Abschiedsvorlesung - Institut für Sportwissenschaft - Friedrich ...
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Zur Entwicklung sportlicher<br />
Leistungen<br />
Rückblicke und Ausblicke aus Sicht der Trainingswissenschaft<br />
<strong>Abschiedsvorlesung</strong><br />
von Prof. Dr. Hans-Alexander Thorhauer<br />
<strong>Institut</strong> für <strong>Sportwissenschaft</strong>, Arbeitsbereich<br />
„Trainingswissenschaft/Sportarten“<br />
Erweiterter Vortrag vom 07.07.2010<br />
0. Vorbemerkung<br />
Der Anlass legt nahe, dass man zum Ende einer akademischen Berufslaufbahn<br />
Rechenschaft über das Geleistete oder Erreichte gibt, um gegangene<br />
wissenschaftliche Wege deutlicher zu machen mit dem Wunsche, neben<br />
Folgerungen für weiterführende Forschungsansätze auch Hinweise geben zu<br />
können, die gemachte Erfahrungen und Irrwege gleichermaßen transparent machen.<br />
Eine derartige „Lebensbilanz“ sind die nachfolgenden Ausführungen nicht, wenn<br />
gleich auch Rückblicke und Ausblicke - also Vergangenes und Zukünftiges aus<br />
heutiger Sicht zur Disposition stehen sollen.<br />
Einer „<strong>Abschiedsvorlesung</strong>“ ist naturgemäß eine „Antrittsvorlesung“ vorausgegangen.<br />
Die Antrittsvorlesung vom Januar 1998 war dem Thema „Wie weiter im Spitzensport?<br />
- Trainingswissenschaftliche Befunde und Theorieansätze“ gewidmet. Als Fazit<br />
wurde herausgearbeitet: In Deutschland muss sich das Spitzensport-System nach
dem Systemzusammenbruch neu orientieren, um international weltstandsfähig zu<br />
bleiben, bereits verlorene Positionen zurück zu gewinnen und Erreichtes zu<br />
stabilisieren. Für erforderlich gehalten wurden u.a.<br />
die Sicherung der prozessbegleitenden Trainings- u. Wettkampfforschung,<br />
die Schaffung von Expertensystemen und die Qualifizierung der wiss.<br />
Trainingsberatung sowie<br />
die Stärkung der Vorlaufforschung, der interdisziplinären Zusammenarbeit<br />
einschließlich von Tierexperimenten, Modellbildung und Simulation (vgl.<br />
Jenaer Universitätsreden, Bd. 14, 2003, S.171-72)<br />
Es ist nachzufragen, wie sich der deutsche Spitzensport seitdem entwickelt hat.<br />
Welche Maßnahmen umgesetzt wurden und wie sich die Trainingswissenschaft hat<br />
einbringen können. Wie also sieht eine Bilanz aus? Wie ist die Lage – 12 Jahre<br />
später?<br />
1. Tendenzen im Internationalen Sport<br />
Die Entwicklung ist widersprüchlich und nicht in all seinen Facetten abzubilden.<br />
Trotzdem lassen sich wesentliche Tendenzen erkennen, die vor allem an den<br />
Olympischen Spielen festzumachen sind.<br />
1. Zu beobachten ist in den letzten 3<br />
Olympiazyklen wieder eine verstärkte<br />
Leistungsentwicklung in vielen<br />
Sportarten und –disziplinen. Dafür lässt<br />
sich eine Reihe von Umständen<br />
anführen. So insbesondere:<br />
Ausweitung von Professionalisierung<br />
und Kommerzialisierung mit der<br />
Tendenz zu voll-, semi-, und teilprofessionalisierten<br />
Sportarten;<br />
Verbesserung der Qualität der Betreuung z.B. in Form einer Sportart<br />
angepassten medizinischen ,psychologischen und trainingswissenschaftlichen<br />
Begleitung.
Erweiterung der materiellen Grundversorgung sowie Ausrüstungsstandards<br />
der Trainingsstätten einschließlich spezialisierter Anpassungen von<br />
Wettkampf-Geräten und Wettkampf-Ausrüstungen.<br />
Beschleunigung von Globalisierung und Internationalisierung der<br />
Trainingssysteme, des Sport-Managements, und der „Verwertung“ sportlicher<br />
Ereignisse.<br />
2. Insbesondere in der Folge von Professionalisierung und Globalisierung<br />
einschließlich von Sportler – u. Trainerwanderung ist eine größere Breite in der<br />
internationalen Spitze kennzeichnend.<br />
3. Hinzu kommt der Auf- oder Umbau der nationalen Fördersysteme, der die<br />
Leistungsentwicklung in zahlreichen Ländern erheblich forciert hat.<br />
Stichworte wären<br />
Sportgymnasien, Stützunterricht, Laufbahnabsicherung, Sporthilfe usw.<br />
Aufbau wiss. Kapazitäten wie Forschungsinstitute, Universitäten mit<br />
Forschungsaufträgen, <strong>Institut</strong>ionen zur Sportgeräteentwicklung usw.<br />
Verankerung des Spitzensports in gesellschaftliche und kommerzielle<br />
Strukturen mit Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz und der<br />
Vermaktungspotenziale des Spitzensports.<br />
Parallel dazu ist demgegenüber der Verlust an Medaillen und Platzierungen bei<br />
bisher im Vorderfeld positionierten Ländern wie z.B. Polen, Ungarn, der GUS-<br />
Nachfolgestaaten oder auch Großbritannien festzustellen.<br />
4. Insgesamt kann eine professionalisiertere Vorbereitung insbesondere der<br />
telegenen Sportarten und inszenierten Sportereignisse konstatiert werden, wobei<br />
der gesteigerten Vermarktungswert die entscheidende Triebkraft ist.<br />
Entwicklungen zur 2-Klassen-Sportgemeinschaft werden dadurch weiter forciert.<br />
Auch Widersprüche zwischen Spitzensport und Breitensport, aber auch zwischen<br />
Spitzensport und Spitzensport z.B. Fußball, Formel 1 und Tennis vs. Tischtennis,<br />
Kanu-Rennsport oder Handball.<br />
5. Die Durchsetzung der Emanzipationsansprüche ist deutlich vorangetrieben und<br />
findet anteilig z.B. in der Erweiterung der olympischen Sportarten und –disziplinen<br />
seinen sichtbaren Ausdruck.<br />
6. Die Internationalisierung der Trainings-Systeme ist weiter vorangeschritten.
Eingeleitet durch den Wegfall des Ost-West-Konfliktes und einer partiellen<br />
Öffnung des Weltsports ist der Prozess von Forschungs- u. Wissenstransfer<br />
allerdings wieder ins Stocken geraten. Es haben sich zunehmend<br />
Marktmechanismen etabliert, die zum Verkauf bzw. Erwerb von Insiderwissen<br />
anregen bzw. zu übernationalen, zuerst professionalisierten Trainingsgruppen<br />
führen und die gleichermaßen kommerzielle Interessen bedienen. Vorbilder sind<br />
Profiboxställe, die Radsport-Teams oder die international agierenden<br />
Fußballclubs.<br />
7. Last but not least ist Doping und Pharmakamissbrauch im Spitzensport, im<br />
Behindertensport, im Breiten – u.<br />
Freizeitsport, im Pferde – u. Wettsport….<br />
ein offensichtlich weitverbreitetes Denkund<br />
Handlungsmuster, mit Dimensionen,<br />
die einzelne Sportarten an den Rand ihrer<br />
Existenzberechtigung treiben. Die<br />
aktuellen Ereignisse im internationalen<br />
Sport machen deutlich, dass es<br />
gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen<br />
bedarf, um auch zukünftig Anliegen des<br />
Sports im Sinne humanistischer<br />
Wertvorstellungen zu sichern bzw. zu erhalten. Aus Sicht der<br />
Trainingswissenschaft ist die Steigerung der sportlichen Leistung ohne Doping<br />
und Pharmakamissbrauch einschließlich der Sicherung der Gesundheit der<br />
Athleten möglich, verlangt aber ein konzertiertes Vorgehen von <strong>Sportwissenschaft</strong><br />
und Sportpraxis, eingebunden in ein funktionierendes, personell und finanziell<br />
entsprechend ausgestattetes national und international agierendes Antidoping-<br />
System im Sinne von Aufklärung, Beratung, Kontrolle und Sanktionierung.<br />
Der deutsche Spitzensport ist ein tragendes Element des internationalen Sports. Mit<br />
all seinen Vorzügen, Möglichkeiten und Problemen. Trotzdem ist es angezeigt, den<br />
Blick auf aktuelle Entwicklungen des Sports in Deutschland zu richten.
2. Nationale Aspekte des Spitzensports<br />
Nehmen wir auch hier wieder die Olympischen Spiele seit 1992 zur Grundlage der<br />
Analyse, so lassen sich insbesondere herausstellen:<br />
1. Leistungsstagnation bzw. Leistungsrückgang in einer Vielzahl von Sportarten/<br />
Disziplinen, wobei schwerpunktmäßig die Sommersportarten betroffen sind.<br />
2. Reduzierung der Leistungs- u. Trainingsmaßstäbe wie z.B.<br />
nicht ausreichende Professionalität in Organisation und Leitung des<br />
Trainings;<br />
Verringerung der Trainings- Umfänge, d.h. Unterschreitung der für<br />
internationale Spitzenleistungen für notwendig erachteten 1200-1400<br />
Trainingsstunden/Jahr;<br />
Verringerte Trainings – Intensitäten, insbesondere an wettkampfnahen Reizen<br />
für Anschlusskader, zumal in den Sportarten mit Wettkampfstätten im Ausland<br />
bzw. hohen finanziellen Aufwendungen;<br />
Scheitern sog. „Intensivierungs- u. Effektivierungs - Strategien“, d.h. die<br />
Kompensation von Trainingsbelastungen (Umfänge, Intensitäten) z.B. durch<br />
eine videogestützte, trainingsbegleitende Leistungsobjektivierung;<br />
Verzicht bzw. Vernachlässigung von Trainings- u. Leistungskontrollen z.B. im<br />
Rahmen einer ausreichend häufigen und qualitativ hochstehenden komplexen<br />
Leistungsdiagnostik mit personenbezogener Auswertung und Folgerung.<br />
3. Einzellösungen „außerhalb“ der Trainingssysteme der Spitzenverbände etwa im<br />
Sinne von Einzel - o. Kleingruppentraining, dezentralisiert und weitgehend<br />
losgelöst von den Verbänden, so dass trainingswissenschaftliches know how<br />
letztlich nicht mehr oder unzureichend zur Weiterentwicklung des<br />
Erkenntnisbestandes eines Verbandes beiträgt. Damit sind Perspektiven<br />
zunehmend gefährdet.<br />
4. Einbürgerung ausländischer Hochleistungskader in einer Reihe von Sportarten,<br />
die zuerst der Leistungsabsicherung des Spitzenverbandes dienen mittelfristig<br />
aber Grenzen für die Entwicklung des eigenen Nachwuchses aufbauen (könnten).<br />
5. Überalterung von Spitzenkadern bzw. Überforderung junger Leistungsträger mit<br />
z.T. spektakulären burn outs, was auf Versäumnisse in der abgestimmten
Heranführung von Anschlusskadern an die internationale Spitze hinweist bzw. auf<br />
Überforderung durch eine undifferenzierte Wettkampfbelastung schließen lässt.<br />
6. Mitbestimmung des internationalen Niveaus in einzelnen Sportarten / Disziplinen<br />
(z.B. Wintersportarten, Ballsportarten, leichtathletische Einzeldisziplinen).<br />
Hier ist zu analysieren, wie es gelungen ist, die Weltspitze über Jahre zu<br />
bestimmen bzw. in die Weltspitze vorzustoßen. Wo liegen die Potenziale und<br />
warum lassen sie sich nicht oder offensichtlich nicht dauerhaft auf weitere<br />
Sportarten und Disziplinen übertragen? Eine globale Antwort ist nicht geboten,<br />
ohne zu vereinfachen. Trotzdem ist zu fragen, welche Möglichkeiten der Sport in<br />
Deutschland hat, um unter Wahrung der Gesundheit der Athleten und dem<br />
Verzicht auf unerlaubte Mittel die sportlichen Leistungen weiter zu steigern.<br />
Felix Loch<br />
Olympiasieger<br />
2010 im<br />
Rennrodeln<br />
(FAZ-NET vom<br />
23.07.2010)<br />
3. Entwicklungspotenziale des deutschen Spitzensports<br />
Aus trainingswissenschaftlicher Sicht wird zuerst eine engere „Verflechtung“ von<br />
Wissenschaft und Trainingspraxis gesehen. Im Mittelpunkt steht dabei die<br />
Intensivierung der Trainingsbegleitforschung, die im Trainingsalltag permanent<br />
verfügbar ist und über die Objektivierung des psycho-physischen Handelns, die<br />
Fähigkeits- und Fertigkeitsentwicklung unmittelbar steuernd und regelnd unterstützt.<br />
Parallel dazu ist die grundlagenorientierte Leistungssportforschung im Rahmen
wissenschaftlicher Projekte zu sichern. Sie zielt verstärkt auf kausalanalytische<br />
Begründungen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Die Systematisierung<br />
dieses Prozesses erfordert u. E. die Koordinierung und Ausweitung der<br />
Auftragsforschung für einzelne Sportarten sowie für sportartübergreifende<br />
Fragestellungen. Damit im Zusammenhang steht der Anspruch einer<br />
sportwissenschaftlichen Verallgemeinerung. Dieses Anliegen ist nicht trivial (vgl.<br />
z.B. LAMES 1996; HOHMANN 1999). So ist für die Trainingswissenschaft die<br />
Generalisierbarkeit über abgesicherte Theorien nach wie vor nicht wirklich gelöst.<br />
Davon zeugt z.B. der Versuch von WILLIMCZIK (1986), mit Hilfe technologischer<br />
Theorien eine tragfähige Lösung für die Trainings- u. Bewegungswissenschaft<br />
aufzuzeigen. In einem neueren Beitrag greift er auf metatheoretische Ansätze<br />
zurück und stellt weitergehende Vorstellungen zur Diskussion (2008). Auch andere<br />
empirische Wissenschaften haben das Problem der Theoriefindung und Sicherung<br />
der empirischen Aussagekraft. Anregungen zur Generalisierung hat Z.B. PATRY<br />
(1987) für die sozialwissenschaftliche Forschung eingebracht. Analogien für die<br />
<strong>Sportwissenschaft</strong> sind möglich (vgl. SCHLICHT & LAMES 1993, THORHAUER 1996).<br />
HÖNER (2008) hat sich mit dem Zusammenhang zwischen grundlagenwissenschaftlichen<br />
(nomologischen) und anwendungs-wissenschaftlichen<br />
(technologischen) Theorien in der <strong>Sportwissenschaft</strong> auseinander gesetzt. Er kommt<br />
zu dem Schluss, dass mit einer strukturalistischen Sichtweise eine Reihe von<br />
Widersprüchen zwischen Theorie und Praxis lösbar sind. Deduktiv-logische<br />
Ableitungen von Praxisaussagen sind aber nicht möglich. Erforderlich sind vielmehr<br />
Forschungen im Feld, da im Labor im Regelfall unspezifisch gearbeitet wird. So<br />
gesehen sind Forschungen im unmittelbaren Trainings- u. Wettkampfprozess zu dem<br />
für eine Fortentwicklung von Theoriebildung notwendig. Damit kommt dem Trainer<br />
auch unter wissenschaftsstrategischer Sicht eine herausgehobene Stellung zu. Um<br />
diese Funktion ausfüllen zu können, ist eine akademische/universitäre Ausbildung<br />
der Trainer zu fordern und die Bereitschaft der Verbände, entsprechende<br />
Berufsperspektiven einzuräumen.<br />
Deutschland hat als hochentwickelter Industriestaat überragende Möglichkeiten<br />
durch Entwicklung und Anpassung von Mess- u. Informationssystemen<br />
maßstabsetzend zur Effektivierung von Trainingsprozessen beizutragen.
