Landesgrenze blicken.<br />

Zusätzlich waren wir an <strong>der</strong> gegenseitigen<br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> Nachbarn <strong>und</strong> an<br />

den Erfahrungen im jeweiligen an<strong>der</strong>en<br />

Land <strong>in</strong>teressiert, weil wir davon ausgegangen<br />

s<strong>in</strong>d, dass die Erfahrungen <strong>und</strong><br />

die Wahrnehmung e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss darauf<br />

haben, ob sich die <strong>Jugendliche</strong>n mit <strong>der</strong><br />

Region identifizieren o<strong>der</strong> nicht.<br />

Wir haben dazu <strong>in</strong> Österreich 32 <strong>Jugendliche</strong><br />

befragt. E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> <strong>Jugendliche</strong>n<br />

kommt aus Wien <strong>und</strong> hat bis auf gelegentliche<br />

Ausflüge noch ke<strong>in</strong>e Erfahrung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> gemacht. E<strong>in</strong> weiterer Teil<br />

<strong>der</strong> Befragten wohnt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grenzort<br />

zur <strong>Slowakei</strong>. Der dritte Teil schließlich<br />

hat im Rahmen se<strong>in</strong>es Studiums o<strong>der</strong> im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>es SchülerInnenaustausches<br />

e<strong>in</strong>e Weile <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> verbracht.<br />

Unser Partner<strong>in</strong>stitut <strong>in</strong> Bratislava<br />

(Department of Social and Biological<br />

Communication; Slovak Academy of<br />

Sciences) hat ebenfalls 32 slowakische<br />

<strong>Jugendliche</strong> nach den gleichen Gesichtspunkten<br />

ausgewählt, d.h. e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong><br />

<strong>Jugendliche</strong>n studiert <strong>in</strong> Österreich, e<strong>in</strong><br />

Teil wohnt <strong>in</strong> Grenzorten zu Österreich<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Teil hat ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en<br />

Österreich-Bezug.<br />

Die <strong>Jugendliche</strong>n, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> österreichisch-slowakischen<br />

Grenzorte leben,<br />

haben ihren Aktionsradius auf das jeweilige<br />

an<strong>der</strong>e Land ausgeweitet. Das trifft<br />

sowohl auf die österreichischen als auch<br />

auf die slowakischen Befragten zu.<br />

Obwohl sie nun aber die gesamte „neue<br />

Region“ Wien–Bratislava nutzen, identifizieren<br />

sie sich nicht mit ihr. Sie sehen die<br />

neue Region <strong>in</strong> Konkurrenz zur nationalen<br />

<strong>Identität</strong>, wobei sie die letztere e<strong>in</strong>deutig<br />

vorziehen. Wir erklären uns diesen Sachverhalt<br />

erstens damit, dass die EU noch<br />

ambivalent beurteilt wird <strong>und</strong> es wenige<br />

Vorbil<strong>der</strong> von grenzüberschreitenden<br />

Regionen gibt. Zweitens werden Nationalstaaten<br />

unter an<strong>der</strong>em über ihre Grenzen<br />

zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> def<strong>in</strong>iert. Diese Vorstellung<br />

steht e<strong>in</strong>em Bild e<strong>in</strong>er transnationalen,<br />

regionalen Zugehörigkeit entgegen.<br />

Während sich die <strong>Jugendliche</strong>n aus<br />

Grenzorten nicht nach ihrer jeweiligen<br />

Herkunft (Österreich o<strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong>) h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung zur Region<br />

Wien–Bratislava unterscheiden, gibt es<br />

bei den <strong>Jugendliche</strong>n, die bereits schulische<br />

o<strong>der</strong> berufliche Erfahrungen im<br />

an<strong>der</strong>en Land gesammelt haben, deutliche<br />

Diskrepanzen. Die jungen slowakischen<br />

Befragten, die <strong>in</strong> Wien studieren,<br />

können sich mit dieser transnationalen<br />

Region überhaupt nicht identifizieren.<br />

An<strong>der</strong>s die österreichischen <strong>Jugendliche</strong>n,<br />

die e<strong>in</strong> Austauschprogramm <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Slowakei</strong> absolviert haben: Sie s<strong>in</strong>d <strong>der</strong><br />

Vorstellung dieser Region gegenüber<br />

facts 0505 öij


3<br />

beson<strong>der</strong>s aufgeschlossen <strong>und</strong> betrachten<br />

sie nicht als Fiktion, son<strong>der</strong>n als<br />

Realität. Sie sehen die neue Region<br />

Wien–Bratislava bereits im Entstehen<br />

begriffen <strong>und</strong> haben viele Ideen für ihre<br />

Zukunft. E<strong>in</strong>e Erklärung dafür ist, dass<br />

die slowakischen <strong>Jugendliche</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel zwischen <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> <strong>und</strong> Österreich<br />

pendeln <strong>und</strong> sich als Folge auch<br />

regelmäßig über die ger<strong>in</strong>ge Integration <strong>in</strong><br />

Österreich beklagen. Die jungen ÖsterreicherInnen<br />

dagegen fühlten sich im Rahmen<br />

ihrer Austauschprogramme <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Slowakei</strong> sehr gut aufgehoben <strong>und</strong><br />

freuen sich auf e<strong>in</strong>e Aufrechterhaltung<br />

<strong>und</strong> Intensivierung <strong>der</strong> Kontakte sowohl<br />

auf <strong>in</strong>dividueller als auch auf strukturellregionaler<br />

Ebene.<br />

Während sich die <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> befragten<br />

