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Stefanie Becker: Referat - Soziale Arbeit - Berner Fachhochschule

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Die Partnerhypothese „Alter“ im Mediationsprozess – Der unbewusste Einfluss sozialer<br />

Kategorien<br />

<strong>Stefanie</strong> <strong>Becker</strong>, <strong>Berner</strong> <strong>Fachhochschule</strong>, Forschungsschwerpunkt „Lebensgestaltung im Alter“<br />

Hintergrund: Bedeutung der Kommunikation in der Mediation<br />

Sprache und Kommunikation sind die zentralen Mittel im Prozess der Mediation und stehen<br />

in diesem Beitrag im Fokus.<br />

Gerade in der Mediation ist es die explizite Aufgabe des Mediators der Prozessexperte und<br />

nicht der inhaltliche Experte (der schon die Lösung kennt) zu sein. Die (Sach-)Aufgabe der<br />

Mediation liegt somit darin, den Austauschprozess zu befördern und dabei vor allem eine<br />

Vertrauensbasis für den weiteren gemeinsamen Weg der Konfliktlösung mit beiden beteiligten<br />

Parteien zu schaffen. Sachlichkeit in der Gesprächsführung ist somit oberstes Gebot des<br />

Mediationsprozesses. Dies muss als eine besondere Herausforderung gelten, da jeder Konfliktfall<br />

üblicherweise durch die emotionale Betroffenheit der beiden Konfliktparteien bezogen<br />

auf den Konfliktgegenstand gekennzeichnet ist, wodurch gerade die Beziehungsebene<br />

immer wieder in den Mittelpunkt rückt.<br />

Nun können aber nicht nur auf der Seite der beteiligten Konfliktparteien bestimmte Schwierigkeiten<br />

für eine gelungene Kommunikation vorliegen, sondern auch seitens des Mediators<br />

selbst können bestimmte Aspekte zu Kommunikationshindernissen und damit zu Verständnisbzw.<br />

Vermittlungsbarrieren werden. Bewusstsein darüber zu schaffen kann zu einer verbesserten<br />

Kommunikation und guten Basis für Anerkennung und Vertrauen beitragen.<br />

Für das Verständnis dieser Hindernisse möchte ich ein Modell der Kommunikation aus dem<br />

Bereich der Sprachwissenschaften zur Erläuterung vorstellen. Es geht davon aus, dass Kommunikation<br />

IMMER auch soziale Kommunikation bedeutet.<br />

<strong>Soziale</strong> Kommunikation bedeutet immer auch Orientierung am Partner<br />

Das Modell der kommunikativen Anpassung geht davon aus, dass gelungene Kommunikation<br />

sich üblicherweise durch eine gewisse „Partnerorientierung“ des Sprechens auszeichnet. Es<br />

beschreibt, wie Kommunikationspartner ihr Gesprächsverhalten an unterschiedliche Partner<br />

anpassen bzw. partnerorientiert modifizieren, um einerseits eine möglichst hohe Effizienz des<br />

Gesprächs, andererseits aber auch ein möglichst grosses Mass an Verstehen und Verstanden<br />

werden zu erreichen. Beispielsweise sprechen wir alle mit unserem Lieblingsbäcker an der<br />

Ecke anders als mit unserem Arzt oder einem Polizist; wir wählen unsere Worte und Inhalte<br />

anders, wenn wir unserem Partner, unseren Kindern oder unseren Kollegen von unseren Erlebnissen<br />

des Tages erzählen.<br />

<strong>Soziale</strong> Kategorien in der Kommunikation<br />

In dem Versuch sich auf das Gegenüber möglichst gut einzustellen werden dabei alle in der<br />

jeweiligen Situation verfügbaren Informationen über den Kommunikationspartner herangezogen.<br />

Im einfachsten Fall (vor allem wenn man das Gegenüber noch nicht kennt) sind es sichtbare,<br />

sofort erkennbare Merkmale sozialer Kategorien wie Geschlecht, Alter oder Berufszu-<br />