Schlagworte sind Computerisierung von Trainingsgeräten und Kontrollverfahren,<br />
interaktive Datengewinnung und – auswertung oder miniaturisierte Kontrollsysteme<br />
usw. Entscheidend ist hier, dass sportartspezifischen Verfahren d.h. Hart- und<br />
Software entwickelt werden, die zeit- und personalökonomisch im täglichen Training<br />
verfügbar sind. Sie wiederum unterstützen die stabile Einbindung der<br />
trainingsbegleitenden Objektivierung und eine neue Generation von Trainagern. Der<br />
weitere Ausbau dieses Trainingsmittels wird sich verstärkt auf die Erzeugung<br />
energetischer und sporttechnischer Vorgaben orientieren, die in Übereinstimmung<br />
mit den leistungsstrukturellen Erfordernissen stehen. Eingeschlossen darin ist die<br />
Gewinnung von Realdaten zur Modellierung und Simulation im Sinne einer<br />
wissenschaftlichen Fundierung des trainingsmethodischen Vorgehens.<br />
Der moderne Spitzensport ist in vielfältiger Weise in Entwicklungen von<br />
Kapitalisierung und Globalisierung eingebunden. Deutschland als Industriestaat hat<br />
ein großes Potenzial zur Nutzung von Kommerzialisierung u. Vermarktungs-<br />
Strategien des (professionalisierten) Spitzensports. Es ist darauf hin zu wirken,<br />
dass dieses Potenzial verstärkt mit finanziellem Zugewinn auch für den „Langfristigen<br />
Leistungsaufbau“ d.h. für das Nachwuchstraining in den Sportvereinen erschlossen<br />
werden kann.<br />
In Verbindung damit ist die Unterstützung bei der Sicherung sportlicher,<br />
beruflicher und der nachsportlichen Karriere weiter höchste Aufmerksamkeit zu<br />
schenken. Insbesondere den talentierten Anschlusskadern ist dadurch die<br />
Fortsetzung der sportlichen Karriere zu erleichtern. Der Kern bildet die<br />
Laufbahnberatung der Verbände mit logistischer Hilfe, Berufsvermittlung oder<br />
Studienplatzangeboten einschließlich von Fördermechanismen, die den zusätzlichen<br />
Bedürfnissen des Leistungssports Rechnung tragen. Die nachsportliche Karriere<br />
bedarf häufig konkreter Vermittlungen für einen Berufseinstieg, der<br />
Weiterqualifikation bzw. Hilfen bei der Arbeitsplatzfindung. Insbesondere in „Zeiten<br />
knapper Kassen“ und wirtschaftlicher Stagnation sind vernetzte Wege beruflicher<br />
Sicherung eine Voraussetzung für spitzensportliche Karriereverläufe.<br />
Trotz wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und weitgehender gesellschaftlicher<br />
Akzeptanz des Hochleistungsports ist auch für Deutschland zukünftig eine<br />
Konzentration der Leistungssportförderung auf einen gestuften
(eingeschränkten) Sportartenkanon angezeigt, um die steigenden materiellen,<br />
finanziellen und personellen Aufwendungen des Spitzensports sichern zu können.<br />
Auswahlkriterien könnten z.B. die Güte der sportlichen Erfolge sein, günstige<br />
klimatische Voraussetzungen für die Sportart, die Qualität der vorhandenen<br />
Trainingstätten, die Massenwirksamkeit und das Verwertungspotenzial. Einsichtig<br />
wird die Selbstbeschränkung der leistungssportlichen Spitzenförderung schon allein<br />
dann, wenn man die Zunahme der olympischen Wettbewerbe betrachtet.<br />
Anzahl der olympischen Wettbewerbe<br />
Sommer-Spiele 1980 2004 2008 Zunahme (zu 1980)<br />
203 301 302 + 48%<br />
Winter-Spiele 1980 2006 2010<br />
38 82 86 + 126%<br />
Zusammenfassend wird deutlich: Wer international die Entwicklung<br />
mitbestimmen will, m u s s sich mit seinem nationalen Spitzensport-System<br />
den internationalen Anforderungen stellen.<br />
Es gibt keine (kaum) Umgehungskonzepte, sprich: „Ersatzlösungen“.<br />
4. Theorieansätze und Handlungsstrategien<br />
Aus der Sicht der Trainingswissenschaft ist die Entwicklung der sportlichen<br />
Leistungen sowohl durch die Bearbeitung „klassischer“ Fragestellungen inhaltlich<br />
weiter zu verfolgen, als auch nach neuartigen Lösungen zu suchen. Interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit wird dabei bisherige Wissenschaftsgrenzen überschreiten<br />
(müssen). So stehen z.B. Fragen der Gestaltung des Langfristigen Leistungsaufbaus<br />
(LLA), der altersangepassten Belastung oder der Talentauswahl und Förderung nach<br />
wie vor auf der Tagesordnung (NEUMANN 2009). Im Nachwuchs – wie im<br />
Hochleistungstraining sind weiterführende Untersuchungen zur Leistungsstruktur der<br />
Sportarten, zur Dynamik ihrer Entwicklung und die daraus abzuleitenden<br />
Orientierungen für das Trainingssystem erforderlich. Auch Kontrollsysteme und die<br />
Qualität der trainingsmethodischen Konzeptionen der Verbände sind unter dem<br />
Aspekt ihrer Effektivität immer wieder zu hinterfragen (STARK 2003). Ergänzend dazu<br />
sind verstärkte Anstrengungen zur Koordinierung übergreifender
(trainingswissenschaftlicher) Forschungen mit Rückwirkungen auf die<br />
Umsetzungsstrategien der Sportarten/Verbände erforderlich. Im Bundesinstitut für<br />
<strong>Sportwissenschaft</strong> gibt es seit 2008 mit dem „Langfristigen Strategischen<br />
Forschungsprogramm für das Wissenschaftliche Verbundsystem im Leistungssport“<br />
einen entsprechenden Handlungsrahmen bis 2016 (NEUMANN & HORN, 2008). Die<br />
Umsetzung wurde mit der Ausschreibung mehrjähriger, z.T. interdisziplinärer<br />
Forschungsvorhaben begonnen (NEUMANN & QUADE, 2009). Eine längerfristige<br />
Zusammenarbeit mit Verbänden, Olympiastützpunkten, wissenschaftlichen<br />
<strong>Institut</strong>ionen usw. kann so wissenschaftsstrategisch entwickelt werden. Die<br />
Potenziale für eine tragfähige Sportförderung sind gegeben. Sie sind aber weiter zu<br />
verzahnen, personell zu stärken und bundeseinheitlich zu führen (z.B. SCHWANK &<br />
SPITZ, 2009). Die Auswirkungen aktueller Beschränkungen der Haushaltsmittel auf<br />
Konzepte der Forschungsförderung sind allerdings noch nicht absehbar – 2010<br />
waren sie jedoch für Forschungen des BISp bereits einschneidend.<br />
Insgesamt ist die theoretische Arbeit der Trainingswissenschaft zu stärken bzw. sind<br />
vorliegende Erkenntnisse den veränderten trainingspraktischen Bedürfnissen<br />
anzupassen. Auf einige herausgehobene Problemkreise soll im Weiteren beispielhaft<br />
eingegangen werden.<br />
Beispiel 1: Periodisierung und Zyklisierung des Trainings<br />
Sportliches Training ist ein planmäßig gesteuerter Prozess; festgelegt werden<br />
müssen z.B. die Inhalte des Trainings, die Art und Weise ihrer Vermittlung, die Art<br />
und Weise der Belastungsgestaltung und das organisationsmethodische Vorgehen.<br />
Damit verbinden sich Fragen der Periodisierung, der Trainingsplanung sowie der<br />
Steuerung u. Regelung der Leistungsentwicklung.<br />
Die Strukturierung des Trainingsjahres als „Periodisierung“ wurde 1956/58 vom<br />
sowjetisch-russischen Trainingswissenschaftler MATVEEV begründet - in der Folge mit<br />
weltweiter Wirkung. Die wesentlichen Erkenntnisse wurden in den 50ziger und<br />
60ziger Jahren insbesondere durch <strong>Sportwissenschaft</strong>ler am Staatlichen<br />
Zentralinstitut für Körperkultur (GZOLIFK) in Moskau formuliert (MATVEEV, 1958;<br />
1962; 1965; 1972; 1974; 1977; 1990; NOVIKOV & MATVEEV, 1967; OZOLIN, 1970).<br />
„Periodisierung“ wurde als Einteilung des Trainingsjahres in Periodenzyklen mit dem
Ziel verstanden, zum Wettkampfhöhepunkt eine optimale sportliche Form zu<br />
erreichen. „Sportliche Form“ war 1950 durch LETUNOV als optimale Ausprägung der<br />
speziellen d.h. wettkampfgerichteten Leistungsfaktoren (Wettkampfzustand) in die<br />
sportwissenschaftliche Literatur eingebracht worden (vgl. OZOLIN, 1970, 381).<br />
Grundgedanke war:<br />
sportliche Form muss durch einen bestimmten Trainingsmittel-Einsatz und in<br />
einer bestimmten Reihenfolge erworben werden;<br />
sportliche Form lässt sich über einen bestimmten Zeitraum erhalten, ist also<br />
bedingt speicherbar; Aufbau und Rückbildung unterliegt jedoch individuellen,<br />
bisher unzureichend aufgeklärten Gesetzmäßigkeiten;<br />
Formaufbau und „außer Form sein“ sind gesetzmäßige Erscheinungen der<br />
menschlichen Leistungsfähigkeit, die gleichermaßen geplant und gestaltet<br />
werden müssen.<br />
Unter dem Eindruck der sportlichen Erfolge der Sowjetunion fanden die Vorschläge<br />
zur Periodisierung auch starke internationale Beachtung. Im DDR-Leistungssport<br />
wurde frühzeitig das Verwertungs-Potenzial erkannt und durch weiterführende (nicht<br />
öffentliche) Diskussionen und experimentelle Untersuchungen ergänzt.<br />
Hervorgehoben werden<br />
sollen die Erkenntnisse u.<br />
Verallgemeinerungen zur<br />
Zyklen der UWV<br />
(Lehnert 1966/1994)<br />
Gestaltung<br />
der<br />
1. Zyklus: Belastungs- Kompensation<br />
Dauer: ca. 1 Woche<br />
unmittelbaren<br />
Wettkampfvorbereitung<br />
2. Zyklus: Form-Neu-Aufbau<br />
Dauer: 3 – 6 Wochen<br />
(UWV), wie sie von<br />
LEHNERT in ihren<br />
3. Zyklus: Form-Ausprägung<br />
Grundzügen bereits 1963<br />
Dauer: 3 – 4 Wochen<br />
skizziert worden sind.<br />
Im Zuge der<br />
4. Zyklus: Leistungsnachweis<br />
(H auptwettkampf) Dauer: ca. 1 Woche<br />
Internationalisierung der<br />
Periodisierung wurde jedoch nicht immer geprüft, ob eine Übertragung sinnvoll und<br />
ausreichend experimentell abgesichert war. So erfolgte beispielsweise eine<br />
Übernahme auf die Trainingsgestaltung der Sportspiele, obgleich MATVEEV nur über
Daten von Individualsportarten (z.B. Schwimmen, Leichtathletik) verfügte und die<br />
Vorbereitung auf einen (Haupt-) Wettkampf im Mittelpunkt stand. Es wurde aber,<br />
insbesondere im Ausland, nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass er<br />
bereits in den 60ziger Jahren versucht hatte, zumindest generelle Aspekte einer<br />
Doppelperiodisierung zu integrieren (vgl. NOVIKOV & MATVEEV 1967, 344/345).<br />
Widersprüche zur heutigen Trainingsgestaltung sind so zumindest anteilig diesem<br />
„Missverständnis“ geschuldet. Wesentlicher waren aber die Veränderungen im<br />
internationalen Sport selbst, sowie die technologischen Entwicklungen, die<br />
zunehmend ein ganzjährig<br />
sportartgerichtetes und<br />
wettkampfnahes Training<br />
erlaubten. Dies wird sowohl<br />
für die Analyse und<br />
Präsentation der sportlichen<br />
Leistungen, als auch als<br />
Vermarktungspotenzial<br />
genutzt, verbunden mit fortschreitender Kommerzialisierung und durchgreifenden<br />
Professionalisierung des Spitzensports und seines Managements. Damit wurden -<br />
zuerst in den<br />
Grundstruktur einer<br />
professionalisierten bzw.<br />
DOPPEL - PERIODISIERUNG<br />
halb professionalisierten<br />
Sportarten - prinzipielle<br />
Einleitender MEZ<br />
1. E.<br />
Veränderungen im 1.<br />
VP (1)<br />
Grundlegender MEZ<br />
VP 1<br />
Kontroll - MEZ<br />
M<br />
Trainingsaufbau<br />
2. E.<br />
Zwischen- MEZ<br />
A<br />
VP (1)<br />
Vorbereitungs - MEZ<br />
erforderlich. Die<br />
Z<br />
WK<br />
WKP 1<br />
„klassische“<br />
Etappe (1)<br />
Wettkampf - MEZ<br />
Periodisierung von<br />
1. E. VP (2) Grundlegender MEZ<br />
MATVEEV , d.h.<br />
VP 2<br />
Einfachperiodisierung –<br />
UWV - Hauptwettkampf<br />
– ist heute weitgehend<br />
abgelöst durch<br />
2.<br />
M<br />
A<br />
Z<br />
WKP 2<br />
ÜP<br />
2.E. VP (2)<br />
WK E. (2)<br />
Vorbereitungs - MEZ<br />
Wettkampf-MEZ (UWV)<br />
Entlastungs-MEZ<br />
(MEZ d. Erholung)
Zyklisierungsstrukturen, die den mehrfachen Formaufbau im Trainingsjahr mit<br />
wettkampfnahem Training, Wettkämpfen bzw. Wettkampfbündeln als Trainingsmittel<br />
akzentuieren (vgl. z.B. PFEIFER 1987).<br />
Modellansätze u.a. von IVOILOV (1986), VERCHOSHANSKIJ (1985; 1992; 1998) und in<br />
modifizierter Form von PLATONOV (1986; 1999) präferieren für das<br />
Hochleistungstraining in Anlehnung an die Sportspiele die Dominanz ganzjähriger<br />
spezieller Belastungen. Zumindest für die Ausdauersportarten fordern aber z.B.<br />
NEUMANN (1993; 1994) und REIß et al. (1996) auch weiterhin die Entwicklung<br />
grundlegender Fähigkeiten als Voraussetzung zur Tolerierung der hochintensiven<br />
Wettkampfbelastungen. Notwendig sind offensichtlich experimentelle<br />
Untersuchungen unter Beachtung der konkreten Leistungsstruktur einer Sportart, um<br />
sachbezogener als bisher verallgemeinerte Orientierungen geben zu können.<br />
Trainingsexperimente mit Spitzenathleten (z.B. BONDARCUK, 1989; 1990) haben<br />
zudem verdeutlicht, dass die zeitliche Regulation von Adaptationsprozessen auch bei<br />
langjährig speziell trainierenden Hochleistungssportlern individualisiert verläuft, mit<br />
der Konsequenz von Periodisierungsmodellen, die jegliche vorgefasste Zyklisierung<br />
ablehnen (könnten). Sie sind eher auf eine permanente Planung kurzer Einheiten<br />
ausgerichtet. Leistungsobjektivierung, individuelle Trainingsgestaltung und<br />
individualisierte Wettkampfvorbereitung erhalten so eine deutliche Aufwertung. Hier<br />
dominiert allerdings noch Erfahrungswissen. Publikationen sind rar. Erforderlich sind<br />
weitere praxisorientierte und theoriebasierte Untersuchungen und ihre<br />
Veröffentlichung, so dass sachbezogene Diskussionen im breiteren Maße angeregt<br />
werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund von „Streitigkeiten“, wie z.B. um den<br />
Geltungsbereich der „Superkompensation“, ein Gebot der Stunde (TSCHIENE, 2006;<br />
PLATONOV, 2008).<br />
Beispiel 2: Leistungsstrukturmodelle<br />
„Leistungsstruktur“ bzw. „Leistungssystem“ ist eine Zentralkategorie zur Gestaltung<br />
von Trainingsprozessen. Die Leistungsstruktur soll die Frage beantworten helfen,<br />
was im Mittelpunkt des Trainings stehen muss. Erste Ansätze gehen auf Arbeiten in<br />
den 60-er Jahren zurück. Bis heute haben sich eine Reihe weiterer Modellansätze<br />
mit unterschiedlichen Sichtweisen herausgebildet.
