Mehr als nette Gesten - Deutscher Bundestag
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TITEL<br />
I<br />
m Nachhinein war es ein<br />
prophetisches Lied – die<br />
inoffi zielle Hymne der Solidarno´sć<br />
in den 80er-Jahren<br />
des vergangenen Jahrhunderts: „Und<br />
die Mauern stürzen ein, sie stürzen, sie<br />
stürzen ein und begraben die alte Welt“,<br />
heißt es im Refrain des Liedes von Jacek<br />
Kaczmarski. Ganz Untergrundpolen sang<br />
mit Inbrunst die Aufforderung des<br />
Solidarno´sć-Barden: „Ziehe den Mauern<br />
die Zähne der Gitter aus! Sprenge die<br />
Fesseln, zerbreche die Knute!“ Und dann<br />
fi el tatsächlich die Mauer, ohne Blutvergießen,<br />
fast wie im alttestamentarischen<br />
Jericho. Auch wenn das Lied nicht in erster<br />
Linie die Berliner Mauer meinte, aus<br />
polnischer Sicht sind die Zusammenhänge<br />
klar. Und es ärgert die Polen, wenn sie<br />
von deutscher Seite gefragt werden, wie<br />
sich denn der Mauerfall auf den Zusammenbruch<br />
des Kommu nismus in Polen<br />
auswirkte. Inzwischen sind die dramatischen<br />
Ereignisse von dam<strong>als</strong> verblasst,<br />
der Alltag ist eingekehrt – hüben wie<br />
drüben. Polen will daher den 20. Jahrestag<br />
der ersten halbfreien Wahlen Anfang<br />
Juni 1989 – fünf Monate vor dem Sturz<br />
der Berliner Mauer – nutzen, um die polnische<br />
Betrachtungsweise der jüngsten<br />
Geschichte vor allem in Deutschland bekannter<br />
zu machen. Am alten Gebäude<br />
der polnischen Botschaft in Berlin – eine<br />
prominente Adresse Unter den Linden<br />
ge genüber der russischen Botschaft –<br />
hängt seit Februar ein Großposter mit<br />
Wünscht sich<br />
noch mehr<br />
Zusammenarbeit:<br />
Markus Meckel,<br />
Vorsitzender der<br />
Deutsch-Polnischen<br />
Parlamentariergruppe<br />
im <strong>Bundestag</strong><br />
Foto: DBT/Werner Schüring<br />
6 BLICKPUNKT BUNDESTAG FEBRUAR 2009<br />
der Aufschrift „Es begann an einem<br />
Polnische<br />
run den Tisch. Es begann in Gdańsk“. Geschichte im Blick:<br />
Ein gesprengtes Kettenglied in der Form Norbert Lammert<br />
der Grenzen Polens und die Namen der<br />
und Bronisław<br />
Städte Danzig, Warschau, Berlin, Prag, Komorowski vor<br />
Bu dapest, Tallinn, Wilna, Riga, Sofi a, dem „Panorama von<br />
Kiew – <strong>als</strong> Dominosteine der fallenden<br />
Racławice“<br />
alten Welt – sollen die Rolle der Solidarno´sć<br />
im Prozess der Aufl ösung des<br />
Ostblocks symbolisieren.<br />
Auch die Parlamente beider Länder<br />
wollen die Gelegenheit nutzen und das<br />
Erinnerungsjahr 2009 gemeinsam <strong>als</strong><br />
ein Fest der Demokratie und Freiheit<br />
begehen. <strong>Bundestag</strong>spräsident Norbert<br />
Lammert (CDU) machte das Vorhaben<br />
auf deutscher Seite zur Chefsache und<br />
tauschte sich mit dem polnischen Parlamentschef,<br />
Sejmmarschall Bronisław<br />
Komorowski, und mit dessen Vorgängern<br />
Ludwik Dorn und Marek Jurek aus.<br />
Ende November 2008 war das Gedenkjahr<br />
eines der wichtigen – und von den<br />
polnischen Medien aufmerksam beobachteten<br />
Themen einer deutsch-polnischen<br />
Parlamentskonferenz in Breslau<br />
und Kreisau. Die polnischen Gastgeber<br />
haben das Treffen sorgfältig vorbereitet:<br />
Die Orte der Begegnung sollten die gemeinsame<br />
Geschichte beider Nationen<br />
symbolisieren, die Tagesordnungen Vergan<br />
genheit und Zukunft miteinander<br />
verbinden.<br />
Das Wiedersehen im Foyer des<br />
Breslauer Hotels ist herzlich, unkompliziert.<br />
Händeschütteln, Lachen. Wortfetzen auf Polnisch, Deutsch und Englisch. So<br />
begrüßen sich gute Bekannte. Es sind gute<br />
Bekannte. Denn es treffen sich zum dritten<br />
Mal – nach 2004 in Słubice und 2007 in<br />
Berlin – die Präsidien von <strong>Bundestag</strong> und<br />
Sejm. Das Treffen, das bereits vor einem<br />
Jahr stattfi nden sollte, wurde wegen der<br />
vorgezogenen Parlamentswahlen in Polen<br />
verschoben.<br />
„Wir müssen los!“, mahnt Bronisław<br />
Komorowski. Das Programm für die<br />
zweitägige Konferenz ist straff, die Zeit<br />
knapp. Der polnische Parlamentspräsident<br />
ergreift die Initiative und entführt die<br />
Gäste zunächst auf einen Exkurs in die<br />
polnische Geschichte – in eine unweit des<br />
Hotels gelegene Rotunde mit der bekanntesten<br />
Sehenswürdigkeit Breslaus, dem<br />
„Panorama von Racławice“. Das 15 mal<br />
114 Meter große Bild, an dem mehrere<br />
Maler Ende des 19. Jahrhunderts fast ein<br />
Jahr lang arbeiteten, zeigt den Sieg der