Biomechanik des menschlichen Bewegungsapparates - Spitta
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<strong>Biomechanik</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>menschlichen</strong><br />
<strong>Bewegungsapparates</strong><br />
5<br />
Aus mechanischer Betrachtungsweise kann<br />
der menschliche Bewegungsapparat in zwei<br />
große Komplexe gegliedert werden: den passiven<br />
und den aktiven Teil. 1<br />
Als passiv werden alle Bausteine gewertet,<br />
die eine Stütz-, Bewegungs- und/oder Kraftübertragungsfunktion<br />
haben. Der aktive Teil<br />
wird ausschließlich durch die Bewegung erzeugenden<br />
Muskeln gebildet. In dieser Betrachtung<br />
werden die inneren Organe, das<br />
Herz-Kreislauf-System sowie das Nervensystem<br />
ausgeblendet, obwohl sie durchaus eine<br />
wesentliche Bedeutung für Bewegungen haben.<br />
Donskoi (1975, S. 32) schreibt dem Bewegungsapparat<br />
nachfolgende Funktionen zu:<br />
ü Energieursprung<br />
ü Mechanismus der Übertragung von<br />
Kräften<br />
ü Bewegungsobjekt<br />
ü Steuerungssystem<br />
Teilsystem Funktion Mechanische<br />
Eigenschaften<br />
Knochen Stützelemente druck-, zug-, biegeund<br />
scherfest<br />
Faserknorpel Stützelemente druckfest, elastisch,<br />
stoßdämpfend<br />
Material in der<br />
Technik<br />
Hartholz<br />
Hartgummi<br />
hyaliner Knorpel Gelenke minimale Reibung Kugellager<br />
Synovialflüssigkeit Schmierung minimale Reibung Öl<br />
Bänder Gelenkführung zugfest Seil<br />
Sehnen Kraftüberträger zugfest Seil<br />
Muskeln Motor kontraktil nicht bekannt<br />
Nervensystem<br />
Kontroll- und<br />
Steuerorgane<br />
Gefäßsystem Versorgung feine Vernetzung,<br />
Kapillarisierung<br />
Haut Schutz zugfest Leder<br />
Tab. 5.1: Teilsysteme <strong>des</strong> Menschen, ihre Funktion und mechanischen Eigenschaften<br />
Regelsysteme,<br />
Computer<br />
nur in lebenden<br />
Systemen<br />
1 Donskoi (1975) unterscheidet aktive (der ganze Körper, der Bewegungsapparat) und passive (innere Organe, weiche und flüssige Gewebe)<br />
Systeme.<br />
73
<strong>Biomechanik</strong> <strong>des</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Bewegungsapparates</strong><br />
5.1 Passiver Bewegungs -<br />
apparat<br />
Zum passiven Bewegungsapparat zählen das<br />
axiale Knochensystem, das Knorpelgewebe,<br />
Sehnen und Bänder. In der anatomischen<br />
Verbindung bilden sie die kinematischen Ketten,<br />
die unter Wirkung der Muskulatur statische<br />
(Halte-) und dynamische (Bewegungs-)<br />
Funktionen zu erfüllen haben. Auf diese<br />
Systeme wirken zum einen von außen und<br />
zum anderen von innen, von den Muskeln<br />
selbst, Belastungen, die entsprechende Beanspruchungen<br />
hervorrufen. Unter dem Aspekt<br />
der Bewegung bilden die langen Röhrenknochen<br />
mit ihren gelenkigen Verbindungen Hebelsysteme,<br />
die die Muskelzugkraft übertragen.<br />
5.1.1 Axiales Knochenskelett<br />
Um ihre Aufgabe als Stütz-, Halte- und Bewegungssystem<br />
zu erfüllen, sind die Knochen<br />
aus zwei Bausteinen zusammengesetzt, die<br />
scheinbar gegensätzliche mechanische Eigenschaften<br />
repräsentieren. Die anorganischen<br />
Bestandteile (etwa 56 % sind Salze) geben<br />
den Knochen seine große Festigkeit und Härte,<br />
