Martin Dinges (Hg.): Männer - Macht - Körper ... - Sehepunkte
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<strong>Martin</strong> <strong>Dinges</strong> (<strong>Hg</strong>.): <strong>Männer</strong> - <strong>Macht</strong> - <strong>Körper</strong>. Hegemoniale<br />
Männlichkeit vom Mittelalter bis heute (= Geschichte und<br />
Geschlechter; Bd. 49), Frankfurt/Main: Campus 2005, 232 S.,<br />
ISBN 3-593-37859-0, EUR 24,90<br />
Rezensiert von:<br />
Olaf Stieglitz<br />
Historisches Seminar, Anglo-Amerikanische Abteilung, Universität zu Köln<br />
Seitdem der australische Soziologe Robert W. Connell Mitte der 1980er-<br />
Jahre erstmals sein Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" vorgestellt<br />
hat, avancierte es nicht nur zu einer Leitlinie der internationalen,<br />
gegenwartsorientierten "<strong>Männer</strong>studien". Es beeinflusste darüber hinaus<br />
auch das Entstehen von geschlechterhistorischen Arbeiten zu<br />
Männlichkeiten wesentlich mit. Die auf diese Weise gefasste Analyse<br />
männlich strukturierter <strong>Macht</strong> sowohl in Relation zu Frauen als auch<br />
gegenüber untergeordneten und marginalisierten anderen Männlichkeiten<br />
entpuppte sich als wertvolles heuristisches Werkzeug in sehr vielen<br />
Einzelstudien und Überblickswerken der letzten Jahre. Diese<br />
"Erfolgsgeschichte" hatte aber auch ihren Preis: die Rezeption der<br />
Vorschläge Connells gerade durch Historikerinnen und Historiker weist<br />
eine so große Bandbreite und zum Teil durchaus widersprüchliche<br />
Elemente auf, dass dem Begriff der "hegemonialen Männlichkeit"<br />
Tiefenschärfe und Präzision verloren zu gehen schien. Darüber hinaus<br />
mehrten sich zuletzt auch Stimmen, die den Nutzen eines so offenbar<br />
universell einsetzbaren Konzepts gerade aus historischer Perspektive<br />
infrage stellen.<br />
Der vorliegende, von <strong>Martin</strong> <strong>Dinges</strong> herausgegebene Sammelband widmet<br />
sich erstmals ausführlich einer intensiven Auseinandersetzung mit dem<br />
Connell'schen Instrumentarium aus Perspektive der<br />
Geschichtswissenschaft. Er vereinigt zwei methodisch-konzeptionelle bzw.<br />
zum Teil auch programmatische Beiträge (von <strong>Dinges</strong> einerseits und von<br />
Michael Meuser und Sylka Scholz andererseits) mit zehn weiteren<br />
Aufsätzen aus den Disziplinen Geschichte, Literaturwissenschaft,<br />
Kulturwissenschaft und Soziologie. Alle Texte entstammen einer<br />
Stuttgarter Tagung des Arbeitskreises für interdisziplinäre <strong>Männer</strong>- und<br />
Geschlechterforschung, und sie alle arbeiten kritisch-produktiv mit sowie<br />
an Connells Begriff von den "hegemonialen Männlichkeiten".<br />
Ein Konzept steht also auf dem Prüfstand - der Untertitel zu <strong>Dinges</strong>'<br />
einleitendem Beitrag formuliert gelungen die Ausrichtung des Bandes. Der<br />
Autor, der selbst bereits mit einer Reihe von Beiträgen zur<br />
Geschlechtergeschichte von Männlichkeiten namentlich der Frühen<br />
Neuzeit hervorgetreten ist, stellt darin zunächst kenntnisreich die<br />
zentralen Bestandteile des Ansatzes vor. Dabei ist in erster Linie Connells
Betonung der Praxis, also des Handelns, als Kern seiner Ideen wichtig.<br />
Ferner arbeitet <strong>Dinges</strong> Connells Umgang mit dem feministischen<br />
Patriarchatskonzept heraus und betont die für nachfolgende Forschungen<br />
so bedeutsame Perspektive auf das <strong>Macht</strong>gefälle innerhalb des<br />
männlichen Geschlechts, welches neben "hegemonialen", eben auch<br />
untergeordnete Männlichkeiten hervorbringt. Ein weiterer Schwerpunkt<br />
dieses Teils ist die Identifizierung der Einflüsse anderer Autoren auf<br />
Connell (Elias, Weber, Gramsci).<br />
Im weiteren Verlauf seines Aufsatzes formuliert <strong>Dinges</strong> pointierte Kritik<br />
an Connells Konzept, wobei er in erster Linie auf dessen mangelnde<br />
Aussagekraft für mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaftsformen<br />
hinweist. Stattdessen erscheint es dem Autor "sinnvoll, bei historischen<br />
Diskussionen über Modelle von Männlichkeit zwischen 'dominanter',<br />
frühmoderner 'hegemonialer' oder 'moderner hegemonialer Männlichkeit'<br />
zu unterscheiden und außerdem anzugeben, was und warum man jeweils<br />
bestimmte inhaltliche Aspekte für konstitutiv hält" (20).<br />
