Isabelle Marthaler - Priori
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Unterwegs in Madagaskar<br />
Text von <strong>Isabelle</strong> <strong>Marthaler</strong>-Marty, Antsirabe - Fotos Maria Flachsmann, Thalwil<br />
Mit der Pirogue auf dem Tsiribihina, zu Fuss in und auf den<br />
Kalksteinfelsen der Tsingis, bei Sonnenuntergang bei den Baobabs<br />
Punkt 10.00 Uhr, wie abgemacht, stand unser Guide Robinson Crusoe – kein Witz, er<br />
heisst so - mit komfortablem Auto vor unserer Haustür in Antsirabe und die Fahrt<br />
westwärts nach Miandrivazo ging los. 220 Kilometer auf einer grossteils gut geteerten<br />
Strasse vorbei an der abwechslungsreichen Kulturlandschaft des Hochlandes mit ihren<br />
terrassenförmig angelegten Reisfeldern und je weiter westwärts an karg bewachsenen<br />
Hügelketten. Miandrivazo liegt am Fluss Mahajilo, ein Zubringer des Tsiribihina.<br />
Zeitig am nächsten Morgen liefen wir neben dem Gepäckkarren her und von vielen<br />
„Schaulustigen“ begleitet an die Anlegestelle der Pirogue. Olivier, unser Piroguier, war<br />
schon vor Ort. Wir haben uns gewundert, ob wohl all das „Gepäck“ bestehend aus<br />
Rucksäcken, Zelten, Matten, Decken, Nahrungsmitteln, Kochutensilien mitsamt uns Vieren<br />
Platz in der Pirogue haben würde. Auch hatten wir unsere Bedenken, ob wir das lange<br />
Sitzen ohne Gliederschmerzen überstehen können. Alles hatte Platz und für Robinson,<br />
Maria und mich wurden sehr bequeme Sitzplätze gemacht. Oliviers Platz zuhinterst in der<br />
Pirogue war eng und er musste ihn erst noch mit einem lebenden Huhn teilen. Das Huhn<br />
war Hauptbestandteil eines leckeren Abendessens unter Sternen. Wir haben es Karoline<br />
getauft und uns oft bei ihm bedankt, dass es sich uns, wohl eher unfreiwillig, gebraten in<br />
leckerer Sauce „zur Verfügung“ gestellt hat!
Die Fahrt auf dem Fluss ist gemächlich, friedlich, meditativ, sehr entschläunigend. Wie<br />
zwei Königinnen sassen wir in der Mitte der Pirogue. Vorne hielt Robinson nach<br />
Chamäleons, Krokodilen, Lemuren, Fledermäusen und speziellen Pflanzen, Bäumen und<br />
Vögeln Ausschau. Denn, die wirklich einmaligen Tiere und Pflanzen, die es nur noch in<br />
Madagaskar gibt, bieten sich einem nicht einfach so à la Masoala-Halle des Zürcher Zoos<br />
an, sondern müssen gefunden werden, oder wenn man Glück hat finden sie einen! Hinten<br />
hielt Olivier uns rudernd im Auge. Ruckartige Bewegungen führten automatisch dazu, dass<br />
wir nass wurden, da eine Pirogue nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragt. Hin und<br />
wieder wurde das Fliessen des Wassers und das Eintauchen des Paddels durch<br />
Kinderrufe, Frauen, die am Ufer wuschen, Männer, die fischten, das Tuckern eines<br />
Bootes, oder das Kreuzen einer anderen Pirogue unterbrochen. Mit all diesen Menschen,<br />
denen der Fluss als Versorgungsweg dient, gab's dann ein Schwätzchen mit der in<br />
Madagaskar üblichen Einleitung: „Inona no vaovao?“ (Gibt's Neuigkeiten?), worauf der/die<br />
Angesprochene meist mit: „Tsy misy vaovao!“ (Es gibt nichts Neues) antwortet. Geredet<br />
wird dann aber doch! Hin und wieder haben wir auch gesungen. Wir Frauen haben<br />
versucht, die Männer mit urschweizerischem Gejodele in allen vier Landessprachen zu<br />
übertrumpfen!<br />
Nach etwa vier Stunden steuerte Olivier die Pirogue ans Ufer. Er und Robinson fingen<br />
sofort an zu kochen, und wir beide konnten uns unter einem grossen Mangobaum auf das<br />
leckere Mal freuen. Alleine waren wir aber nicht. Im Nu verbreitete sich offensichtlich die<br />
Information, dass „Vazahs“ (weisse Fremde) am Campieren seien, und schon waren viele<br />
Kinder und teilweise auch Erwachsene der umliegenden Dörfchen zur Stelle. Vor allem<br />
wollten sie von uns Kleidungsstücke und leere PET-Flaschen – jawoll, leere, nicht volle –<br />
damit sie mit Selbstgemachtem gefüllt werden konnten. Das gute Essen erfreute uns nicht<br />
wirklich und der Hunger wurde gedämpft, da uns die Präsenz des grossen, nichtessenden<br />
Publikums schon nachdenklich stimmte. Robinson hat dann unsere Resten unter den<br />
„Zuschauern“ verteilt!
