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Leseprobe - Sankt Ulrich Verlag

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Denn Armut ist ein<br />

groSSer Glanz aus Innen …<br />

… sagt Rainer Maria Rilke (Das Stundenbuch – Drittes<br />

Buch: Von der Armut und vom Tode). Und meint eine Armut,<br />

die aus einem inneren Bedürfnis heraus, beispielsweise<br />

aus Liebe zu Gott und Ihm zur Ehre, freiwillig gewählt<br />

wird. Das ändert nichts an der Tatsache, dass es<br />

gerade in unserer gnadenlos materialistisch ausgerichteten<br />

Gesellschaft gelegentlich ganz praktische Zwänge gibt, die<br />

ein solches Leben schwierig machen. Die folgende Gebetserhörung<br />

wurde mir von jemandem anvertraut – und niemand<br />

kann das geschilderte Problem besser nachvollziehen<br />

als die Autorin, die seit ihrer Kindheit ziemlich hochgradig<br />

kurzsichtig ist. Brillen sind teuer, das weiß jeder, der immer<br />

mal wieder eine braucht. Für viele entstehen dann Kosten<br />

in Höhe einer kompletten Monatsrente (und mehr!). Aber<br />

lassen wir den erzählen, dem hier auf wundersame Weise<br />

geholfen wurde (alle diesbezüglichen Dokumente, Rechnungen<br />

und Belege liegen der Autorin in Kopie vor).<br />

Damit unsere Leser die folgende Gebetserhörung verstehen,<br />

muss ich etwas von meinem Leben erzählen. Ich bin<br />

katholischer Priester. Als solcher versuche ich den Menschen<br />

zu helfen, die mir begegnen. Man nennt das einfach<br />

Seelsorge.<br />

In den letzten Jahren bin ich mehrmals umgezogen. Mancher<br />

Umzug kam trotz vorheriger Ankündigung ziemlich<br />

plötzlich – d. h. ich hatte nicht so viel Zeit, meine Sachen<br />

zu ordnen und zu sortieren, wie ich dachte. So passierte es<br />

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des öfteren, dass am Ende alles nur „schnell, schnell“ gehen<br />