(1) ZUORDNUNGS - MODELLE von IKAI und GUNDLACH (1968), geeignet zur<br />
Verortung von Sportartengruppen und der Ableitung von<br />
Trainingsschwerpunkten. Sie bildeten gleichzeitig den Auftakt für umfassendere<br />
experimentelle Untersuchungen zur Kennzeichnung der Leistungsstruktur für<br />
einzelne Sportarten und –disziplinen.<br />
Modellansatz nach IKAI<br />
Schnelligkeitsfähigkeiten<br />
Ausdauerfähigkeiten<br />
Kraftfähigkeiten<br />
Modellansatz nach GUNDLACH (1968)
(2) FAKTOREN - MODELLE , sie strukturieren die Leistungsvoraussetzungen und<br />
fußen im deutschsprachigen Raum wesentlich auf einem verallgemeinerten<br />
Modellansatz von SCHNABEL (1975); dieser wurde sportartspezifisch untersetzt, so<br />
z.B. von BAUERSFELD & SCHRÖTER (1979) oder MARTIN (1980).<br />
Modellansatz nach SCHNABEL (1975,<br />
1987)<br />
(3) KORRELATIONS – MODELLE, zuerst von VERCHOSHANSKIJ (1971) für den<br />
Dreisprung experimentell untersetzt und in der Nachfolge durch biomechanische<br />
Modelle z.B. von BALLREICH (1980), LETZLTER & LETZELTER (1982; 1983) oder durch<br />
ein Induktionsschlussmodell „Schwimmen“ von SCHRAMM (1987) weiter ausgebaut<br />
und theoretisch verfeinert. Fortgeführt z.B. im Modellansatz von OSTROWSKI &<br />
PFEIFER (2007) für den Skilanglauf.<br />
Modellansatz nach VERCHOSHANSKIJ (1971)
(4) QUASI-ENTWICKLUNGS-MODELLE - sie kennzeichnen Strukturveränderungen<br />
z. B. aus stationären Zuständen innerhalb von Prozessverläufen. Zu erwähnen<br />
sind Ansätze auf der Grundlage von Deduktions-Modellen in Form von Markoff-<br />
Ketten 1. Ordnung (THORHAUER, 1974). Sie können über bedingte<br />
Wahrscheinlichkeiten die Abhängigkeiten zwischen Ein- u. Ausgangszuständen<br />
eines Systems beschreiben. Daneben gibt es Versuche, Strukturentwicklungen<br />
zwischen Anschluss – u. Hochleistungstraining und zwischen Vorbereitungs- u.<br />
Wettkampfperiode innerhalb eines Makrozyklus des Trainingsjahres zu<br />
verdeutlichen (Letzelter & Dech, 1976; NEUMANN, 1978; THORHAUER, 1979) oder<br />
Strukturentwicklungen in den Etappen des Langfristigen Leistungsaufbaus mittels<br />
multiplen Regressionsgleichungen quantitativ zu fassen (DICKWACH, 1973;<br />
THORHAUER, 1991).<br />
Modellansatz in Form einer Markoffkette 1. Ordnung (THORHAUER,1974)<br />
Fazit: Die Untersuchungen sind insgesamt zu wenig systematisch und i.d.R.<br />
einzelwissenschaftlich ausgerichtet. Ganzheitliche Modellansätze, etwa im Sinne<br />
einer biotisch-psychisch-sozialen Bedingtheit (GEIßLER & Hörz, 1988) oder in<br />
Anlehnung an die Theorie sozialer Systeme (PARSONS, 1976) sind bisher nur in<br />
Ansätzen erkennbar (MESSING & LAMES, 1991). Trotzdem sind die vorliegenden<br />
Herangehensweisen geeignet z.B. zur Kennzeichnung wesentlicher<br />
Trainingsbestandteile, zur Charakterisierung spezieller und sportartgerichteter<br />
Trainingsmittel, zur Begründung für Schwerpunktsetzungen in der<br />
Belastungsgestaltung (Stichwort: wettkampfnahes Training) usw. Damit sind sie
durchaus von praktischer Relevanz. Für<br />
die wissenschaftliche Fundierung und<br />
Differenzierung von Trainingsprozessen<br />
sind allerdings weiterführende<br />
Untersuchungen unabdingbar.<br />
Beispiel 3: Training unter<br />
Hypoxiebedingungen<br />
Erste Untersuchungen zu Wirkungen von<br />
Sport-Belastungen in der Höhe erfolgten<br />
bereits im Zeitraum 1950/1955 durch<br />
sowjetische Mediziner und Trainer<br />
bezogen auf Höhenlage, Dauer des Aufenthaltes, Belastungs-Umfänge und –<br />
Intensitäten; 1955/56 wurde im Zusammenhang mit den Panamerikanischen Spielen<br />
in Mexiko-Stadt (2240 m Höhe) auch von amerikanischen Wissenschaftlern weitere,<br />
vorrangig medizinischen Fragestellungen verfolgt. In Deutschland gelten die Arbeiten<br />
von BRENDEL (1956) zum Leistungsverhalten des Menschen in großen Höhen als<br />
medizinische Grundlage für abgeleitete Fragestellungen. So auch für Training unter<br />
Hypoxiebedingungen in mittlerer Höhe. In Vorbereitung auf die Olympischen<br />
Sommerspiele in Mexiko-Stadt wurden in zahlreichen Ländern Untersuchungen<br />
initiiert, um Leistungsreserven einschließlich trainingsmethodischer Ableitungen<br />
aufzudecken. In der Bundesrepublik waren es vor allem HOLLMANN (1967) und die<br />
Arbeitsgruppe um REINDELL (1967), die sich aus medizinischer Sicht auch mit<br />
(trainings-) wissenschaftlichen Folgerungen des Höhentrainings befassten. So<br />
wurden bereits 1963 Untersuchungen z.B. über den Einfluss eines 5mal<br />
wöchentlichen 30-45 min. Ausdauertrainings unter Hypoxiebedingungen<br />
durchgeführt. Im Labor (verändertes Gasgemisch) konnten leistungssteigernde<br />
Effekte nachgewiesen werden (HOLLMANN & HETTINGER, 2000).<br />
In der DDR wurde in Leipzig eine interdisziplinäre Forschungsgruppe „Höhentraining“<br />
unter Leitung von LEHNERT und ISRAEL geschaffen. Ab 1970 bestimmten deren<br />
Empfehlungen ganz wesentlich die Gestaltung des Hochleistungstrainings in der
DDR mit (vgl. FUCHS & REIß, 1990; BUHL, 2002; BASTIAN, 2003). Schwerpunkte waren<br />
dabei<br />
Hypoxie-Training in natürlicher Höhe ( zwischen 1800-3000m),<br />
Barokammertraining (in Kienbaum ab 1979),<br />
Trainingsversuche mit höhenangepassten Gasgemischen und<br />
Atemmaskentraining (in ausgewählten Sportarten).<br />
Das Konzept „sleep high – train low“ wurde dagegen erst in den 1990ziger Jahren<br />
durch skandinavische Mediziner in die Diskussion gebracht (LEVINE et al., 1996). Sie<br />
strebten über die Vergrößerung des Erythrozytenvolumens eine Leistungssteigerung<br />
von Langstreckenläufern an. Die bisher vorliegenden Untersuchungen zeigen<br />
bezüglich der Effekte des „sleep high – training low“ keine einheitlichen Ergebnisse<br />
(vgl. z.B. STEINACKER et al., 1998). Denkbar ist, dass ein derartiges Verfahren im<br />
Vorfeld eines klassischen Höhentrainings zu einer schnelleren Akklimatisation<br />
eingesetzt wird, um damit früher höhere Belastungen in der Höhe zu realisieren. D.h.<br />
eine Anwendung eher im Sinne eines indirekten Effektes (NEIß et al., 2002). Aus<br />
trainingswissenschaftlicher Sicht sind Untersuchungen vor allem in den mehrfach<br />
periodisierten Trainingsaufbau zu integrieren. Nur so sind die verschiedenen<br />
Hypoxie-Zugänge sportartspezifisch zu nutzen, mögliche Synergien zu erschließen<br />
und ein negativer Transfer weitgehend zu vermeiden. Die Intensivierung der<br />
Untersuchungen steht unbestritten auf der Tagesordnung. Ein enges<br />
Zusammengehen von Sportmedizin, Trainingswissenschaft und Trainingspraxis im<br />
Rahmen einer prozessbegleitenden Trainings- und Wettkampfforschung (PFÜTZNER &<br />
GÖRAN, 2007) ist dabei unumgänglich.<br />
Beispiel 4: Informationsgeleitete Trainingsgestaltung<br />
Modernes Training wird immer stärker durch Mess- u. Informationssysteme begleitet.<br />
Sie erlauben eine effektivere Leistungs- u. Belastungssteuerung, machen Symptome<br />
von Übertraining beherrschbar oder schwächen sie ab und verringern die Risiken für<br />
bleibende Schädigungen insbesondere am Bewegungssystem. Die Bedeutung der<br />
Leistungsobjektivierung für das Training von Spitzensportlern wurde früh erkannt und<br />
ihr wurde durch gezielte Unterstützung Rechnung getragen. Mit der<br />
Auseinandersetzung der Gesellschaftssysteme nach dem 2. Weltkrieg erfolgte eine
außerordentliche Beschleunigung. Entwicklungslinien reichen bis in die Anfänge der<br />
<strong>Sportwissenschaft</strong> zurück. Wesentliche Impulse gingen von solchen technischen<br />
Neuerungen aus, die zielgerichtet Trainingsgeräte mit Messfunktionen verbanden.<br />
Pionierarbeiten sind u.a. mit dem Namen ABALAKOV verbunden, der bis in die<br />
60ziger Jahren – noch auf mechanischer Grundlage - spezifische Sport- und<br />
Trainingsgeräte mit Messfunktion konstruierte. Erst dadurch wurden z.T. neuartige<br />
Untersuchungen sowjetischer <strong>Sportwissenschaft</strong>ler ermöglicht, die auch<br />
international Beachtung und Nachahmung fanden (vgl. z.B. HOCHMUTH, 1967).<br />
ABALAKOV hat damit bahnbrechende Anregungen für so genannte Trainager<br />
geschaffen, wie sie heute für das sportartspezifische Training im Hochleistungssport<br />
unverzichtbar sind.<br />
„Dynamografischer Startblock“<br />
nach ABALAKOV (Hochmuth<br />
1967, 169)<br />
Ein anderer Ansatz der Nutzung von Informationsprozessen im Sport wurde originär<br />
durch FARFEL` (1955) angeregt. Auf der Grundlage objektiver Bewegungs-Rück-<br />
Informationen erfolgte eine bewusste Schulung des Muskelempfindens, mit deren<br />
Hilfe das Bewegungslernen im Techniktraining verbessert werden konnte. Diese Idee<br />
wurde zum methodischen Prinzip der „objektiv ergänzenden (Schnell-) Information“<br />
(1962) im Sinne eines extrinsischen Feedbacks verallgemeinert (vgl. FARFEL,<br />
1975/77; Chaidze, 1964; THORHAUER 1970a; 1970b; 1971; LJACH, 2004). Fast<br />
zeitgleich – aber ohne gegenseitigen wissenschaftlichen Austausch - wurde in der<br />
angelsächsischen Motorikforschung grundlagenorientiert zum Einfluss des<br />
intrinsischen Feedbacks gearbeitet - etwa ADAMS (1971) mit der „Closed-Loop-<br />
Theorie“ oder SCHMIDT (1975) mit der „Schema-Theorie“. Seit dem sind
Untersuchungen zur Wirkung von Feedbackinformationen in der Art von „Knowledge<br />
of Results“ - bzw. „Knowledge of Performance“- immer wieder Gegenstand<br />
sportwissenschaftlicher Untersuchungen (BALLREICH ,1981, 1983; ROCKMANN-RÜGER,<br />
1985; WINSTEIN & SCHMIDT, 1989; DAUGS, 1994).<br />
“Ruder-Ergometer“ nach FARFEL`<br />
(1967, S. 66) mit Feedback über<br />
objektive Leistungsdaten<br />
Bezugnehmend auf ABALAKOV und FARFEL erfolgte durch das Biomechaniklabor des<br />
Forschungsinstituts für Körperkultur (VNIFK) in Moskau unter Leitung von RATOV<br />
eine Weiterentwicklung zu sogenannten Trainagern (RATOV, 1968; 1972; 1976;<br />
RATOV et al., 1974). „Trainager“ sind sportartspezifische Trainingsgeräte mit Mess- u.<br />
Kontrollfunktion, die vor allem zur Einhaltung technischer Führungsgrößen<br />
(Leitbilder) bzw. zur Erzwingung zielabhängiger Prognosestrukturen in die<br />
Trainingspraxis eingebunden sind. Es wurden Trainager zur Stabilisierung<br />
technischer Anforderungen, zur Erleichterung bei der Aufgabenbewältigung sowie<br />
Gerätekonfigurationen mit Zwangsbedingungen geschaffen, die die Einhaltung<br />
erforderlicher energetischer bzw. sporttechnischer Voraussetzungen erzeugten<br />
(POPOV, 2004). Erwähnenswert ist der komplexe Ansatz in einer Zeit, wo<br />
Mikroelektronik, Miniaturisierung von Bauelementen, online - Datenverarbeitung und<br />
entsprechende Speichersysteme noch nicht verfügbar waren. Zum Einsatz kamen<br />
neben Verfahren zur Objektivierung kinematischer und dynamischer Parameter z.B.<br />
auch „mobile“ EMG-Systeme (bis 18 Kanäle, auf Motorrädern montiert) und die<br />
Elektromyostimulation (EMS) während der Bewegungsausführung. Die EMS war<br />
Mitte der 1960ziger Jahre von KOTZ für den Leistungssport erschlossen worden (vgl.
KOTZ, 1971; KOTZ & CHWILON, 1971) und galt über Jahre als - nicht publizierte -<br />
Leistungsreserve im sowjetischen Sportsystem (VOIGT, 1990).<br />
Trainager mit „stabilisierender Aufhängung“ (links) bzw. mit „erleichternder Führung“ (rechts); POPOV<br />
(2004, S. 65 u. 62)<br />
In Anlehnung an die verschiedenen Trainager-Systeme wurden in den 80er Jahren<br />
am damaligen Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig Messu.<br />
Informationssysteme geschaffen, die ein parameterorientiertes, computergestützes<br />
(pc-)Training ermöglichten. Daraus entwickelte sich Ende der 80ziger Jahre das<br />
Konzept des Messplatztrainings (vgl. HEILFORT, 1986; HOCHMUTH, 1988; KRUG, 1991;<br />
KNOLL, 1999). Heute gibt es vielfältige sportartspezifische Lösungen und Erfahrungen<br />
im konkreten Praxiseinsatz sowie eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen<br />
(vgl. KRUG & MINOW, 2004). Insbesondere DAUGS (2000) zeigte aber auch<br />
Theoriedefizite auf, die bis heute nicht abschließend behoben sind.<br />
Fazit: es sind ausgewählte Informationen, mit schnellerem Zugriff, bei größerer<br />
Anschaulichkeit, effizienter Vernetzung der Daten und Datenspeicher und<br />
Einbindung in Internetportale für einen jederzeitigen Zugriff zu schaffen, die die<br />
Trainingsgestaltung unterstützen (müssen). Interdisziplinäres Herangehen und<br />
Verallgemeinerungen zu entsprechenden Theorieansätzen sind dabei unabdingbar,
ebenso wie Wirksamkeitsanalysen in verschiedenen Sportarten und für verschiedene<br />
Zielstellungen (KRUG et al., 2004).<br />
Messplatztraining kann heute sein:<br />
Kraft-Technik-Leistungs-Objektivierung<br />
+<br />
Video-Dokumentation und –Zuordnung<br />
+<br />
Computer animierte Auswertung<br />
+<br />
Daten- Beurteilung, -Speicherung, -Verwaltung im Trainer-Berater-System<br />
+<br />
Internet- bzw. Intranet-Zugriff<br />
+<br />
Modellentwicklung sowie Modelloptimierung und Simulation.