<strong>Jugendliche</strong>n alle mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

zur Grenzregion gehörig zählten, ist das<br />

bei den <strong>in</strong> Österreich befragten nicht <strong>der</strong><br />

Fall. Bei den Wiener <strong>Jugendliche</strong>n äußert<br />

sich das zum Beispiel dar<strong>in</strong>, dass die<br />

Auswirkungen <strong>der</strong> EU-Erweiterung mit<br />

größerer Distanz als bei den <strong>Jugendliche</strong>n<br />

aus den Grenzorten o<strong>der</strong> mit<br />

Austauscherfahrung beschrieben<br />

werden. Die Vorstellung e<strong>in</strong>er Region<br />

Wien–Bratislava bleibt für diese jungen<br />

Frauen <strong>und</strong> Männer mehr als vage. Die<br />

Region ist für sie we<strong>der</strong> vertraut noch<br />

relevant. Wenn sie an diese Assoziationen<br />

geknüpft haben, dann s<strong>in</strong>d ihre Vorstellungen<br />

immer an etwas Zukünftiges<br />

geb<strong>und</strong>en. Die Region wird <strong>in</strong> ihren<br />

Köpfen erst unter <strong>der</strong> Erfüllung von<br />

verschiedenen Voraussetzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

weiteren Zukunft zur Realität.<br />

Zusammengefasst kommt die Studie zu<br />

folgendem Ergebnis: Die <strong>Jugendliche</strong>n<br />

fühlen sich gleichzeitig zu verschiedenen<br />

Räumen zugehörig. Typischerweise nennen<br />

sie zum<strong>in</strong>dest den Heimatort <strong>und</strong><br />

das Heimatland. Die verschiedenen<br />

Räume erfüllen dabei unterschiedliche<br />

Funktionen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d mit unterschiedlichen<br />

Bedeutungen unterlegt. Ob die<br />

<strong>Jugendliche</strong>n allerd<strong>in</strong>gs bereit s<strong>in</strong>d, auch<br />

die neue <strong>Identität</strong> e<strong>in</strong>er transnationalen<br />

Region anzunehmen, hängt, wie wir herausgef<strong>und</strong>en<br />

haben, von verschiedenen<br />

Faktoren ab. In erster L<strong>in</strong>ie wird die Identifikation<br />

mit e<strong>in</strong>er solchen Region von<br />

<strong>der</strong> Qualität vorangegangener Erfahrung<br />

im jeweiligen an<strong>der</strong>en Land <strong>der</strong> Region<br />

bee<strong>in</strong>flusst. S<strong>in</strong>d die Erfahrungen positiv<br />

<strong>und</strong> wird e<strong>in</strong> gewisses Maß an Integration<br />

erlebt, ist e<strong>in</strong>e Identifikation möglich.<br />

Bleiben solche Erfahrungen ganz aus,<br />

wird sich sehr viel schwerer e<strong>in</strong> Zugehörigkeitsgefühl<br />

entwickeln. Die bloße e<strong>in</strong>deutige<br />

räumliche Zugehörigkeit reicht<br />

ke<strong>in</strong>esfalls aus, aber es genügt auch<br />

nicht, den Aktionsradius über die Nationalgrenze<br />

h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> die Region auszuweiten,<br />

wie es die <strong>Jugendliche</strong>n aus den<br />

Grenzorten <strong>und</strong> die slowakischen Studierenden<br />

<strong>in</strong> Österreich tun. Tagesausflüge<br />

bewirken ke<strong>in</strong>e Identifikationsgefühle. Die<br />

<strong>Jugendliche</strong>n dagegen, die – wenn auch<br />

nur für kurze Zeit – im an<strong>der</strong>en Land mitgelebt<br />

haben, können sich mit e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>samen Region Wien–Bratislava<br />

identifizieren, o<strong>der</strong> es ist zum<strong>in</strong>dest zu<br />

erwarten, dass sie das <strong>in</strong> <strong>der</strong> nahen<br />

Zukunft tun werden. <<br />

öij 0505 facts


4<br />

S<strong>in</strong>d wir EuropäerInnen?<br />

… o<strong>der</strong> müssen wir die Frage an<strong>der</strong>s stellen?<br />

Forschungsergebnisse des ÖIJ <strong>und</strong> IHS zu Jugend <strong>und</strong> <strong>Identität</strong><br />

studie<br />

Projekt:<br />

Jamieson, Lynn et al.: Youth and European<br />

Identity. 5th Frameworke Programme of the<br />

European Commission.<br />

Weiterführende Information unter<br />

http://www.sociology.ed.ac.uk/youth/<br />

Text: Georg Datler<br />

Die Frage „S<strong>in</strong>d wir EuropäerInnen?“<br />

kann e<strong>in</strong>fach <strong>und</strong> klar beantwortet werden:<br />

„Ich b<strong>in</strong> ÖsterreicherIn. Österreich<br />

liegt <strong>in</strong> Europa. Also b<strong>in</strong> ich EuropäerIn.“<br />

