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Gesamtes Heft - SFB 573 - Ludwig-Maximilians-Universität München

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SONDERFORSCHUNGSBEREICH <strong>573</strong><br />

„PLURALISIERUNG UND AUTORITÄT IN DER FRÜHEN NEUZEIT“<br />

4<br />

MITTEILUNGEN 1/2005<br />

Der <strong>SFB</strong> untersucht Konstitutionsbedingungen und<br />

Basisstrukturen der Frühen Neuzeit. Die Kulturwissenschaften<br />

erkennen die Frühe Neuzeit zunehmend als eigene<br />

Epoche, die einerseits noch von den Traditionsvorgaben<br />

des Mittelalters abhängig ist, andererseits aber<br />

die Voraussetzungen für den Übergang ‘Alteuropas’ zur<br />

Moderne schafft. Der <strong>SFB</strong> bündelt entsprechende literaturwissenschaftliche,<br />

historische, kunst- und wissenschaftsgeschichtliche<br />

Forschungen unter den Leitbegriffen<br />

‘Pluralisierung’ und ‘Autorität’. Pluralisierung<br />

meint zunächst die Vermehrung der in einem Lebensoder<br />

Kulturbereich bekannten und relevanten Repräsentationen<br />

der Wirklichkeit und bedeutet darüber hinaus<br />

die Emergenz von ‘neuem’ bzw. alternativem Wissen<br />

und das Entstehen kompetitiver Teilwirklichkeiten.<br />

Diese müssen aufeinander abgestimmt werden; es entstehen<br />

Formen des Dialogs, der, über die Grenzen der<br />

Teilwelten hinweg, Unterscheidungen, Vergleiche und<br />

Übersetzungen vornimmt. Die Felder dieser Dynamik<br />

sind bekannt: Konfessionalisierung, Ausdifferenzierung<br />

von Wissen, Entdeckung neuer Kontinente, Ausbildung<br />

neuer Muster sozialen Verhaltens usw.<br />

Dabei ist davon auszugehen, daß Pluralität noch<br />

nicht Pluralisierung bedeutet, die sich erst in einem langen,<br />

widerspruchsvollen Prozeß einspielt. Wahrheitsansprüche<br />

werden nicht lediglich demonopolisiert, sondern<br />

auf neue Instanzen und Geltungsbereiche verschoben.<br />

Hier fordert der Begriff der Pluralisierung den<br />

komplementären der Autorität. Autorität meint unterschiedliche<br />

Formen von Normierungsansprüchen. Darunter<br />

fallen Instanzen politischer und religiöser Macht,<br />

die ihre Setzungen zu exekutieren vermögen, ebenso wie<br />

Prozesse der Kanonisierung sowie all jene informellen<br />

Geltungsansprüche, die schon dem lateinischen Begriff<br />

‘auctoritas’ innewohnen. Autorität fungiert als Geltungsmacht,<br />

die Entscheidungen herbeiführt und legitimiert.<br />

Sie ist nicht nur Gegenhalt zu Prozessen der<br />

Pluralisierung, die sie zähmt, sondern sie kann Widerspruch<br />

hervortreiben und so neue Freiheitsräume eröffnen.<br />

Die Verbindung eines Begriffs der Dynamik mit einem<br />

der Statik hat zum Ziel, die teleologischen Implikationen<br />

bestehender Forschungsparadigmen wie ‘Sozialdisziplinierung’<br />

oder ‘Modernisierung’ zu vermeiden.<br />

Die Dialektik der Leitbegriffe erleichtert es, richtungsoffene,<br />

widersprüchliche und retardierende Vorgänge<br />

zu erkennen. Das Verhältnis von Pluralisierung<br />

und Autorität ist also keineswegs deckungsgleich mit<br />

dem von Innovation und Beharrung. Vielmehr setzen<br />

sich beide Tendenzen gegenseitig voraus, wobei sich die<br />

Modalitäten ihres Verhältnisses ändern, dies um so<br />

mehr, als die Selbstregulierung kultureller und sozialer<br />

Antagonismen noch kaum funktioniert, so daß extreme<br />

Lösungen (autoritäre, oft dezisionistische auf der einen<br />

Seite, Abbrüche und Revolten auf der anderen) vorherrschen.<br />

Der hohe Abstraktionsgrad der Leitbegriffe erlaubt<br />

es, gewöhnlich disziplinär isolierte Prozesse in Literatur,<br />

Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft, Recht in einheitlicher<br />

Perspektive zu betrachten, dabei aber ihre Ungleichzeitigkeiten<br />

und Brüche untereinander angemessen<br />

zu berücksichtigen. Der zeitliche Rahmen ist bewußt<br />

weit gespannt, so daß Phänomene des Spätmittelalters<br />

ebenso in den Blick geraten wie solche der ‘Sattelzeit’<br />

um 1750. Nur ein zeitlich so weiter Ansatz kann<br />

die regionalen und disziplinenspezifischen Verschiebungen<br />

und Verwerfungen zwischen den anvisierten<br />

Prozessen erfassen.<br />

Die einzelnen Forschungsprojekte sind so angelegt,<br />

daß sie auf der einen Seite den Anforderungen disziplinärer<br />

Ausdifferenzierung moderner Kulturwissenschaften<br />

genügen, auf der anderen Seite Anschlußstellen für<br />

die Überlegungen auf benachbarten Feldern bieten. Sie<br />

ordnen sich drei Projektgruppen zu: „A. Ambivalenzen<br />

des gelehrten Diskurses“; „B. Ordnungen des Wissens“;<br />

„C. Pragmatisierung der Autorität“. Der erste Projektbereich<br />

geht von der Gelehrtenkultur aus und deckt sich<br />

in etwa mit dem traditionellen Feld der Humanismusforschung;<br />

der zweite fächert die Untersuchungsperspektive<br />

weiter auf, indem er verstärkt den Aspekt der<br />

‘Vermittlung’ von Wissensbeständen aller Artikel betrachtet;<br />

der dritte befaßt sich mit der Pragmatisierung<br />

von Wissen im konfessionellen, rechtlichen, wissenschaftsgeschichtlichen<br />

und sozialen Kontext.

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