Beispiel 5: Langfristiger Leistungsaufbau<br />
Sportliche Spitzenleistungen sind das Ergebnis von zielbestimmten Prozessen der<br />
sportlichen Leistungsentwicklung, die auf biotisch-psycho-sozialen<br />
Systemkomponenten basieren (SCHNABEL, HARRE & BORDE, 1994). Dieser Prozess<br />
des Langfristigen Leistungsaufbaus (LLA) ist an eine Reihe von Bedingungen<br />
geknüpft, die gesamt gesellschaftliche Dimensionen beanspruchen. Inhaltlich ist der<br />
LLA in Etappen strukturiert, die sportartspezifisch ausgerichtet und miteinander<br />
verzahnt sind, um so die sportmotorische und Persönlichkeits-Entwicklung möglichst<br />
systematisch gestalten zu können.<br />
Die Wurzeln für eine abgestimmte, mehrjährige Ausbildung liegen auch hier in<br />
Strukturierungsansätzen der sowjetischen <strong>Sportwissenschaft</strong> der 50-ziger und 60-<br />
ziger Jahre. Frühzeitig wurde dieses Konzept durch die Forschungsstelle der DHFK–<br />
dem institutionellen Vorläufer des späteren Forschungsinstituts für Körperkultur und<br />
Sport (FKS) in Leipzig - mit einer konsequenten leistungssportlichen Entwicklung<br />
verknüpft. Im Zusammenhang damit wurden die Begriffe „Kinder-, Jugend- u.<br />
Erwachsenentraining“ terminologisch, inhaltlich und strukturell neu bestimmt. Die<br />
vordergründige Orientierung am Lebensalter wurde aufgegeben. In den Mittelpunkt<br />
trat die Leistungsstruktur einer Sportart/Disziplin sowie die Dauer der Ausbildung der<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten bis zur Erzielung sportlicher Höchstleitungen im<br />
Höchstleistungsalter (THIEß, 1962; 1964; HARRE, DELTOW & RITTER, 1964). Die<br />
Betonung des perspektivischen Charakters des Nachwuchstrainings war neu,<br />
insbesondere bei der Beurteilung der aktuellen sportlichen Leistung und der<br />
zukünftigen Leistungserwartung. In die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines<br />
Athleten wurden so auch die bisher im Trainingsprozess angewandten Mittel,<br />
Methoden, die Belastungsgestaltung, die Trainingshäufigkeit usw. d.h. der bisherige<br />
trainingsmethodische Aufwand stärker einbezogen. Begleitend dazu forcierte man<br />
das System von Sichtung und Auswahl (Stichworte: Einheitliche Sichtung und<br />
Auswahl, Eignungsdiagnostik, Kinder- u. Jugendspartakiade), die medizinische<br />
Betreuung im Rahmen des sportmedizinischen Dienstes und den Aufbau von<br />
Forschungsgruppen für die Olympischen Sportarten und Disziplinen. Darin<br />
eingeschlossen war die theoretische Auseinandersetzung über weiterführende<br />
Fragen des LLA mit dem Ziel der Abklärung grundsätzlicher Positionen in der
<strong>Sportwissenschaft</strong> (Z. B. RAHN & SCHREITER, 1974; BRUNNER, 1977; BRUNNER & ROST,<br />
1978; TSCHIENE 1976; 1980; SCHUSTER & ROST, 1983; RAHN, 1986).<br />
Im Rahmen dieser mehrjährigen Ausbildung geht es um das Erreichen sportlicher<br />
Spitzenleistungen im Höchstleistungsalter des Athleten, d.h. in einem Zeitraum der<br />
besten psycho-physischen Voraussetzungen für Leistungen in der Sportart oder<br />
Disziplin. Leistungsvorgaben (Altersklassennormen bzw. Anforderungen in den<br />
einzelnen Trainingsetappen sowie Kaderrichtwerte) sind als notwendige<br />
Zwischenziele zu verstehen aber der Prognoseorientierung untergeordnet. Dies<br />
erfordert i.d.R. einen frühzeitigen wenn auch sportartabhängigen Beginn und eine<br />
sportartgerichtete, vielseitige Ausbildung der leistungsbestimmenden<br />
Voraussetzungen, sowie ein wirksames Steuerungssystem mit perspektivisch<br />
wirksame Anreiz- und Kaderstrukturen (vgl. auch DOSB 2005).<br />
Trainingsprozess<br />
Wettkampfsystem<br />
Fazit:<br />
Die<br />
Sichtung<br />
u.a.<br />
u.a.<br />
• train.-method. Konzeption und • WK-Auswahl u. Bedeutung<br />
Kernaussagen zum<br />
• inhatl. Gestaltung<br />
• Nominierungskriterien<br />
Auswahl<br />
• Zeitstruktur/Zyklisierung/<br />
• Teilnahme und<br />
Theoriesystem und<br />
Planung<br />
Leistungspräsentation<br />
zum Praxisverständnis<br />
Bedingungsfaktoren<br />
sind für den deutschen Genetisches<br />
des<br />
Psychische<br />
Potenzial Langfristigen Leistungsaufbaus Dispositionen<br />
Spitzensport nach wie<br />
vor ein tragfähiges<br />
Organisation und<br />
Führung und Kontrolle<br />
Fundament. Es ist Management Gesellschaft u.a.<br />
u.a.<br />
-liche • Bundesebene (DOSB,<br />
jedoch zu sichern, • Trainingsumfeld<br />
Rahmenbedingungen<br />
• Landesebene (Vereine,<br />
Spitzenverband)<br />
• Laufbahnberatung<br />
dass die individuellen<br />
• Fördermaßnahmen<br />
(Sportgymnasien)<br />
und gesellschaftlichen<br />
Bedingungen und Anforderungen, die heute an den Leistungssport gestellt sind,<br />
entsprechend berücksichtigt werden. Wo neue Lösungen zur planmäßigen<br />
Entwicklung von Höchstleistungen erforderlich sind, ist durch eine enge<br />
Wechselbeziehung von Sport, <strong>Sportwissenschaft</strong> und politischen<br />
Entscheidungsträgern angemessen zu reagieren. Ausgangspunkt müssen<br />
Weltstandsanalysen mit klaren Folgerungen sein. Neben Leistungsvorgaben sind die<br />
erforderlichen Trainingsaufwendungen am Weltmaßstab zu messen. Tendenzen der<br />
trainingszeitlichen Unterbilanzierung und Mängel im Qualitätsmanagement der
Verbände sind konsequenter zu begegnen. (STARK 2003). Die wissenschaftliche<br />
Unterstützung des Langfristigen Leistungsaufbau ist durch Auftragsforschung<br />
systematischer mit zu gestalten. Die Wirksamkeit ist durch konsequentere<br />
Einbindung in die Trainingsprozesse zu erhöhen.<br />
Abschließend lässt sich sagen, dass die Trainingswissenschaft zwar ein<br />
theoriebasiertes Fundament für die Herausforderungen des (Hoch) Leistungssports<br />
hat, aber stärker als bisher kausalanalytische Untersuchungen erforderlich sind. D.h.<br />
ein partieller Paradigmenwechsel steht an, der insbesondere die interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit mit Wirkungsprüfungen im „trainingspraktischen Vorfeld“, die<br />
differenziertere Untersetzung nach Ausgangs- u. Randbedingungen sowie die<br />
Modellierung und Simulation der Wirkungserwartungen mit Folgenabschätzung in<br />
den Fokus rückt.<br />
Für leistungssportliche Zielstellungen (citius, altius, fortius) ist dabei oft die Qualität<br />
der muskulären Antriebe von entscheidender Bedeutung. Ein perspektivischer<br />
Ansatz wird in differenziellen Konzepten des Kraft-Technik-Trainings gesehen. Dabei<br />
spielen Kriterien und Parameter im individuellen Anpassungsverhalten des<br />
muskulären Systems eine zentrale Rolle.<br />
5. Zum Konzept der „lokalen Muskel-Vor-Ermüdung“ (eigener<br />
Forschungsansatz)<br />
5.1. Theoretische Grundlagen<br />
In Deutschland sind mit den Arbeiten der „Freiburger“- bzw. „Frankfurter Schule“<br />
ausgewiesene experimentelle Grundlagen für die Gestaltung des Kraft-Technik-<br />
Trainings gegeben. Es werden seit Jahren Fragestellungen zu Belastungs-,<br />
Ermüdungs- und Adaptationsvorgängen erforscht und Schlussfolgerungen zur<br />
Optimierung des Krafttrainings gezogen (vgl. SCHMIDTBLEICHER et al., 1978; BÜHRLE,<br />
1985; SCHMIDTBLEICHER & GOLLHOFER, 1985; GOLLHOFER, 1987; 1993; MÜLLER, 1987;<br />
FRICK, 1993; GÜLLICH & SCHMIDTBLEICHER, 1995; 1996; SCHÖNTHALER & OHLENDORF,<br />
2002; HARTMANN et al. 2008). In dem Zusammenhang soll auch auf Arbeiten von<br />
WITTEKOPF & RÜHL (1984) aufmerksam gemacht werden. Originär waren die Arbeiten<br />
von POLLMANN & WILLIMCZIK (1991) zur Steuerung des Krafttrainings mit Hilfe von
EMG-Kennwerten, sowie von WOLLNY (1991), der muskuläre Steuermechanismen<br />
zur Beschreibung von sporttechnischen Lernprozessen abgeprüft hat. TIDOW und<br />
WIEMANN (1993; 1994) haben das Schnellkrafttraining optimiert, in dem sie<br />
Abhängigkeiten vom efferenten Frequenzspektrum, der summarischen<br />
Kontraktionskraft und der Kontraktionsgeschwindigkeit der motorischen Einheiten für<br />
ein gegebenes Faserspektrum aufgezeigt haben. Im Einzelnen kann hier nicht auf<br />
die Vielzahl der belastungsmethodischen Verfahren für die Gestaltung des<br />
Krafttrainings eingegangen werden. Einen Überblick über verschiedene methodische<br />
Ansätze im (Maximal-) Krafttraining gibt z.B. GREIWING (2006). Zur aktuellen<br />
Diskussion von Einsatz- und Mehrsatz-Training vgl. FRÖHLICH (2006). Zelluläre<br />
Anpassungen nach Trainingsbelastungen referieren TEGTBUR, BUSSE & KUBIS (2009).<br />
Mitte der 90-er Jahre wurde bei eigenen Untersuchungen mit Nachwuchsspringern in<br />
der Leichtathletik deutlich, dass im Kraft-Zeit-Verhalten Phänomene auftreten, die<br />
bisher kaum beachtet worden waren. Die gängige Trainingsempfehlung ging eher<br />
davon aus, dass ein Schnellkrafttraining im unermüdeten Zustand durchzuführen sei<br />
und nur minimale konditionelle Vorbelastungen zu tolerieren sind ( LETZELTER, 1983;<br />
HARTMANN & TÜNNEMANN, 1984; SCHMIDTBLEICHER & FRICK, 2001). Konkret zeigte sich<br />
aber, dass bei Nieder-Hoch-Sprüngen (Drop Jump) nach lokaler Ermüdung des M.<br />
Triceps surae trotz massiver lokaler (Aus-) Belastung eines für die Bewegung<br />
entscheidenden Kinetors (M. triceps surae) de facto gleiche Bodenreaktionskräfte<br />
erzeugt werden konnten. Dies war nicht zu erwarten, denn nach BOBBERT et al.<br />
(1986) können durch die am Fuß wirkenden Muskeln etwa 30% der Sprungleistung<br />
(Bsp. Counter Movement Jump) erbracht werden. Im Allgemeinen gilt, dass durch<br />
eine drastische Glykogenabnahme in den Muskelfasern mit einer Verminderung der<br />
maximalen Muskelkraft bzw. einer deutlichen Zunahme der Ermüdbarkeit bei<br />
nachfolgenden Kontraktionsserien zu rechnen ist (JACOBS et al. 1981). Hinzu kommt<br />
der Anstieg der H + Ionen Konzentration mit einem erschöpfungsbedingten Abfall des<br />
intramuskulären pH-Wertes auf 6,7 (SAHLIN et al., 1981) bzw. auf 6,3 mit einer daraus<br />
resultierenden Blockierung der Glykolyse (BASSEY & FENTEM, 1981). Zum Anderen<br />
wurde die Abnahme der Kaliumkonzentration in der Muskelzelle festgestellt, was die<br />
Erregungsprozesse der Membran beeinträchtigt (NÖCKER, 1971; MELZER et. al.,
1986). Offensichtlich sind aber unter den Bedingungen einer selektiven Ermüdung<br />
von Muskeleinheiten noch andere Mechanismen der Bewegungsregulation<br />
verfügbar, die bei der regulativen Adaptation zur Stabilisierung des<br />
Bewegungssystems eine „progressive Rolle“ spielen können (DUTHIE, YOUNG, &<br />
AITKEN, 2002; KAWAMORI & HAFF, 2004).<br />
Aktivität des M. vastus lateralis<br />
nach lokaler Ermüdung<br />
Kraftstoß nach lokaler<br />
Ermüdung<br />
Kraftstoß vor lokaler<br />
Ermüdung<br />
Muskelaktivität und Kraftstoß bei einem Drop Jump vor und nach supramaximalen<br />
Belastungen des M. Triceps surae (THORHAUER & TÜRK-NOACK, 1997, S. 16)<br />
Im Sinne einer Arbeitshypothese wurde deshalb angenommen, dass durch Vor-<br />
Ermüdung wesentlicher Arbeitsmuskeln Kompensations-Mechanismen aufgebaut<br />
werden können, die zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der muskulären<br />
Antriebe des agierenden Systems im nicht-ermüdeten Zustand beitragen. Es war zu<br />
prüfen, ob und inwieweit die lokale Ermüdung einzelner Muskeln bzw. kleiner<br />
funktioneller Einheiten Reaktionen nach sich zieht, die die ermüdungsinduzierte<br />
Muskulatur betrifft, eventuell aber auch zu charakteristischen Veränderungen in der<br />
muskulären Steuerung des gesamten Bewegungssystems führt.<br />
In Arbeiten von BÜSCH (1993), DAUGS et al. (1996) und OLIVIER et al. (2001) sind<br />
einige Fragestellungen der konditionellen Vorbelastung sowie deren Auswirkung auf<br />
die zentral-nervale Aktivierung problematisiert. Sie verweisen auf die<br />
widersprüchlichen Definitionsansätze bzw. die experimentelle Befundlage in der<br />
„Ermüdungsforschung“. Die Autoren beziehen sich auf Arbeiten von BENSON (1968),<br />
der „Ermüdung“ auch als Leistungsstimulus wertet. Aber bereits in Arbeiten von
BORNEMANN (1952) ist Ermüdung ein Vorgang, dessen „Wirkungen sich nicht nur in<br />
einzelnen Funktionsminderungen, sondern ebenso sehr auch in der Veränderung<br />
des Funktionsgefüges des Organismus äußert“ (zit. bei SCHMIDTKE, 1965, S.17).<br />
OLIVIER (1996) hat versucht den Zusammenhang von (konditioneller) Belastung,<br />
neuromuskulärer Beanspruchung und den zentralnervösen Aktivierungszuständen<br />
für einzelne, ausgewählte Bedingungen zu verifizieren. STRASS (1985; 1994),<br />
HÄKKINEN, ALEN & KOMI (1985), KOMI (1989), WEIR et al. (1996) und RECHTIEN et al.<br />
(1999) beschreiben Reaktionen des neuromuskulären Systems auf<br />
Ermüdungsbelastungen. So erkannten z.B. HÄKKINEN & KOMI (1983) eine<br />
Reduzierung der EMG – Frequenz und eine Zunahme der EMG- Amplitude bei<br />
submaximalen Kontraktionen. BIGLAND-RITCHIE & WOODS (1984) beobachteten eine<br />
Reduzierung der Entladungsrate der motorischen Einheiten bei Ermüdung. NOTH<br />
(1993) gibt als Ermüdungsanzeichen eine Abnahme der Amplituden der<br />
Aktionspotentiale sowie der Leitgeschwindigkeit einzelner Fasern an. Dagegen<br />
konstatiert LUTTMANN (1996) bei isometrischer Muskelarbeit eine abnehmende<br />
Medianfrequenz und eine Zunahme der abgeleiteten Amplituden. Im gleichen Sinne<br />
auch GOLLHOFER (2000), der eine zusätzliche Rekrutierung motorischer Einheiten bei<br />
lokalen Muskelermüdungen herausstellt, die sich in einer Frequenzverringerung und<br />
einer Amplitudenzunahme äußert. Neben den genannten Autoren gibt es weitere<br />
Untersuchungen. Die für die Individualisierung von Trainingsprozessen sowie für die<br />
Begründung neuer Belastungsmethoden wesentliche dynamischen Muskelarbeit ist<br />
aber noch weniger aufgeklärt. So treten Phänomene der muskulären Ermüdung in<br />
den Mittelpunkt, wie sie sich vor allem bei dynamischer Muskelarbeit und in<br />
sportartspezifischen Bewegungs- und Belastungssituationen stellen. Ermüdung wird<br />
hier verstanden als aktivitätsinduzierte Reduktion der Fähigkeit des Muskels, Kraftbzw.<br />
Leistung zu generieren, unabhängig davon ob die Aktivität aufrecht erhalten<br />
wird (GANDEVIA, 2001; BARRY & ENOKA, 2007; NYBO & SECHER, 2004; MEEUSEN et al.<br />