Wissen wir jetzt mehr? – Wohl kaum.<br />

Dieser Artikel nimmt Bezug auf die<br />

Ergebnisse des <strong>in</strong>ternationalen Forschungsprojekts<br />

„Youth and European<br />

Identity“, das von 2001 bis 2004 <strong>in</strong> zehn<br />

<strong>europäische</strong>n Region, unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong><br />

Wien <strong>und</strong> <strong>in</strong> Vorarlberg, durchgeführt<br />

wurde. Befragt wurden dabei repräsentative<br />

Stichproben <strong>der</strong> 18-24 Jährigen<br />

mittels e<strong>in</strong>es standardisierten Fragebogens.<br />

Mit e<strong>in</strong>er anhand <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesen<br />

Befragungen gewonnenen Ergebnisse<br />

bewusst ausgewählten Subgruppe wurden<br />

tiefergehende qualitative Interviews<br />

geführt. Das Projekt versucht gezielt die<br />

Stärken quantitativer Verfahren wie etwa<br />

die große Reichweite <strong>in</strong> <strong>der</strong> Datenerhebung<br />

als auch jener qualitativer Verfahren<br />

wie etwa die Tiefe des E<strong>in</strong>blicks <strong>in</strong> subjektive<br />

Bedeutungszusammenhänge zu<br />

nutzen. Österreichische ProjektpartnerInnen<br />

s<strong>in</strong>d das Institut für Höhere Studien<br />

(IHS) <strong>und</strong> das Österreichische Institut für<br />

Jugendforschung (ÖIJ).<br />

Im Folgenden wird die klare aber unergiebige<br />

titelgebende Fragestellung<br />

schrittweise erweitert <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>t. Das<br />

soll zweierlei leisten: e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> den<br />

Forschungsprozess geben <strong>und</strong> wichtige<br />

Ergebnisse prägnant darstellbar machen.<br />

E<strong>in</strong>e erste Erweiterung, die ihre theoretischen<br />

Wurzeln im Modell multipler <strong>Identität</strong>en<br />

hat <strong>und</strong> hier beispielhaft mit Bezug<br />

auf Wien formuliert wird, ist: S<strong>in</strong>d wir<br />

WienerInnen, ÖsterreicherInnen o<strong>der</strong> EurpäerInnen?<br />

Die empirischen Ergebnisse<br />

zeigen, dass sich die befragten <strong>Jugendliche</strong>n<br />

sowohl mit Regionen, mit Nationen<br />

als auch mit Europa identifizieren können.<br />

Wenn die verschiedenen <strong>Identität</strong>en <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Zusammenhang stehen, dann <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em positiven: E<strong>in</strong>e stärkere Identifikation<br />

mit Österreich geht mit e<strong>in</strong>er stärkeren<br />

Identifikation mit Europa e<strong>in</strong>her. Die<br />

oftmals reproduzierte <strong>und</strong> auch von verschiedensten<br />

Seiten <strong>in</strong> Dienst genommene,weil<br />

mit negativen Konsequenzen<br />

verknüpfte, Vermutung, dass die Identifikation<br />

mit Nationalstaaten durch die<br />

Identifikation mit Europa gefährdet sei,<br />

erweist sich somit als von vornhere<strong>in</strong><br />

haltlos. Ohne die Diskussion <strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest<br />

zweifelhaften Annahme, e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>kende<br />

Identifikation mit Nationalstaaten<br />

hätte re<strong>in</strong> negative Konsequenzen; aufgreifen<br />

zu müssen, kann festgehalten<br />

werden: Die Identifikation mit Europa<br />

steht – so e<strong>in</strong> zentrales Ergebnis des<br />

Forschungsprojekts – <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Wi<strong>der</strong>spruch<br />

zu regionalen <strong>und</strong> nationalen<br />

facts 0505 öij


5<br />

Identifikationen. Das ist vor allem dann<br />

plausibel, wenn Europäische <strong>Identität</strong><br />

nicht als etwas empf<strong>und</strong>en wird, das auf<br />

nivellierende Gleichheit abstellt, son<strong>der</strong>n<br />

als gegenseitige Wertschätzung regionaler<br />

<strong>und</strong> nationaler Unterschiede wahrgenommen<br />

wird. Auch e<strong>in</strong>e solche <strong>Identität</strong>skonstruktion<br />

hat e<strong>in</strong> notwendiges<br />

geme<strong>in</strong>sames F<strong>und</strong>ament, nämlich<br />

Toleranz.<br />

Das führt zu e<strong>in</strong>er weiteren Frage: Welche<br />

Bauste<strong>in</strong>e ermöglichen es Jungendlichen<br />

e<strong>in</strong>e Identifikation mit Europa auszubilden,<br />

die sich als „Unity <strong>in</strong> Diversity“<br />

[dt. „E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> Vielheit“] begreift? Klar ist,<br />

dass e<strong>in</strong>e solche Identifikation mit e<strong>in</strong>er<br />

an sich abstrakten Idee nicht aus dem<br />

Nichts entsteht. Obwohl e<strong>in</strong>e „fruchtbare“<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gung ist <strong>der</strong> politische Prozess<br />

<strong>der</strong> Europäischen Integration ke<strong>in</strong>e<br />

h<strong>in</strong>reichende Bed<strong>in</strong>gung um e<strong>in</strong>e Identifikation<br />

<strong>der</strong> BürgerInnen mit Europa<br />

gleichsam von selbst entstehen zu lassen.<br />

Es s<strong>in</strong>d die Individuen selbst, die auf<br />

e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiges Identifikationsangebot e<strong>in</strong>gehen<br />

