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Hans Joachim Gach: Geschichte auf Reisen ... - Sehepunkte

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<strong>Hans</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Gach</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>auf</strong> <strong>Reisen</strong>. Historisches Lernen<br />

mit Museumskoffern (= Museum Konkret), Schwalbach:<br />

Wochenschau-Verlag 2005, 142 S., ISBN 978-3-89974-141-4, EUR<br />

13,40<br />

Rezensiert von:<br />

Martin Jander<br />

Berlin<br />

Dieses Buch ist ein Plädoyer. <strong>Hans</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Gach</strong>, geboren 1971, der an<br />

der Universität Osnabrück ein Lehramtsstudium absolviert hat und seither<br />

in unterschiedlichen Funktionen in der Lehrerfortbildung tätig ist, will mit<br />

seiner Darstellung mithelfen, dass Geschichtslehrer ihren Unterricht<br />

anschaulicher gestalten. Er hält die Idee der Museumskoffer für ein<br />

wesentliches Element einer neuen Pädagogik.<br />

In seinem sehr klar, aber manchmal leider etwas trocken geschriebenen<br />

Buch behandelt der Autor vier verschiedene Themenkomplexe. Zunächst<br />

erläutert er die Entstehungsgeschichte von Museumskoffern. Schon<br />

während der Zeit der Aufklärung entstand die Idee, kofferähnliche<br />

Materialsammlungen zu Zwecken der besseren Wissensvermittlung<br />

einzusetzen. Auch Künstler, z. B. Marcel Duchamps (1887-1968) nutzten<br />

die Idee eines Koffers, um ihre Werke mobiler zu präsentieren.<br />

Die eigentliche <strong>Geschichte</strong> der Museumskoffer begann im 20.<br />

Jahrhundert. Sie "entstand losgelöst von bestimmten Fachdisziplinen und<br />

war Teil der allgemeinen Pädagogisierung." (13) Von Beginn an ging es<br />

bei der Produktion solcher Museumskoffer darum, Lehrkräften<br />

anschauliches - und natürlich auch anfassbares - Material an die Hand zu<br />

geben, um Wissensvermittlung intensiver und interessanter zu gestalten.<br />

Wesentlichen Einfluss <strong>auf</strong> die Museumspädagogik und die<br />

Weiterentwicklung der Museumskofferidee hatte die Entstehung von<br />

Kindermuseen in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die<br />

Grundidee von ausleihbaren Museumskoffern entstand, weil Lehrer und<br />

Lehrerinnen sich damals Gedanken darüber machten, wie<br />

Museumsbesuche mit Kindern intensiviert, besser vor- und nachbereitet<br />

werden könnten. Dabei entdeckten sie, dass man mit Materialien, die<br />

man in die Hand nehmen kann, häufig bessere Lernergebnisse erzielt und<br />

die Kreativität besser gefördert werden kann.<br />

In anderen Ländern, z. B. Australien und Neuseeland, fand die Kofferidee<br />

zunächst vor allem deshalb großen Anklang, um Museen zu den weit<br />

verstreut lebenden Menschen nach Hause bzw. in die Schule zu bringen.<br />

Hier wurde auch die Idee eines rollenden Museums im Bus geboren. In<br />

Deutschland brach die Begeisterung für Museumskoffer, die in den


1930er und 1940er Jahren von nationalsozialistischen Pädagogen<br />

eingesetzt worden waren, nach dem Krieg zunächst ab. Erst seit den<br />

1970er Jahren begann man solche Museumskoffer wieder herzustellen<br />

und auch einzusetzen.<br />

Im zweiten und dritten Kapitel des Buches beschäftigt sich der Autor mit<br />

der Definition von Museumskoffern und diskutiert ihre<br />

Einsatzmöglichkeiten unter lerntheoretischen, pädagogischbildungstheoretischen,<br />

lernpsychologischen u. a. Aspekten. Die<br />

pädagogisch wertvolle Leistung solcher Lernmittel sieht der Autor vor<br />

allem in folgenden Merkmalen (41 f.): (1.) Subjektbezug, (2.)<br />

Ganzheitlichkeit, (3.) Schüleraktivität, (4.) Öffnung der Schule, (5.)<br />

Produktionsorientierung und (6.) Kognitive Reflexion. Diese Merkmale<br />

beschreiben für den Autor auch gleichzeitig die Dimensionen eines<br />

qualitativ hochwertigen Museumskoffers. Zusammenfassend formuliert<br />

<strong>Hans</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Gach</strong>, bei der Arbeit mit Museumskoffern könne eine<br />

"umfassende und profunde Wissensvermittlung, die dank der vielfältigen<br />

Zugänge ein Lernen mit allen Sinnen beinhaltet und damit gleichzeitig<br />

eine relativ große Nachhaltigkeit sicherstellt" (90), erreicht werden.<br />

Im vierten und umfangreichsten Teil des Buches werden verschiedene<br />

Museen der Bundesrepublik und ihre Arbeit mit Museumskoffern<br />

vorgestellt. Hier wird vor allem das breite Spektrum der<br />

Einsatzmöglichkeiten sichtbar. Vom Einsatz der Museumskoffer im<br />

Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg, über den Projektkoffer<br />