2006). Damit kann Ermüdung schon relativ zeitnah nach dem Beginn einer<br />
anhaltenden Aktivität einsetzen, obwohl der Sportler die Tätigkeit weiter ausführt. In<br />
Abhängigkeit von der Bewegungsaufgabe sind unterschiedliche psycho-physische<br />
Systeme betroffen (GREEN, 1997; ALLEN et al., 2008; AMENT & VERKERKE, 2009). Im<br />
Folgenden werden Ergebnisse des Arbeitsbereiches vorgestellt, die sich
insbesondere mit Reaktionen nach lokaler Muskelermüdung auf Parameter der<br />
sportlichen Leistung, der Bewegungskinematik und der muskulären Regulation<br />
befassen.<br />
5.2. Experimentelle Befunde<br />
5.2.1. Art der Vorbelastung<br />
Problem: Der Einflusses verschiedener Vorermüdungs-Strategien – hier dynamische<br />
und isometrische Belastungen der unteren Extremitäten (HOFFMANN, 2006; WERNER,<br />
2006)<br />
Belastungsvariante Muskel-Vorbelastung Art der Vorbelastung<br />
Variante 1 M. triceps surae isometrisch<br />
Variante 2 M. triceps surae dynamisch<br />
Variante 3 M. quadriceps femoris isometrisch<br />
Variante 4 M. quadriceps femoris dynamisch<br />
Versuchspersonen: 14 männlichen Sportstudenten mit folgender Charakteristika:<br />
Alter 25,1 Jahre; Körperhöhe 178 cm; Körpermasse 73,7 kg; Körperfettgehalt 14,7 %;<br />
Trainingshäufigkeit 4,8<br />
Einheiten/Woche in den<br />
Sportarten Fußball, Tennis<br />
Handball, ,Langstreckenlauf,<br />
Triathlon, Karate oder Judo.<br />
Kontrollübung:<br />
Serielle Sprungbewegung<br />
(Squat-Drop-Drop-Jump).<br />
Untersuchungsbedingungen: Die dynamische Vorbelastung erfolgte mit einer<br />
Zusatzlast, die 8 Wiederholungen der individuellen Maximalleistung entsprach.<br />
Getaktet wurde mit 1 Hz. Abbruchkriterium war das Nichterreichen von 80% der<br />
Ausgangsleistung bei isometrischer Vorermüdung bzw. das Nichterreichen der<br />
geforderten Wiederholungszahl bei dynamischer Vorermüdung oder Abbruch durch<br />
den Probanden, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden. Die isometrische<br />
Belastung erstreckte sich jeweils über 10 s. Die Datenerfassung erfolgte mit dem 16-
Kanal EMG der Firma BIOVISION, die A/D-Wandlung mit einer PCMCIA-DAQ16-<br />
Karte von QUATECH. Die EMG-Muskelableitungen wurden nach dem SENIAM-<br />
Projekt vorgenommen (HERMENS ET AL., 1999). Zur Registrierung der Daten diente<br />
die Software DASYLAB 9.0 mit einer Messfrequenz von 2000Hz. Die Rohdaten<br />
wurden ungefiltert aufgezeichnet. Zur Reduzierung von Artefakten erfolgte eine<br />
Bearbeitung mit einem Tiefpassfilter (Butterworth 2. Ordnung, 400 Hz) und einem<br />
Hochpassfilter (Butterworth 2. Ordnung, 20 Hz). Das Moving Avarageverfahren mit<br />
31 Werten wurde für die Erstellung der Hüllkurven angewendet. Zur<br />
Amplitudennormalisierung wurde der Maximalwert der Hüllkurve, zur<br />
Zeitnormalisierung die Bodenkontaktzeit des unermüdeten Sprungs für alle weiteren<br />
Sprünge der jeweiligen Vorermüdungsform auf 100% gesetzt. Als Parameter der<br />
sportlichen Leistung wurden die Flugzeit/Flughöhe und die Bodenkontaktzeit<br />
optoelektronisch erfasst (Optojump von MICROGATE). Videobildanalysen<br />
(Kamerafrequenz: 50 Hz) schätzten mögliche Änderungen der Sprungtechnik mit<br />
dem Programm MOTIOLYSE der Universität Bielefeld ab. Zur Bilddigitalisierung<br />
wurde die Software DIVAS 2.0 (Datenhaus GmbH) verwand. Die statistische<br />
Auswertung der Daten erfolgte mit dem Programm SPSS (11.0), bei einem<br />
zweiseitigen „exakten Vorzeichentest“ (vgl. HOFFMANN 2006, 50-57).<br />
Ergebnisse:<br />
Die Parameter der sportlichen Leistung (Flugzeit, Bodenkontaktzeit) weisen im<br />
Gruppenmittel trotz eines lokal ermüdeten Hauptkinetors bei allen vier<br />
Vorermüdungsstrategien nur einen geringen (
eagieren mit einer Abnahme des IEMG, während der Vastus medialis, Rectus<br />
femoris, Glutaeus maximus und der Erector spinae zum Teil beträchtliche<br />
Zugewinne verzeichnen.<br />
Muskeln Sprung 2<br />
(%)<br />
Sprung 3<br />
(%)<br />
M. tibialis anterior -30,3 -39,2<br />
M. soleus +1,6 -1,0<br />
M. gastrocnemius lateralis +2,0 -2,2<br />
M. gastrocnemius medialis -6,4 -5,2<br />
M. vastus medialis +2,4 +2,0<br />
M. rectus femoris +1,6 +5,7<br />
M. vastus lateralis -5,3 +3,5<br />
M. biceps femoris -16,3 +6,6<br />
M. glutaeus maximus +14,6 +7,4<br />
M. erector spinae +30,9 +23,8<br />
Prozentuale Veränderungen (geometrisches Mittel) des integrierten EMG der Kontrollsprünge 2<br />
und 3 (Drop Jumps) nach dynamischer Vorermüdung des M. triceps surae für die Zustände 0<br />
(unermüdet) und 3 (ermüdet). HOFFMANN (2006, S. 76)<br />
Ermüdungsbelastungen erzeugen bei den Probanden mehrheitlich regulatorische<br />
Veränderungen in der Beinkinematik. Bei dynamischer Vorermüdung des M.<br />
triceps surae verringerten sich die Winkel im Hüft- und Kniegelenk; bei<br />
dynamischer Vorermüdung des M. quadriceps femoris wurde dagegen eine<br />
Vergrößerung des Hüftwinkels beobachtet. Ein gleiches kompensatorisches<br />
Verhalten zeigte sich bei isometrischer Vorermüdung des M. triceps surae.<br />
Dagegen waren Veränderungen in der Körperschwerpunkt-Lage nur bei einigen<br />
Probanden signifikant (5%-Niveau).<br />
KSP unerm üdet KSP teilermüdet KSP ermüdet<br />
180<br />
Höhe [cm]<br />
120<br />
60<br />
0<br />
A B C D E F G H I J K L M N<br />
Probanden<br />
Körperschwerpunkt<br />
(KSP) – Höhe für alle<br />
Probanden (WERNER,<br />
2006, S. 112)<br />
Diese Aussagen ergänzen Literaturbefunde zur Beinkinematik beim Gehen und
Laufen (z.B. SEYFARTH, 2002).<br />
Einzelfallanalysen für je einen Vertreter aus dem Ausdauerbereich (Triathlon mit 5<br />
TE/Wo), dem Schnellkraftbereich (Karate mit 3 TE/Wo) und dem<br />
Sportspielbereich (Fußball mit 10 TE/Wo) legen tätigkeitsspezifische Reaktionen<br />
auf die Muskelvorermüdung nahe. SO reagierte der ausdauerakzentuierte<br />
Sportler mit einer zunehmenden „Hüft- und Kniegelenksversteifung“, der<br />
kraftakzentuierte Sportler eher mit einer „Kniegelenksversteifung“ und einer<br />
Stützzeitverlängerung, während der Sportspieler sich durch eine<br />
Stützzeitverlängerung und Verlängerung des Beschleunigungsweges<br />
auszeichnete (WERNER, 2006).<br />
Bodenkontaktzeit<br />
[s]<br />
0,60<br />
0,40<br />
0,20<br />
0,00<br />
Bodenkontaktzeiten bei lokaler Ermüdung<br />
BKZ unermüdet BKZ teilermüdet BKZ ermüdet<br />
ausdauerakzentuiert kraftakzentuiert spielakzentuiert<br />
Probanden<br />
Einzelfallanalysen –<br />
Auswirkungen einer<br />
dynamischen<br />
Ermüdung des M.<br />
triceps surae auf die<br />
Bodenkontaktzeit<br />
(WERNER 2006, S.<br />
146)<br />
Flugzeiten bei lokaler Ermüdung<br />
Flugzeit [s]<br />
0,60<br />
0,40<br />
0,20<br />
0,00<br />
FZ unermüdet FZ teilermüdet FZ ermüdet<br />
ausdauerakzentuiert kraftakzentuiert spielakzentuiert<br />
Probanden<br />
Einzelfallanalysen –<br />
Auswirkungen einer<br />
dynamischen<br />
Ermüdung des M.<br />
triceps surae auf die<br />
Flugzeit (WERNER<br />
2006, S. 151)<br />
Insgesamt ist festzuhalten, dass unterschiedliche Ermüdungsstrategien z.T.<br />
unterschiedliche Ermüdungsreaktionen auslösen. Die muskuläre Regulation und die<br />
Bewegungs – Kinematik zeigen auch individuelle Kompensationsmuster. Die<br />
Ergebnisse sind insgesamt nicht homogen. Weitere Untersuchungen sind angezeigt.
5.2.2. Intensität der Vorbelastung<br />
Problem: Einfluss unterschiedlicher Intensitäten zur lokalen Ermüdung von Muskeln<br />
am Beispiel der unteren Extremitäten (SOROUR, 2004). Die Intensität der<br />
Ermüdungsbelastung wurde zwischen 95%, 80% und 60% der individuellen,<br />
isometrischen Maximalleistung (MVC) variiert.<br />
Versuchspersonen: 10 männlichen Sportstudenten: Alter 22,8 Jahre; Körperhöhe<br />
180 cm; Körpermasse 78,0kg; Körperfettgehalt 15,5%.<br />
Kontrollübung: Serielle Sprungbewegung (Squat-Drop-Drop-Jump).<br />
Untersuchungsbedingungen: Das Design war dem im Abschnitt 5.2.1.<br />
beschriebenen vergleichbar. Die Ermüdungsbelastung bestand aus<br />
Streckbewegungen im Fußgelenk (Wadenheber) an einem modifizierten<br />
Hantelgleitgerät (Hackenschmidt). Ein opto-akustischer sowie ein inkrementaler<br />
Wegsignalgeber sicherte die Standardisierung der Bewegungsausführung. Bei 95%<br />
Belastungen erfolgten 2 Wiederholungen, ansonsten 8 Wiederholungen. Danach<br />
wurden die Kontrollübungen („Squat-Drop-Drop-Jump“). Danach wurden die<br />
Kontrollübungen, bei einem Ausgangs-Kniewinkel von ca. 110 Grad, abverlangt. Der<br />
Vorgang von Ermüdungs- u. Kontrollbewegung wurde bis zur Ausbelastung<br />
fortgesetzt. Mit der Oberflächen-EMG wurde abgeleitet: M. gastrocnemius, M.<br />
soleus, M. tibialis anterior, M. vastus medialis, M. biceps femoris.<br />
Ergebnisse:<br />
Die Ermüdung des Triceps surae führt insgesamt zu geringfügigen<br />
Leistungsverlusten (etwa 5%) bei Kontakt- und Flugzeiten.<br />
Darstellung der Flugzeit beim Drop Jump bei Ermüdung des Triceps surae eines<br />
Probanden mit der Intensität von 95% der MVC (SOROUR, 2004, S. 137)
Dieser Leistungsrückgang ist weitgehend unabhängig von der Intensität der<br />
Ermüdungsbelastung. Beurteilt wurde das arithmetische Mittel der letzten d.h.<br />
ermüdeten 5 Sprungfolgen zu den ersten, unermüdeten 5 Sprungfolgen; der<br />
Leistungskennwert ergibt sich aus Flugzeit/ Bodenkontaktzeit (SOROUR, 2004, S.<br />
49-53).<br />
Intensität der<br />
Belastung<br />
Bodenkontaktzeit<br />
Differenz in %<br />
Flugzeit<br />
Differenz in %<br />
Leistungskennwert<br />
Differenz in %<br />
MVC 60% + 6,0 - 4,6 - 9,9<br />
MVC 80% + 5,1 - 4,6 - 9,2<br />
MVC 95% + 6,1 - 3,5 - 8,3<br />
<br />
Die Aktions-Potenziale der erfassten Muskeln der unteren Extremitäten erhöhten<br />
sich signifikant mit der Ermüdungsaufstockung. Dies steht in Übereinstimmung<br />
mit LAURIG (1983), WITTEKOPF UND RÜHL (1984) SOWIE AHONEN (1994), die eine<br />
zusätzliche Aktivierung motorischer Einheiten annehmen. Die gleichen<br />
Mechanismen können allerdings quantitativ variieren. Hinzu kommen erhöhte<br />
Aktivitäten der ermüdeten Synergisten und die Optimierung von Erregungs- u.<br />
Hemmungs-Prozessen im Verlaufe der Ermüdung des Hauptmuskels.<br />
Roh-EMG des M. biceps<br />
femoris bei 10 Drop Jumps<br />
je Serie (oben-Sprungserie<br />
1, unten-Sprungserie 18);<br />
THORHAUER ET AL. (2004).<br />
Deutlich werden die verbesserte Trennschärfe sowie eine autoregulative Tendenz<br />
zur Einfachstrukturierung der Aktionspotenziale. Verbunden damit ist die<br />
Reduzierung der Anzahl der Umkehrpunkte der Muskel-Aktions-Potenziale, auf<br />
die bereits DIEZ (1978) verwiesen hatte. Dies lässt sich anhand der EMG-<br />
Hüllkurven nach dem Moving Avarageverfahren beispielhaft veranschaulichen.
200<br />
%<br />
160<br />
120<br />
80<br />
40<br />
0<br />
m. soleus S3_2<br />
m. soleus S13_2<br />
Veränderungen in der<br />
Muskelregulation im Verlaufe der<br />
Ermüdung am Beispiel des M.<br />
soleus:<br />
unermüdet, 3. Serie,<br />
ermüdet, 13. Serie;<br />
HOFFMANN (2006, S. 52)<br />
5.2.3. Art der Muskelstimulation<br />
Neben isometrischen und dynamischen Belastungsreizen wird seit einiger Zeit<br />
wieder die Elektro-Myo-Stimulation (EMS) verstärkt in das Krafttraining einbezogen,<br />
nach dem in den 60-er und 70-er Jahren bereits eine breitere Nutzung im<br />
Hochleistungstraining erfolgt war (KOTZ, 1971; KOTZ & CHWILON 1991; JONES, 1996).<br />
Es wird vermutet, dass die muskuläre Ermüdung durch eine Störung der Erregungs-<br />
Kontraktionskopplung ausgelöst wird. Auch andere Mechanismen werden diskutiert<br />
(PLACE ET AL., 2005). Die EMS-induzierte Belastungen und ihre Wirkung auf die<br />
neuromuskuläre Regulation sind bisher nicht abschließend geklärt. Vor diesem<br />
Hintergrund hat MICHEL (2003 und 2007) eine Reihe von Untersuchungen<br />
vorgenommen.<br />
Problem: Elektro-Myo-Stimulation (EMS) als Belastungsreiz der Arbeitsmuskulatur<br />
und deren Wirkungen auf die neuromuskuläre Regulation.<br />
Versuchspersonen: 11 männlichen Kraftsportler (MICHEL 2003): Alter 23,6 Jahre;<br />
Körperhöhe 184 cm; Körpermasse 85,5 kg; Körperfettgehalt 16,2 %;<br />
Trainingshäufigkeit 4-8-mal pro Woche.<br />
Kontrollübung: Drop Jump aus 40 cm Fallhöhe<br />
Untersuchungsbedingungen: Der Belastungsreiz erfolgte für den M. rectus femoris<br />
des Vorzugsbeines 20-mal im Abstand von 15 s mit dem unten dargelegten EMS-<br />
Programm. Dazwischen wurde die Leistungsfähigkeit mit dem Drop Jump aus 40 cm<br />
Fallhöhe überprüft. Die Bodenkontaktzeit entspricht nach Bauersfeld & Voss (1992)<br />
der Kategorie „Langstützer“ (um 180 ms). Es wurden EMS-Geräte von COMPEX<br />
„Sport-P“ (Schweiz) eingesetzt. Die Zielstellung bestand in der Sicherung einer
maximalen Sprunghöhe (Flugzeit). Die kinematische Bewegungsstruktur wurde mit<br />
Videobildanalysen überprüft. Die statistische Auswertung erfolgte für die<br />
beschreibende Statistik (Mittelwert, Standardabweichung, Variationskoeffizient,<br />
Trendlinie) mit dem Softwarepaket MS Excel XP und für die schließende Statistik<br />
(Prüfung auf Normalverteilung, Varianzhomogenität, Signifikanz) nach David (vgl.<br />
KESEL, JUNGE & NACHTIGALL, 1999) sowie mit SPSS 10.0 (vgl. MICHEL, 2007, 67-70).<br />
Das EMS-Programm ist wie folgt gekennzeichnet:<br />
Impulsstärke: 40 mA; Impulsbreite (IB): individuell nach der Gleichung<br />
IB = CK * [1+ (450 – R / 300)] wo CK - Chronaxiekoeffizient des M.<br />
vastus medialis, R – Körperhöhe 2 / Körpermasse;<br />
Impulsform: symmetrischer Zweiphasen – Rechteckimpuls;<br />
Impulsfrequenz: 120 Hz; Kontraktionsdauer: 4 s; Pausendauer: 2 s;<br />
Anzahl der Wiederholungen: 10; Dauer des EMS Programms:<br />
60 s; Arbeitsquantität (Kontraktionszyklus/Pausenzyklus): 486 Joule.<br />
Ergebnisse (Michel 2003):<br />
• Die Ermüdung des M. rectus femoris eines Beines (Vorzugsbein) hat keinen (für<br />
20 % der Probanden) bzw. nur einen geringen Einfluss (für 80 % der Probanden)<br />
auf die Flugzeit des mit beiden Beinen ausgeführten Drop Jumps. Dabei kommt<br />
es unter dem Einfluss von EMS zu einer geringfügigen Erhöhung der<br />
Hauttemperatur (ca. 0,5 Grad) sowie des Oberschenkelumfangs (0,5 bis 1 cm).