<strong>und</strong> es mit realer subjektiver<br />

Bedeutung füllen. Die im Rahmen dieses<br />

Projekts gewonnenen Ergebnisse deuten<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass neben generellem politischen<br />

Interesse vor allem Fremdsprachenkenntnisse<br />

<strong>und</strong> eigene Reiseerfahrungen<br />

<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Europäischen Län<strong>der</strong>n<br />

Ressourcen darstellen, die e<strong>in</strong>e Identifikation<br />

mit Europa, die durchaus auch e<strong>in</strong>e<br />

kritische se<strong>in</strong> kann, beför<strong>der</strong>n. Die Identifikation<br />

mit Europa ist also auch e<strong>in</strong>e<br />

Frage des Zugangs zu spezifischen<br />

Ressourcen. Da diese Ressourcen<br />

ungleich verteilt s<strong>in</strong>d, ist es ke<strong>in</strong>eswegs<br />

abwegig, die Möglichkeit sich mit Europa<br />

zu identifizieren als neues Feld sozialer<br />

Ungleichheit zu begreifen <strong>und</strong> politisch zu<br />

thematisieren.<br />

E<strong>in</strong>e abschließende Betrachtung soll<br />

durch e<strong>in</strong>e Fragestellung ermöglicht werden,<br />

die beide zuvor diskutierten Aspekte<br />

– das Verhältnis <strong>der</strong> <strong>europäische</strong>n <strong>Identität</strong><br />

zu an<strong>der</strong>en bestehenden <strong>Identität</strong>en<br />

<strong>und</strong> die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Identifikation mit<br />

Europa – im Blick behält: Wie wichtig ist<br />

die Europäische <strong>Identität</strong> überhaupt bzw.<br />

wann ist sie wichtig?<br />

Werden die quantitativen Ergebnisse<br />

betrachtet, so ist die Europäische <strong>Identität</strong><br />

,zwar <strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmaß<br />

aber doch <strong>in</strong> allen untersuchten Regionen,<br />

unter den Jungendlichen weniger<br />

wichtig als regionale <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> nationale<br />

Bezüge. Aus den qualitativen Interviews<br />

heraus wird dieses re<strong>in</strong> beschreibende<br />

Ergebnis besser nachvollziehbar. E<strong>in</strong>e<br />

bestimmte <strong>Identität</strong> wird für Individuen<br />

nur <strong>in</strong> bestimmten Situationen relevant.<br />

Regionale <strong>und</strong> nationale Bezüge bestimmen<br />

<strong>in</strong> alltäglichen Kommunikationssituationen<br />

oft e<strong>in</strong>en Teil unsere Selbstdef<strong>in</strong>ition,<br />

also die Antwort auf die Frage:<br />

„Wer bist du?“. Im Gespräch mit e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>österreich lebenden Person,<br />

könnte die Antwort e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Wien lebenden<br />

Person etwa lauten: „Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Wiener<strong>in</strong>“. Beide könnten feststellen „Wir<br />

s<strong>in</strong>d ÖsterreicherInnen“, o<strong>der</strong> es könnte<br />

als Fremdzuschreibung von jemand<br />

an<strong>der</strong>em festgestellt werden: „Ihr seid<br />

beide ÖsterreicherInnen“. Ähnlich diesem<br />

Schema kann auch die Identifikation mit<br />

Europa <strong>in</strong> bestimmten Situationen relevant<br />

werden, wenn etwa Jungendliche<br />

aus verschiedenen <strong>europäische</strong>n Län<strong>der</strong>n<br />

an e<strong>in</strong>er Kommunikation teilnehmen<br />

o<strong>der</strong> sich zum Beispiel außerhalb von<br />

Europa aufhalten. Um an solchen Kommunikationen<br />

teilnehmen zu können,<br />

brauchen Jungendliche allerd<strong>in</strong>gs<br />

Ressourcen: fremde Sprachen müssen<br />

verstanden, Distanzen – ob real o<strong>der</strong><br />

virtuell – müssen überw<strong>und</strong>en werden<br />

können. <<br />

öij 0505 facts


6<br />

<strong>Jugendliche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>europäische</strong> <strong>Identität</strong><br />

<strong>Nationale</strong> <strong>und</strong> übernationale <strong>Identität</strong>sentwürfe<br />

studie<br />

Ladislav Machá?ek (2004): Youth <strong>in</strong> Slovakia<br />

an European Identity. Youth and European<br />

Identity. Bratislava: Institute for Sociology of<br />

Slovak Academy of Sciences.<br />

Text: Lena Rhe<strong>in</strong>dorf<br />

Ziel <strong>der</strong> Untersuchung „Orientations<br />

of young men and young women to<br />

citizenship and european identity“ des<br />

slowakischen Instituts für Soziologie war<br />

es, neue E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> das Begriffsverständnis<br />

<strong>Jugendliche</strong>r bezüglich Begrifflichkeiten<br />

wie „EuropäerIn se<strong>in</strong>“ o<strong>der</strong><br />

„<strong>europäische</strong> Staatsbürgerschaft“ <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick<br />

auf die bevorstehende EU-Mitgliedschaft<br />

zu erhalten. Darüber h<strong>in</strong>aus sollte<br />

E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die möglichen Ursachen von<br />

nationalem <strong>und</strong> regionalem Bewusstse<strong>in</strong><br />

gewährt werden. Dies untersuchte die<br />

Studie anhand e<strong>in</strong>er Befragung von<br />

<strong>Jugendliche</strong>n sowohl <strong>in</strong> Prag als auch <strong>in</strong><br />