die organischen Anteile (etwa 27 %) seine<br />
Elastizität.<br />
Knochen besitzen die gleiche Elastizität wie<br />
Eichenholz (130.000 kg/cm 2 ), dieselbe Zugfestigkeit<br />
wie Kupfer oder Duraluminium<br />
(1.700 kg/cm 2 ), ihre Druckfestigkeit ist mit<br />
1.500 kg/cm 2 größer als die <strong>des</strong> Baumaterials<br />
unserer höchsten Dome, Sand- bzw. Kalkstein,<br />
und ihre statische Biegefestigkeit entspricht<br />
sogar der <strong>des</strong> besten Flussstahls<br />
(1.800 kg/cm 2 ). Trotz dieser hohen Werte für<br />
die verschiedenen mechanischen Eigenschaften<br />
können deutlich geringere Werte bei ungünstigen<br />
Belastungsrichtungen bzw. in<br />
Kombinationen zur Zerstörung der Knochen<br />
führen.<br />
Die Abbildung 5.2 zeigt eine typische Verletzung<br />
beim Skifahren, wenn bei einem<br />
Schwung die Ski in eine Schneewehe rutschen.<br />
Es entstehen Biege- und Torsions belastungen,<br />
die zu einem Spiralbruch <strong>des</strong><br />
Schien beins (Tibia) führen können.<br />
Entsprechend der Lage und der Funktion der<br />
Knochen variiert die Zusammensetzung der<br />
Knochenmineralgehalt<br />
Menopause<br />
100%<br />
Altersatrophie (alterüblich)<br />
50%<br />
postklimakterische<br />
Osteoporose (pathologisch)<br />
20 30 40 50 60 70 80 Lebens -<br />
jahre<br />
Abb. 5.1:<br />
Der Knochenmineral -<br />
gehalt im Altersgang<br />
(nach Weineck 2007)<br />
74
Passiver Bewegungs apparat<br />
Abb. 5.2:<br />
Richtungsänderung<br />
beim alpinen Skifahren<br />
und typischer Spiral -<br />
bruch der Tibia<br />
organischen und anorganischen Bestandteile.<br />
Grob lassen sich zwei Typen bilden: die platten<br />
Knochen und die Röhrenknochen. 2<br />
Aus mechanischer Sicht haben die platten<br />
Knochen vor allem Schutz-, Halte- und Tragefunktion.<br />
Typisches Beispiel dafür ist das<br />
Becken. Es schützt die Eingeweide, trägt den<br />
Torso mit Kopf, Wirbelsäule, Armen usw.<br />
und bietet große Flächen für Muskelansätze<br />
(u.a. für den Musculus gluteus maximus, den<br />
Gesäßmuskel) (Abb. 5.3).<br />
Dieser Knochen hat eine hohe Dichte mit einer<br />
festen kompakten Struktur (hoher Anteil<br />
an Salzen), um den statischen Kraftwirkungen<br />
zu widerstehen.<br />
Von den 206 bis 212 Knochen <strong>des</strong> Skelettsystems<br />
<strong>des</strong> Menschen sind etwa 180 direkt an<br />
Bewegungen beteiligt. Dabei sind besonders<br />
die Röhrenknochen für die Kraftübertragung<br />
und als Bewegungsorgane tätig. Für diese<br />
Funktion sollten sie nicht zu träge sein, also<br />
nur eine geringe Masse besitzen, und dabei<br />
doch fest und elastisch sein. Diese Anforderungen<br />
werden durch ihren Aufbau und ihre<br />
Zusammensetzung erfüllt. Der Röhrenaufbau<br />
Sitzbein<br />
Abb. 5.3: Das Becken<br />
Oberschenkelbein<br />
Wadenbein<br />
Kreuzbein<br />
Darmbein<br />
Kniescheibe<br />
Schienbein<br />
2 Daneben werden noch kurze (z.B. Fingerknochen) und unregelmäßige<br />
(z.B. Wirbelkörper) Knochen unterschieden.<br />
Abb. 5.4: Knochen der unteren Extremität<br />
75
<strong>Biomechanik</strong> <strong>des</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Bewegungsapparates</strong><br />
garantiert eine geringe Dichte (geringe Trägheit)<br />
und die Konstruktion der Knochenbälkchen<br />
