Download - Institut für Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit
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Simulation des Manövrierverhaltens <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong><br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Antriebsanlage<br />
Vom Promotionsausschuss der<br />
Technischen Universität Hamburg-Harburg<br />
zur Erlangung des akademischen Grades<br />
Doktor-Ingenieur<br />
genehmigte Dissertation<br />
<strong>von</strong><br />
Dipl.-Ing. Tobias Haack<br />
aus Duisburg<br />
2006
Vorsitzender des Prüfungsausschusses:<br />
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. E. Lehmann<br />
Gutachter:<br />
Prof. Dr.-Ing. S. Krüger<br />
Prof. Dr.-Ing. H. Rulfs<br />
Prof. Dr.-Ing. T. Rung<br />
Tag der mündlichen Prüfung: 29.März 2006
Vorwort<br />
Die vorliegende Dissertation entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am <strong>Institut</strong> für Schiffsentwurf <strong>und</strong> <strong>Schiffssicherheit</strong> der Technischen Universität Hamburg-<br />
Harburg.<br />
Herrn Prof. Dr.-Ing. Stefan Krüger danke ich herzlich für die ausgezeichnete fachliche Betreuung<br />
dieser Arbeit, das kreative <strong>und</strong> gut ausgestattete Arbeitsumfeld <strong>und</strong> das mir entgegengebrachte<br />
Vertrauen.<br />
Herrn Prof. Dr.-Ing. H. Rulfs danke ich für die Übernahme des Korreferats <strong>und</strong> den Herren<br />
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. E. Lehmann (Vorsitzender) <strong>und</strong> Prof. Dr.-Ing. T. Rung<br />
für ihre Tätigkeit im Prüfungsausschuss.<br />
Ebenfalls bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern des <strong>Institut</strong>s für Schiffsentwurf<br />
<strong>und</strong> <strong>Schiffssicherheit</strong> für die gute Zusammenarbeit <strong>und</strong> eine schöne Zeit. Besonders<br />
bedanken möchte ich mich bei Dr.-Ing. Wilfried Abels für die wertvollen fachlichen Diskussionen<br />
<strong>und</strong> für die Erlangung der Erkenntnis, dass Strom <strong>und</strong> Wasser doch zueinander passen<br />
können.<br />
Bedanken möchte ich mich auch bei der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft mbH & Co. KG<br />
für die Zusammenarbeit <strong>und</strong> die Zuverfügungstellung <strong>von</strong> Datenmaterial, ohne das diese Arbeit<br />
nicht möglich gewesen wäre.<br />
Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meinen Eltern für die Kiellegung dieser Arbeit <strong>und</strong> natürlich<br />
bei meiner Frau Maj-Britt für ihre Geduld <strong>und</strong> Unterstützung insbesondere während des Stapellaufs<br />
<strong>und</strong> der Ablieferung der Dissertation.<br />
Tobias Haack<br />
Flensburg, im August 2006<br />
3
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung 6<br />
2 Stand der Wissenschaft <strong>und</strong> Technik 9<br />
2.1 Hydromechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.2 Maschinenanlage <strong>und</strong> Automation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
3 Ziele der Arbeit 13<br />
4 Gr<strong>und</strong>lagen der Manövriersimulation 14<br />
4.1 Hydromechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
4.1.1 Rumpfkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
4.1.2 Propeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
4.1.3 Traglinienmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
4.1.4 Verstellpropeller (Controllable Pitch Propeller) . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
4.1.5 Festpropeller (Fixed Pitch Propeller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
4.1.6 Propeller-Rumpf-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
4.1.7 Ruderkraftberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
5 Maschinenanlage <strong>und</strong> Automation 34<br />
5.1 Telegraf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
5.2 Programmwahl-Modul (Program Selection) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
5.3 Steigungskombinator- <strong>und</strong> Drehzahlkombinator-Modul (Pitch Combinator-, RPM<br />
Combinator Control) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
5.4 Steigungsbegrenzungsmodul (Pitch Maximum Selector) . . . . . . . . . . . . . 38<br />
5.5 Überdrehzahlschutz-Modul (Windmilling Modul) . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
5.6 Überlastschutz-Modul (Overload-Modul) <strong>und</strong> Bandbreiten-Modul (Bandwidth<br />
Selection) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
5.7 Steigungsauswahl-Modul (Pitch Selection) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
5.8 PD-Regler (PD-Controller) <strong>und</strong> Proportionalventil (Proportional Valve) . . . . 42<br />
5.9 Lastaufschaltungsbegrenzung <strong>und</strong> drehzahlabhängige Einspritzmengenbegrenzung 42<br />
5.10 PI-Regler (PI-Governor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
5.11 Integrator Reset . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
5.12 Drehmoment Auswahl (Torque Minimum Selector) . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
5.13 Hauptmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
5.14 Generatoren (PTO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
5.15 Propellerwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
5.16 Massenträgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
4
Inhaltsverzeichnis<br />
6 Beispiele 49<br />
6.1 Beispielschiff 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
6.1.1 Drehkreismanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
6.1.2 Notstoppmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
6.1.3 Beschleunigungsmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
6.2 Beispielschiff 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
6.2.1 Drehkreismanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
6.2.2 Notstoppmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
6.2.3 Beschleunigungsmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
6.3 Beispielschiff 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />
6.3.1 Beschleunigungsmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
6.3.2 Drehkreismanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
6.3.3 Notstoppmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
7 Zusammenfassung 71<br />
Literaturverzeichnis 72<br />
Nomenklatur 77<br />
5
1 Einleitung<br />
Das Manövrierverhalten <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> gewinnt bei den Anforderungen, die an ein neu zu konzipierendes<br />
Schiff gestellt werden, immer mehr an Bedeutung. Das resultiert weniger aus den<br />
leicht erfüllbaren <strong>und</strong> eher unzureichenden Vorschriften der IMO (International Maritime Organization)<br />
[42] u.a. für Drehkreisdurchmesser oder Anhaltewege in Notsituationen, als vielmehr<br />
aus den steigenden Bedürfnissen der Schiffsbetreiber. Zum Beispiel wird üblicherweise im Bauvertrag<br />
festgelegt, bei welcher Windstärke das Schiff noch in der Lage sein muss, selbstständig<br />
quer anzulegen (crabbing). Das setzt voraus, dass Manövriereinrichtungen wie Bug-, Heckstrahler<br />