Bratislava. Es handelt sich um den slowakischen<br />

Beitrag des <strong>in</strong>ternationalen<br />

Forschungsprojekts „Youth and European<br />

Identity“, das auch schon im vorigen<br />

Artikel „S<strong>in</strong>d wir EuropäerInnen?“<br />

vorgestellt wurde.<br />

Regionale Beson<strong>der</strong>heiten<br />

1992 wurde nach 70 Jahren E<strong>in</strong>heit die<br />

Teilung <strong>der</strong> Tschechoslowakei, <strong>in</strong> die beiden<br />

selbstständigen Staaten Tschechien<br />

<strong>und</strong> <strong>Slowakei</strong> beschlossen. Es musste<br />

sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong>,<br />

die zum ersten Mal e<strong>in</strong> unabhängiger<br />

demokratischer Staat war, e<strong>in</strong> neues,<br />

selbstständiges <strong>Identität</strong>s- <strong>und</strong> Nationalbewusstse<strong>in</strong><br />

herausbilden. Die <strong>Slowakei</strong><br />

ist seit <strong>der</strong> Trennung auch beson<strong>der</strong>s um<br />

die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> <strong>Jugendliche</strong>n <strong>in</strong> politische<br />

Vorgänge bemüht. Die Entwicklung<br />

von zahlreichen, oft von <strong>der</strong> EU geför<strong>der</strong>ten,<br />

zivilen Jungendvere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

zur politischen Partizipation<br />

sollte <strong>der</strong> Sozialisierung <strong>der</strong> <strong>Jugendliche</strong>n<br />

als BürgerInnen <strong>der</strong> neuen Republik <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Ausbildung e<strong>in</strong>es neuen nationalen<br />

Bewusstse<strong>in</strong>s beisteuern. Seit 1. Mai<br />

2004 s<strong>in</strong>d beide Staaten EU-Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Dies wirft natürlich, beson<strong>der</strong>s auf Seiten<br />

<strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong>, Fragen des Arrangements<br />

zwischen dem relativ neuem Nationalgefühl<br />

<strong>und</strong> dem noch neueren „EU-Mitglied-Se<strong>in</strong>“<br />

– Wir – Gefühl auf.<br />

Die Befragung<br />

Bei <strong>der</strong> Erhebung wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Tschechien jeweils zwei Gruppen<br />

von <strong>Jugendliche</strong>n zwischen 18 <strong>und</strong> 24<br />

Jahren befragt. Die größeren Stichproben<br />

wurden per Zufallssystem ermittelt, die<br />

kle<strong>in</strong>eren Stichproben bestanden aus<br />

„ExpertInnen“, das heißt <strong>Jugendliche</strong> die<br />

e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Interesse an <strong>der</strong> EU hatten<br />

(z.B. StudentInnen des <strong>europäische</strong>n<br />

Rechtsystems). Der strukturierte Fragebogen<br />

enthielt Fragen um analysieren zu<br />

können, wie persönliche, familiäre <strong>und</strong><br />

lokale Bedeutungen <strong>und</strong> Erfahrungen mit<br />

dem Selbstverständnis als „EuropäerIn“<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> „<strong>europäische</strong>n Staatsbürgerschaft“<br />

<strong>der</strong> <strong>Jugendliche</strong>n verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d.<br />

Weil es sich <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit diesem<br />

„Europäer-Se<strong>in</strong>“-Gefühl um komplexe<br />

Bedeutungskonzepte handelt, basierten<br />

die Indikatoren, um dies zu messen, auf<br />

zuvor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er qualitativen Befragung<br />

erhobenen Bedeutungsmustern.<br />

facts 0505 öij


7<br />

Die wichtigsten Ergebnisse<br />

Die große Mehrheit <strong>der</strong> Befragten <strong>in</strong> beiden<br />

Städten betrachtete sowohl Tschechien<br />

als auch die <strong>Slowakei</strong> als vollwertigen<br />

Teil von Europa. Dennoch sche<strong>in</strong>en<br />

die <strong>Jugendliche</strong>n <strong>in</strong> Bratislava <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zufallsstichprobe <strong>der</strong> EU-Mitgliedschaft<br />

mehr Bedeutung zuzusprechen als jene<br />

<strong>in</strong> Prag. In Bezug auf die Frage „Was<br />

denn Europa bedeute“ war auffällig, dass<br />

die SlowakInnen im Vergleich zu den<br />

TschechInnen den formellen Charakter<br />

<strong>der</strong> EU-Politik betonten. Es wurde hierbei<br />

seitens <strong>der</strong> Befragten auch stark zwischen<br />

„EuropäerIn-Se<strong>in</strong>“ <strong>und</strong> „<strong>europäische</strong><br />