(Spongiosa), verbunden mit höheren<br />
Anteilen organischer Substanzen, ist die<br />
Grundlage für die Festigkeit und die Elastizität.<br />
Knochen sind entwicklungsgeschichtlich<br />
(phylogenetisch) durch Anpassung optimierte<br />
Gebilde. Das äußert sich in einem optimalen<br />
Verhältnis der Masse zu ihrer Festigkeit (siehe<br />
Abb. 5.5: Trajektorien der Röhrenknochen).<br />
Kräften gegenüber sind sie bis zu<br />
einem bestimmten altersabhängigen und individuell<br />
variierenden Grenzbereich widerstandsfähig.<br />
Der aktuelle Bereich der Widerstandsfähigkeit<br />
ist ontogenetisch geprägt.<br />
Abb. 5.5: Schematische Darstellung der dreidimensionalen<br />
Anordnung der belastungstragenden Spongiosastruktur<br />
(Trajektorien) am Beispiel <strong>des</strong> Femurkopfes<br />
Schon Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts haben u.a.<br />
Meyer und Culmann, Wolff sowie Roux auf<br />
das Bauprizip der Spongiosa entsprechend<br />
der Beanspruchung und auf die funktionelle<br />
Anpassung der Knochen hingewiesen.<br />
Pauwels (1965) konnte nachweisen, dass sich<br />
die Spongiosastruktur entsprechend den<br />
Spannungslinien ausrichtet und dass sich<br />
ebenfalls die Dicke der Kortikalis bzw. Kompakte<br />
anpasst. Die Belastbarkeit der Knochen<br />
erweitert sich mit zunehmendem Alter bis zu<br />
einem Maximalwert und nimmt danach durch<br />
chemische und hormonelle Prozesse bedingt<br />
wieder ab. Individuell und durch aktuelle Anpassungen<br />
(u.a. Sport, Krankheiten) können<br />
Schwankungen auftreten. Ganz allgemein<br />
reagieret ein Knochen auf optimale Trainingsreize<br />
durch Dickenzunahme, Verbreiterung<br />
seines Schaftes (Diaphyse) sowie Ver -<br />
dickung seiner inneren Bälkchenstruktur<br />
(Spongiosa).<br />
In Abbildung 5.6 sind zwei Beispiele für die<br />
Adaptation <strong>des</strong> Knochengewebes an Belastungen<br />
dargestellt. Im Fall der Unterschenkelknochen<br />
weisen das Schienbein wie auch das<br />
Wadenbein <strong>des</strong> trainierten Sportlers einen<br />
größeren Querschnitt auf. Die schematische<br />
Wirbelsäule auf der rechten Seite stellt einen<br />
Entwicklungsprozess eines Athleten dar, der<br />
sehr viel mit Hanteln trainierte. Die Wir belkörper<br />
wurden dadurch breiter, aber gleichzeitig<br />
wurden sie auch gestaucht. Eine grö ßere<br />
Querschnittsfläche kann höhere Druckkräfte<br />
kompensieren. Die Stauchung kann jedoch<br />
im Alter ein Problem darstellen, wenn die<br />
Muskulatur schwächer wird und die Wirbelsäule<br />
nicht mehr optimal stützen kann.<br />
Für einen normalen Bau sowie für die Gesunderhaltung<br />
<strong>des</strong> axialen Skeletts sind<br />
Druck- und Zugbelastungen ausschlaggebend.<br />
Das Überschreiten der aktuellen Grenzwerte<br />
der Widerstandsfähigkeit führt spontan<br />
oder prozesshaft zu Schädigungen <strong>des</strong> Knochens<br />
(Abb. 5.7).<br />
Die verschiedenen Kraftwirkungen ergeben<br />
folgende mechanische Belastungsmöglichkeiten:<br />
ü Zugbelastungen<br />
ü Druckbelastungen<br />
ü Biegebelastungen<br />
ü Torsionsbelastungen<br />
76
Passiver Bewegungs apparat<br />
beim Untrainierten<br />
Kortikalisdicke<br />
beim Untrainierten<br />
durch<br />
langjähriges<br />