1


gehörigkeit (z.B. weißer Kittel, Uniform), die zur (unbewussten) Steuerung der Kommunikation<br />

beitragen.<br />

Es ist menschlich, in Kategorien zu denken. Auch wenn ein solches „Schubladendenken“<br />

nicht immer (sozial) erwünscht ist, tendiert doch jeder Mensch dazu, bei einer ersten Begegnung<br />

dazu sein Gegenüber in eine „passende“ Kategorie zu stecken und ihm für diese Kategorie<br />

typischen Eigenschaften zu zuschreiben (FORSYTH 2006).<br />

Allerdings treten, wie bei jeder informationsreduzierenden Massnahme, auch Fehler auf. Natürlich<br />

ist nicht jeder Fussballspieler oder jede Blondine dumm. Sicherlich gibt es auch Informatiker,<br />

die soziale Kontakte pflegen, Psychologen, die ganz „normal“ sind, Männer, die<br />

zuhören, Frauen die gut einparken können, und ältere Menschen die technisch versiert und<br />

offen für Neues sind. Die Liste der Vorurteile, die sowohl durch die Gesellschaft, Erziehung<br />

oder persönliche Erfahrung geprägt werden, ist wohl unerschöpflich. Richten wir unser Denken<br />

und Beurteilen nun an solchen sehr verallgemeinernden und oft auch fehlerhaften Assoziationen<br />

aus, so spiegelt sich dies auch in unserem jeweiligen kommunikativen Verhalten wider.<br />

Viele Studien vor allem im anglo-amerikanischen Raum haben gezeigt, dass Angehöriger<br />

bestimmter sozialer Gruppen (z.B. Frauen oder auch ältere Menschen) immer wieder mit<br />

sprachlichen Verhalten anderer konfrontiert sind, das einen gewissen Grad an sozialer Diskriminierung<br />

aufgrund dieser (sozialen) Gruppenzugehörigkeit aufweist.<br />

Der Aufbau von Vertrauen, das ja gerade im Mediationsprozess eine zentrale, erfolgsnotwendige<br />

Grundlage ist, kann auf diese Weise nur sehr schwer gelingen.<br />

Patronisierender Gesprächsstil<br />

Die soziale Kategorie „Alter“ gehört in unserer Gesellschaft zu einer allgegenwärtigen, mit<br />

der jedoch meist negative, vorurteilsbehafteten Assoziationen verbunden sind, die unser<br />

(sprachliches) Verhalten beeinflussen können (Ageism=Altersdiskriminierung). Eine typische<br />

Form dieses altersdiskriminierenden Sprechens ist die patronisierende Kommunikation nach<br />

der z.B. „baby talk“ (z.B. hohe Stimme, besonders einfache Satzkonstruktion, verniedlichende<br />

Ausdrücke, etc.) gebraucht wird, dass nicht direkt mit dem Gesprächspartner gesprochen wird<br />

(sondern mit einer dritten anwesenden Person) oder auch die Stimme erhoben wird und lauter<br />

gesprochen wird (weil automatisch davon ausgegangen wird, dass ältere Menschen schlecht<br />

hören) und geht bis hin zu vereinfachtem Satzbau oder dem Weglassen bestimmter (als zu<br />

kompliziert erachteter) Informationen oder Zusammenhänge.<br />

Modell der kommunikativen Präjudiz des Alters<br />

Aus diesem (allgemeinen) Modell der kommunikativen Anpassung hat sich speziell zur Beschreibung<br />

der Kommunikation mit älteren Menschen, das Modell der kommunikativen Präjudizierung<br />

des Alters entwickelt. Es greift die besondere Form der Anpassung der Kommunikation<br />

auf, die auf der Grundlage vorurteilsbehafteter bzw. stereotyper Annahmen hinsichtlich<br />

altersbezogener Defizite und Inkompetenzen älterer Kommunikationspartner (entsprechend<br />

dem Defizitmodell des Alters, nach Lehr, 2008) beruhen. Entsprechend kann eine auf<br />

solchen einseitigen Annahmen bestehende kommunikative Anpassung auch im Sinne einer<br />

selbsterfüllenden Prophezeiung zur vorurteilsgeleiteter Wahrnehmung führen und so einen<br />

substantiellen (wenn auch unbewussten) Einfluss auf die Kommunikation ausüben.<br />

2


So ist Tatsache, dass dem Mediator ein oder gar zwei ältere Menschen gegenübersitzen eine<br />

wesentliche (soziale) Information, die (unbewusste) Assoziationen des jeweils subjektiven<br />

Bildes des Mediators über Fähigkeiten, Kompetenzen, Vorliegen etc. ältere Menschen im<br />

Allgemeinen und deren (möglicherweise) zu erwartenden Denkens und Verhaltens führt. Eine<br />

erste initiale Kategorisierung aufgrund leicht wahrnehmbarer Merkmale des älteren Menschen<br />

erfolgt, die wiederum eine ganze Reihe stereotyper Vorstellungen und Meinungen aktiviert<br />