StaatsbürgerIn“-Se<strong>in</strong> differenziert,<br />

so gaben 44% <strong>der</strong> TschechInnen <strong>und</strong><br />

bedeutsame 60% <strong>der</strong> SlowakInnen an,<br />

dass ihnen die <strong>europäische</strong> Staatsbürgerschaft<br />

sehr wichtig sei. Dies deutet im<br />

Weiteren darauf h<strong>in</strong>, dass die SlowakInnen<br />

als BürgerInnen e<strong>in</strong>er relativ jungen<br />

Nation sich erst durch e<strong>in</strong>e Mitgliedschaft<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> EU vollständig als EuropäerInnen<br />

fühlen. Die <strong>Jugendliche</strong>n bei<strong>der</strong> Städte<br />

standen den zukünftigen persönlichen,<br />

lokalen <strong>und</strong> nationalen Entwicklungen<br />

<strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen durch den EU-Beitritt<br />

e<strong>in</strong>deutig positiv <strong>und</strong> hoffnungsvoll<br />

gegenüber. Dies galt erwartungsgemäß<br />

<strong>in</strong> beiden Städten, aber beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong><br />

Prag, <strong>in</strong> verstärktem Masse für die<br />

„ExpertInnen“-Gruppen, die sich von den<br />

Entwicklungen beson<strong>der</strong>s viele Vorteile<br />

erhofften. Bei e<strong>in</strong>er zusammenfassenden<br />

Betrachtung <strong>der</strong> Daten fällt auf, dass sich<br />

65% <strong>der</strong> befragten TschechInnen, aber<br />

vergleichsweise nur 59% <strong>der</strong> SlowakInnen<br />

sehr stark als EuropäerInnen fühlten.<br />

Dah<strong>in</strong>gegen gab <strong>in</strong> beiden Städten e<strong>in</strong>e<br />

gewaltige Mehrheit (von ca. 88%) an,<br />

sich sehr stark als „National-BürgerInnen“<br />

zu fühlen.<br />

Die generell relativ hohe pro-EU Stimmung<br />

wurde also <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> noch<br />

deutlich durch den Enthusiasmus bezüglich<br />

<strong>der</strong> unabhängigen slowakischen<br />

Republik übertroffen. Dies verwun<strong>der</strong>t<br />

kaum, war <strong>der</strong> EU-Beitritt zum Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> Befragung noch Zukunftsmusik, <strong>der</strong><br />

souveräne Staat <strong>Slowakei</strong>, wenn auch<br />

anfänglich e<strong>in</strong> schwer umsetzbarer,<br />

bereits wahr gewordener Traum.<br />

Die nationalen Jugendför<strong>der</strong>ungsprogramme<br />

sche<strong>in</strong>en durchaus dem nationalen<br />

Bewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendlich beizukommen<br />

<strong>und</strong> durch die verstärkte För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit von Jugendvere<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> EU wird sich das<br />

ohneh<strong>in</strong> schon beachtliche „EuropäerInnen“-Gefühl<br />

<strong>der</strong> slowakischen <strong>Jugendliche</strong>n<br />

voraussichtlich <strong>in</strong> Zukunft noch<br />

weiter verstärken. <<br />

öij 0505 facts


8<br />

Wien–Bratislava<br />

Über Reiseerfahrungen <strong>und</strong> über die Zusammenarbeit mit e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>organisation <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong><br />

praxis<br />

Text: Re<strong>in</strong>hard Zuba<br />

Es war an e<strong>in</strong>em sonnigen Frühl<strong>in</strong>gstag<br />

im Jahr 1990, als im Jungscharbüro <strong>in</strong><br />

Wien das Telefon läutete. Am Apparat<br />

sprach jemand <strong>in</strong> gebrochenem, aber gut<br />

verständlichem Deutsch: Er sei aus <strong>der</strong><br />

<strong>Slowakei</strong> <strong>und</strong> möchte dort gerne kirchliche<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>arbeit aufbauen. Ob die Jungschar<br />

Wien da helfen könne. So begann<br />

e<strong>in</strong>e lange Zusammenarbeit zwischen <strong>der</strong><br />

Jungschar <strong>in</strong> Wien <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er neuen K<strong>in</strong><strong>der</strong>organisation<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong>, die sich<br />

„eRko“ nennt. Heute ist eRko mit 6000<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> 1500 LeiterInnen aus allen<br />

Teilen <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> die zweitgrößte K<strong>in</strong><strong>der</strong>organisation<br />

des Landes.<br />

Am Wochenende wurde dann geme<strong>in</strong>sam<br />

viel unternommen. Es wurde über<br />

Leben, K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Kirche <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong><br />

<strong>und</strong> Österreich gesprochen, die Stadt<br />

besichtigt, geme<strong>in</strong>sam gespielt, gelacht,<br />

e<strong>in</strong> Gottesdienst besucht <strong>und</strong> vieles<br />

mehr. Dabei wurde vieles an Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

entdeckt, aber auch vieles an<br />

Unterschieden. Da ist zunächst e<strong>in</strong>mal<br />

die an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Religiosität <strong>der</strong> SlowakInnen,<br />

die immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Diskussionen<br />

durchgedrungen ist. Aber auch<br />

die Lebenssituation, die noch sehr stark<br />

von den schlechteren wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen geprägt ist.<br />

Im Jahr 2002 wurde e<strong>in</strong> Projekt zum<br />

Thema „Osterweiterung <strong>der</strong> EU“ durchgeführt.<br />

VertreterInnen <strong>der</strong> Katholischen<br />

Jungschar <strong>und</strong> von eRko veranstalteten<br />

e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Wochenende, um e<strong>in</strong>mal<br />

die verschiedenen Lebenssituationen<br />

kennen zu lernen. Die erste Überraschung<br />

gab es für die zwölf TeilnehmerInnen aus<br />

Wien gleich bei <strong>der</strong> Fahrzeit: nach e<strong>in</strong>er<br />

knappen St<strong>und</strong>e war man bereits <strong>in</strong> Bratislava.<br />