Dieser Vorschlag des Herausgebers spiegelt sich in der weiteren<br />
Gliederung der Anthologie wider. Bea Lundt und Andrea Moshövel widmen<br />
sich in einem ersten Abschnitt den Entwürfen dominanter Männlichkeiten<br />
bei Karl dem Großen, Konrad von Megenberg sowie Hildegard von Bingen.<br />
Die frühmodernen hegemonialen Männlichkeiten werden in zwei weiteren<br />
Beiträgen thematisiert, wobei Nicole Grochowina sich der Analyse eines<br />
täuferischen Martyriologiums des 16. Jahrhunderts zuwendet und Marian<br />
Füssel die Habitusformen frühneuzeitlicher Studenten beleuchtet. Im<br />
dritten Teil nehmen die Aufsätze von Christa Hämmerle (zu "Militär und<br />
Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie") und Marc Schindler-<br />
Bondiguel (zum Verhältnis von Männlichkeit und "Rasse" bei<br />
Vaterschaftsvorstellungen im kolonialen Frankreich) die moderne<br />
hegemoniale Männlichkeit in den Blick. Ein längerer, vierter Abschnitt des<br />
Bandes fragt explizit nach marginalisierten Männlichkeiten. Darin finden<br />
sich neben zwei geschichtswissenschaftlichen Arbeiten von Miriam Rürup<br />
zur Inszenierung von Männlichkeiten in jüdischen Studentenverbindungen<br />
und <strong>Martin</strong> Lücke zu mann-männlicher Prostitution im Kaiserreich auch<br />
Ansichten der Kulturwissenschaftlerin Almut Sülzle zur Fankultur im<br />
Fußballstadion und Überlegungen zum Gewaltdiskurs in Blaubart-Texten<br />
des 20. Jahrhunderts aus der Feder der Literaturwissenschaftlerin Monika<br />
Szczepaniak. Alle genannten Beiträge bieten interessante Erkenntnisse in<br />
ihren jeweiligen Feldern, die freilich bisweilen sehr speziell sind und<br />
inhaltlich weit auseinander liegen. Ihre übergeordnete Bedeutung ermisst<br />
sich aber vor allem in ihrem Bemühen, das Connell'sche Konzept einer<br />
eingehenden Prüfung am Einzelfall zu unterziehen.<br />
Den Abschluss des Sammelbandes bildet der schon angesprochene<br />
"Versuch einer Begriffsklärung aus soziologischer Perspektive", in dem<br />
Michael Meuser und Sylka Scholz die überwiegend<br />
geschichtswissenschaftlichen Aufsätze des Bandes mit der aktuellen<br />
Debatte um Connell und sein Modell in ihrer Disziplin, der Soziologie,<br />
verbinden. Sie regen dabei insbesondere eine Erweiterung durch eine
Verknüpfung mit dem Bourdieu'schen Habituskonzept an. Dies ist ein<br />
interessanter Vorschlag, zumal beide Ansätze zentral auf Vorstellungen<br />
von Handeln fußen. Darüber hinaus greifen Meuser und Scholz die häufig<br />
gestellte Frage auf, wie viele hegemoniale Männlichkeiten es in einer<br />
Gesellschaft geben könne. In ihrer Antwort betonen sie, dass<br />
hegemoniale Männlichkeit über eine enge Gruppe hinaus Gültigkeit haben<br />
muss, um als solche anerkannt zu werden. Das bedeute für moderne<br />
Gesellschaften, dass es durchaus mehrere hegemoniale Männlichkeiten<br />
geben könne, aber nicht unendlich viele.<br />
Insgesamt gelingt es dem Band sehr gut, seinem Ziel einer begrifflichen<br />
Präzisierung des Konzepts von der hegemonialen Männlichkeit gerecht zu<br />
werden. Die inhaltlichen Beiträge im Zentrum der Anthologie zeigen in<br />
ihrer Bandbreite indes aber auch deutlich, dass die Orientierung an den<br />
<strong>Männer</strong>studien in den Sozialwissenschaften nicht ausreichen wird, um<br />
einen mehrfach relationalen, geschlechterhistorischen Blick auf differente<br />
Männlichkeiten zu werfen. So hilfreich die Begriffsanleihen aus der<br />
Soziologie sicher sind, ihre Reichweite bleibt in der historischen Forschung<br />
schwierig. Eine stärkere Betonung diskurstheoretischer Ansätze - die sich<br />
bislang noch in einem problematischen Spannungsverhältnis zu Connells<br />
Konzept befinden - könnte hier eine viel versprechende Ergänzung oder<br />
Alternative für künftige Arbeiten sein.<br />
Redaktionelle Betreuung: Maren Lorenz<br />
Empfohlene Zitierweise:<br />
Olaf Stieglitz: Rezension von: <strong>Martin</strong> <strong>Dinges</strong> (<strong>Hg</strong>.): <strong>Männer</strong> - <strong>Macht</strong> - <strong>Körper</strong>.<br />
Hegemoniale Männlichkeit vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/Main: Campus 2005,<br />
in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: <br />
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