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Erfahrung und Bewältigung von sozialer Ausgrenzung in der ...

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52 SOFI-Mitteilungen Nr. 29/2001 Soziale <strong>Ausgrenzung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Großstadt<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Infrastruktur <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Angebote<br />

wurden seit den 80er Jahren <strong>in</strong> Mümmelmannsberg<br />

Schritt für Schritt verbessert. Der Stadtteil erhielt<br />

Anschluss an das städtische U-Bahnnetz, verkehrsberuhigte<br />

Zonen wurden geschaffen <strong>und</strong> neue Betreuungse<strong>in</strong>richtungen<br />

für K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugendliche <strong>und</strong> Senioren entstanden.<br />

Immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Arbeitslosen <strong>in</strong> Mümmelmannsberg<br />

<strong>und</strong> gut e<strong>in</strong> Viertel <strong>in</strong> St. Pauli mochten jedoch<br />

die überwiegend positive Sicht nicht teilen. Bei<br />

ihnen überwog <strong>der</strong> Wunsch, den Stadtteil zu verlassen.<br />

Auch hier unterscheiden sich allerd<strong>in</strong>gs die Gründe <strong>in</strong><br />

den Quartieren erheblich.<br />

Zwar wird <strong>in</strong> beiden Vierteln die wachsende Aggressivität<br />

negativ hervorgehoben. In Mümmelmannsberg<br />

wird sie vor allen D<strong>in</strong>gen mit dem hohen Anteil arbeitsloser<br />

junger Männer nicht-deutscher Herkunft <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

gebracht. In St. Pauli h<strong>in</strong>gegen ersche<strong>in</strong>t vor allem<br />

das Vordr<strong>in</strong>gen <strong>von</strong> Prostitution <strong>und</strong> Drogenszene<br />

<strong>in</strong> die Wohngebiete des Stadtteils als bedrohlich. Als<br />

Gefahr ganz an<strong>der</strong>er Art wird hier wird zugleich die Immobilienspekulation<br />

beklagt, die zur Vernichtung preisgünstigen<br />

<strong>in</strong>nenstadtnahen Wohnraums führt.<br />

Deutlich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gehen die Me<strong>in</strong>ungen jedoch im<br />

H<strong>in</strong>blick auf den hohen Anteil <strong>von</strong> Arbeitslosen <strong>und</strong> Armen<br />

im Viertel. E<strong>in</strong>en Vorteil für sich selbst sieht dar<strong>in</strong><br />

kaum jemand <strong>von</strong> den Befragten <strong>in</strong> Mümmelmannsberg.<br />

Stattdessen empf<strong>in</strong>den es viele - annähernd die Hälfte<br />

<strong>von</strong> allen <strong>und</strong> ganz beson<strong>der</strong>s diejenigen, die das Viertel<br />

lieber verlassen würden - als Negativfaktor im Quartier.<br />

Für sie verb<strong>in</strong>det sich damit das Gefühl <strong>der</strong> Verunsicherung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> sozialen Bedrohung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>sgesamt<br />

prekären Lebenssituation. In St. Pauli h<strong>in</strong>gegen halten<br />

sich positive <strong>und</strong> negative Urteile die Waage.<br />

In <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> beiden Quartiere kommen somit<br />

jeweils sehr verschiedene Kriterien zum Tragen. Sofern<br />

es aber die gleichen Aspekte s<strong>in</strong>d, <strong>von</strong> denen die Rede<br />

ist - wie im Fall <strong>der</strong> Konzentration <strong>von</strong> Armut im Viertel<br />

- werden sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hohen Maße gegensätzlich beurteilt.<br />

Warum ist das so?<br />

Zwei Faktoren spielen offenbar e<strong>in</strong>e wichtige Rolle.<br />

Zum e<strong>in</strong>en stoßen wir hier auf e<strong>in</strong>en Sachverhalt, <strong>der</strong> typisierende<br />

Quartiervergleiche im H<strong>in</strong>blick auf <strong>Ausgrenzung</strong>sfolgen<br />

gr<strong>und</strong>legend erschwert, aber nur selten angemessen<br />

berücksichtigt wird. Denn nicht nur die Quartiere<br />

unterscheiden sich h<strong>in</strong>sichtlich ihrer funktionalen<br />

Ausrichtung <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Ressourcen. H<strong>in</strong>ter annähernd<br />

gleichen Arbeitslosen- <strong>und</strong> Sozialhilfezahlen<br />

verbergen sich auch unterschiedliche Armutsbevölkerungen.<br />

Wie unsere beiden Beispiele St. Pauli <strong>und</strong><br />

Mümmelmannsberg belegen, übt je<strong>der</strong> Quartierstyp e<strong>in</strong>e<br />

selektive Wirkung auf die Armutspopulation aus, die <strong>in</strong><br />

ihm lebt. So gibt es <strong>in</strong> St. Pauli <strong>in</strong>sgesamt sehr viel mehr<br />

Alle<strong>in</strong>lebende als <strong>in</strong> Mümmelmannsberg. Dementsprechend<br />

ist <strong>in</strong> St. Pauli auch <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Haushalte mit<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n deutlich niedriger. In unserem Befragungssample<br />

f<strong>in</strong>den sich diese Strukturunterschiede <strong>in</strong> den<br />

Haushalten <strong>der</strong> Arbeitslosen wie<strong>der</strong>. Hier zeigen sich<br />

aber auch deutliche Abweichungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Migrationsgeschichte.<br />

St. Paulis Arbeitslose, mit denen wir sprachen,<br />

waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel irgendwann e<strong>in</strong>mal zugezogen. Unter<br />

den Mümmelmannsbergern h<strong>in</strong>gegen fanden wir<br />

weit mehr Personen, die dort aufgewachsen s<strong>in</strong>d.5<br />

Auch die <strong>von</strong> den Befragten angesprochenen Motive<br />

beim Zuzug <strong>in</strong> das jeweilige Quartier weichen <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

ab. Die Mietpreise spielen bei beiden Vierteln<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, s<strong>in</strong>d aber noch stärker gewichtet <strong>in</strong><br />

Mümmelmannsberg. Dort wird auch <strong>der</strong> Wohnungsstandard<br />

häufiger als Gr<strong>und</strong> für den Zuzug genannt. Kaum<br />

e<strong>in</strong>e Bedeutung haben Familie <strong>und</strong> Partnerschaft als<br />

Motive für das Leben <strong>in</strong> St. Pauli, während sie <strong>in</strong> Mümmelmannsberg<br />

neben <strong>der</strong> Miethöhe den stärksten Gr<strong>und</strong><br />

abgeben. Das soziale Klima im Viertel wie<strong>der</strong>um übt<br />

ke<strong>in</strong>erlei Attraktion auf diejenigen aus, die nach Müm-<br />

5 Da wir die Befragung nicht nach dem Schneeballpr<strong>in</strong>zip (e<strong>in</strong> Interviewter<br />

vermittelt die Kontakte zum nächsten Gesprächspartner),<br />

son<strong>der</strong>n durch Ansprache möglicher Gesprächspartner am<br />

Arbeitsamt <strong>und</strong> auf den Sozialämtern organisierten, mith<strong>in</strong> die<br />

Auswahl stärker dem Zufall überließen, ersche<strong>in</strong>t es zum<strong>in</strong>dest<br />

plausibel, dass wir auf diese Weise tatsächlich relevante Unterschiede<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung <strong>der</strong> Armuts- <strong>und</strong> Arbeitslosenpopulationen<br />

bei<strong>der</strong> Viertel abbilden konnten.

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