<strong>und</strong> Ruder dementsprechend ausgelegt sind. Das Beschleunigungsvermögen ist in manchen<br />
Fällen auf der Probefahrt nachzuweisen. Dafür ist dann nicht nur die Hydrodynamik, d.h. die<br />
Umströmung des Schiffes <strong>und</strong> das Verhalten des oder der Schiffspropeller maßgeblich, sondern<br />
auch die Maschinenanlage <strong>und</strong> deren Automation. Zunehmend wird aber nicht nur das<br />
Manövrierverhalten in deterministischen Szenarien Gegenstand der Optimierung im Schiffsentwurf,<br />
sondern auch das schwer zu beurteilende Manövrierverhalten in nautisch komplexen<br />
Umgebungen (z.B. Strömung, Wind, Untiefen). Für diese Szenarien fällt es schwer, quantifizierende<br />
Kriterien anzugeben. Vielmehr hängt die Entscheidung, ob sich ein Schiff in einer<br />
bestimmten Umgebung gut oder schlecht verhält, oft allein vom schwer quantifizierbaren Eindruck<br />
des Nautikers ab (z.B. Abbildung 1.1.)<br />
Insgesamt wird die Einhaltung der Anforderungen bezüglich der Manövrierfähigkeit für Werften<br />
Abbildung 1.1: RoRo-Schiff bei der Schleuseneinfahrt in Immingham, GB. c○DFDS-TOR LINE<br />
zum Risikofaktor, den es zu minimieren gilt. Deshalb wäre es wünschenswert, schon im frühen<br />
Entwurfsstadium eine möglichst zuverlässige Prognose über das Manövrierverhalten abgeben<br />
zu können. Das beinhaltet sowohl deterministische Szenarien, wie Drehkreise oder Zickzack-<br />
Manöver, als auch das Verhalten in den oben erwähnten komplexen Umgebungen. Darüber<br />
6
KAPITEL 1. EINLEITUNG<br />
hinaus muss natürlich gewährleistet sein, dass das Schiff gierstabil ist, da instabile Schiffe<br />
auf Gr<strong>und</strong> der ständig notwendigen Ruderaktivitäten einen erhöhten Widerstand <strong>und</strong> letztlich<br />
größeren Brennstoffverbrauch aufweisen. Weiterhin kann eine im Entwurfsstadium nachgewiesene<br />
gute Manövrierbarkeit ein Wettbewerbsvorteil sein, durch den ein Unterschied im Angebotspreis<br />
teilweise ausgeglichen werden kann. Schiffe mit guten Manövriereigenschaften können<br />
häufig auf Schlepperhilfe verzichten, wodurch ein zusätzlicher Zeit- <strong>und</strong> Kostenvorteil entsteht.<br />
Der Nachweis hierfür kann dadurch erbracht werden, dass der potenzielle Schiffsführer schon im<br />
Projektstadium in die Planung mit einbezogen wird, <strong>und</strong> dann in Schiffsführungssimulatoren<br />
verschiedene Entwurfsvarianten vergleichen kann. Dadurch können die Auswirkungen <strong>von</strong> Entwurfsänderungen<br />
auf die Betriebskosten (z.B. durch den Verzicht auf Schlepperhilfe beim Anlegen)<br />
berechnet werden. Ein weiterer Aspekt ist die Möglichkeit, durch gute Manövriereigenschaften<br />
einen Sicherheitsgewinn zu erzielen.<br />
Zusätzlich kann die Auswirkung verschiedener Ruderentwürfe auf das Manövrierverhalten simuliert<br />
werden. Außerdem kann bei Einbeziehung der Schiffsmaschinenanlage in die Simulation ein<br />
besseres Verständnis für die Zusammenhänge <strong>von</strong> Maschinenautomation <strong>und</strong> Manövrierverhalten<br />
entstehen. Dadurch wird es möglich, schon im frühen Entwurfsstadium genauere Anforderungen<br />
an Zulieferunternehmen, wie Maschinen- <strong>und</strong> Automationshersteller, zu stellen. Alles<br />
in allem kann für den K<strong>und</strong>en ein beträchtlicher Betriebskostenvorteil <strong>und</strong> Sicherheitsgewinn<br />
mit relativ niedrigem Aufwand für die Bauwerft erzielt werden.<br />
Zu diesem Zweck wird in dieser Arbeit ein bestehendes Simulationsprogramm für Schiffsmanöver<br />
erweitert <strong>und</strong> verbessert. Die Zeitbereichssimulation basiert auf einem Kraftmodell.<br />
Die Simulation auf der Basis eines Koeffizientenmodells erschien deshalb nicht sinnvoll, weil<br />
der Einsatz dieser Modelle Daten aus Manövrierversuchen voraussetzt, die in der frühen Projektphase<br />
nicht durchgeführt werden.<br />
Mit der erstellten Methode ist es mit geringem Aufwand möglich, in der Entwurfsphase mit<br />
den in einer Datenbank vorhandenen Schiffsdaten eine Manövriersimulation durchzuführen <strong>und</strong><br />
Designalternativen zu vergleichen. Es ist hierfür nicht notwendig, kostenintensive Manövrierversuche<br />
im Modellmaßstab durchzuführen, bei denen der Maßstabseinfluss (z.B. Reynoldszahl der<br />
Ruderumströmung) eine Übertragung auf die Großausführung erschwert. Es werden lediglich<br />
Daten benötigt, die im Entwurfsprozess ohnehin ermittelt werden müssen (z.B. Schiffswiderstand,<br />
Ruderkräfte, Propellerfreifahrtdiagramme). Die übrigen Rumpfkräfte werden mit Hilfe<br />
der Theorie schlanker Körper berechnet. Für die Modellierung der Ruderkräfte wird ein potenzialtheoretisches<br />
Verfahren mit integriertem Traglinienmodell verwendet.<br />
Die Manövrierbarkeit eines Schiffes wird zu einem großen Teil durch die hydromechanischen<br />
Eigenschaften <strong>von</strong> Rumpf, Propeller <strong>und</strong> Ruder festgelegt. Ein weiterer wichtiger Faktor ist<br />
darüber hinaus das Verhalten der Maschinenanlage <strong>und</strong> der dazugehörigen Automation. Speziell<br />
bei Stopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsmanövern ist das Verhalten der Antriebsanlage ausschlaggebend<br />
für das gesamte System.<br />
Schwerpunkt dieser Arbeit sind die Implementierung eines Modells zur Simulation der Automation<br />
der Antriebsanlage, die Verbesserung des Propellermodells sowie die Analyse der Propeller-<br />
Rumpf-Interaktion, dem Sog, bei Umsteuermanövern. Diese Schritte sind notwendig, um die<br />
Prognose der bereits durchführbaren Manöver, wie z.B. Drehkreise oder Zickzack-Manöver,<br />
zu verbessern <strong>und</strong> die realistische Gesamtsystemsimulation <strong>von</strong> Stopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsmanövern<br />
zu ermöglichen.<br />
Das implementierte Modell soll in der Lage sein, sowohl das Verhalten <strong>von</strong> Vier- als auch Zweitaktdieselmotoren<br />
sowie das <strong>von</strong> dieselelektrischen Antrieben zu simulieren. Für die Propulsion<br />
kann die Maschinenanlage sowohl mit Fest- (FPP) als auch mit Verstellpropellern (CPP) kombi-<br />
7
KAPITEL 1. EINLEITUNG<br />
niert werden. In dieser Arbeit wird ein Hauptaugenmerk auf das möglichst realistische Verhalten<br />
der Verstellpropellerautomation gelegt, die bei Extremmanövern (Notstopp, Beschleunigung,<br />
Hafenmanöver) maßgeblich ist. Dazu muss das transiente Verhalten bei Notstopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsmanövern<br />
analysiert werden. Zu diesem Zweck werden u.a. Bordmessungen des<br />
Anlagenverhaltens ausgewertet <strong>und</strong> detaillierte Informationen <strong>von</strong> Automationsanlagen- <strong>und</strong><br />
Maschinenherstellern verwendet.<br />
Zusätzlich wird ein Modell implementiert, das es ermöglicht, das Manövrierverhalten <strong>von</strong> Doppelendfähren<br />
zu untersuchen, um auch hier verschiedene Entwurfsvarianten vergleichen zu<br />
können. Eines der Ziele hierbei ist es, verschiedene Strategien zur Durchführung <strong>von</strong> Stopp<strong>und</strong><br />