• Die Bewegungskinematik zeigt tendenziell eine intensivere Extension im<br />
Hüftgelenk, eine stärkere Absenkung des KSP und die Verlängerung der<br />
Bodenkontaktzeit.<br />
• Die EMG-Parameter lassen im Verlaufe der<br />
Ermüdung des M. rectus femoris eines Beines<br />
mittels EMS eine verstärkte Einbeziehung der<br />
Muskulatur des Gegenbeines erkennen.<br />
Daneben gibt es eine autonome Regulation,<br />
die an Stelle des ermüdeten M. rectus femoris<br />
den M. vastus medialis verstärkt einbindet.<br />
Rectus<br />
Vastus<br />
Veränderungen der Muskelaktionspotenziale für einen Probanden zwischen Versuch 1 (unermüdetlinks)<br />
und Versuch 19 (ermüdet-rechts) nach der Elektromyostimulation des M. rectus femoris. MICHEL<br />
(2003, S. 165)<br />
• In einem Nachfolgeexperiment wurde die regulative Wechselwirkung zwischen<br />
Vasti und Rectus femoris überprüft (MICHEL, 2007). Die Ergebnisse legen nahe,<br />
dass es unter EMS provozierten Funktionsdefiziten des M. vastus medialis nicht<br />
in jedem Falle zu einer erhöhten muskulären Aktivität des M. rectus femoris,<br />
sondern eher zu einer Aktivitätszunahme des M. vastus lateralis kommt.<br />
In der Literatur werden unterschiedliche Befunde dafür diskutiert. NICHOLS ET AL.<br />
(1999) berichten über eine stärkere Ia Verlinkung der M. vasti und eine<br />
schwächere zwischen den M. vasti und dem M. rectus femoris. Dem gegenüber<br />
wies AKIMA ET AL. (2002, S. 679) bei elektrischer Stimulation des Vastus lateralis<br />
höhere Aktivitäten im Rectus nach. Bei unseren Untersuchungen ist eine Co-
Innervation durch die Art und Weise der EMS nicht ganz auszuschließen.<br />
Eventuell liegt auch eine stabilisierende Funktion des M. vastus medialis im<br />
Kniegelenk vor (vgl. APPEL & CABRIC, 1987; MARWORTH, 2004), während beim M.<br />
rectus femoris eine Kniegelenk streckende Funktion angenommen wird.<br />
EMG – Maxima<br />
ausgewählter<br />
Muskeln für einen<br />
Probanden bei<br />
Elektrostimulation<br />
des M. vastus<br />
medialis. MICHEL<br />
(2007, S. 105)<br />
Fazit: Die externe Elektromyostimulation ist zur „punktgenauen“ Ermüdung einzelner<br />
Kinetoren geeignet. „Nebenwirkungen“ wie Überwärmung und Schwellung des<br />
stimulierten Muskels, Druckschmerz, Hautrötung sowie Reiz – Stimulus – Schmerzen<br />
und Ängste bei Grenzwertigkeit von Stimulationsparametern sind nach einem<br />
individualisierten Anpassungstraining beherrschbar. Die Mechanismen der<br />
kompensatorischen Regulation nach EMS sind denen nach isometrischer bzw.<br />
dynamischer Belastung vergleichbar.<br />
5.2.4. Bewegungsstruktur<br />
In einer weiteren Studie wurden Anpassungsreaktionen des muskulären Systems in<br />
Abhängigkeit von der Bewegungsstruktur der Kontrollübung verfolgt. Konkret ging es<br />
um den Counter-Movement-Jump, der sich bewegungsstrukturell deutlich von den<br />
bisher gewählten Kontrollsprüngen Drop Jump und Squat Jump unterscheidet.<br />
Problem: Einfluss der Anpassungsreaktionen des muskulären Systems auf den<br />
Counter-Movement-Jump nach EMS des M. gastrocnemius lateralis bzw. des M.<br />
triceps surae (STUTZIG 2009).
Versuchspersonen: 21 männliche Sportstudenten mit unterschiedlichem<br />
Qualifikationsniveau in verschiedenen Sportarten: Alter 25,6 Jahre (±3,6);<br />
Körperhöhe 180,1 cm (±4,6); Körpermasse 78 kg (±8,7); Body Mass Index<br />
(BMI=KM/KH 2 ) 24 (±2,2).<br />
Kontrollübung: Counter-Movement-Jump<br />
Untersuchungsbedingungen: Verlangt wurden<br />
3 maximale isometrische Plantarflexionen im<br />
Abstand von 3min gefolgt von 5 Counter-<br />
Movement-Jumps im Abstand von 2 min. Nach 3<br />
min EMS erfolgte innerhalb von 2 s ein Counter-<br />
Movement-Jump. Dieser Algorithmus wurde 10-<br />
M. triceps surae<br />
mal wiederholt. Im Anschluss erfolgten nochmals<br />
2 maximale isometrische Plantarflexionen. Die Ermüdung wurde mittels externer<br />
EMS nach folgendem Programm induziert: Reizdauer 6s, Pause 18 s, Frequenz 80<br />
Hz, Intensität- nach individueller Schmerzgrenze, Rechteck-Impulsform bei 350μs<br />
Impulsbreite.<br />
Zur Auswertung der Muskelaktivität bei den dynamischen Versuchen wurde das<br />
EMG Signal über die Dauer der exzentrischen Phase, der konzentrischen Phase und<br />
der Gesamtzeit des Sprunges integriert (IEMG). Da die Sprünge in ihrer zeitlichen<br />
Struktur in Abhängigkeit von den Bewegungserfahrungen des Probanden variierten,<br />
wurde das IEMG zeitnormalisiert, indem das Integral durch die Dauer der jeweiligen<br />
Phase dividiert wurde (GOLLHOFER, 2000; VAN SOEST, ROEBROECK, BOBBERT, HUIJING,<br />
& VAN INGEN SCHENAU, 1985; WINTER, 1990).<br />
Die Prüfung auf Mittelwertsunterschiede bei Messwiederholung erfolgte durch<br />
einfaktorielle ANOVA. Vorher wurden die Messwerte auf Varianzgleichheit mittels<br />
Levene-Test überprüft. Im Falle von Varianzgleichheit wurde der Bonferroni-Test zur<br />
Prüfung auf Signifikanz herangezogen. Bei Ungleichheit der Varianzen wurde auf<br />
den Mittelwertsvergleich nach Tamhane zurückgegriffen.
Ergebnisse:<br />
• Nach elektrischer Stimulation des M. gastrocnemius lateralis sowie des M. vastus<br />
lateralis erfolgt im Mittel ein Rückgang der Sprunghöhe um 1.9 cm (4,5%). Das<br />
heißt, die sportliche Leistung kann im Prinzip aufrecht erhalten werden.<br />
• Die EMS induzierte Muskelermüdung bewirkt nur partiell funktionelle<br />
Adaptationen des Counter-Movement-Jumps. Signifikante Erhöhungen wurden in<br />
den Agonisten des Gastrocnemius lateralis nur während der konzentrischen<br />
Phase gemessen; vereinzelt gab es auch Steigerungen des IEMG im Vastus<br />
medialis. Im Rectus femoris kam es zu keinen Veränderungen der IEMG. Auch<br />
die muskuläre Aktivität des Tibialis anterior als Antagonist des M. triceps surae<br />
blieb unverändert. Der Antagonist des M. quadriceps femoris, der M. biceps<br />
femoris, wurde in der exzentrischen Phase stärker (signifikant) aktiviert. In der<br />
konzentrischen Phase war das IEMG des M. biceps femoris konstant. Die<br />
muskuläre Aktivität der elektrisch stimulierten Muskeln nimmt in ihrer<br />
konzentrischen Bewegungsphase signifikant (5 %-Niveau) ab. Dies gilt auch bei<br />
maximaler isometrischer Willkürkontraktion, die begleitend durchgeführt worden<br />
war.<br />
• Durch die elektrische Stimulation des M. gastrocnemius lateralis nahm die<br />
maximale willkürliche Kontraktionskraft des M. triceps surae ab. Die Unterschiede<br />
waren jedoch nicht signifikant.<br />
Fazit: Die nach lokaler Muskelermüdung nachweisbaren muskulären<br />
Anpassungsreaktionen bei Kontrollübungen mit verschiedenen Bewegungsstrukturen<br />
zeigen eine Reihe von Gemeinsamkeiten. So sind die Regulationsmechanismen in<br />
der Lage, ermüdungsbedingte Einschränkungen der sportlichen Leistung (größer 15<br />
%) weit hinaus zu schieben. Daneben sind aber auch ganz spezifische Reaktionen<br />
des neuromuskulären Systems zu beobachten, die auf Struktur immanente<br />
Verhaltensweisen schließen lassen. Für eindeutige Aussagen, sind aber<br />
weiterführende Untersuchungen angezeigt.
5.2.5. Trainingsexperiment (1)<br />
Generell ist zu prüfen, ob unter feldnahen Bedingungen mit dem Prinzip der lokalen<br />
Muskel-Vor-Ermüdung signifikante Leistungssteigerungen gegenüber dem bisher im<br />
Training eingesetzten Verfahren erzielt werden können.<br />
Problem: Prüfung der Effektivität von 2 verschiedenen Kraftprogrammen im<br />
Hochsprung-Training von Nachwuchs – Leichtathleten.<br />
Versuchspersonen: Leichtathletiken, Disziplin Hochsprung, Männer, C / D und C –<br />
Kader; insgesamt 22 Sportler, die eine Versuchsgruppe (VG) sowie in eine<br />
Kontrollgruppe (KG) eingeteilt wurden (MICHEL, 2007, S. 65).<br />
Gruppe<br />
Alter<br />
Körper-<br />
Körper-<br />
Körper fett<br />
TE/Wo<br />
Tr.- Alter<br />
(Jahre)<br />
Höhe (cm)<br />
Masse (kg)<br />
(%)<br />
(Anzahl)<br />
(Jahre)<br />
VG 16,9 191 80,7 11,4 8,2 7,8<br />
KG 16,9 191 81,7 10,4 8,4 7,8<br />
Kontrollübung: Drop Jump (aus 40 cm Höhe)<br />
Untersuchungsbedingungen: Über 6 Wochen erfolgten in der Übergangsperiode 3<br />
Trainingseinheiten (TE) pro Woche als disziplin-spezifisches Schnellkrafttraining: im<br />
Kern Absprünge mit Zusatzlasten nach der Schlagmethode. In der VG wurde vor<br />
Beginn der Absprungserie zusätzlich eine beidseitige Vorermüdung des M. rectus<br />
femoris mit Hilfe der externen Elektromyostimulation vorgenommen. Das EMS-<br />
Programm entsprach dem Vorgehen in Studie 5.2.3. (Michel 2003), wobei die Zahl<br />
der Wiederholungen 40 und die Gesamtdauer des Programms 4 min. betrug. Die<br />
sportliche Leistungsfähigkeit wurde mittels Drop Jump – Test im unermüdeten<br />
Zustand 3 Tage vor und 3 Tage nach dem Trainingszyklus überprüft.<br />
Drop jump – Test<br />
Prätest<br />
(3 Tage vor<br />
Trainingszyklus)<br />
6 – Wochen –<br />
Trainingszyklus<br />
(Übergangsperiode, 3 TE/Wo)<br />
Drop jump – Test<br />
Posttest<br />
(3 Tage nach<br />
Trainingszyklus)
Ergebnisse:<br />
<br />
<br />
In beiden Gruppen kommt es zu den erwarteten signifikanten Leistungsanstiegen<br />
(Zunahme der Flughöhe im Drop Jump).<br />
Der Zuwachs in der VG übertrifft überzufällig den Zuwachs in der KG. Daraus<br />
lässt sich eine höhere Effizienz des Schnellkrafttrainings mittels EMS nach dem<br />
Prinzip einer begleitenden Agonisten-Vorermüdung ableiten (MICHEL (2007, S.<br />
120-130).<br />
mittlere Flughöhe Differenz mittlere Bodenkontakt- Differenz<br />
zeit (BKZ)<br />
Prätest Posttest Prä-Post Prätest Posttest Prä-Post<br />
VG 35,5 cm 39,1 cm +3,6 cm 0,272 s 0,299 s +0,027 s<br />
KG 37,1 cm 38,6 cm +1,5 cm 0,253 s 0,257 s +0.004 s<br />
Die EMG – Parameter (Vorinnervationsdauer, EMG-Maximum, integriertes EMG)<br />
belegen für die VG eine signifikant höhere Aktivität des M. vastus medialis.<br />
Bsp.: Mittleres integriertes EMG (IEMG) für ausgewählte Muskeln des linken<br />
Beines eines Probanden der VG; links: Prätest, rechts: Posttest (MICHEL 2007, S.<br />
138).<br />
Darüber hinaus kommt es im Posttest zu einer zeitlichen Verlängerung der<br />
Vorinnervation als Zeichen für eine erhöhte, d.h. frühzeitigere Muskelaktivität.