Die nächste Überraschung: die<br />

MitarbeiterInnen von eRko konnten<br />

Deutsch sprechen, manche fast perfekt,<br />

manche etwas weniger. Beschämt wurde<br />

von den österreichischen TeilnehmerInnen<br />

registriert, dass sie kaum e<strong>in</strong> Wort<br />

Slowakisch beherrschten.<br />

Der Schulalltag ist <strong>in</strong> beiden Län<strong>der</strong>n<br />

sehr ähnlich <strong>und</strong> auch die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Schulpflicht unterscheidet sich nur um 1<br />

Jahr (<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Slowakei</strong> s<strong>in</strong>d es nur 8<br />

Jahre). Allerd<strong>in</strong>gs wurde aus Gesprächen<br />

mit SlowakInnen deutlich, dass slowakische<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> sehr stark dazu angehalten<br />

werden, am Nachmittag <strong>in</strong> ihrer Freizeit<br />

Sprachen zu erlernen. Wenn es um das<br />

Sammeln von Auslandserfahrungen geht,<br />

liegt Österreich für die jungen SlowakInnen<br />

nicht an vor<strong>der</strong>ster Stelle <strong>der</strong> Hitliste.<br />

Zu Studienzwecken o<strong>der</strong> auch als<br />

Arbeitsmarkt stehen Deutschland <strong>und</strong><br />

englischsprachige Städte, beson<strong>der</strong>s<br />

London, deutlich höher im Kurs. <<br />

Kumquat 3/2003: „Wien–Bratislava“.<br />

Zeitschrift <strong>der</strong> Katholischen Jungschar<br />

Erzdiözese Wien.<br />

facts 0505 öij


9<br />

Resituat<strong>in</strong>g Culture<br />

E<strong>in</strong> Buch über Multikulturalismus <strong>und</strong> <strong>Identität</strong><br />

buch rezension<br />

Titley, Gavan (ed.) (2004): Resituat<strong>in</strong>g culture.<br />

Council of Europe: Strasbourg Cedex<br />

Text: Johanna Blum<br />

Die Vielfalt <strong>der</strong> Kulturkonzepte macht<br />

die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung zu e<strong>in</strong>em komplexen<br />

Unterfangen mit une<strong>in</strong>heitlichen<br />

<strong>und</strong> sich wi<strong>der</strong>sprechenden Modellen.<br />

Den Beiträgen <strong>in</strong> diesem Buch geht es<br />

darum, den Kultur-Diskurs neu zu ordnen,<br />

denn e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es, adäquateres<br />

Kulturkonzept könnte rassistischen Strömungen<br />

entgegenwirken. Wenn <strong>Identität</strong><br />

nicht mehr im Rahmen e<strong>in</strong>er essentialistisch<br />

gedachten Kultur entwickelt wird,<br />

können jene Prozesse, die Differenzen<br />

zwischen den Kulturen bed<strong>in</strong>gen, sichtbar<br />

werden. Die Prozesshaftigkeit <strong>und</strong><br />

Diskursivität von Kultur muss bewusst<br />

gemacht werden, um von e<strong>in</strong>er Objektivierung<br />

<strong>und</strong> Naturalisierung <strong>der</strong> Unterschiede<br />

zwischen Kulturen abstand nehmen<br />

zu können. Kultur dient nicht nur<br />

dazu an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>zuordnen, sie ist gleichzeitig<br />

das Werkzeug, mit dem Unterschiede<br />

hergestellt werden.<br />

Vielen Initiativen <strong>und</strong> Projekten, die<br />

sich gegen Rassismus engagieren o<strong>der</strong><br />

multikulturelle Gesellschaften för<strong>der</strong>n<br />

wollen, liegt jedoch e<strong>in</strong> Konzept<br />

zugr<strong>und</strong>e, das Kultur als statisch def<strong>in</strong>iert.<br />

Die Kultur wird so über Inhalte<br />

beschreibbar, die Differenzen zu an<strong>der</strong>en<br />

Kulturen s<strong>in</strong>d unabän<strong>der</strong>bar. Authentizität<br />

<strong>und</strong> Abgrenzung spielen für e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>gestalt<br />

verstandene Kultur e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle. Das Konzept <strong>der</strong> Multikulturalität,<br />

das gegen rassistische Tendenzen <strong>und</strong><br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung entwickelt wurde, wird<br />

von den AutorInnen kritisiert, da die<br />

For<strong>der</strong>ung nach kultureller Diversität<br />

ebenjene Unterschiede festschreibt <strong>und</strong><br />

verd<strong>in</strong>glicht. Mit dem Verweis auf die<br />

Ungleichheit können weiterh<strong>in</strong> diskrim<strong>in</strong>ierende<br />