Beschleunigungsmanövern zu untersuchen. Dabei steht die Verstellpropellerautomation<br />
des Bugpropellers im Vordergr<strong>und</strong>. Ferner werden verschiedene Regelungsstrategien <strong>und</strong> deren<br />
Auswirkungen auf das Beschleunigungs- <strong>und</strong> Notstoppverhalten des Schiffes miteinander verglichen.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ergibt sich beim Vergleich zwischen simulierten <strong>und</strong> berechneten<br />
Notstoppmanövern. Die auftretenden Diskrepanzen werden näher untersucht <strong>und</strong><br />
mit dem unzureichenden Propellersogmodell begründet. Um diesen Effekt zu analysieren, wird<br />
eine Methode zur Berechnung der Propellerwirkung auf die Rumpfumströmung erstellt. Die<br />
Modellbildung für die Software findet in Anlehnung an das oben erwähnte Modell zur Berechnung<br />
der Ruderkräfte statt. Es muss beispielsweise das Traglinienmodell für die Berechnung der<br />
induzierten Geschwindigkeiten stromaufwärts erweitert werden. Die oben genannten Modelle<br />
für die Sogberechnung, die Propellerkräfte <strong>und</strong> nicht zuletzt für die Antriebsanlagenautomation<br />
werden entwickelt <strong>und</strong> getestet. Anschließend werden die simulierten Manöver mit den Daten<br />
aus Probefahrtsmessungen <strong>von</strong> Großausführungen verglichen. Hierzu steht umfangreiches Datenmaterial<br />
für Ein- <strong>und</strong> Zweischrauber zur Verfügung.<br />
8
2 Stand der Wissenschaft <strong>und</strong> Technik<br />
Im Folgenden soll eine kurze Übersicht über thematisch verwandte Arbeiten gegeben werden.<br />
Sofern Details aus den beschriebenen Untersuchungen im Zusammenhang der vorliegenden<br />
Arbeit wichtig erscheinen, werden sie in den jeweiligen Einzelkapiteln aufgegriffen.<br />
2.1 Hydromechanik<br />
Aus hydrodynamischer Sicht versucht man sich dem Problem der Manövrierfähigkeit <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong><br />
<strong>von</strong> drei Seiten zu nähern. Die älteste Methode ist wohl das Analysieren des Manövrierverhaltens<br />
mit Hilfe <strong>von</strong> Modellversuchen. Dazu werden Versuche mit einem geometrisch ähnlichen<br />
Schiffsmodell unter Einhaltung der Froude’schen Ähnlichkeit in einer Versuchsanstalt durchgeführt.<br />
Zu diesem Zweck können freifahrende Modelle untersucht werden. Hier wird zum<br />
Beispiel der Überschwingwinkel bei Zickzack-Manövern gemessen. Die Alternative ist die Versuchsanordnung<br />
mit gefesselten Modellen, wobei Vertrimmung <strong>und</strong> Tiefertauchung möglich<br />
sein sollten. Das Ziel der genannten Versuche ist es, mittels bestimmter Manövrierversuche Parameter<br />
zu identifizieren, mit deren Hilfe dann mit einem Taylorreihenansatz der Bewegungsgleichungen<br />
andere Manöver berechnet werden können (siehe z.B. [40],[41]). Das Schiffsmodell<br />
wird dazu normalerweise mit allen Anhängen, inklusive Ruder, ausgestattet. Ein großer Nachteil<br />
dieser Versuche ist der Maßstabseffekt. Insbesondere die Vergleichbarkeit der Ruderkräfte<br />
zwischen Modell <strong>und</strong> Großausführung ist problematisch. Im Modellversuch können auf Gr<strong>und</strong><br />
der zu niedrigen Reynoldszahl laminare Strömungszustände auftreten, allerdings ist die falsche<br />
Prognose <strong>von</strong> Strömungsabrissen wesentlich gravierender. Die Verwendung dieser Methodik<br />
ist im Entwurfsstadium aber ohnehin kaum möglich. Wenn, dann werden Manövrierversuche<br />
in einem sehr späten Projektstadium durchgeführt <strong>und</strong> eine Veränderung des Basisentwurfs<br />
ist dann nicht mehr möglich oder zumindest äußerst kostenaufwändig. Martinussen [34] versucht<br />
beispielsweise, die Manövrierkoeffizienten numerisch mit Hilfe <strong>von</strong> Streifentheorie <strong>und</strong><br />
der Theorie schlanker Körper zu ermitteln ohne dabei ein Motormodell zu integrieren.<br />
Als weitere Möglichkeit dient die Auswertung <strong>von</strong> Großausführungsmessungen zur Bestimmung<br />
empirischer Formeln mittels Regression oder neuronalen Netzen. Mit empirischen Formeln<br />
lassen sich aber kaum verschiedene Designvarianten (z.B. Rudergröße, Propellerauslegung)<br />
vergleichen <strong>und</strong> die Übertragbarkeit <strong>von</strong> gebauten <strong>Schiffen</strong> auf neue Entwürfe ist problematisch.<br />
Rhee [46] setzt zur Bestimmung der Stoppwege <strong>und</strong> -zeiten einfache empirische<br />
Formeln für Schiffe mit Festpropellern an. Das Verfahren erzielt bei den gezeigten Beispielen<br />
gute Übereinstimmungen. Einschränkend muss gesagt werden, dass große Vereinfachungen gemacht<br />
werden. Besonderheiten der unterschiedlichen Maschinenanlagenkonfigurationen können<br />
genauso wenig berücksichtigt werden, wie das Verhalten <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> mit Verstellpropellern.<br />
Die Auswertung <strong>von</strong> Schiffsmanövern mit neuronalen Netzen scheint aber für den Einsatz auf<br />
Bordrechnern sinnvoll zu sein, um Nautikern die Auswirkungen eines geplanten Manövers voraussagen<br />
zu können. Abdel-Maksoud [3] setzt diese Technik ein, um Drehkreismanöver vorher-<br />
9
KAPITEL 2. STAND DER WISSENSCHAFT UND TECHNIK<br />
zusagen. Dazu trainiert er ein neuronales Netzwerk mit zuvor in einem Simulator ermittelten<br />
Daten. Hess [23] trainiert neuronale Netze mit Manövern eines Unterwasserfahrzeugmodells um<br />
damit dann andere Manöver vorhersagen zu können. Beide Arbeiten zeigen, dass diese Methode<br />
vielversprechend ist. In der Arbeit <strong>von</strong> Moreira [38] ist aber auch zu sehen, dass insbesondere<br />
die Prognosezuverlässigkeit vom Rauschen in den Messsignalen anhängt. Im Schiffsentwurf ist<br />
die Methode aus den gleichen Gründen wie die empirischen Methoden also eingeschränkt anwendbar.<br />
Es kommt aber ein Einsatz in Schiffsführungssimulatoren in Frage, in denen zurzeit<br />
meist Koeffizientenmodelle verwendet werden <strong>und</strong> die zudem das Verhalten des Schiffes laut<br />
Gofman [19] nicht immer richtig abbilden.<br />
Der letzte <strong>und</strong> in dieser Arbeit eingeschlagene Weg ist die direkte Lösung der Bewegungsgleichung<br />
in einer Simulation im Zeitbereich. Dazu werden alle Kräfte, die zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt auf den Schiffskörper einwirken, ermittelt <strong>und</strong> die Beschleunigungen berechnet.<br />
Cura [10] <strong>und</strong> Jensen [26] berechnen stationäre Manöver mit RANSE-Methoden ohne<br />
Berücksichtigung des Propellers. El Moctar [13] berücksichtigt den Propeller mit einer sogenannten<br />
Actuator Disc. Simonsen [49] berechnet das Manövrierverhalten mit einem RANSE-<br />
Löser gekoppelt mit einem potenzialtheoretischen Propellermodell. Die Vorteile dieser Verfahren<br />
sind die gute Berücksichtigung der hydrodynamischen Kräfte unter allen während des<br />
Manövers auftretenden Strömungszuständen. Außerdem werden die Wechselwirkungen zwischen<br />
Schiff, Ruder <strong>und</strong> Propeller adäquat ermittelt. Als Nachteil sind hier natürlich die lange<br />