Bsp. : Mittlere Vorinnervationsdauer ausgewählter Muskeln eines Probanden der<br />
VG (MICHEL, 2007, S. 144)<br />
Die weitgehende Übereinstimmung in der Leistungsstruktur beider Gruppen wird<br />
durch die kinematische Analyse (Knie-, Hüft-Winkel, KSP) im Prä- und Posttest<br />
unterlegt.<br />
Fazit: Das Trainingsexperiment (1) ist ein weiterer Beleg dafür, dass durch lokale<br />
Vorermüdung wesentlicher Arbeitsmuskeln Kompensations-Mechanismen aufgebaut<br />
werden können, die zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der muskulären<br />
Antriebe des agierenden Systems im nicht-ermüdeten Zustand beitragen.<br />
Mit Erhöhung der Flugzeit war allerdings eine Verlängerung der Bodenkontaktzeit<br />
verbunden. Für den Hochsprung ist dies trainingspraktisch weniger relevant. Für<br />
andere Sportarten und Disziplinen (z.B. Weitsprung) sind konkrete experimentelle<br />
Untersuchungen erforderlich, um mögliche Auswirkungen zu verifizieren.<br />
5.2.6. Trainingsexperiment (2):<br />
Problem: Prüfung der Effektivität von 2 verschiedenen Kraftprogrammen für die<br />
Entwicklung der Sprungkraft (Volleyballtraining, 2. Bundesliga).<br />
Versuchspersonen: 12 Volleyball-Leistungssportler, männlich
Kontrollübung: a. Counter Movement Jump; b. Drop Jump.<br />
Untersuchungsbedingungen: Überprüfung von 2 Kraftprogrammen in einem 6<br />
wöchigen Trainingsexperiment. Teilung der Trainingsgruppe in eine EMS Gruppe<br />
(ET) und eine Gewichtskraftgruppe im Sinne des Complextrainings (CT). Es wurden<br />
Beschleunigungsfähigkeit (Counter Movement Jump) und Sprungkraftfähigkeit (Drop<br />
Jump) vor- und nach dem Trainingsexperiment sowie nach 2 Wochen geprüft<br />
(STUTZIG & THORHAUER 2010).<br />
Ergebnisse:<br />
• Beide Trainingsgruppen erzielten signifikante Leistungssteigerungen in allen<br />
Parametern.<br />
• Die Steigerungen waren in der ET- Gruppe größer als in der CT- Gruppe; die<br />
Unterschiede waren aber nicht signifikant.<br />
• Nach Beendigung der Trainings-Intervention, konnte die Gewichtskraft-Gruppe<br />
(CT) ihre Leistung weiter steigern, ohne dass zusätzliche Trainingsreize gesetzt<br />
worden waren.<br />
60,0<br />
50,0<br />
a<br />
* ***<br />
60,0<br />
b<br />
*<br />
***<br />
**<br />
**<br />
*<br />
height in [cm]<br />
40,0<br />
30,0<br />
20,0<br />
40,0<br />
20,0<br />
10,0<br />
0,0<br />
Complex<br />
Training<br />
EMS<br />
Training<br />
0,0<br />
Complex<br />
Training<br />
EMS<br />
Training<br />
Entwicklung der Sprunghöhe beim a) Counter-Movement Jump und b) Drop Jump. Schwarzer<br />
Balken: Prätest; grauer Balken: Posttest 1; hellgrauer Balken: Posttest 2. (Sign: * = 0,05; ** =<br />
0,01; *** = 0.001)<br />
Fazit: Schlussfolgerungen, die die ursächlichen Unterschiede in den Ergebnissen<br />
beider Belastungsansätze hinreichend erklären, sind aus unserer Sicht z. Z. noch
nicht abschließend möglich. Weitere Untersuchungen sowie größere Stichproben<br />
sind notwendig. Eine wesentliche Frage der Effektivität des Trainings wird sein, wie<br />
es gelingt, die Individualisierung der Belastung begründet zu gestalten. Dazu ein<br />
abschließendes Beispiel.<br />
5.2.7. Trainingsexperiment (3):<br />
EG-Experimentalgruppe:<br />
Proband Geschlecht<br />
♀ weiblich<br />
♂männlich<br />
Alter<br />
in<br />
Jahren<br />
Problem: Prüfung der Effektivität spezifischer Krafttrainingsprogramme für die<br />
oberen Extremitäten zur Entwicklung der Schnellkraftleistung (LEMBERT 2006).<br />
Versuchspersonen: Nachwuchskader im Rennschlittensport; gesamt 8 Athleten - 2<br />
weibliche und 6 männliche Sportler des Sportgymnasiums in Oberhof; Alter 15 bis 19<br />
Jahre. Sechs Sportler hatten C- bzw. C2-Kader-Status und waren Mitglieder der<br />
Junioren-Nationalmannschaft. Einteilung in 2 Untergruppen (EG-<br />
Experimentalgruppe, RG-Reverenzgruppe) mit vergleichbarer Startleistung und<br />
geschlechtspezifischer Zusammensetzung.<br />
Athletenstatus<br />
Trainingshäufigkeit<br />
TE pro<br />
Woche<br />
Körperhöhe<br />
in<br />
cm<br />
Körpergewicht<br />
in<br />
kg<br />
Körperfettanteil<br />
in %<br />
1 ♀ 16 C2-Kader 5-7 170 72,9 33<br />
2 ♂ 19 C-Kader 5-7 182 82,0 17<br />
3 ♂ 15 C- Kader 5-7 181 78,7 18<br />
4 ♂ 16 D/C-Kader 5-7 181 83,4 18<br />
RG-Reverenzgruppe:<br />
Proband<br />
Geschlecht<br />
♀ weiblich<br />
♂männlich<br />
Alter<br />
in<br />
Jahren<br />
Athletenstatus<br />
Trainingshäufigkeit<br />
TE pro<br />
Woche<br />
Körperhöhe<br />
in<br />
cm<br />
Körpergewicht<br />
in<br />
kg<br />
Körperfettanteil<br />
in %<br />
5 ♀ 17 D/C-Kader 5-7 168 64,1 30<br />
6 ♂ 18 C-Kader 5-7 186 79,5 15<br />
7 ♂ 16 C2-Kader 5-7 186 79,6 16<br />
8 ♂ 16 C-Kader 5-7 182 74,4 15<br />
Kontrollübung: Startabzug im Rennschlittensport am „Rollengerät“<br />
(semispezifisches Trainingsmittel – der Schlitten fährt auf einem Schienensystem).
Untersuchungsbedingungen:<br />
Das<br />
Trainingsexperiment erstreckte sich über einen<br />
Zeitraum von vier Wochen mit insgesamt zwölf<br />
Trainingseinheiten (TE) nach dem Konzept der<br />
Muskel-Vor-Ermüdung. Beide Gruppen absolvierten<br />
während dieser Zeit dieselbe Anzahl an<br />
Trainingseinheiten. Die Experimentgruppe trainierte<br />
drei TE pro Woche nach dem Konzept der Muskel-<br />
Vor-Ermüdung. Die restlichen zwei bis vier TE pro<br />
Woche wurden von beiden Gruppen gemeinsam<br />
durchgeführt. Es beinhaltete in dieser<br />
Trainingsphase vor allem Fahrtechniktraining auf der<br />
Sommerrodelbahn, Starttraining am Rollengerät und auf der Eisstartanlage zur<br />
Verbesserung der speziellen konditionellen Fähigkeiten und technischen<br />
Fertigkeiten. Hinzu kamen diverse Sportspiele im Sinne allgemeiner Trainingsmittel.<br />
Als Vor-Ermüdungsübung wurde die „Retroversion der gestreckten Arme im<br />
Strecksitz mit eingestemmten Beinen“ nach entsprechenden Vorversuchen und den<br />
örtlichen Gegebenheiten ausgewählt. Bevorzugte Arbeitsmuskeln sind dabei der M.<br />
deltoideus Pars spinalis, M. latissimus dorsi und der M. triceps brachii.<br />
Zur Bestimmung der individuellen Zugwiderstände und zur Schulung des Ablaufes<br />
des Trainingsprogramms wurde 2 Wochen vor Beginn des Experimentes eine<br />
gezielte Trainingseinweisung vorgenommen.
Während des gesamten Trainingsexperimentes wurden die Zugwiderstände immer<br />
wieder den persönlichen Leistungssteigerungen der Sportler angepasst. Als Kriterium<br />
galt, dass in der 1. Serie maximal 10 Wiederholungen mit dem entsprechenden<br />
Zugwiderstand möglich waren. Die Leistungsobjektivierung (maximale<br />
Zuggeschwindigkeit) erfolgte mit einem Unitrans-Maximalwertspeicher. Es trainierten<br />
immer zwei Sportler gleichzeitig im Wechsel: ein Sportler am Zugwiderstandsgerät,<br />
der andere am Rollengerät. Das Trainingsprogramm umfasste drei Abzüge im<br />
unermüdeten Zustand, anschließend folgten 10 Serien mit je maximal 10<br />
Wiederholungen am Zugwiderstandsgerät. Dabei wurden nach jeder Serie zwei<br />
Abzüge am Rollengerät ausgeführt. Nach einer zehnminütigen Pause wurden<br />
nochmals drei Startabzüge absolviert. Die Leistungsobjektivierung erfolgte mittels<br />
EMG, LAVEG (Laser Velocity Guard) und einem 2-D-Videosystem (50 Hz) zur<br />
kinematischen Bewegungs-Analyse.<br />
EMG-abgeleitete Muskeln und Ansicht der Elektrodenaplikation sowie der Gelenk-<br />
Markerpositionen:<br />
M. pectoralis major<br />
M. deltoideus pars clavicularis<br />
M. deltoideus pars acromialis<br />
M. deltoideus pars spinalis<br />
M. biceps brachii<br />
M. triceps brachii<br />
M. trapezius pars descendens<br />
M. trapezius pars transversa<br />
M. latissimus dorsi<br />
M. erector spinae<br />
M. rectus femoris<br />
M. gastrocnemius medialis<br />
M. vastus medialis<br />
M. vastus lateralis<br />
M. tibialis anterior<br />
Die Referenzelektrode wurde bei allen Probanden am<br />
ventralen knöchernen Abschnitt der Tibia geklebt.
Kraft-Zeit-Verlauf ( rot-horizontal, schwarz-vertikal), Geschwindigkeits-Zeit-Verlauf<br />
(grün) sowie Aktivitätsmuster der wichtigsten Arbeitsmuskeln beim Startabzug<br />
beispielhaft für einen männlichen Probanden (LEMBERT 2006, S. 10)
Ergebnisse:<br />
<br />
In beiden Gruppen kommt es zu den erwarteten (hoch-) signifikanten<br />
Leistungsanstiegen (Zunahme der Abzugsgeschwindigkeit und der „Treibhöhe“<br />
am Rollengerät). Die Dynamik der Leistungsentwicklung im Verlaufe des<br />
Trainings soll am Beispiel der Experimentgruppe für den Parameter „Treibhöhe“<br />
gezeigt werden (LEMBERT 2006, 85).<br />
Die Zuwachsraten sind in der Experimentalgruppe höher als in der<br />
Reverenzgruppe; sie sind allerdings nicht signifikant, jedoch praktisch von<br />
Bedeutung.<br />
Gruppe<br />
Treibhöhe - Mittelwert<br />
in cm<br />
Treibhöhe - Bestwert<br />
im cm<br />
Prätest Posttest Differenz Prätest Posttest Differenz<br />
Experimental 47,9 55,6 + 7,7 cm 51,5 57,5 + 6,0 cm<br />
Reverenz 50,7 52,8 + 2,1 cm 52,5 54,5 + 2,0 cm
Vergleich der Treibhöhen von Prä- und Post-Test in der Experimentgruppe (Sportler<br />
1-4) sowie der Reverenzgruppe (Sportler 5-8), LEMBERT (2006, 86)<br />
Für den Leistungsparameter „Abzugsgeschwindigkeit“ zeigt sich zwischen Post- u.<br />
Prätest folgendes Bild (Experimental-Gruppe):<br />
Mit Ausnahme von Proband 4 können alle Probanden ihre Bestleistung beim
Post-Test steigern. Die Verbesserungen im Vergleich zum Prä-Test bewegen<br />
sich bei diesen Probanden zwischen 2,3% und 5,8%, was etwa einer 0,1m/s bis<br />
0,2m/s höheren Abzugsgeschwindigkeit entspricht. Proband 4 gelingt es<br />
zumindest seine Leistung aus dem Prä-Test zu bestätigen.<br />
Im Wechselspiel von Hüft-, Knie- und Arm-Rumpf-Winkel sind zwischen Prä- und<br />
Posttest geringfügige individuelle Unterschiede zu beobachten. Gemeinsam ist<br />
die Tendenz zu einer größeren Oberkörperrücklage und zum stärkeren<br />
Aufstrecken des Kniewinkels im Moment des Lösens der Hände vom<br />
Startabzugsbügel. Die Struktur der sportlichen Technik bleibt aber erhalten, z.T.<br />
kommt es im Verlaufe des Trainingsexperimentes zu Technikoptimierungen.<br />
Proband 1: Prätest (links), Posttest (rechts)<br />
Kniewinkel-Zeitdiagramm von 2 Versuchen im Prätest (links) und Posttest (rechts)<br />
beispielhaft für Proband 1 (LEMBERT, 2006, 65)
Die Kniewinkelverläufe zeigen eine höhere Konsistenz am Ende des<br />
Trainingsexperiments (Posttest) sowie die Vergrößerung des Kniewinkels mit<br />
zunehmender Ermüdung. D.h. die Sitzposition auf dem Schlitten wird weiter vorn<br />
eingenommen, was die Möglichkeit eines längeren Streckweges der Beine<br />
einräumt. Diese „Technikabfälschung“ wird von den Sportlern bewusst als Option<br />
zur Erzielung höhere Abzugsgeschwindigkeiten genutzt, muss aber im<br />
Zusammenhang mit den konkreten Startbockbedingungen der verschiedenen<br />
Rennschlittenbahnen gesehen werden. Es geht also auch hier um ein<br />
Optimierungsproblem im Sinne einer Kraft-Technik-Anwendung.<br />
Die Vor-Ermüdung führt nicht zu stärkeren Leistungsverlusten. Gemessen an der<br />
Abzugsgeschwindigkeit des Systems „Sportler/Schlitten“ liegen sie unter 5 %. Für<br />
die Experimentgruppe im Posttest lässt sich beispielhaft angeben:<br />
Proband<br />
unermüdet<br />
ermüdet<br />
Differenz<br />
Differenz<br />
in m/s<br />
in m/s<br />
in m/s<br />
in %<br />
Proband 1Un 3,34 3,26 -0,08 -2,4%<br />
Proband 2 4,11 3,93 -0,18 -4,4%<br />
Proband 3 4,08 4,01 -0,07 -1,7%<br />
Proband 4 3,85 3,69 -0,16 -4,2%<br />
Gruppendurchschnitt 3,85 3,72 -0,12 -3,2%<br />
Als wesentliches Technikkriterium wird bei reaktiven Bewegungen das Verhältnis<br />
von Bremsstoß zu Beschleunigungsstoß (sog. Kappa-Verhältnis) angesehen (vgl.<br />
HOCHMUTH 1967, S. 187 ff). Analog dazu gilt als Technikparameter für den<br />
Startabzug im Schlittensport das Verhältnis von Rückschub- zu<br />
Abzugsgeschwindigkeit (vgl. THORHAUER & KEMPE 1993, 1995; KEMPE &<br />
THORHAUER 1995).
Proband unermüdet ermüdet Differenz<br />
Proband 1 0,65 ± 0,017 0,58 ±0,017 -0,07<br />
Proband 2 0,53 ±0,043 0,50 ±0,024 -0,03<br />
Proband 3 0,66 ±0,009 0,71 ±0,025 +0,05<br />
Proband 4 0,59 ±0,016 0,62 ±0,011 +0,03<br />
Gruppendurchschnitt 0,61 ±0,059 0,60 ±0,079 -0,01<br />
Rückschub-/Abzugsverhältnis (Mittelwerte und Standardabweichung) im Post-Test<br />
der Experimentgruppe (LEMBERT 2006, 62)<br />
Es zeigt sich auch hier eine individuelle Reaktion im Ermüdungsprozess.<br />
Insgesamt aber sind die Einflüsse eher gering, wobei im Einzelfall<br />
Veränderungen in die eine wie in die andere Richtung möglich sind.<br />
Die Auswirkungen der Ermüdung auf EMG-Parameter sind erwartungsgemäß<br />
weder sportlerhomogen noch muskelhomogen. Allerdings zeigen sich in den<br />
Muskelaktionspotenzialen auch gewisse Gemeinsamkeiten, die sich wie folgt<br />
verallgemeinern lassen: Im Prozess der Ermüdung der Hauptmuskeln kommt es<br />
zu unterschiedlichen Änderungen der Muskelaktionspotenziale, die sich in einer<br />
veränderten intermuskulären Koordination zeigen. Der ermüdungsbedingte<br />
Leistungsverlust der Hauptmuskeln führt zu einer kompensatorisch höheren<br />
Aktivität ihrer Synergisten. Dies zeigt sich u.a. in der Erhöhung der IEMGs. Am<br />
Beispiel für Proband 4 (Experimentgruppe) stellt sich für den Arm-Rumpf-Bereich<br />
der Sachverhalt wie folgt dar: die durch die Vor-Ermüdung weniger stark<br />
beanspruchten Muskeln reagieren gegen Ende des Ermüdungskonzeptes mit z.T.<br />
stark erhöhter Aktivitätspotenzialen. So z.B. der M. biceps brachii +23%, der M.<br />
pectoralis major +64%, der M. deltoideus pars clavicularis +372% und der M.<br />
deltoideus pars acromialis mit +84%.<br />
Dies bestätigt die schon bei anderen Bewegungsstrukturen festgestellten<br />
Kompensationsmechanismen: durch verstärkte Innervation der Synergisten<br />
gelingt es, die Aufrechterhaltung der sportlichen Leistung zu sichern.