Verhaltensweisen gerechtfertigt<br />

werden.<br />

De-Territorialisierung<br />

In e<strong>in</strong>em Beitrag wird die These vertreten,<br />

dass es durch Prozesse <strong>der</strong> Globalisierung<br />

zu e<strong>in</strong>er Auflösung <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dung<br />

von Kultur <strong>und</strong> Territorium kommt. Die<br />

kulturellen Erfahrungen s<strong>in</strong>d nicht mehr<br />

an die Örtlichkeit geb<strong>und</strong>en, son<strong>der</strong>n<br />

werden zunehmend von verschiedensten<br />

kulturellen Strömungen durchdrungen.<br />

Wir essen beim Italiener, beim Japaner<br />

o<strong>der</strong> beim In<strong>der</strong>, sehen die Nachrichten<br />

über den Sudan auf CNN <strong>und</strong> recherchieren<br />

im Internet anstatt <strong>in</strong> <strong>der</strong> lokalen<br />

Bibliothek. Selbstbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Strategien<br />

<strong>der</strong> Abgrenzung zu an<strong>der</strong>en kulturellen<br />

<strong>und</strong> ethnischen Gruppen verschwimmen.<br />

Die Stärkung kultureller <strong>Identität</strong> <strong>und</strong> die<br />

konflikthaften Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

ethnischen Gruppen könnten als<br />

Reaktion auf diese Entwicklungen verstanden<br />

werden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die Jugendkultur lässt e<strong>in</strong>e<br />

De-Territorialisierung von Kultur erkennen.<br />

Kulturelle Praktiken, wie HipHop<br />

o<strong>der</strong> Rap werden r<strong>und</strong> um die Erde<br />

populär. Diese Formen zeichnen sich<br />

durch e<strong>in</strong>e Offenheit gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

Kulturen aus, da sie e<strong>in</strong>e hybride Ausformung<br />

ermöglichen. <<br />

öij 0505 facts


10<br />

programm<br />

Leistung – Lust & Last<br />

Erziehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wettbewerbsgesellschaft<br />

Die 54. Internationale Werktagung<br />

Salzburg widmet sich dem Spannungsfeld<br />

von „Leistung“ – zwischen Lust <strong>und</strong><br />

Last: Mehr Leistung – <strong>und</strong> dies bereits <strong>in</strong><br />

immer früheren Lebensjahren – das for<strong>der</strong>n<br />

nicht nur BildungspolitikerInnen <strong>und</strong><br />

die Ergebnisse <strong>der</strong> PISA-Studie sche<strong>in</strong>en<br />

ihnen Recht zu geben. An<strong>der</strong>s sehen<br />

dies etliche PädagogInnen: K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

sollten nicht zu früh <strong>in</strong> die Zwänge e<strong>in</strong>er<br />

Leistungsschule e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en werden,<br />

weil dies Fähigkeiten wie die Phantasie<br />

<strong>und</strong> das K<strong>in</strong>dheitsglück verkümmern<br />

lasse. Zum e<strong>in</strong>en wollen K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch<br />

selber immer mehr leisten <strong>und</strong> sich nicht<br />

mehr helfen lassen, zum an<strong>der</strong>en leiden<br />

aber auch viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> unter dem Leistungsdruck<br />

<strong>der</strong> Schule. Auf <strong>der</strong> Werktagung<br />

wird Leistung gesellschaftlich<br />

verordnet <strong>und</strong> sowohl anthropologisch<br />

als auch entwicklungspsychologisch<br />

entfaltet.<br />

„60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg“<br />

Europäisches Jugendcamp<br />

Das Nie<strong>der</strong>österreichische Jugendreferat<br />

veranstaltet heuer am Anfang <strong>der</strong> Sommerferien<br />

e<strong>in</strong> Europäisches Jugendcamp<br />

mit dem Thema „60 Jahre nach dem<br />

2. Weltkrieg“. Die Orte <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

werden Krems <strong>und</strong> St. Corona/Wechsel<br />

se<strong>in</strong>. Im Rahmen des Camps gibt es e<strong>in</strong><br />

abwechslungsreiches Kultur- <strong>und</strong> Sportprogramm.<br />

Neben österreichischen<br />

Gruppen werden auch Jugendorganisations-Delegationen<br />

aus Italien, Ungarn,<br />

Polen, Slowenien <strong>und</strong> Tschechien<br />

erwartet.<br />

Term<strong>in</strong>: 2.–9.Juli 2005<br />

Ort: Krems, St. Corona/Wechsel<br />

Anmeldung: jugendreferat@noel.gv.at<br />

Info: 02742/9005-13516<br />

Kosten: 40 Euro<br />

Term<strong>in</strong>: Mo, 11.Juli bis Fr, 15. Juli 2005<br />

Ort: Salzburg, Große Aula <strong>der</strong> Universität<br />

Anmeldung <strong>und</strong> Info:<br />

http://pwt.kirchen.net<br />

facts 0505 öij


11<br />

Impressum:<br />

Medien<strong>in</strong>haber <strong>und</strong> Herausgeber:<br />

Österreichisches Institut für Jugendforschung, Maria-Theresien-Straße 24/10, 1010 Wien.<br />

Tel: (01) 214 78 81, E-Mail: oeij@oeij.at, Internet: www.oeij.at<br />

Redaktion: Natalia Wächter<br />

ISSN 1812-710X<br />

facts ersche<strong>in</strong>t monatlich, E<strong>in</strong>zelheft € 4,–; Jahresabo (10 Ausgaben) € 30,–<br />

Diese Publikation wird vom Landesjugendreferat Wien geför<strong>der</strong>t.<br />

öij 0505 facts

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!