Training<br />
Kortikalisdicke<br />
beim langjährig<br />
trainierten Sportler<br />
Abb. 5.6:<br />
Adaptation der<br />
Unterschenkelknochen<br />
und der Wirbelsäule an<br />
sportliche Belastungen<br />
Abb. 5.7:<br />
Schematische Darstellung<br />
von mechanischen<br />
Belastungen<br />
unbelastet<br />
Traktion<br />
(Zug)<br />
Kompression<br />
(Druck)<br />
Kraft<br />
Biegung<br />
Torsion<br />
(Windung)<br />
Diese Belastungen treten vorwiegend in gemischter<br />
Form auf und wirken auf den Bewegungsapparat<br />
in seiner Gesamtheit (Knochen,<br />
Knorpel, Sehnen, Bänder, Muskeln). Sie gehen<br />
mit elastischen Deformationen der in die<br />
Belastung einbezogenen Systeme einher.<br />
Knochen als Hebel<br />
Bewegungen <strong>des</strong> Menschen werden durch die<br />
Extremitäten (Beine, Arme) realisiert, wobei<br />
die Röhrenknochen als mechanische Hebel<br />
wirken. Ihre grundlegenden mechanischen<br />
Eigenschaften, Festigkeit und Länge, sind die<br />
Voraussetzung zur Übertragung von Kräften<br />
(F) über Hebel (l), d.h. zur Bildung von<br />
Kraftmomenten (M), konkret von Muskelkraftmomenten.<br />
M M<br />
= F · l · sin(F; l)<br />
(Nm)<br />
Die langen Röhrenknochen der Extremitäten<br />
bilden durch ihre Verbindungen, die Gelenke,<br />
77
<strong>Biomechanik</strong> <strong>des</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Bewegungsapparates</strong><br />
Hebelsysteme. Je nachdem, auf welcher Seite<br />
der Drehachse innere oder äußere Kräfte angreifen,<br />
entstehen einarmige oder zweiarmige<br />
Hebel (Abb. 5.8 und 5.9).<br />
Aus den Zeichnungen in Abbildung 5.8 ist ersichtlich,<br />
dass der Kraftarm (Ansatz der Muskelsehne<br />
bis Gelenkdrehpunkt) im Verhältnis<br />
zum Lastarm relativ klein ist.<br />
Daraus kann die Aussage getroffen werden,<br />
dass das menschliche Bewegungssystem<br />
mit Kraftverlust, aber mit Weggewinn arbeitet.<br />
Am <strong>menschlichen</strong> Skelettsystem wirkt das<br />
klassische Hebelgesetz, die »Goldene Regel<br />
der Mechanik«:<br />
F M · K a<br />
= L · L a<br />
F 1 · s 1<br />
= F 2 · s 2<br />
Wenn zum Beispiel der Bizeps sich um 1 cm<br />
verkürzt, legt die Hand einen Weg von ca. 10<br />
cm zurück. Gleichzeit muss der Bizeps zum<br />
Halten von 50 N eine Muskelspannung von<br />
500 N entwickeln!<br />
Als ein unter täglichen Bedingungen ständig<br />
auftreten<strong>des</strong> Beispiel können die unterschiedlichen<br />
Belastungen zwischen Zweibein- und<br />
Einbeinstand betrachtet werden. Dobner und<br />
Perry (2001) analysierten für die Hüftgelenke<br />
beim Zweibeinstand (siehe Abb. 5.9 links) eine<br />
Belastung von je 270 N bei einer 810 N<br />
schweren Person. Beim Einbeinstand der<br />
gleichen Person werden Kräfte von 2700 N<br />
im Gelenk wirksam! Hierbei müssen die ausgleichend<br />
arbeitenden Muskeln eine Spannung<br />
von 2025 N erzeugen (siehe Abb. 5.9<br />
rechts). Diese nahezu zehnfache Belastung<br />
im Einbeinstand resultiert aus dem Wirken eines<br />
zweiarmigen Hebels, <strong>des</strong>sen Lastarm<br />
dreimal länger ist als der Kraftarm. Hinzu<br />
kommt noch die Spannung der Hüftmuskeln.<br />
Die relativ hohe Mobilität ist für das tägliche<br />
Leben eine grundlegende Notwendigkeit. Die<br />