Nochmals vier Stunden auf dem Fluss und die Sonne ging langsam unter. Ein passender<br />
Platz zum Übernachten wurde am Ufer gefunden. Robinson und Olivier stellten die Zelte<br />
auf und machten sich ans Kochen, und wir beide schauten dem Fluss, der untergehenden<br />
Sonne und all den Sternen zu, die sich langsam zeigten. Auch der zweite Tag am und auf<br />
dem Fluss verlief ähnlich, wobei wir als Tages-Highlight im Becken eines Wasserfalls<br />
planschen konnten und am Abend wurde Karoline unter letzter Verdankung verspeist.
Das Aufwachen am dritten und letzten Tag war sehr speziell. Ein feiner Nebel hatte sich<br />
auf den Fluss und die Landschaft gelegt. Waren wir in einer anderen Zeit auf dem Weg<br />
nach Avalon? So kam es uns jedenfalls vor, bis wir durch die Sonne und eine<br />
Handyantenne ins Jetzt zurück befördert wurden. Die Flussfahrt endete am Anfang des<br />
Nachmittages für Robinson und uns. Für Olivier ging der harte Teil der Arbeit erst los. Er<br />
musste wieder nach Miandrivazo zurück, was 7 – 10 Tage flussaufwärts rudern bedeutet!<br />
Unser Gepäck wurde auf einen Zebu-Karren umgeladen. Wenn der Weg ins Dorf, in dem<br />
uns ein Geländefahrzeug erwartete, mehr als knietief unter Wasser stand, stiegen wir auch<br />
auf den Karren. Doch das Laufen war nach zweieinhalb Tagen Sitzen viel bekömmlicher.<br />
Per 4x4 ging's die nächsten 50 Km auf akzeptabler Strasse nach Tsiribihina sur Belo ins<br />
Hotel zur Übernachtung. Doch zuerst musste noch der Tsiribihina mit einer Art Fähre –<br />
zwei alte Bote, auf denen ein Bretterfloss montiert war – überquert werden. Ich habe noch<br />
nie einen Kapitän gesehen, der sicher dreimal ins Wasser musste, um irgendwas an der<br />
Schraube herumzuhantieren und Holzstücke zu entfernen und das beim Schein der Sterne<br />
und einer mickrigen Taschenlampe. Licht gab es auf der Fähre keines, wozu auch, dazu<br />
hat Mann ja Augen und ausser einigen einsamen Piroguen und eben Holzstücken im<br />
Wasser gab's keinen Schiffsverkehr mehr um diese Zeit.
Gut ausgeschlafen, geduscht und gefrühstückt ging die Reise am nächsten Morgen weiter<br />
nach Bekopaka, dem Tor zum Nationalpark der Tsingy de Bemaraha (seit 1990 World<br />
Heritage Site der UNESCO). Um die Mittagszeit kamen wir gut geschüttelt im Croco-Camp<br />
an. Ohne 4x4 ist die Strecke von Belo sur Tsiribihina nach Bekopaka nicht zu machen. Die<br />
Piste hatte viele grosse und kleine Löcher und stand manchmal unter Wasser. Auf dieser<br />
Strecke zeigten sich uns auch die Schäden, die der Mensch, vor allem aus Unkenntnis<br />
und Unverstand, anrichtet. Einzelne Baumstümpfe der einstigen Urwaldriesen standen<br />
verloren auf verbrannter Erde herum.
