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Erfahrung und Bewältigung von sozialer Ausgrenzung in der ...

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56 SOFI-Mitteilungen Nr. 29/2001 Soziale <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Großstadt<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Konfrontation mit dem Repräsentanten <strong>der</strong> staatlichen<br />

Fürsorge im Viertel, dem Sozialamt. Der Schutzraum<br />

des quartiergestützten Milieus verschiebt somit<br />

gewissermaßen die Grenzen, an denen die <strong>Ausgrenzung</strong>serfahrung<br />

virulent wird. Er beseitigt sie aber nicht.<br />

E<strong>in</strong>er starken M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Arbeitslosen <strong>in</strong> St. Pauli<br />

bleibt allerd<strong>in</strong>gs selbst die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> schützendes<br />

Milieu verschlossen. Sie schil<strong>der</strong>n das Leben im<br />

Quartier als e<strong>in</strong>en sozialen Ballast, <strong>der</strong> die eigene prekäre<br />

Lage noch verschärft <strong>und</strong> verfestigt. Als wesentlicher<br />

Gr<strong>und</strong> dafür schält sich <strong>in</strong> den Gesprächen heraus, dass<br />

ihre berufliche <strong>und</strong> soziale Karriere e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Verlauf<br />

als <strong>der</strong> Berufs- <strong>und</strong> Lebensweg <strong>der</strong>er genommen<br />

hatte, die vor Ort wohnen bleiben möchten. Der <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen erzwungene Zuzug nach<br />

St. Pauli markiert für sie das (vorläufige) Ende e<strong>in</strong>er beruflichen<br />

Abstiegsgeschichte. Gerade die arbeitslosen<br />

Frauen, die das Leben <strong>in</strong> St. Pauli dezidiert ablehnen,<br />

waren vor ihrem Wohnungswechsel <strong>in</strong> den Stadtteil <strong>in</strong><br />

kaufmännischen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en dienstleistungsorientierten<br />

Berufen gut etabliert. Für diese M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit ist das<br />

Wohnquartier e<strong>in</strong> Ort <strong>sozialer</strong> Deklassierung. St. Pauli<br />

zieht nach unten. Im Wohnviertel sehen sie sich als isolierte<br />

Verlierer unter an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Verlierern.<br />

Nur durch widrige Lebensumstände (Verlust des<br />

Arbeitsplatzes, Krankheit, Bruch <strong>der</strong> Ehe o<strong>der</strong> Familie)<br />

s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> diesen Stadtteil geraten. Ihr Vergleichs- <strong>und</strong><br />

Orientierungspunkt ist <strong>und</strong> bleibt die gesellschaftliche<br />

Mitte <strong>der</strong> Erwerbstätigen, <strong>der</strong> sie sich selbst e<strong>in</strong>st zugehörig<br />

fühlten.<br />

St. Pauli sehen sie als e<strong>in</strong>e Falle. E<strong>in</strong>mal dort „gelandet“,<br />

hat man kaum mehr Chancen auf Rückkehr <strong>in</strong> die<br />

„normale“ Gesellschaft <strong>der</strong> Erwerbstätigen. Das Leben<br />

<strong>in</strong> St. Pauli, die öffentlich sichtbare Obdachlosigkeit<br />

<strong>und</strong> Drogensucht, die Dom<strong>in</strong>anz e<strong>in</strong>er Armutsökonomie<br />

<strong>von</strong> Billigdiscountern <strong>und</strong> „Second-hand“-Geschäften,<br />

das als Belästigung empf<strong>und</strong>ene Rotlichtmilieu, die<br />

ebenso aggressive wie repressive Atmosphäre des Sozialamtes<br />

- das alles erleben diese Arbeitslosen als Manifestation<br />

<strong>und</strong> Demonstration ihres sozialen Scheiterns.<br />

Es bedrückt <strong>und</strong> beschämt sie, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stadtteil wie<br />

St. Pauli leben zu müssen. In <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung ihrer aktuellen<br />

Lebenssituation, ihrer materiellen Konsummöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> ihrer sozialen Partizipationschancen<br />

kommt e<strong>in</strong>e Mischung aus Rückzug, Resignation <strong>und</strong><br />

Ressentiment zum Ausdruck. Während <strong>in</strong> Mümmelmannsberg<br />

das Fehlen <strong>sozialer</strong> B<strong>in</strong>dungen unter den Armen<br />

<strong>und</strong> Arbeitslosen die Vere<strong>in</strong>zelung verstärkt, ist es<br />

<strong>in</strong> diesem Fall gerade die Dichte des Milieus, die diejenigen,<br />

die sich <strong>von</strong> ihrer Herkunft her nicht zugehörig<br />

fühlen, <strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>zelung treibt.<br />

Es bleibt die Frage, was <strong>in</strong> all den hier geschil<strong>der</strong>ten<br />

Konstellationen <strong>Bewältigung</strong> <strong>von</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>sbedrohung<br />

im Quartier eigentlich heißt o<strong>der</strong> heißen könnte.<br />

Im Pr<strong>in</strong>zip s<strong>in</strong>d zwei Möglichkeiten denkbar. Erfolgreiche<br />

„<strong>Bewältigung</strong>“ kann dar<strong>in</strong> bestehen, aus <strong>der</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>sbedrohung<br />

herauszukommen, se<strong>in</strong>e Chancen<br />

am Arbeitsmarkt zu verbessern <strong>und</strong> zu nutzen. Es kann<br />

aber auch bedeuten, sich auf e<strong>in</strong>e Lage, die als nicht<br />

mehr gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>bar ersche<strong>in</strong>t, aktiv um- <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>zustellen <strong>und</strong> dabei soziale Ressourcen zu mobilisieren,<br />

die den schlechten Zustand erträglicher machen.<br />

Was die erste Möglichkeit betrifft, so bieten die zur<br />

Vere<strong>in</strong>zelung führenden Konstellationen sicherlich ke<strong>in</strong>e<br />

quartiersbezogenen sozialen Hilfen, um <strong>der</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>sbedrohung<br />

zu entkommen. Dagegen hält die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

<strong>in</strong> soziale Netze, die Gelegenheitsarbeiten auf<br />

dem formellen <strong>und</strong> <strong>in</strong>formellen Arbeitsmarkt vermitteln,<br />

zum<strong>in</strong>dest die Möglichkeit offen, dass daraus stabilere<br />

Beschäftigung erwachsen könnte. An<strong>der</strong>erseits kann die<br />

Milieub<strong>in</strong>dung aber auch bedeuten, dass Chancen außerhalb<br />

gar nicht mehr <strong>in</strong> den Blick geraten <strong>und</strong> das<br />

eigene Schicksal als besiegelt ersche<strong>in</strong>t. Im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

zweiten Möglichkeit mag sie dann noch helfen, die <strong>Ausgrenzung</strong>slage<br />

zu ertragen, sie bleibt dabei aber zugleich<br />

untrennbar mit ihr verknüpft.<br />

6. Schlussbemerkung<br />

Es bleibt dabei: Die Frage, wie Quartiere mit e<strong>in</strong>em hohen<br />

Anteil <strong>von</strong> Arbeitslosen <strong>und</strong> Armen auf die <strong>Erfahrung</strong>en<br />

mit <strong>sozialer</strong> <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausgrenzung</strong>sbe-

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