(soziale Repräsentation des Alters), die sich auf die darauf folgende (sprachliche) Interaktion<br />

auswirken.<br />

Die sich selbsterfüllende Prophezeiung (engl. self-fulfilling prophecy) ist eine Vorhersage, die<br />

sich deshalb erfüllt, weil sich der Vorhersagende, meist unbewusst, so verhält, dass sie sich<br />

erfüllen muss. D.h. wird davon ausgegangen, dass ältere Menschen weniger kompetent oder<br />

offen gegenüber Neuem sind oder dazu tendieren die Verantwortung komplett an die Experten<br />

abzugeben oder sich nicht trauen Unklarheiten auszudrücken, stelle ich als Mediator mein<br />

Verhalten sowie meine Wahrnehmung entsprechend darauf ein (z.B. durch die selbstverständliche<br />

Übernahme von Entscheidungen oder die Ausrichtung der Argumentation in Richtung<br />

bekannter, aber vielleicht weniger nachhaltigen Lösungsvorschlägen, durch besonders einfache<br />

und klare Sprache oder häufiges Nachfragen). Dieses Verhalten löst natürlich wiederum<br />

beim Gegenüber eine Reaktion aus. Die Betroffenen wehren sich besonders bei asymmetrischen<br />

Beziehungen wie es in der Mediation der Fall ist, meist nicht, sondern nehmen dieses<br />

„patronisierende Verhalten“ an in dem sie z.B. Vorschläge unhinterfragt übernehmen, oder<br />

sich weniger aktiv an einer Entscheidungsfindung beteiligen. Dies wiederum bestätigt den<br />

Vorhersagenden in seiner ursprünglichen Meinung, wodurch wiederum sein negatives Stereotyp<br />

für zukünftige Begegnungen mit Älteren verfestigt wird. Dieser Prozess wird auch mit<br />

dem Begriff der kognitiven Konfirmation bezeichnet. Zusätzlich unterstützen auch die Prozesse<br />

der selektiven Wahrnehmung von lediglich dem Stereotyp entsprechenden Merkmalen<br />

(während gegenteilige, positive vernachlässigt werden) diese Konfirmation.<br />

Verhaltens-/Reaktionsstrategien der älteren Menschen<br />

Solche defizitorientierten Vorannahmen (Präjudizen) unterstützen damit einerseits stereotypes<br />

Verhalten beim Gesprächspartner und führen zu geringerer Akzeptanz des Mediators. Sie<br />

wirken sich dadurch behindernd auf den Kommunikationsprozess bzw. den gesamten Mediationsprozess<br />

aus. Eine gelingende Kommunikation, über die ein tragendes Vertrauensverhältnis<br />

hergestellt werden könnte, wird damit (fast) unmöglich.<br />

Aber auch die älteren Menschen selbst können zur Entstehung solcher Kommunikationsmuster<br />

beitragen, indem sie ihr Gesprächsverhalten, quasi vorauseilenden den vermuteten Erwartungen<br />

anpassen (Ich weiss, dass du weisst, dass ich weiss, dass du weisst…) Unabhängig<br />

von ihren eigentlichen (kognitiven) Kompetenzen greifen Sie dann z.B. auf einen reduzierten<br />

Wortschatz zurück, fragen nicht nach oder vermeiden den Blickkontakt. Eine solche mögliche<br />

Überanpassung kann zu einem Teufelskreis führen, der letztlich zur sprachlichen Entmündigung<br />

des Patienten und damit einer misslungenen Kommunikation führt. Insgesamt werden in<br />

der Literatur 5 verschiedene Strategien der älteren Menschen erwähnt, mit denen sie auf<br />

partronisierendes Gesprächsverhalten reagieren:<br />

3


1) Unteranpassung infolge wahrgenommener sozialer Kategorisierungen:<br />

Gewohnheiten der thematischen Strukturierung von Beiträgen z.B. das ausführliche Erzählen<br />

von eigenen Erlebnisse aus der Vergangenheit oder Selbstoffenbarungen, Berichte aus teils<br />

intimen Lebensereignissen<br />

2) Unteranpassung als Selbstschutz:<br />

Eine Anpassung unterbleibt, um als unangenehm und bedrohlich erlebte und antizipierte Ereignisse<br />

zu vermeiden ermöglich eine gewisse Kontrolle über das Gespräch (z.B. Fragen<br />