Bsp.: Proband 4 - IEMG der Arm-, Brust- und Schultermuskulatur im Vergleich<br />
unermüdet (Versuchs-Nr. 2) und ermüdet (Versuchs-Nr. 20); LEMBERT (2006, 79)
Fazit: Die Methode der lokalen „Muskel-Vor-Ermüdung“ zeigte am Beispiel des<br />
Startabzugs mit Kadersportlern des Nachwuchsbereiches im Rennschlittensport,<br />
dass signifikante Verbesserungen der Schnellkraftleistungen auch für die oberen<br />
Extremitäten gegeben sind. Die Auswirkungen der Vor-Ermüdung auf die<br />
Bewegungsstruktur waren gering. Es wurden verschiedene Wege zur Kompensation<br />
der muskulären Ermüdung genutzt. Individuelle und generalisierte Strategien sind zu<br />
beobachten. Das Konzept kann als eine weitere Variante des Kraft-Techniktrainings<br />
verstanden werden. Unter dem Aspekt der sportartspezifischen Anforderung lassen<br />
sich für das Rennschlitten-Starttraining folgende Orientierungen aussprechen:<br />
Es empfiehlt sich am Ende der Muskelaufbauphase und vor Beginn des spezifischen<br />
Schnellkrafttrainings ein Trainingsblock nach dem Prinzip der Muskel-Vor-Ermüdung.<br />
Der vorgestellte Ablaufplan kann übernommen werden. Außerdem ist die Nutzung<br />
der lokalen Muskel-Vor-Ermüdung während der gesamten Vorbereitungsperiode<br />
denkbar. Dabei wären einzelne Trainingseinheiten mit lokaler Muskel-Vor-Ermüdung<br />
in den bisherigen Trainingsplan aufzunehmen bzw. auszutauschen. Wiederholungen,<br />
Gewichte, Serien sowie Vor- und Nachbelastung sind bei dieser Variante an die<br />
jeweiligen Trainingsschwerpunkte der einzelnen Zyklen anzupassen. Weiterführende<br />
Untersuchungen sind jedoch angezeigt.<br />
6. Zusammenfassung<br />
Der wichtigste Erkenntnisgewinn der Studien liegt im Nachweis einer verstärkten<br />
Muskelrekrutierung als Folge der Ermüdung einzelner Arbeitsmuskeln bzw. kleiner<br />
muskulärer Einheiten. Dabei kann bei selektiver Muskelermüdung die sportliche<br />
Leistung weitestgehend aufrechterhalten werden. Dies gilt trotz einiger Unterschiede<br />
sowohl für isometrische als auch für dynamische Kontraktionsformen.<br />
In Abhängigkeit von der Kontrollbewegung (hier Squat Jump, Drop Jump, Counter<br />
Movement Jump) werden z.T. unterschiedliche Phänomene der<br />
Bewegungsregulation beobachtet.<br />
Die Muskelermüdung verläuft prozesshaft. Der Verlauf einer ansteigenden<br />
Muskelermüdung beginnt mit einer verstärkten Rekrutierung von Muskelfasern. Dies
ist durch eine Erhöhung der EMG Amplituden gekennzeichnet. Die niedrigere<br />
Ermüdungstoleranz der Typ II Fasern führt dann zu einer Minderung der Amplituden<br />
der Muskelaktionspotenziale (GOLLHOFER ET AL., 1987; VIITASALO ET AL., 1993;<br />
LOSCHER, CRESSWELL, & THORSTENSSON, 1996). Dies gilt auch für EMS-Bedingungen.<br />
Eine verminderte Kraftproduktion in den elektrisch stimulierten Muskeln wird<br />
angenommen.<br />
Eine alternative Strategie zum Leistungserhalt ist die erhöhte Aktivierung der<br />
Synergisten. Damit ist jedoch eine vollständige Ermüdungs-Kompensation nicht zu<br />
erklären, da z.T. nur schwache bzw. fehlende propriozeptive Verlinkungen zwischen<br />
den Muskelgruppen existieren (NICHOLS ET AL., 1999; STUTZIG ET AL. 2010).<br />
Rekrutierungs-Modifikationen innerhalb einer Muskelgruppe wurden bisher nur für<br />
den Quadriceps femoris belegt. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind noch<br />
nicht ganz geklärt (KINUGASA ET AL., 2005; GONDIN ET AL., 2006). Es wird<br />
angenommen, dass die erhöhte Synergistentätigkeit durch eine verstärkte<br />
Innervation von Muskelfasern erfolgt (AKIMA ET AL. 2002) und dass Zielneurone der<br />
absteigenden Bahnen synergistische Bewegungen und nicht einzelne Muskeln<br />
steuern (BARTMUS, HECK & MESTER 1996). Im Rahmen submaximaler Belastungen<br />
ist dies eine plausible Begründung (STUTZIG, 2009). Für maximale willkürliche<br />
Kontraktion ist wahrscheinlicher, dass der Mechanismus der Postaktiven<br />
Potenzierung (Postactivation Potentiation – PAP) greift (ABBATE ET AL., 2000; SALE,<br />
2002; HODGSON, DOCHERTY, & ROBBINS, 2005). Weiterführende Untersuchungen sind<br />
aber erforderlich, um die Mechanismen der lokalen Muskelermüdung differenzierter<br />
aufklären zu können (vgl. auch GÜLLICH & SCHMIDTBLEICHER, 1996).<br />
Die experimentellen Ergebnisse im eigenen Forschungsansatz weisen auf eine<br />
Reihe autonomer Regulationen des neuro-muskulären Systems hin sowie auf<br />
vielfältige Möglichkeiten der Willkür-Regulation der sportlichen Bewegung. Daraus<br />
lassen sich bestimmte Kompensations-Strategien erkennen, die zumindest anteilig in<br />
Abhängigkeit von der Zielstellung und der konkreten Bewegungsstruktur stehen.<br />
Genannt werden können:<br />
Optimierungen von Erregung und Hemmungsprozessen;
Anpassungen in der intermuskulären Koordination (z.B. M. deltoideus interagiert<br />
mit M. pectoralis major) sowie der intramuskulären Koordination (z.B.<br />
Aktivitätserhöhung des M. vastus medialis bei lokaler Ermüdung des M. rectus<br />
femoris);<br />
Erhöhung der Aktivitäten der nicht vorermüdeten Arbeitsmuskulatur;<br />
Variationen in der Sporttechnik z.B. in einer partiell veränderten<br />
Bewegungskinematik;<br />
zusätzliche Aktivierung serienelastischer Elemente des Nerv-Muskel-Systems;<br />
Ergänzung der autonomen Muskel-Regulation durch kognitive Strategien der<br />
Ermüdungskontrolle bis zur bewussten Technikabfälschung in der Willkürmotorik.<br />
Für die Trainingsmethodik relevant ist die Tatsache, dass durch lokale Ermüdung<br />
eines Muskels dessen Agonisten stärker aktiviert und Synergisten im höheren Maße<br />
eingebunden werden. Für die exzentrische Bewegungsphase wurden auch<br />
antagonistische Aktivierungen festgestellt. Es kann daher begründet angenommen<br />
werden, dass ein Schnellkrafttraining unter dieser spezifischen Konfiguration weitere<br />
Zuwachsraten ermöglicht. Erste Untersuchungen unter trainingsnahen Bedingungen<br />
bestätigen diese Annahme. Die dargelegten Studien sind allerdings noch nicht<br />
ausreichend für eine weitergehende Verallgemeinerung. So ist noch unklar, ob die<br />
gemachten Aussagen für das Schnellkrafttraining ebenso für ein Hypertrophie- o.<br />
Kraftausdauer-Training zutreffen. Auch können wir aus den bisherigen<br />
experimentellen Untersuchungen keine Langzeiteffekte generieren. Des Weiteren<br />
sind Konzepte der „Nach-Ermüdung“ als Intensitätstechnik zu verfolgen (FRÖHLICH &<br />
GIEßING, 2006). Zur Aufklärung sind interdisziplinäre Ansätze erforderlich. Dabei ist<br />
noch zielstrebiger auf das Wissenschafts- u. Methodenpotenzial der<br />
Humanwissenschaften zu zugreifen (JANSEN-OSMANN, 2008). In diese Richtung<br />
zielen die weiteren Aktivitäten der Forschungsgruppe (RZANNY ET AL., 2008).
Isometrische<br />
Kontraktion<br />
Elektromyo-<br />
Stimulation<br />
Dynamische<br />
Kontraktion<br />
Regulation der (lokalen)<br />
Muskelermüdung<br />
Autonome<br />
Muskel-<br />
Regulation<br />
Aktivierung von<br />
Synergisten,<br />
ev. Agonisten<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Submaximale<br />
Beanspruchung<br />
Steigerung der<br />
Innervation von<br />
Muskelfasern<br />
Timing<br />
Dauer<br />
Amplitude<br />
IEMG<br />
u.a.<br />
Verstärkung der<br />
Rekrutierung des<br />
ermüdenden<br />
Muskels<br />
1. Erhöhung …<br />
2. Verringerung der<br />
EMG-Amplituden<br />
Verringerung der<br />
Kraftproduktion<br />
Maximale<br />
Beanspruchung<br />
Postaktive Potenzierung<br />
Twitch Potenzierung<br />
H-Reflex-Potenzierung<br />
(Posttetanische<br />
Potenzierung)<br />
Willkür-<br />
Regulation<br />
der Bewegung<br />
Technik-<br />
Abfälschungen<br />
der kinematischen u.<br />
dynamischen<br />
Bewegungsstruktur<br />
z.B.<br />
Änderungen des<br />
Beschleunigungsweges<br />
Nutzung reaktiver Kräfte<br />
Nutzung äußerer (Feder-)<br />
Kräfte<br />
Seitigkeit<br />
KSP-Verlagerungen<br />
Modellvorstellung der Bewegungsregulation unter dem Einfluss einer selektiven<br />
(lokalen) Muskelermüdung
7. Ausblick<br />
Der skizzierte Forschungsansatz und die bisher erzielten experimentellen<br />
Ergebnisse zeigen am Beispiel des Kraft-Technik-Trainings, wie eine weitere<br />
Fundierung des Trainings mit Hilfe der <strong>Sportwissenschaft</strong> erfolgen könnte.<br />
Dabei geht es in der Trainingswissenschaft sowohl um die wissenschaftliche<br />
Fundierung von „Gebrauchstheorien“ als auch um das Erkennen gesetzmäßiger<br />
Zusammenhänge. Perspektivisch ist eine Kapazitätserweiterung der<br />
Sportforschung in Deutschland angezeigt (SCHWANK & SPITZ, 2009; PFÜTZNER, 2009)<br />
und die Partnerschafts-Beziehungen von „Theorie“ und „Praxis“ sind zu stärken.<br />
Dies kann z.B. durch eine engere Begleitung des „wissenschaftliche Lebens“ in den<br />
Verbänden erfolgen, aber auch durch Sensibilisierung der Wissenschaftler für<br />
„praktische Fragestellungen“ und die Entwicklung ihrer Fähigkeit zu<br />
Problemanalysen, die unmittelbarer „praktische“ Belange reflektieren. Zur Erhöhung<br />
der Planmäßigkeit in der Erkenntnisgewinnung ist zudem die Auftragsforschung des<br />
Bundes zu intensivieren. Daneben sind die Bemühungen zu disziplinärer und<br />
interdisziplinärer Zusammenarbeit zu verstärken. D.h. es sind Erkenntnisse aus<br />
Mutter- u. Kontaktwissenschaften aufzuarbeiten und gemeinsam interessierende<br />
neue Fragestellungen wissenschaftlich zu bearbeiten.<br />
Abschließend sei hier auf die Kooperation mit dem <strong>Institut</strong> für Diagnostische &<br />
Interventionelle Radiologie der <strong>Friedrich</strong>-Schiller-Universität Jena verwiesen, deren<br />
Methodenarsenal für die Trainingswissenschaft außerordentlich bereichernd sind. Im<br />
Mittelpunkt steht die Frage mit Hilfe der 31-Phosphor-Magnet-Resonanz-<br />
Spektroskopie (31-P-MRS) eine non-invasive Bestimmung der Muskelfaser-<br />
Zusammensetzung mit hinreichender Genauigkeit zu ermöglichen. Dies wäre eine<br />
Voraussetzung für die Individualisierung von Trainingsprozessen z.B. im<br />
Spitzensport sowie für eine Reihe abgeleiteter Fragestellungen. So könnte der<br />
Einfluss verschiedener Trainingsbelastungen auf die Stoffwechseleigenschaften der<br />
Arbeitsmuskulatur oder die Wirkung von Trainingsmitteln auf die faserspezifische<br />
Beanspruchung individuell abgeschätzt werden.
Beispiel eines 31-Phosphor-Magnet-Resonanz-Spektrums der verschiedenen Anteile<br />
des M. gastrocnemius (links) und eines „Vor-Nach-Trainings-Vergleichs“ (rechts)<br />
Im Rahmen einer Pilotstudie zum Nachweis von Änderungen des pH-Werts im M.<br />
gastrocnemius bei dynamischer Belastung wurden mit Hilfe eines selbstgebauten<br />
MR-kompatiblen Prototypen-Ergometers 31 P-Spektren bei fünf Leistungssportlern<br />
verschiedener Disziplinen und einer Kontrollperson ohne regelmäßiges Training<br />
aufgenommen. Die Messungen erfolgten in einem 3.0 T Ganzkörper MRT von<br />
Magnetom TIM Trio, Siemens Medical Solutions, Erlangen. Die Spektren wurden als<br />
dynamische Serie von Einzelmessungen (FID) vorgenommen. Begonnen wurde mit<br />
einer Ruhephase zur Bestimmung der Ausgangskonzentrationen (150 s). Es folgte<br />
eine Phase der Belastung (300 s) und abschließend eine Erholungsphase (900 s).<br />
Es wurde mit einer Zeitauflösung von 5 s kontinuierlich akquiriert. Bei allen<br />
Probanden wurde eine Verbreiterung bzw. Aufspaltung des Pi Signals in zwei bzw.<br />
drei Teilsignale beobachtet (vgl. Abb.). Während PARK ET AL. 1987 und ACHTEN ET AL.<br />
1990 eine Zweifachsplittung der Pi peak nachweisen konnten, gelang es<br />
VANDENBORNE ET AL. 1991 erstmalig eine Dreifachsplittung der Pi peak zu<br />
beobachten.<br />
Hierbei kann nach Art der Ermüdung und der untersuchter Muskulatur unterschieden<br />
werden. Während der Ermüdung kommt es zu einer Abnahme des Kreatinphosphats<br />
(PCr) und einer gleichzeitigen Zunahme des anorganischen Phosphats (Pi). Dabei<br />
verändert sich das Verhältnis von PCr zu Pi und dieser Wert wird bis zum Abbruch<br />
der Belastung stetig kleiner.
Nach der initialen Verschiebung des Pi-Signals zu höheren Frequenzen aufgrund<br />
des Protonenverbrauchs beim PCr-Abbau zeigte sich ca. 20 bis 30 s nach Beginn<br />
der Übung eine deutliche Verbreiterung des Pi-Signals bei gleichzeitiger<br />
Verschiebung in Richtung geringerer Frequenzen, die im weiteren Verlauf zu einer<br />
Zweifach-Aufspaltung des Pi Signals und nach 1 Minute zu einer Dreifachsplittung<br />
führte.<br />
Die Probanden waren so instruiert worden, dass sie bei gestrecktem Knie- und<br />
Hüftgelenk eine Plantarflexion gegen 30% der maximalen willkürlichen<br />
Kraftmobilisation 2 Minuten lang durchzuführen hatten. Die Bewegung sollte so<br />
schnell wie möglich durchgeführt werden.<br />
31P-MR Spektrum des M. gastrocnemius einer Kontrollperson (Sportstudent mit<br />
Spezialisierung auf Sprint) 25 s nach Beginn der dynamischen Belastung<br />
In der Abb. zeigt der Pi-Peak eine Struktur, die mit dem Auswerteprogramm<br />
„Amares“ durch drei Lorenzprofile (rot) angefittet wurden. Die angegebene<br />
prozentuale Intensität, sowie die chemische Verschiebung und der resultierende pH-<br />
Wert beziehen sich auf die 3 durch jeweils ein Lorenzprofil angepassten<br />
Komponenten des Pi Signals.<br />
Die metabolischen Unterschiede, die sich bei der Splittung der pi peaks während der<br />
maximalen Übungsdurchführung zeigen, können durch die unterschiedlichen<br />
Muskelfasertypen erklärt werden. Der high pH peak repräsendiert nach<br />
VANDENBORNE ET AL. 1991 die slow oxidative fibers mit einer geringen Myosin
ATPase Aktivität und einer hohen oxidativen Kapazität. Der mittlere pH peak<br />
repräsentiert die FTO Fasern, welche eine hohe Myosin ATPase Aktivität und eine<br />
hohe oxidative Kapazität aufweisen. Während hochintensiver Belastung produzieren<br />
diese Fasern Laktat und Protonen und senken dadurch ihren pH Wert. Der kleine pH<br />
peak repräsentiert die FTG Fasern mit einer hohen Myosin ATPase Aktivität und<br />
einer geringen oxidativen Kapazität. Sie produzieren große Mengen an Laktat und<br />
Protonen während hoch intensiver Belastungen und haben demzufolge auch den<br />
niedrigsten pH Wert.<br />
Weitere Pilotstudien (RZANNY ET AL., 2008; RZANNY ET AL., 2009) bestätigen die<br />
gefundenen Ergebnisse und begründen Vorgehensweisen zur gezielten Erhöhung<br />
der Genauigkeiten mit der 31-P-MR-Spektroskopie als Mittel einer non-invasiven<br />
Bestimmung metabolischer Veränderungen in der Arbeitsmuskulatur. Für die nahe<br />
Zukunft weist sich damit ein Weg für wissenschaftlich begründete<br />
Herangehensweisen an die Gestaltung von Trainingsprozessen, die über<br />
interdisziplinäres Zusammenwirken für alle beteiligten Seiten gleichermaßen neue<br />
Erkenntnisse und Handlungsbegründungen ermöglichen.
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Zum Abschied . . . . . . Danke und alles Gute!