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Rot-graue Blätter - Die Schriftleitung

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Über den Dichter<br />

Als König Gustav Adolf VI. am 13. Dezember 1971 in der Philadelphia-Kirche<br />

von Stockholm Pablo Neruda als drittem Lateinamerikaner nach Gabriela<br />

Mistral und Miguel Angel Asturias den Nobelpreis für Literatur überreichte,<br />

war sich dieser seiner besonderen literarischen und politischen Rolle wohl<br />

bewusst: „Ich komme aus einer dunklen Provinz, aus einem Land, das von<br />

allen anderen durch die schroffe Geographie abgeschnitten ist. Ich war der<br />

verlassenste aller Dichter und meine Lyrik war regional, voller Schmerz und<br />

voller Regen. Aber ich hatte immer Vertrauen zum Menschen. Nie habe ich<br />

die Hoffnung verloren. Deshalb bin ich vielleicht hierher gekommen mit meiner<br />

Lyrik und auch mit meiner Fahne.“<br />

Keine zwei Jahre später, an jenem anderen 11. September 1973, putschte<br />

der größte Teil des chilenischen Militärs gegen die rechtmäßig gewählte<br />

Regierung der Unidad Popular. Nerudas Freund Salvador Allende fiel für die<br />

Verteidigung der politischen Ideale. Für einen Teil des chilenischen Volkes<br />

begann eine furchtbare Tragödie, deren Wunden bis heute nicht vernarbt<br />

sind. „Mein Volk ist das am meisten verratene dieser Zeit gewesen“, heißt es<br />

im Schlusskapitel der Memoiren Nerudas.<br />

Zwölf Tage später, am 23. September 1973, starb der Schriftsteller in Santiago<br />

an Krebs, aber auch an gebrochenem Herzen. Sein Vertrauen zu den<br />

Menschen hatte Schiffbruch erlitten, aber seine Ideale rettete er in den Tod.<br />

Seine Beerdigung wurde zur ersten großen Demonstration gegen das faschistische<br />

Regime Pinochets. Matilde Urrutia schrieb in ihren Memoiren Mein<br />

Leben an der Seite Pablo Nerudas (1986): „Aus allen Straßen kommen Männer,<br />

Frauen. Das Volk schließt sich dem Trauergeleit an, um seinem Dichter<br />

Lebewohl zu sagen ... Es tauchen auch Wagen mit Militärs auf, die ihre<br />

Gewehre auf uns richten, aber dann halten sie inne. Sie wollen uns gewiss<br />

erschrecken ... Der Chor der Stimmen schreit: Pablo Neruda, presente, ahora<br />

y siempre." Zwischen tiefem Schmerz und zornigem Widerstand folgte Matilde<br />

Urrutia dem Sarg. Ihr einziger Trost waren Nerudas Worte: „Zwei glückliche<br />

Liebende haben weder Ende noch Tod ... sie haben die Ewigkeit der<br />

Natur.“<br />

Nach dem Taufregister wurde Ricardo Eliezer Neftalí Reyes Basoalto am 12.<br />

Juli 1904 im mittelchilenischen Parral geboren. Sein Vater war Eisenbahner.<br />

Seine Mutter, eine Lehrerin, starb kurz nach der Geburt. Da der Vater nichts<br />

von brotlosen Poeten hielt, legte sich dieser seit 1920 das Pseudonym Pablo<br />

Neruda nach Jan Neruda (1834–1891), dem tschechischen Schriftsteller und<br />

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