Am Nachmittag hatten wir frei. Wir besuchten die kleinen Beizli des Croco-Camps und<br />
organisierten uns für den Abend eine kleine Nachtwanderung, auf der wir viele<br />
verschiedene Chamäleons bewundern konnten. Im Gegensatz zum „einsamen“<br />
Campieren am Ufer des Tsiribihinas, war die Übernachtung auf dem Croco-Camp laut und<br />
nicht nach unserem Geschmack. Wir haben dann „umgebucht“ und die zweite Nacht in<br />
einem guten Hotel mit Swimming-Pool verbracht.<br />
Den ganzen sechsten Tag unserer Reise waren wir auf Tour in den spektakulären Tsingis<br />
von Bemaraha. Auf erschlossenen Wegen – inklusive einer Hängebrücke – wird man von<br />
einem Guide, oft gesichert, durch enge Durchgänge, Grotten und dann wieder auf luftiger<br />
Höhe vorbei an spitzen, bizarren Kalksteinnadeln geführt. Die Kraxlerei strengt schon<br />
etwas an, aber lohnt sich auf jeden Fall. Auf den sogenannten Belvedères wird man mit<br />
einer Aussicht über die Karstlandschaft belohnt, die ihresgleichen sucht. Die Tsingis sind<br />
auch für Botaniker und Vogelfreunde eine Trouvaille. Auch spezielle Lemuren, die wir<br />
allerdings nur von weit weg gesehen haben, leben in den Tsingis. Die kleinen Tsingis,<br />
deren Eingang sich unmittelbar beim Croco-Camp befindet, sind nicht so spektakulär<br />
(weniger spitz und hoch, breitere Einschnitte), aber haben durchaus ihren Charme und<br />
sind vor allem für Leute mit weniger Kondition, etwas gar wohlbeleibt und schlechtem<br />
Schuhwerk gut geeignet. Das einmalige Naturerlebnis haben wir mit einem Schwumm im<br />
Hotelpool und einem feinen Nachtessen mit einem – oder auch zwei – Gläschen Wein und<br />
einem madagassischen Rum abgerundet.
Fast 9 Stunden des nächsten Tages verbrachten wir auf der Piste und Strasse. Wieder gut<br />
geschüttelt kamen wir zum Zmittag in Belo sur Tsiribihna an. Unser Fahrer Coco war<br />
wirklich ein Könner und hatte die Piste im Griff. Von Belo nach Morondava, unserem<br />
Reiseziel am Kanal von Moçambique, war die Strasse wieder akzeptabel und es machte<br />
ihm direkt Freude, hin und wieder das Gaspedal herunter zu drücken. Unterwegs<br />
besuchten wir den heiligen Baobab, der einen Umfang von gut 17 Metern und eine sehr<br />
spezielle Energie hat, und die Baobabs amoureux, zwei sich umschlingende Baobas –<br />
eine schöne Laune der Natur. Rechtzeitig kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir die<br />
berühmte, auf den meisten Werbeplakaten Madagaskars abgelichtete, Baobab-Allée.<br />
Gegen den, von der Sonne noch warmen, Stamm eines dieser einzigartigen und meistens<br />
einige hundert Jahre alten Bäume gelehnt gaben wir uns dem Sonnenuntergang hin. Es<br />
war ein sehr sinnlicher, berührender Moment.
Nach kurzer Fahrt endete diese einmalige Reise in Morondava. Wir sind sehr dankbar, für<br />
all das Erlebte. Unser Guide Robinson und der Piroguier Olivier, haben uns bestens<br />
bekocht, betreut und auf uns aufgepasst. Misaotra betsaka – vielen herzlichen Dank!<br />
Veloma tompoko – Auf Wiedersehen!