individuellen Ausprägungen der Knochenhebellängen<br />
und der Sehnenansätze der Muskeln<br />
bilden eine Grundlage für die unter-<br />
Zweiarmiger<br />
Hebel<br />
Einarmiger<br />
Hebel<br />
Kraftarm<br />
Kraftarm<br />
Trizeps<br />
Drehachse<br />
Kraftarm<br />
Bizeps<br />
Abb. 5.8:<br />
Einarmiges Hebelsystem<br />
am Beispiel <strong>des</strong> Ellen -<br />
bogengelenkes<br />
78
Passiver Bewegungs apparat<br />
F T<br />
F<br />
F H FT<br />
H F H<br />
F M<br />
F T<br />
= 540 N<br />
K a<br />
L a<br />
F T<br />
= 540 N+<br />
F TB<br />
= 135 N<br />
Abb. 5.9:<br />
Belastungen in den<br />
Hüftgelenken beim<br />
Zweibein- (links) und<br />
Einbeinstand (rechts)<br />
F H<br />
= 270 N<br />
F M<br />
~ 0<br />
F M<br />
= 2025 N<br />
F H<br />
Gelenkkraft K a<br />
Kraftarm<br />
T T<br />
Teilkörpergewicht L a<br />
Lastarm<br />
F M<br />
Muskelzugkraft<br />
F TB<br />
Teilkörpergewicht Bein<br />
F H<br />
= 2700 N<br />
A<br />
B<br />
F m<br />
F m<br />
Lastarm<br />
Lastarm<br />
Abb. 5.10:<br />
Unterschiedliche<br />
Längen der Kraftarme<br />
<strong>des</strong> M. brachialis<br />
Kraftarm<br />
Kraftarm<br />
schiedlichen Kraftübertragungen und damit<br />
auch für die sportliche Eignung in bestimmten<br />
Disziplinen.<br />
In Abbildung 5.10 sind zwei mögliche Kraftarmlängen<br />
bei gleichen Lastarmlängen dargestellt.<br />
Bei gleicher Muskelkraft ist das<br />
Muskelkraftmoment bei B um 50 % größer<br />
als bei A.<br />
A ➝ M M<br />
= 1.000 · 0,04 = 40 Nm<br />
B ➝ M M<br />
= 1.000 · 0,06 = 60 Nm<br />
Wenn sich der Muskel bei beiden Personen<br />
um 3 cm verkürzt, bewegt sich der Unterarm<br />
bei A innerhalb eines größeren Winkels als<br />
bei B (Abb. 5.11).<br />
79
<strong>Biomechanik</strong> <strong>des</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Bewegungsapparates</strong><br />
Abb. 5.11: Bewegungsamplitude bei verschiedenen<br />
Muskelansätzen<br />
Mechanische Eigenschaften der Gelenke<br />
Gelenke sind Verbindungselemente, die Rotationsbewegungen<br />
der Knochen bzw. der mit<br />
den Gelenkteilen verbundenen Glieder zueinander<br />
gewährleisten. Die Drehungen in den<br />
Gelenken erfolgen auf den gekrümmten<br />
Oberflächen der verbundenen Knochenenden.<br />
Das eine Knochenende ist in der Regel als<br />
Kopf und das andere als Pfanne ausgebildet.<br />
Je nach Oberflächengestalt dieser zwei<br />
Hauptbestandteile einschließlich der Anordnung<br />
und Beschaffenheit <strong>des</strong> Bandapparates<br />
sind Drehbewegungen im Gelenk um eine<br />
oder mehrere Achsen möglich (Freiheitsgrade).<br />
A<br />
B<br />
Betrachtet man die Oberflächengestalt der<br />
Gelenkköpfe, so erkennt man eine Ähnlichkeit<br />
mit Rotationskörpern wie Kugel, Ellipse<br />
oder Zylinder. Dementsprechend werden Gelenke<br />
auch als Kugelgelenk (Hüftgelenk),<br />
Ellipsoidgelenk (Handgrundgelenk) oder<br />
Zapfengelenk (Ellenbogengelenk) gekennzeichnet<br />
(Abb. 5.12). Neben der Anzahl der<br />
Drehachsen interessiert die mögliche Bewegungsamplitude<br />
der Gelenkdrehung. Die Problematik<br />
der Beweglichkeit oder Gelenkigkeit<br />
beeinflusst nicht nur die sportliche Leistung,<br />
sondern hat auch Auswirkungen auf<br />
Alltags- und Arbeitsbewegungen (vgl. Abb.<br />
5.13).<br />
