Katrin Moeller / Burghart Schmidt (Hg.): Realität und ... - Sehepunkte
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Jude deutlich sinnlich wahrnehmbar war <strong>und</strong> konkretere Verbindungen<br />
zwischen Krise <strong>und</strong> Schuldzuschreibung ermöglichte, war die Hexe ein<br />
äußerlich nicht mehr erkennbarer innerer Feind. Die Hexe konnte für weit<br />
mehr verantwortlich gemacht <strong>und</strong> stärker dämonisiert werden, die<br />
Aufklärung überstand diese Sündenbock-Konstruktion aber nicht. So<br />
befruchtend Walz´ Beitrag sein mag, passt er allerdings kaum in den<br />
vorliegenden Band.<br />
Rolf Schulte weist dann darauf hin, dass der abendländischen<br />
Hexenverfolgung zwar überwiegend Frauen zum Opfer gefallen sind, im<br />
Reich aber durchschnittlich 24 % der Opfer Männer waren. Mit der<br />
Romantik wurde diese Tatsache aus dem Geschichtsbild weitgehend<br />
ausgeblendet. Diese Verdrängung bestimmt bis heute nicht nur das<br />
triviale Geschichtsbewusstsein stark, sondern teilweise auch die neuere<br />
Forschung, die so zu falschen Schlüssen kommt. Schultes<br />
Bestandsaufnahme betont die regionalen Unterschiede, verweist auf<br />
Territorien mit überdurchschnittlichem Männeranteil <strong>und</strong> arbeitet einen<br />
signifikant höheren Männeranteil in katholischen Verfolgungen heraus.<br />
Die Charakterisierung der Trierer Hexenverfolgungen vor 1600 als<br />
"Germany´s first 'superhunt'" hinterfragt Rita Voltmer im Kontext der<br />
Rezeptions- <strong>und</strong> Forschungsgeschichte. Sie plädiert nach einer ersten<br />
Sichtung der schwierigen Überlieferungslage dafür, das bisherige Bild der<br />
Verfolgungen zu revidieren, die Ausmaße nach unten zu korrigieren <strong>und</strong><br />
Kurfürst Johann von Schönenberg zu entlasten. Kurtrier sei vom<br />
hochgerichtlich unabhängigen Umland zu unterscheiden. Das Bild der<br />
ungeheuerlichen Hexenverfolgung in "Trier" gehe schon bei den<br />
Zeitgenossen im Wesentlichen auf die unabhängige Reichsabtei St.<br />
Maximin zurück, das Bild der Prominenten-Verfolgung nur auf die Stadt<br />
Trier.<br />
Sektion III gilt dem 20./21. Jahrh<strong>und</strong>ert. Anhand der vergleichsweise gut<br />
aufgearbeiteten Nördlinger Hexenprozesse mit den beiden bekannten<br />
Fällen der Rebecca Lemp <strong>und</strong> der Maria Holl untersucht Sonja Kinzler das<br />
Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen Aufarbeitung, der literarischen<br />
Rezeption sowie der lokalen Erinnerungskultur. Im Gegensatz zu anderen<br />
Orten kann Kinzler für Nördlingen auch im nichtwissenschaftlichen<br />
Bereich bei allem Hang zur Komplexitätsreduktion doch eine<br />
ungewöhnliche Seriosität <strong>und</strong> eine Orientierung an den von den<br />
Historikern (vor allem dem Stadtarchiv) bereitgestellten Fakten<br />
feststellen.<br />
Erika Münster-Schröer zeigt demgegenüber anhand von regionalen wie<br />
internationalen Beispielen, wie der Hexenverfolgung in Denkmälern,<br />
Gedenkfesten, Gedenkbüchern <strong>und</strong> Internetpräsentationen mit ganz<br />
unterschiedlichen gegenwartsbezogenen Intentionen gedacht wird. Sie<br />
warnt dabei besonders vor ahistorischen Analogien zum Holocaust <strong>und</strong><br />
plädiert eindringlich für eine Einbettung in die Stadt- <strong>und</strong><br />
Regionalgeschichte mit einer dauernden Rückkoppelung an die moderne<br />
Forschung.