Rechenzeit <strong>und</strong> der hohe manuelle Diskretisierungsaufwand zu nennen.<br />
In dieser Arbeit wird auf eine Methode aufgebaut, die auf Söding zurückgeht [50]. Danach<br />
werden die Rumpfkräfte mit der Theorie schlanker Körper berechnet. Alle anderen Kräfte<br />
(Propeller, Ruder, Wind) werden zusätzlich mit einem geeignet erscheinenden Verfahren ermittelt.<br />
Das Modell wurde unter anderem <strong>von</strong> Zhao [61] für die Simulation <strong>von</strong> Manövern auf<br />
flachem Wasser erweitert. Krüger [28] demonstriert in seiner Arbeit die Funktionsfähigkeit des<br />
Modells, indem er seine Simulationsergebnisse mit Großausführungsmessungen vergleicht. Eine<br />
erweiterte Version der gleichen Methode verwendet Urban [55] zur Manövriersimulation <strong>von</strong><br />
<strong>Schiffen</strong> mit POD-Propulsoren.<br />
Die Ermittlung der Propellerkräfte <strong>und</strong> -momente kann über Versuche erfolgen. Dafür wird der<br />
Modellpropeller in der Regel mit seiner Designsteigung in einem großen Geschwindigkeitsbereich<br />
betrieben. Teilweise auch mit Fortschrittswinkeln jenseits der 90 ◦ [56]. Die Propellerkräfte<br />
<strong>und</strong> -momente können aber auch numerisch ermittelt werden. Das kann mit potenzialtheoretischen<br />
Verfahren erfolgen, siehe z.B.[11],[25]. Wagner [57] berechnet Verstellpropeller mit<br />
Vorwärts- <strong>und</strong> Rückwärtsschub mit Hilfe <strong>von</strong> Blattschnittverfahren unter Berücksichtigung<br />
der Rezirkulation. Neuerdings werden auch viskose Propellerumströmungen simuliert [7]. Berechnungen<br />
mit Berücksichtigung der Kavitation werden zum Beispiel in [24] vorgestellt. Die<br />
in diesem Zusammanhang besonders interessante Analyse der Spitzenwirbel ist allerdings nicht<br />
zufriedenstellend. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Berechnung <strong>von</strong> Propellerumströmungen<br />
mit viskosen Modellen Gegenstand der derzeitigen Gr<strong>und</strong>lagenforschung ist. Die<br />
Rechenzeiten sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Gr<strong>und</strong> der instationären Strömungszustände<br />
sehr groß <strong>und</strong> betragen durchaus mehrere Tage. Die Ergebnisse sind derzeit nicht besser als<br />
die, welche mit der Potenzialtheorie ermittelt werden können, weshalb der hohe Aufwand nicht<br />
gerechtfertigt zu sein scheint.<br />
Die Ermittlung <strong>von</strong> Propellersogkräften kann durch Modellversuche oder direkte Berechnung<br />
erfolgen. Die Sogziffern werden beim Propulsionsversuch ermittelt, der üblicherweise für<br />
jeden Schiffsneubau durchgeführt wird. Allerdings wird für gewöhnlich nur der Sog im Bereich<br />
des Entwurfpunktes ermittelt. Aus der Literatur sind nur wenige Messergebnisse für andere<br />
10
KAPITEL 2. STAND DER WISSENSCHAFT UND TECHNIK<br />
Quadranten bekannt [21]. Resultate numerischer Berechnungen im ersten Quadranten sind bei<br />
Kim [27] <strong>und</strong> Krüger [29] zu finden. Diese Berechnungen wurden mittels Potenzialtheorie in<br />
Kombination mit einem Traglinienmodell für den Propeller durchgeführt. Berechnungen mit<br />
viskosen Methoden (RANSE) sind unter anderem bei Kulczyk [30], Simonsen [49] oder Abdel-<br />
Maksoud [1],[2] zu finden. Darin ist der Propeller allerdings nur als Scheibe modelliert. Das<br />
letztgenannte Verfahren ist vielversprechend, aber ungleich aufwändiger als die Berechnung mit<br />
Hilfe der Potenzialtheorie.<br />
2.2 Maschinenanlage <strong>und</strong> Automation<br />
Für die Simulation der Maschinenanlage, der Verstellpropellerautomation <strong>und</strong> der Motorregelung<br />
existieren sowohl Arbeiten, welche das Verhalten der Maschine in den Mittelpunkt stellen,<br />
als auch solche, die die Wechselwirkung zwischen Motor <strong>und</strong> manövrierendem Schiff untersuchen.<br />
Hanouneh [20] simuliert Stoppmanöver <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> mit Festpropellern mit einem detaillierten<br />
Motormodell. Der Dieselmotor wird dabei als Kreisprozess abgebildet. In der Arbeit<br />
werden allerdings in hydromechanischer Hinsicht (Propeller, Sog, etc.) starke Vereinfachungen<br />
gemacht. Eyberg [14] legt in seiner Arbeit den Schwerpunkt auf die Verstellpropellerautomation<br />
<strong>und</strong> die Motorregelung. In der Arbeit wird kein detailliertes Kreisprozessmodell für den Motor<br />
verwendet. Hydrodynamische Aspekte werden vergleichsweise grob behandelt. Zum Beispiel<br />
wird der Verstellpropeller durch die Wageninger B-Serie approximiert. Eyberg kommt zu dem<br />
Schluss, dass eine verbrauchsoptimierte Steigungsregelung eine Verbrauchsreduzierung <strong>von</strong> bis<br />
zu 7 % zur Folge haben kann. Diese selbständig adaptierende Automation ist allerdings nur bei<br />
stationärer Geradeausfahrt sinnvoll, während im Manövrierbetrieb eine klassische Kombinatorsteuerung<br />
verwendet werden muss [14, S.6]. Friedrich [15] stellt in seinem Aufsatz ein Modell<br />
zur Regelung der Verstellpropelleranlage vor, das er anhand eines simulierten Stoppmanövers<br />
erläutert. Gerstle [16] entwickelt in seiner Arbeit ein Simulationsmodell für das Betriebsverhalten<br />
<strong>von</strong> Vier- <strong>und</strong> Zweitaktdieselmotoren nach der Füll- <strong>und</strong> Entleermethode. Motormodelle<br />
für die Simulation sind unter anderem auch in [45],[60] zu finden.<br />
McTavish [35] untersucht die Motordynamik unter besonderer Berücksichtigung der Kupplung.<br />
Herzke [22] simuliert das dynamische Verhalten <strong>von</strong> Verstellpropellern in Kombination mit Gasturbine<br />
oder Dieselmotor. Die Simulation erfolgt unter Verwendung <strong>von</strong> Kennfeldern. Zusätzlich<br />
wird ein hydrodynamischer Wandler zur Simulation im Eis festkommender Propeller mit einbezogen.<br />
Es wird auch die Implementierung eines Schubreglers diskutiert, was in der Praxis<br />
kaum möglich sein dürfte. Der Dieselmotor wird hier ohne Berücksichtigung der Aufladungsdynamik<br />
modelliert, da angenommen wird, dass die bei den betrachteten Manövern (Notstopp)<br />
auftretenden Drehzahländerungen langsam genug sind, um dies zu rechtfertigen.<br />
Ulken [54] stellt bei seinen Untersuchungen das Verhalten einer Schiffsantriebsanlage bei inneren<br />
Störungen in den Mittelpunkt <strong>und</strong> beschreibt die einzelnen Komponenten der Anlage<br />
ausführlich. Bei Östreicher [43],[44] werden zur Entwicklung neuer Regelungsstrategien für<br />
hochaufgeladene schnelllaufende Viertaktdieselmotoren Simulationen mit detailliertem Kreisprozess-<br />
<strong>und</strong> Getriebemodellen durchgeführt. Dabei wird das transiente Verhalten der Maschinenanlage<br />
<strong>und</strong> die Auswirkungen verschiedener Regelungen analysiert. Östreicher geht auch<br />
darauf ein, wie eine betriebsoptimierte Einspritzmengenbegrenzung mit Hilfe direkt messbarer<br />
Zustandgrößen der Maschinenanlage (z.B. Turboladerdrehzahl, Öltemperatur) realisiert werden<br />
kann. Es ist anzumerken, dass Östreicher [43, S.122] zu dem Ergebnis kommt, dass eine<br />