musste. Viel „bedrucktes Papier“ (wie ich manche Artikel<br />

bzw. Zeitungsausschnitte nenne), Vorträge, Briefe, Rechnungen<br />

etc. wurden rasch in Kartons und Plastiktüten verstaut.<br />

Einiges habe ich verloren, anderes schlichtweg vergessen.<br />

Was meinen Lebensunterhalt betrifft, so gebe ich<br />

meine Rente und alles andere ab. Ich lebe – so heißt das<br />

wohl – „von der Hand in den Mund“, also von dem, was mir<br />

die Leute geben. Moderne Sozialstatistiker würden sagen:<br />

„am Existenzminimum“. Gläubige, wenn sie alles wüssten,<br />

würden sagen: ich lebe arm.<br />

Anfang des Jahres 2010 verschrieb mir mein Augenarzt<br />

eine neue Brille. Für meine Bedürfnisse ist eine sogenannte<br />

„Gleitsichtbrille“ eine große Hilfe. Doch ist sie auch ziemlich<br />

teuer. Aber was sein muss, muss eben sein. Sie kostete<br />

760 Euro.<br />

Seelsorglich betreue ich viele Menschen, und oft bringe ich<br />

Kranken die heilige Kommunion. So kümmerte ich mich<br />

über viele Jahre auch um eine alte Dame – nennen wir sie<br />

einfach mal Adele. Im Mai vergangenen Jahres starb sie im<br />

gesegneten Alter von 90 Jahren, körperlich zwar am Ende,<br />

aber geistig voll und ganz da. Fromm, wie sie war, zweifelte<br />

ich nie, dass Gott sie zu sich genommen hatte: „Komm,<br />

meine Tochter – geh ein in die Freude deines Herrn“.<br />

Ein paar Tage später fand die Beerdigung statt. Die Familie<br />

betraute mich damit, da ich die alte Dame ja über<br />

viele Jahre hinweg betreut und auch diese sich gewünscht<br />

hatte, von mir ausgesegnet zu werden. Als das Requiem zu<br />

Ende und die Beisetzung erfolgt war, musste ich aus seelsorglichen<br />

Gründen nach Frankfurt am Main fahren; ich<br />

war demzufolge sehr in Eile. Nachdem ich mich umgezogen<br />

hatte, wollte ich zum Auto gehen. Genau in diesem<br />

Moment ging ein Wolkenbruch herunter, wie er eben im<br />

Mai nicht ungewöhnlich ist. Da mein Auto nahe der Kirche<br />

geparkt war und ich auch keinen Regenschirm hatte,<br />

zog ich kurzerhand meinen Mantel über den Kopf, lief zum<br />

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Wagen, schloss ihn schnell auf, setzte mich hinein und fuhr<br />

sofort los. Nachdem ich einige Meter gefahren war, fiel<br />

mir plötzlich auf, dass ich nicht so deutlich sehen konnte<br />

wie gewohnt. Ich wollte mir die Brille zurechtrücken – sie<br />

war aber nicht auf meiner Nase. „Um Gottes willen, wo ist<br />

meine neue Brille?!“ dachte ich. In diesem Augenblick war<br />

mir klar, dass ich sie beim Laufen zum Auto verloren haben<br />

musste. „760 Euro!“ schoss es mir durch den Kopf. Ich fuhr<br />

sofort zur Kirche zurück, suchte auf dem Weg, den ich von<br />

der Kirche geeilt war, fand aber die Brille nicht. Erst beim<br />

zweiten Mal sah ich sie, besser gesagt: ihre Reste! Sie lag auf<br />

der Erde direkt hinter der Parklücke, wo ich meinen Wagen<br />

geparkt hatte; ich war darüber gefahren. Was vor kurzem<br />

noch eine schöne Brille gewesen war, war jetzt ein plattes,<br />

ebenes „Kunstwerk“, das nur noch vage an eine Sehhilfe erinnerte.<br />

Was tun? Die Zeit drängte. Ich hätte schon längst auf der<br />

Autobahn sein sollen. Zwar konnte ich auch ohne Brille<br />

einigermaßen genau in die Ferne sehen und sicher fahren,<br />

aber wie würde ich am folgenden Morgen die heilige<br />

Messe lesen? Ich fuhr noch am selben Abend wieder nach<br />

Köln zurück. Unter meinen aufgehobenen Habseligkeiten<br />

fand ich am Abend die Gläser meiner ersten Brille. Am<br />

nächsten Morgen fiel es mir zwar nicht leicht, die Texte<br />

der heiligen Messe zu lesen, aber für den Moment ging es,<br />

wenn auch eben mit Mühe. Als älterer Priester kennt man<br />

viel auswendig. Gott sei Dank! Doch schon am Vormittag<br />

musste ich eine Brille haben, mit der ich wenigstens Brevier<br />

bzw. Stundengebet würde lesen können. Ich ging in ein Geschäft.<br />

Tatsächlich fand ich ein einfaches Brillengestell, das<br />

einigermaßen brauchbar war und nun mit meinen eigenen<br />

Gläsern ausgestattet wurde, auch wenn diese nicht mehr so<br />

wirklich gut waren! Kostenpunkt: 156 €.<br />

Einige Tage später ging ich mit dem „platten Kunstwerk“<br />

zu meinem gewohnten Optiker, der sich nicht in Köln befindet.<br />

Er sagte mir, dass von der überfahrenen Brille nichts<br />

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mehr brauchbar sei! Eine neue Brille also! Ich dachte nur:<br />