Nationalsozialismus aus Lüdenscheid bis zum Museum im Koffer aus<br />

Nürnberg wird ein breites Spektrum von bereits verwendeten<br />

Museumskoffern einschließlich ihrer Einsatzkonzeptionen und ihrer<br />

Inanspruchnahme von Schülern und Lehrern, aber auch anderen<br />

Zielgruppen vorgeführt. Von Ritterrüstungen, die man anprobieren, über<br />

Gänsekiele mit denen man sich in die Situation eines im Mittelalter<br />

Schreibenden hineinversetzen kann bis hin zu Wollhandschuhen aus dem<br />

Fluchtkoffer einer aus dem ehemaligen Ostpreußen Vertriebenen wird hier<br />

eine schier unerschöpfliche Zahl an Gegenständen sichtbar, mit denen<br />

Vergangenheit richtiggehend ertastet werden kann.<br />

Im letzten Kapitel diskutiert der Autor Sinn und Grenzen des Einsatzes<br />

von Museumskoffern und die Perspektiven einer künftigen<br />

Zusammenarbeit von Schule und Museum. Er macht dabei deutlich, dass<br />

der Museumskoffer mehr sein könnte, als er heute schon ist. Sein<br />

bisheriger Einsatz vor allem um Bedürfnisse von Schulen in abgelegenen<br />

Teilen des Landes zu befriedigen, oder um einen kreativen Kontakt<br />

zwischen Kindern und Museen zu etablieren, bleibt gewissermaßen hinter<br />

seinen Möglichkeiten zurück. Es ist, wie <strong>Gach</strong> in seinem Resümee<br />

herausstellt, ja vor allem die Arbeit mit Gegenständen, die pädagogische<br />

Arbeit mit Museumskoffern charakterisiert. Gerade die Chance<br />

Gegenstände spielerisch mit allen Sinnen entdecken zu können, ist eine<br />

wesentliche Chance für eine neue Pädagogik, die sich von trockener<br />

Wissensvermittlung verabschiedet und stattdessen Eigenaktivität und<br />

Motivation von Schülern, aber auch von anderen Zielgruppen fördern will.


Der Autor hat mit diesem Buch ein Plädoyer für eine phantasievollere und<br />

vor allem motivierende Pädagogik verfasst, das mit den vielen<br />

Sachinformationen jedem, der in der historischen und politischen<br />

Bildungsarbeit tätig ist, wertvolle Anregungen gibt und daher ohne Wenn<br />

und Aber zu empfehlen ist.<br />

Einen wichtigen Aspekt des Museumskoffers oder auch allgemeiner<br />

gesprochen des Arbeitens mit Gegenständen in der historisch-politischen<br />

Bildung diskutiert der Autor jedoch leider nicht. Er hebt ganz richtig<br />

hervor, dass die interessante Chance, die ein solches Arbeiten bietet, alle<br />

Sinne der Schülerinnen und Schüler mobilisiert und daher die Wahl ganz<br />

individueller Zugänge erlaubt. Dass diese Form des Lernens auch die<br />

Gefahr beinhalten kann, dass Schüler sich ganz mit einer solch<br />

"ertasteten" Perspektive identifizieren, keine Distanz zu der durch den<br />

Gegenstand vermittelten Perspektive finden, dieses Problem diskutiert der<br />

Autor nicht.<br />

<strong>Gach</strong> diskutiert in einigen Passagen seines Buches ausdrücklich das<br />

Thema Identifikation. So hält er z. B. den Einsatz von Museumskoffern<br />

zur Förderung der "Identifikation mit der Region" (91) und zur<br />

Bewusstmachung "regionaler Identität" (91) für wünschenswert. Als<br />

Beispiel führt der Autor das Konzept "Was macht unsere Region aus" in<br />

der Röhn an. Hier arbeiten verschiedene Partner mit dem Fränkischen<br />

Freilandmuseum zusammen, "In Zusammenarbeit mit den örtlichen<br />

Schulen werden Koffer zur Region gepackt, <strong>auf</strong> deren Grundlage später<br />

dann ein Museumskoffer als 'Heimat'- Koffer entsteht." (90) Im "Heimat"-<br />

Koffer ist dann alles enthalten, was wir sind?<br />

An dieser Stelle hätte sich der Rezensent mehr kritische Distanz<br />

gewünscht. Die sicher unter dem Aspekt der Motivation, der Förderung<br />

der Eigenständigkeit und vielen anderen Aspekten begrüßenswerten<br />

Vorschläge einer emotionaleren und sinnlicheren Pädagogik, enthalten<br />

immanente Gefahren. Zum Beispiel die Gefahr der "Überwältigung". Die<br />

Gegenstände eines Museumskoffers bieten, ganz ähnlich wie Denkmale<br />

und authentische Orte, die Chance einer Reduktion von Komplexität. Sie<br />

ermöglichen eine Zeitreise in eine andere Individualität und in andere<br />

Situationen. Sie können aber auch, eben weil dies kein nur rationaler<br />

Prozess ist, sehr leicht missbraucht werden.<br />

Redaktionelle Betreuung: Michael Kaiser<br />

Empfohlene Zitierweise:<br />

Martin Jander: Rezension von: <strong>Hans</strong> <strong>Joachim</strong> <strong>Gach</strong>: <strong>Geschichte</strong> <strong>auf</strong> <strong>Reisen</strong>.<br />

Historisches Lernen mit Museumskoffern, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2005,<br />

in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: <br />

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