11
KAPITEL 2. STAND DER WISSENSCHAFT UND TECHNIK<br />
betriebsoptimierte Regelung zu einem wesentlich besseren transienten Verhalten der Maschinenanlage<br />
führt. Schliephack [47] untersucht die Belastungen in der Schaltkupplung während<br />
Anfahr- <strong>und</strong> Umsteuervorgängen. Er verwendet dabei ein Motormodell nach [59]. Boy [8] untersucht<br />
die Belastungen der Maschinenanlage mit Hilfe der Notstoppmanöversimulation <strong>von</strong><br />
<strong>Schiffen</strong> mit Festpropellern. Weselowski [58] verwendet für die Simulation <strong>von</strong> Stoppmanövern<br />
Wageninger 4-Quadranten Messungen <strong>und</strong> KT/KQ Kurven für Verstellpropeller, die mit der<br />
hydrodynamischen Wirbeltheorie berechnet werden.<br />
Eggert [12] simuliert Stoppmanöver <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> mit Verstellpropellern, ohne die Verstellpropellerregelung<br />
näher zu analysieren.<br />
Zheng [62] entwickelt Modelle für die Beschreibung <strong>von</strong> Verstellpropellern. Er berechnet mit diesen<br />
Notstoppmanöver, ohne jedoch eine Regelung für die Propellersteigung (Pitch) zu verwenden.<br />
Spieker [53] entwickelt ein Berechnungsverfahren für die Interaktion <strong>von</strong> Schiffsantriebsanlage<br />
<strong>und</strong> Automation <strong>und</strong> führt schließlich Simulationen <strong>von</strong> Anfahr- <strong>und</strong> Stoppmanövern<br />
für Schiffe mit Verstellpropellern durch. Im Mittelpunkt steht dabei weniger die Gesamtsystemsimulation<br />
<strong>von</strong> Schiffsmanövern, als eine maschinenbauliche Gesamtsystemanalyse <strong>von</strong> mechanischen<br />
Komponenten der Antriebsanlage <strong>und</strong> deren Automation. Ferner analysiert er das<br />
Verhalten der Maschinenanlage bei <strong>Schiffen</strong> im Seegang <strong>und</strong> vergleicht die Auswirkungen verschiedener<br />
Regelstrategien auf die Maschinenanlage.<br />
Näheres über die Funktionsweise des Verstellmechanismus <strong>von</strong> Verstellpropellern wird in [17]<br />
dargestellt.<br />
Benvenuto [5],[6] führt Manövriersimulationen für Schiffe mit Fest- <strong>und</strong> Verstellpropellern<br />
durch. Dabei verwendet er ein detailliertes Motormodell <strong>und</strong> eine vereinfachte Steigungs- <strong>und</strong><br />
Motorregelung. Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen steht die Simulation <strong>von</strong> Notstopp<strong>und</strong><br />
Drehkreismanövern. Als Ausgangsbasis für die Simulation wird ein Koeffizientenmodell<br />
verwendet. Benvenuto geht aber nicht auf die Propeller-Rumpf-Interaktion während des Notstoppmanövers<br />
ein <strong>und</strong> verwendet ein sehr stark vereinfachtes Ruderkraftmodell. Die Rollbewegung<br />
des Schiffes wird ebenfalls nicht berücksichtigt.<br />
Bei allen Arbeiten zum Thema Manövriersimulation ist anzumerken, dass das Verhalten <strong>von</strong><br />
Teilsystemen des Schiffes im Vordergr<strong>und</strong> steht. Entweder werden zu grobe Ansätze für die<br />
Hydromechanik oder aber für die Maschinenanlage beziehungsweise für deren Automation gemacht.<br />
Bislang existiert kein Modell für die Gesamtsystemsimulation, das alle Teilaspekte für<br />
alle denkbaren Schiffsmanöver abdeckt.<br />
12
3 Ziele der Arbeit<br />
Das Ziel der Arbeit ist es, ein Werkzeug zu erstellen, mit dem es möglich ist, im industriellen<br />
Umfeld Manövriersimulationen im Zeitbereich <strong>von</strong> beliebigen Schiffsmanövern in der Produktdefinitionsphase<br />
durchzuführen. Dazu zählen insbesondere solche Manöver, bei denen das Verhalten<br />
der Maschinenanlage ausschlaggebend ist, wie Notstopp- oder Beschleunigungsmanöver.<br />
Es muss dabei durch eine geeignete Modellierung eine realistische Aussage über das Gesamtsystem<br />
gemacht werden können.<br />
Es sollen Schiffe mit den folgenden Merkmalen simuliert werden können:<br />
• Ein- <strong>und</strong> Zweischrauber sowie Doppelendfähren,<br />
• Vier- <strong>und</strong> Zweitaktdieselmotoren in dieselmechanischer oder dieselelektrischer Ausführung,<br />
• Schiffe mit Fest- <strong>und</strong> Verstellpropellern.<br />
Damit wird ein Großteil der zurzeit gefertigten Schiffstypen abgedeckt. Die Simulation soll in<br />
jeder Phase des Schiffsentwurfs mit minimalem Zeitaufwand durchführbar sein. Es soll möglich<br />
sein, auch in einem frühen Projektstadium, in dem nur wenige Details bekannt sind, aussagefähige<br />
Ergebnisse zu erzielen. Dabei soll sowohl die Hydrodynamik <strong>von</strong> Rumpf, Propeller<br />
<strong>und</strong> Ruder berücksichtigt werden, als auch das Verhalten der Maschinenanlage <strong>und</strong> der dazugehörigen<br />
Automation. Die Maschinenanlage muss deshalb so modelliert werden, dass das<br />
Modell mit wenigen bekannten Daten (z.B. Maschinenleistung, Drehzahl) lauffähig ist <strong>und</strong> die<br />
Maschinenanlage trotzdem realistisch abbildet. Es ist also ein ausreichend realistisches, aber<br />
möglichst generisches Modell der Automation zu implementieren.<br />
Die Automation muss alle denkbaren Zustände, die während des Manövrierens auftreten können,<br />
abdecken. Das sind sowohl Überlast- als auch Überdrehzahlsituationen, wie sie bei Drehkreis-,<br />
Beschleunigungs- <strong>und</strong> Notstoppmanövern auftreten können. Die Ergebnisse der Gesamtsystemsimulation<br />
müssen dazu geeignet sein, sowohl Designalternativen zu vergleichen als auch genaue<br />
Prognosen für die Großausführung machen zu können.<br />
Zusätzlich muss es möglich sein, Manövriersimulationen für neue Anlagenkonfigurationen durchführen<br />
zu können. Diese müssen leicht integrierbar sein. Dafür ist ein modularer <strong>und</strong> flexibler<br />
Aufbau der Modelle unerlässlich.<br />
Für die Simulation <strong>von</strong> Notstoppmanövern ist ein geeignetes Propellersogmodell zu entwickeln.<br />
Anschließend wird die Funktionsfähigkeit demonstriert, indem Simulationsergebnisse mit Großausführungsmessungen<br />
gebauter Schiffe, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen,<br />
verglichen werden.<br />
13
4 Gr<strong>und</strong>lagen der Manövriersimulation<br />
Zur Simulation <strong>von</strong> Schiffsmanövern gibt es prinzipiell zwei unterschiedliche Gr<strong>und</strong>modelle.<br />
Häufig werden Koeffizientenmodelle verwendet. Hierzu werden die Bewegungsgleichungen<br />
mit Hilfe der sogenannten Manövrierkoeffizienten formuliert. Die Koeffizienten werden dann in<br />
Manövrierversuchen im Modellmaßstab oder aber durch Auswertung <strong>von</strong> Großausführungsmessungen<br />
gebauter Schiffe bestimmt, wobei es auch Bestrebungen gibt, die Koeffizienten numerisch<br />
zu bestimmen (z.B. [34], [41]). Die Übertragung <strong>von</strong> Modellmessungen auf die Großausführung<br />
ist wegen des Maßstabseinflusses problematisch. Hinzu kommt, dass die Modellversuche<br />
häufig nur für einen einzigen Tiefgang durchgeführt werden <strong>und</strong> eine Übertragung auf<br />
andere Tiefgänge schwierig ist.<br />