Wer soll das bezahlen? … 156 plus 760 Euro, macht zusammen<br />

stolze 916 €. Der Optiker hatte Mitleid mit mir, gewährte<br />

einen Preisnachlass und verlangte „nur“ 715 €. Ich<br />

rechnete: 156 plus 715 – das waren immer noch 871 €! Woher<br />

nehmen? Ich zerbrach mir den Kopf, doch dann wurde mir<br />

immer klarer: „Adele, das geschah alles nur wegen deiner<br />

Beerdigung und dieses Wolkenbruchs. Du musst mir 871 €<br />

besorgen!“ Und je mehr ich mich mit diesen Rechnungen<br />

befasste, umso klarer wurde mir die Rolle Adeles. Sie war<br />

herzensgut und fromm gewesen, hatte ihr Leiden in den<br />

letzten Jahren tapfer getragen, häufig gebeichtet und sehr<br />

oft die heilige Kommunion empfangen. Sie musste mir das<br />

Geld besorgen. So wandte ich mich jetzt mehrmals an sie<br />

und bat um ihre Hilfe. Sagt uns nicht der Glaube, dass wir<br />

Gläubigen in der katholischen Kirche wie eine große Familie<br />

seien? Glauben wir etwa nicht, daß uns die Heiligen im<br />

Himmel helfen? Also sagte ich: „Adele! Nun bist du dran …<br />

Schau mal zu, wie du mir 871 € besorgst!!“<br />

Wochen später fahre ich wieder nach Frankfurt. In der<br />

Wohnung, in welcher ich für gewöhnlich übernachte und<br />

früher auch wohnte, sagt man mir, man wolle den Keller<br />

neu streichen und habe dort noch Sachen von mir gefunden:<br />

Kartons, Plastiktüten usw. Ich möge doch bitte nochmals<br />

nachsehen, denn am nächsten Morgen werde ein Entsorgungsunternehmen<br />

kommen …<br />

Angesichts der Eile und der Menge an vergilbten Zeitungsausschnitten,<br />

Artikeln etc. nehme ich nur eine Plastiktüte<br />

mit in die Wohnung, um nachzusehen, was darin noch<br />

sei. Es findet sich viel „altes Zeug“: vergilbte Vorträge, alte<br />

Entwürfe für längere Predigten … Aber auch ein paar alte<br />

Briefe gibt es da. Eine ganze Menge alter Briefe – mehr als<br />

zehn Jahre alte. Als ich sie aber nun alle öffnete und meine<br />

Gedanken bzw. Gebete zu den Absendern gingen (manche<br />

waren in der Zwischenzeit bereits verstorben), kamen in<br />

mehreren dieser Umschläge Geldscheine zum Vorschein!<br />

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Ich hatte das alles längst vergessen. Sofort schoss mir der<br />

Gedanke durch den Kopf: „Adele, das ist es! Danke!“ Allerdings<br />

hatte die Sache einen Haken: all’ diese Banknoten<br />

waren – DM-Scheine! Insgesamt 1.690,- DM in Papier- und<br />

14,- DM in Hartgeld. Konnte man das noch umtauschen?<br />

Sofort erkundigte ich mich … und tatsächlich, man konnte<br />

es noch. Bei der Landesbank in Köln.<br />

Bei nächster Gelegenheit fuhr ich hin. Anstandslos wurde<br />

mir alles gewechselt. Als ich die Summe in Euro sah, kamen<br />

mir die Tränen. Mir war eindeutig klar: „Das war Adele!“<br />

Was nämlich zählte man mir auf den Tisch des Hauses?<br />

864,08 Euro für das Papier- und 7,16 Euro für das Münzgeld.<br />

Macht genau – 871,24 €! „Danke, liebe Adele!!! Die 24<br />

Cent waren aber nicht nötig!!“ Seit dieser Gebetserhörung<br />

ist mein Glaube noch fester geworden, meine Überzeugung,<br />

dass die katholische Kirche eine große, große Familie<br />

ist. Und ich bin überzeugt, dass Gott meine liebe 90jährige<br />

Adele zu sich genommen hat: „Vater, du hast Adele längst<br />

zu dir geholt und auf sie gehört! Danke! Tausend Dank!“<br />

Köln, den 22. Mai 2011 – T. I.<br />

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