werden nicht gestellt, da die Befürchtung besteht, dass man die Antwort nicht versteht oder<br />

nicht adäquat reagieren kann).<br />

3) Selbstabwertung:<br />

Durch eine (zeitlich begrenzte) Abwertung der eigenen Person sollen negative Zuschreibungen<br />

von Seiten der Gesprächspartner vermieden werden. Z.B. eine momentane Unpässlichkeit<br />

oder Krankheit kann als Begründung und Entschuldigung für defizitäre Leistungen angeführt<br />

werden.<br />

4) Selbst-Stereotypisierung:<br />

Hier wird z.B. die Zugehörigkeit zur Gruppe der Alten situativ betont. Dazu gehören z.B. die<br />

negative Bewertung der eigenen Altersgruppe.<br />

5) Betonung des Unterschieds der zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit:<br />

Diese Strategie signalisiert Unzufriedenheit mit der erlebten Überanpassung der Gesprächspartner.<br />

Die jeweilige Reaktionsschwelle ist allerdings individuell sehr unterschiedlich und<br />

äussert sich z.B. in unwilligen Äusserungen oder der ständigen direkten Betonung des Unterschieds<br />

(z.B. „ich weiss, Sie sind der Experte, ich bin ja nur der Alte“)<br />

Die Folgen für den Mediationsprozess<br />

Der Mediationsprozess wird dadurch belastet und der Erfolg möglicherweise fraglich. Denn<br />

es konnte in verschiedenen soziolinguistischen und geronto-psychologischen Studien gezeigt<br />

werden, dass Personen, die einen patronisierenden Kommunikationsstil gegenüber Älteren<br />

haben, als weniger respektvoll und kompetent von diesen eingeschätzt wurden und die Betroffenen<br />

selbst auch weniger zufrieden waren mit dem Gespräch.<br />

Selbst wenn die Auswirkungen im Ernstfall nicht so bewusst werden, so kann es dennoch<br />

dazu führen, dass zu Beginn eines Mediationsprozesses sehr viel (emotionale) Energie in die<br />

sogenannte Aushandlung der Identitäten gesteckt werden muss. Gerade in emotional angespannten<br />

Situationen kann die auch unbewusste Wahrnehmung des „Nicht-Ernst-Genommen-<br />

Werdens“ sehr schnell zu Eskalation führen, da nicht genügen kognitiver „Raum“ zur Verfügung<br />

steht, um diesen Aushandlungsprozess konstruktiv zu gestalten.<br />

Vertrauensvolle Kommunikation mit älteren Klienten: Die Grundhaltung entscheidet<br />

An dieser Stelle sei aber zunächst einmal Plädoyer für eine gewisse Leichtigkeit (nicht Leichtfertigkeit)<br />

im Umgang mit diesen Kommunikationshindernissen ausgesprochen. Die sachliche<br />

Feststellung, dass diese vorurteilsbehaftete Kommunikation gerade mit älteren Klienten eine<br />

durchaus häufig zu findende, wenn auch meist unbewusste kommunikative Realität darstellt,<br />

bedeutet aber noch lange nicht, dass es nicht möglich wäre, diese mit entsprechender Aufmerksamkeit<br />

und einem gewissen Mass an Übung mit der Zeit immer besser zu erkennen. Nur<br />

indem eine offene Kommunikation überhaupt zugelassen wird ergibt sich die Chance, dass<br />

4


Missverständnisse aufgedeckt und mögliche bestehende Vorurteile ausgeräumt werden können.<br />

Entscheidend für gelingende Kommunikation im Mediationsprozess mit älteren Klienten ist<br />

daher, dass sich der Mediator über seine eigenen Einstellungen und Meinungen älteren Menschen<br />

gegenüber immer wieder gewahr wird und sein Verhalten sowie seine Sprache im Hinblick<br />

auf (alters-) stereotypes Verhalten reflektiert. Das Erkennen und der bewusste Umgang<br />

mit den Auswirkungen solcher Vorannahmen macht es möglich, diese aus dem Bereich des<br />

Unbewussten zu holen, so möglichen Kommunikationsbarrieren vorzubeugen und damit einen<br />

gelingenden Mediationsprozess zu gewährleisten. Die Besprechung, Selbstreflexion und<br />

Supervision solcher unbewussten Prozesse sozialer, kognitiver Repräsentation und ihrer Effekte<br />

der Beeinflussung älterer Klienten sollte auch Gegenstand der Mediationsausbildung<br />

sein.<br />

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