Abbildung 4.1: Aufbau des Manövriermodells<br />
14
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
In dieser Arbeit wird ein Verfahren verwendet, welches die Bewegungsgleichungen löst, indem<br />
die einzelnen auf ein manövrierendes Schiff einwirkenden Kräfte direkt berechnet werden.<br />
Dieses sogenannte Kraftmodell nach Söding [50] <strong>und</strong> Krüger [28] ist dabei in zweierlei Hinsicht<br />
modular aufgebaut (siehe auch Abbildung 4.1). Zum einen ist es möglich, einzelne Kraftbausteine<br />
ab- bzw. zuzuschalten <strong>und</strong> zum anderen können die Bausteine ausgehend <strong>von</strong> einem<br />
ersten groben Detaillierungsgrad stetig verfeinert werden. Da ein Simulationsmodell für den<br />
Einsatz im Schiffsentwurf implementiert werden soll, ist diese Herangehensweise sinnvoller. So<br />
können die im Entwurfsprozess immer genauer werdenden Informationen über das Schiff sofort<br />
für eine präzisere Prognose des Manövrierverhaltens verwendet werden.<br />
Die folgenden Bewegungsgleichungen mit den Kräften <strong>und</strong> Momenten X,Y,N müssen gelöst<br />
werden. Die Rollbewegung ist quasistatisch <strong>und</strong> deshalb <strong>von</strong> den Bewegungsgleichungen entkoppelt:<br />
(<br />
X Rumpf + X Ruder + X P ropeller + X aero + ... = m<br />
˙u S − v S ˙ψ − x G ˙ψ 2)<br />
(<br />
)<br />
˙v S + u S ˙ψ + x G ¨ψ<br />
Y Rumpf + Y Ruder + Y P ropeller + Y aero + ... = m<br />
(<br />
N Rumpf + N Ruder + N P ropeller + N aero + ... = I Z ¨ψ + mxG ˙v S + u S ˙ψ<br />
(4.1)<br />
Das kartesische, schiffsfeste Koordinatensystem hat den Ursprung am Hauptspant in der Mittschiffsebene<br />
bei KG. x zeigt in Schiffslängsrichtung nach vorne, y nach Steuerbord <strong>und</strong> z nach<br />
unten (siehe auch Abb. 4.2). Das Koordinatensystem folgt der Krängung des Schiffes nicht. Die<br />
Masse des Schiffes ist m <strong>und</strong> I z das Trägheitsmoment um die z-Achse, jeweils ohne hydrodynamische<br />
Anteile. Ableitungen nach der Zeit sind mit dem Symbol ˙ dargestellt.<br />
Zunächst werden die Kraftkomponenten X ... ,Y ... <strong>und</strong> N ... ermittelt. Damit können dann die Be-<br />
)<br />
Abbildung 4.2: Koordinatensystem<br />
schleunigungen berechnet werden <strong>und</strong> aus ihnen durch Integration die Geschwindigkeiten <strong>und</strong><br />
letztlich die Position des Schiffes in erdfesten Koordinaten. Als Integrationsverfahren wird ein<br />
15
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Euler-Einschrittverfahren verwendet. Prinzipiell sind durch die modulare Methodengestaltung<br />
auch Mehrschrittverfahren verwendbar. Da die Simulation aber in keiner Weise zeitkritisch ist,<br />
100 Sek<strong>und</strong>e Echtzeit benötigen 1 Sek<strong>und</strong>e Rechenzeit, wird darauf zunächst verzichtet.<br />
Einige der in Abbildung 4.1 erwähnten Kraftbausteine werden im Folgenden erklärt. Es handelt<br />
sich um die Modelle, welche für die Berechnung <strong>von</strong> Extremmanövern besonders wichtig<br />
sind <strong>und</strong> welche bislang für diese Zwecke nur unzureichend modelliert sind. Im Wesentlichen<br />
sind das die Modelle für die Beschreibung des Propellers (Kapitel 4.1.4) <strong>und</strong> der Propeller-<br />
Rumpf-Interaktion (Sog: Kapitel 4.1.6). Der Schwerpunkt wird auf die Modellierung <strong>von</strong> Off-<br />
Designbetriebszuständen gelegt, wie sie bei allen Manövern, insbesondere <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> mit<br />
Verstellpropellern, auftreten. Die adäquate Modellierung <strong>von</strong> Propeller <strong>und</strong> Sog ist bei den<br />
erwähnten Extremmanövern <strong>von</strong> entscheidender Bedeutung.<br />
Des Weiteren wird das Modell für die Maschinenanlage (Kapitel 5) ausführlich beschrieben,<br />
welches in der Grafik unter dem Stichwort Simulation zu finden ist.<br />
Im Baustein Simulation findet die Sollwertvorgabe für den nächsten Simulationszeitschritt<br />
statt. Vor der Modellerstellung für die Maschinenanlage erfolgte dies auf der Basis <strong>von</strong> Großausführungsmessdaten.<br />
Jetzt wird hier der dem gewählten Manöver entsprechende Sollwert für<br />
die Ruderlage, die Motordrehzahl <strong>und</strong> die Propellersteigung mit dem in dieser Arbeit entwickelten<br />
Modell ermittelt. Anschließend wird festgestellt, ob das gewählte Manöver (z.B. Notstoppmanöver)<br />
erfolgreich beendet wurde. Beispielsweise ist ein Notstoppmanöver dann beendet,<br />
wenn die Vorausgeschwindigkeit Null ist.<br />
4.1 Hydromechanik<br />
4.1.1 Rumpfkräfte<br />
Der Hauptanteil der hydromechanischen Kräfte wird nach der Theorie schlanker Körper ermittelt.<br />
Die Theorie besagt, dass bei einem schrägangeströmten Schiff durch die Querbeschleunigung<br />
des mitgenommenen Wassers eine horizontale quergerichtete Streckenlast entsteht, die<br />
insgesamt zu einer Querkraft <strong>und</strong> einem Giermoment führt. Diese Streckenlast ist die substanzielle<br />
zeitliche Ableitung des hydrodynamischen Querimpulses, der sich wiederum aus der<br />
hydrodynamischen Masse des Spantes pro Länge multipliziert mit der Quergeschwindigkeit ergibt.<br />
[50]<br />
Die <strong>von</strong> den Bewegungsgleichungen Gl. 4.1 entkoppelte Rollbewegung des Schiffes, wird quasistatisch<br />
betrachtet <strong>und</strong> mit Hilfe der Hebelarmkurve berechnet.<br />
16
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Die Rumpfkräfte in idealer Flüssigkeit lauten dann:<br />
X 1 = −m x · ˙u S ,<br />
Y 1 = k 1<br />
∫<br />
L<br />
K 1 = −mgh + k 1<br />
∫<br />
N 1 = k 2<br />
∫<br />
L<br />
(<br />
− ∂ )<br />
∂t + u ∂ (<br />
S µ · k 1 v S + k 2 x<br />
∂x<br />
˙ψ<br />
)<br />
dx − m x u S ˙ψ,<br />
(<br />
x<br />
L<br />
(<br />
− ∂ ∂t + u ∂<br />
S<br />
∂x<br />
)<br />
µ ·<br />
− ∂ ∂t + u ∂<br />
S<br />
∂x<br />
) (<br />
z 1 µ k 1 v S + k 2 x ˙ψ<br />
)<br />
dx,<br />
(<br />
k 1 v S + k 2 x ˙ψ<br />
)<br />
dx + m x u S v S .<br />
(4.2)<br />
Mit den folgenden Größen:<br />
• m x = 2, 7ρ∇ 5 3 /L 2 : angenäherte hydrodynamische Masse für die Beschleunigung in x-<br />
Richtung,<br />
• ∫ L<br />
: Integration über die Schiffslänge <strong>von</strong> der Ablösung (Hinterschiff) bis zum Bug,<br />
• µ(x): hydrodynamische Masse pro Länge bei Horizontalbewegung des Querschnitts bei<br />
F n → 0,<br />
• z 1 (x): Höhenschwerpunkt der hydrodynamischen Masse µ,<br />
• k 1 = √ 1 − 0.245ɛ − 1, 68ɛ 2 : Korrektur für 3-dimensionale Strömung [31],<br />
• k 2 = √ 1 − 0.76ɛ − 4, 41ɛ 2 : Korrektur für 3-dimensionale Strömung [31],<br />
• ɛ = 2 · T iefgang,<br />
• h Aufrichthebel aus der Hebelarmkurve, T ist der Ort der Strömungsablösung.<br />
Danach werden Korrekturen für reale Strömungen vorgenommen:<br />
X 2 = R t + X vv v 2 S + X vrv S r + X rr r 2 mit r = ˙ψ,<br />
)<br />
∫<br />
Y 2 = R F<br />
(v S + x T ˙ψ /u S − 0, 5ρ<br />
K 2 = −Y 2 (KG − 0, 65d(x = 0)) ,<br />
∫<br />
N 2 = R F L 2 ˙ψ/(6u S ) − 0, 5ρ<br />
L<br />
L<br />
(<br />
v S + x ˙ψ<br />
)<br />
|v S + x ˙ψ|c D d dx,<br />
x(v S + x ˙ψ)|v S + x ˙ψ|c D ddx.<br />
(4.3)<br />
Mit den folgenden Größen:<br />