Unter Bewegungsamplitude versteht man den<br />
Winkelbereich, in dem die Bewegung der<br />
Körperteile in einer bestimmten Ebene erfolgen<br />
kann. Der Winkelbereich wird durch folgende<br />
Faktoren bestimmt:<br />
ü Aufbau der Knochenteile (Kopf und Pfanne)<br />
ü Anordnung, Spannung und Dehnbarkeit<br />
der Bänder und der Kapsel<br />
ü Dehnbarkeit der Muskeln<br />
ü Kraft der Muskeln bzw. äußerer Belastungen<br />
ü Konturen <strong>des</strong> umgebenden Muskel- und<br />
Fettgewebes<br />
a b c d e<br />
Abb. 5.12:<br />
Schematische Darstellung<br />
der Gelenktypen:<br />
a = Kugelgelenk,<br />
b = Scharniergelenk,<br />
c = Zapfengelenk,<br />
d = Ei- oder<br />
Ellipsoidgelenk,<br />
e = Sattelgelenk<br />
80
Passiver Bewegungs apparat<br />
Insbesondere geeignetes Muskeltraining<br />
(Kräftigung und/oder Stretching) vergrößert<br />
die Bewegungsamplitude der Gelenke bzw.<br />
verringert ihre Einschränkung.<br />
Abb. 5.13: Hypermobilität in der Hals- und Lendenwirbelsäule<br />
(nach Tittel 1994)<br />
Merke<br />
ü Knochen bilden das innere Stützsystem<br />
<strong>des</strong> Körpers (axiales Skelett).<br />
ü Knochen entwickeln ein optimales Verhältnis<br />
zwischen ihren Masse- und entsprechenden<br />
Festigkeitseigenschaften,<br />
dabei entspricht der jeweilige Aufbau ihrer<br />
Funktion.<br />
ü Knochen sind aus mechanischer Sicht<br />
Elemente zur Kraftübertragung. Insbesondere<br />
die langen Röhrenknochen werden<br />
als einarmige oder zweiarmige Hebel<br />
wirksam.<br />
ü Knochen sind widerstandsfähig gegenüber<br />
Belastungen (Zug, Druck, Biegung,<br />
Torsion), unter denen sie eine elastische<br />
Deformation erfahren. Bei Überbelas-<br />
tungen kann die Knochenstruktur zerstört<br />
werden.<br />
ü Knochen können kurzzeitig Energie<br />
speichern, sie besitzen im beschränkten<br />
Maße Federeigenschaften.<br />
ü Gelenke verbinden die Knochen zu<br />
Gliedersystemen, die Rotationsbewegungen<br />
beteiligter Knochen ermöglichen.<br />
ü Entsprechend dem Aufbau der Gelenke<br />
ergeben sich ein bis drei rotatorische<br />
Freiheitsgrade, die ein-, zwei- oder dreiachsige<br />
Gelenke ergeben.<br />
ü Die Bewegungsweite oder -amplitude<br />
der Gelenke wird durch folgende Faktoren<br />
beeinflusst:<br />
1. knöcherner Aufbau von Gelenkkopf<br />
und -pfanne<br />
2. Anordnung, Spannung und Dehnbarkeit<br />
der Bänder und der Gelenkkapsel<br />
3. Dehnbarkeit <strong>des</strong> Sehnen-Muskel-Apparates<br />
4. Kraft <strong>des</strong> Muskelzuges bzw. <strong>des</strong> Betrages<br />
von äußeren Kräften<br />
5. Konturen <strong>des</strong> umgebenden Muskelund<br />
Fettgewebes<br />
ü Dehnungs- und Krafttraining beeinflussen<br />
im Wesentlichen die Bewegungsamplitude<br />
der Gelenke.<br />
Kontrollfragen<br />
1. Beschreiben Sie die Zusammensetzung<br />
der Knochen sowie davon abhängige mechanische<br />
Eigenschaften.<br />
2. Weisen Sie den Zusammenhang zwischen<br />
Form bzw. Aufbau der Knochen und den<br />
mechanischen Funktionen nach!<br />
3. Welche Aufgaben müssen die Knochen<br />
<strong>des</strong> axialen Skelettes für die Haltung und<br />
Bewegung <strong>des</strong> Menschen realisieren? Gehen<br />
Sie näher auf die Gruppen der platten<br />
Knochen und der Röhrenknochen ein.<br />
81