• R T , R F : Schiffswiderstand (aus dem Modellversuch) <strong>und</strong> Reibungswiderstand,<br />
17
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
• X vv , X vr , X rr : Koeffizienten für die Widerstandskorrektur (nach Modellversuchen oder<br />
Großausführungsmessungen abgeschätzt),<br />
• c D (x): Widerstandsbeiwert für die Umströmung der Spanten,<br />
• d(x): Spanttiefgang.<br />
Die hydrodynamischen Massen <strong>und</strong> Massenschwerpunkte werden mit Hilfe auf unsymmetrische<br />
Spantformen erweiterter Lewis Spanten ermittelt ([33] bzw. [50]). Dafür wird der jeweilige<br />
Schiffsquerschnitt durch die konforme Abbildung eines Einheitskreises modelliert. Dabei werden<br />
verschiedene Randbedingungen eingehalten (Breite in der Wasserlinie, Spantfläche, größter<br />
Tiefgang, Breitenkoordinate am tiefsten Punkt). Das resultierende System nichtlinearer Gleichungen<br />
wird mit einem Iterationsverfahren gelöst.<br />
Die Berechnung der auf das Schiff einwirkenden Windkräfte erfolgt mit einem Verfahren nach<br />
Blendermann (siehe z.B.[9, S.236-246]).<br />
4.1.2 Propeller<br />
Die detaillierte hydromechanische Modellierung des Schiffspropellers ist ein wesentlicher Bestandteil<br />
der Gesamtsystemsimulation, da bei Schiffsmanövern alle denkbaren Betriebspunkte<br />
eines Propellers durchfahren werden können.<br />
Als Propellertypen kommen prinzipiell Fest- oder Verstellpropeller in Frage. Für die Berechnung<br />
der beiden Propellertypen existieren zahlreiche Verfahren (siehe auch Kapitel 2). In den folgenden<br />
Kapiteln wird auf die beiden Propellertypen <strong>und</strong> deren Besonderheiten bei der Modellbildung<br />
eingegangen. Zunächst wird ein Potenzialtheoretisches Verfahren zu Berechnung <strong>von</strong><br />
Propellerkräften, die sogennante Traglinientheorie vorgestellt. Die Traglinientheorie kommt<br />
insbesondere bei der Berechnung der Propeller-Rumpf-Interaktion (Kapitel 4.1.6) zum Einsatz,<br />
kann aber sowohl für die Analyse <strong>von</strong> Festpropellern im ersten Quadranten, als auch für die<br />
Berechnung <strong>von</strong> Kräften <strong>und</strong> Momenten <strong>von</strong> Verstellpropellern im Off-Designbereich eingesetzt<br />
werden.<br />
4.1.3 Traglinienmodell<br />
Sowohl der Propeller selbst als auch die durch den Propeller stromauf- <strong>und</strong> stromabwärts<br />
induzierten Geschwindigkeiten können mit Hilfe der Traglinientheorie analysiert werden. Die<br />
Propellerflügel werden mit tragenden Wirbeln modelliert, die in freie Wirbel übergehen, welche<br />
die gleiche Richtung haben wie der Vektor der Relativgeschwindigkeit im Propellerstrahl. Dabei<br />
werden die Vereinfachungen gemacht, dass die Strömung als Potenzialströmung modelliert wird<br />
<strong>und</strong> der Zustrom zum Propeller homogen ist, der Propeller also im freifahrenden Zustand<br />
betrachtet wird. Die Kavitation wird ebenfalls nicht berücksichtigt. Die Zirkulationsverteilung<br />
auf einem Propellerflügel wird nach [25] iterativ ermittelt:<br />
mit den Größen<br />
Γ(r) =<br />
[ωr tan δ 0 − U]<br />
2 1<br />
ć a l cos δ<br />
+ N<br />
0 4πrκ<br />
(tan δ 0 +<br />
k r ) (4.4)<br />
0<br />
18
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
• U: Anströmgeschwindigkeit in m/S,<br />
• ω: Drehgeschwindigkeit in rad/s,<br />
• δ 0 : Nullauftriebswinkel,<br />
• ć a : Gradient des Auftriebsbeiwertes,<br />
• l: Profiltiefe an der Stelle r in Metern <strong>und</strong><br />
• k 0 : Steigung der freien Wirbel.<br />
Die Steigung der freien Wirbel ist zunächst nicht bekannt, da die Axial- <strong>und</strong> Tangential<br />
(Umfangs-) geschwindigkeiten u <strong>und</strong> v wiederum <strong>von</strong> der Zirkulation abhängig sind:<br />
k 0 = r tan β i = r U + u<br />
ωr + v . (4.5)<br />
Als Startwert für die Iteration (i + 1) wird die Steigung verwendet, die sich ergibt, wenn man<br />
die induzierten Geschwindigkeiten der freien Wirbel gegenüber der Anströmgeschwindigkeit<br />
vernachlässigt:<br />
k (i)<br />
0<br />
= U r ωr . (4.6)<br />
Im nächsten Iterationsschritt i + 1 wird dann die Steigung folgendermaßen ermittelt:<br />
k (i+1)<br />
0 = r<br />
U + cot β(i) i<br />
1<br />
4πr NΓ(i+1) 1 κ<br />
ωr − 1<br />
4πr NΓ(i+1) 1<br />
κ<br />
. (4.7)<br />
Die Annahme, dass die freien Wirbel auf Schraubenflächen angeordnet sind, ist streng genommen<br />
nur für mäßig belastete Propeller gültig. Das Iterationsverfahren führt aber auch bei stark<br />
belasteten Propellern zu guten Ergebnissen.<br />
Schub <strong>und</strong> Moment des Propellers können mit den folgenden Integralen berechnet werden:<br />
mit<br />
T =<br />
∫R<br />
Wobei die Geschwindigkeiten u <strong>und</strong> v<br />
R h<br />
k x (r)dr, Q P =<br />
∫R<br />
R h<br />
k φ (r)rdr, (4.8)<br />
k x (r) = −ρ(ω · r + v)Γ, k φ (r) = −ρ(U + u)Γ. (4.9)<br />
u = r k 0<br />
N<br />
4π<br />
Γ(r)<br />
r<br />
1<br />
κ , v = N 4π<br />
Γ(r)<br />
r<br />
1<br />
κ<br />
(4.10)<br />
sind. Nach dem Biot-Savartschen Gesetz [25] ergeben sich die axialen (Gl. 4.11) <strong>und</strong> tangentialen<br />
(Gl. 4.12) durch den Propeller induzierten Geschwindigkeiten:<br />
1 ∑<br />
u(x, r) = N−1<br />
4π n=0<br />
·<br />
∞∫<br />
ψ=0<br />
R∫ dΓ(s)<br />
ds<br />
s=R h<br />
(r cos(θ−θ 0 − 2πn<br />
N −ψ)−s)sdψds<br />
[(−x−x p−k 0 ψ) 2 +r 2 +s 2 −2rs cos(θ−θ 0 − 2πn<br />
N −ψ)] 3 2<br />
,<br />
(4.11)<br />
19
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
bzw.<br />
mit den Größen<br />
1 ∑<br />
v(x, r) = N−1<br />
4π n=0<br />
·<br />
∞∫<br />
ψ=0<br />
R∫ dΓ(s)<br />
ds<br />
s=R h<br />
(s cos(θ−θ 0 − 2πn<br />
N<br />
−ψ)−r−sψ sin(θ−θ 0− 2πn<br />
N<br />
−ψ))k 0dψds<br />
[(−x−x p−k 0 ψ) 2 +r 2 +s 2 −2rs cos(θ−θ 0 − 2πn<br />
N −ψ)] 3 2<br />
.<br />
(4.12)<br />
• x P , y P , z P für die Koordinaten des Propellers in Metern,<br />
• N die Anzahl der Propellerflügel,<br />
• R h für den Nabenradius in Metern,<br />
• R für den Propellerradius in Metern,<br />
• k 0 ist die hydrodynamische Steigung der freien Wirbel,<br />
• s einer Integrationsvariable,<br />
• ψ einer Integrationsvariable für die Wirbelpunkte <strong>und</strong><br />
• θ 0 ist die Ausgangslage des Propellerflügels.<br />
Bezogen auf das schiffsfeste Koordinatensystem sind die Gleichungen 4.11-4.12 zeitabhängig.<br />
Bei der Berechnung <strong>von</strong> Sog- <strong>und</strong> Propellerkräften ist allerdings der umfangsgemittelte Wert<br />
<strong>von</strong> Interesse. Deshalb werden die umfangsgemittelten Geschwindigkeiten verwendet, also für<br />
• θ 0 = 0,<br />
• θ = −x−xp<br />
k 0<br />
.<br />
Mit Hilfe des Goldsteinfaktors κ werden diese Werte anschließend über dem Umfang gemittelt.<br />
Numerische Lösungen für den Goldsteinfaktor [25] sind in [32] oder [37] angegeben.<br />
In der Propellerebene, an der Stelle s = R <strong>und</strong> wenn cos(θ − θ 0 − 2πn<br />
N<br />
− ψ) = 1, werden die<br />
Integrale in Gl. 4.11 <strong>und</strong> Gl. 4.12 singulär. Genaue Untersuchungen der Singularitäten sind bei<br />
[4] zu finden. Stromabwärts sind die Singularitäten außerhalb der Propellerebene doppelt so<br />
groß. Außerhalb der Singularitäten können die Gleichungen 4.11 <strong>und</strong> 4.12 numerisch integriert<br />
werden.<br />
In den Abbildungen 4.3 <strong>und</strong> 4.4 sind Ergebnisse für die Berechnung <strong>von</strong> stromaufwärts induzierten<br />
Geschwindigkeiten für einen Beispielpropeller mit dem Steigungsverhältnis P/D = 1, 16,<br />
der Flügelzahl N = 4 <strong>und</strong> dem Schubbelastungsgrad c T H = 0, 816 zu sehen, die im Rahmen<br />
dieser Arbeit ermittelt wurden. Auf der Abszisse ist der dimensionslose radiale Abstand <strong>von</strong><br />
der Propellernabe angegeben. Die Geschwindigkeiten beziehen sich auf die Geschwindigkeit an<br />
der Stelle 0, 7 · R in der Propellerebene. Die einzelnen Kurven stehen für verschiedene dimensionslose<br />
axiale Abstände (bezogen auf den Propellerdurchmesser) zur Propellerebene.<br />
20
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.3: Propellerinduzierte Axialgeschwindigkeiten, stromaufwärts<br />
Abbildung 4.4: Propellerinduzierte Tangentialgeschwindigkeiten, stromaufwärts<br />
21
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.5: CPP mit Designsteigung, reduzierter Steigung (um 0 %) <strong>und</strong> voller<br />
Rückwärtssteigung<br />
Für das Propellerstrahlmodell wird der Vorschlag aus [9, S.84] aufgegriffen. Es wird bei<br />
Verstellpropellern zwischen 3 quasistationären Zuständen <strong>und</strong> 3 Strahlbereichen unterschieden:<br />
Zustand I (Abb. 4.5) zeigt dabei den Fall Vorausfahrt <strong>und</strong> Vorausschub bei einer Propellersteigung<br />
in der Nähe des Auslegungspunktes. Es existieren die beiden Bereiche A <strong>und</strong> B. Bereich<br />
A ist der vom Propeller stromabwärts beeinflusste Bereich, der z.B. bei der Berechnung der<br />
Ruderkräfte maßgeblich ist. Bereich B ist der Bereich in dem stromaufwärts durch den Propeller<br />
induzierte Geschwindigkeiten feststellbar sind.<br />
Zustand II zeigt den voll umgesteuerten Propeller bei reduzierter Vorausgeschwindigkeit. Der<br />
Propeller arbeitet hier als Bremse. Der Bereich hinter dem Propeller wird hier vernachlässigt.<br />
In der Grafik für Zustand III ist der Fall gezeigt, bei dem der Propeller z.B. während eines<br />
Stoppmanövers mit stark reduzierter Steigung operiert.<br />
Für die einzelnen Bereiche werden die folgenden Modelle für die Berechnung der Strahlgeometrie<br />
<strong>und</strong> Geschwindigkeitsveränderungen verwendet:<br />
Bereich A:<br />
Zunächst wird die Strahlkontraktion an der Stelle x hinter dem Propeller ermittelt. Die Axialgeschwindigkeit<br />
weit hinter dem Propeller beträgt:<br />
U ∞ = U a · √1 + c T H , (4.13)<br />
mit der Propelleranströmgeschwindigkeit U a <strong>und</strong> dem Schubbelastungsgrad c T H . Dann ergibt<br />
sich ein Strahlradius weit hinter dem Propeller <strong>von</strong>:<br />
√<br />
(<br />
1<br />
r ∞ = R · 1 + U )<br />
a<br />
. (4.14)<br />
2 U ∞<br />
22
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Der Ansatz für die Kontraktion des Strahles lautet dann:<br />
r(x) = 0, 14 ( )<br />
r ∞R 3 (<br />
+ r∞ x<br />
) 1,5<br />
R R<br />
0, 14 ( )<br />
r ∞R 3<br />
+ ( )<br />
x 1,5<br />
(4.15)<br />
R<br />
Nachdem die durch den Propeller induzierte Axial- <strong>und</strong> Tangentialgeschwindigkeit u P <strong>und</strong> v P<br />
mittels Traglinienmodell ermittelt wurde, kann die turbulente Strahlaufweitung angegeben<br />
werden:<br />
∆r = 0, 15x P<br />
u P − U a<br />
v P + U a<br />
(4.16)<br />
Wenn jetzt die Kontinuitätsgleichung angewandt wird, so ergibt sich eine Korrektur für die<br />
axiale <strong>und</strong> tangentiale Geschwindigkeitskomponente:<br />
(<br />
u = (u P − U a ) · r(xP )<br />
v = v P ·<br />
) 2<br />
r(x P )+∆r + Ua<br />
( ) r(xP ) 2 (4.17)<br />
r(x P )+∆r<br />
Bereich B:<br />
In diesem Bereich ist kein Propellerstrahl vorhanden. Die durch den Propeller induzierten<br />
Geschwindigkeiten werden ohne Korrektur verwendet.<br />
Bereich C:<br />
Im Bereich vor dem Propeller wird ausschließlich die turbulente Strahlaufweitung berücksichtigt<br />
(Gl. 4.16) <strong>und</strong> die Kontraktion vernachlässigt. Bei rückwärtsfahrendem Schiff gelten die oben<br />
genannten Modelle analog.<br />
4.1.4 Verstellpropeller (Controllable Pitch Propeller)<br />
Falls vorhanden, werden in der Manövriersimulation die gemessenen Schübe <strong>und</strong> Momente des<br />
betrachteten Propellers verwendet. Für gewöhnlich liegen aber bei Verstellpropellern nur Werte<br />
für die Designsteigung vor. Für Simulationen im Bereich der Designvorausgeschwindigkeit<br />
sind diese Messungen ausreichend. Bei Notstopp- oder Beschleunigungsmanövern wird aber ein<br />
Modell für verstellte Flügel u.a. mit Rückwärtssteigung benötigt.<br />
Eyberg [14, S.55 ff.] verwendet für die Berechnung der Momente <strong>und</strong> Schübe am Verstellpropeller<br />
die Diagramme der Festpropeller der Wageninger B-Serie. Verstellpropeller mit stark<br />
verstellten Flügeln haben allerdings ein stark unterschiedliches Verhalten als Festpropeller mit<br />
analoger Steigung <strong>und</strong> somit kann dieses Verfahren als nicht ausreichend genau betrachtet werden.<br />
Eine Serie mit gemessenen Schub- <strong>und</strong> Momentenbeiwerten für Verstellpropeller wurde <strong>von</strong> der<br />
Versuchsanstalt für Wasserbau <strong>und</strong> Schiffbau in Berlin durchgeführt [39]. Zusätzlich liegen noch<br />
Kurvenscharen für 6 bis 10 verschiedene Steigungswinkel für 4 unterschiedliche Propeller vor,<br />
unter anderem für den Propeller <strong>von</strong> Beispielschiff 2. Diese wurden numerisch ermittelt. Dabei<br />
wird für die Zustände Schub in Bewegungsrichtung mit Aufnahme <strong>von</strong> Drehmoment <strong>und</strong> Schub<br />
entgegen der Bewegungsrichtung mit antriebslosem Propeller ein wirbeltheoretisches Verfahren<br />
eingesetzt. Für den Fall, dass der Propeller einen Gegenschub unter Aufnahme <strong>von</strong> Antriebsleistung<br />
erzeugt, wird ein impulstheoretisches Blattschnittverfahren <strong>von</strong> Wagner [57] aufbauend<br />
auf Glauert [18] verwendet, in dem die Rezirkulationseffekte durch empirische, experimentell<br />
gestützte Korrekturen berücksichtigt werden (Abb. 4.6). Für den Propeller der in den Beispielen<br />
23
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.6: Freifahrtdiagramm für einen 4-Flügel-Verstellpropeller für verschiedene Steigungen;<br />
P/D Design = 0, 924 [57]<br />
24
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
erwähnten Doppelendfähre wurden umfangreiche Versuche für einen weiten Bereich an Verstellwinkeln<br />
in der HSVA (Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH) durchgeführt (90 ◦ bis<br />
−30 ◦ ), da das Verhalten des vorderen Propellers bei verschiedenen Manövern untersucht werden<br />
sollte <strong>und</strong> für derart große Steigungswinkel keinerlei Messwerte vergleichbarer Propeller<br />
vorlagen. Für die Simulation des Bugpropellers wurden im Versuch Schub- <strong>und</strong> Drehmomentbeiwerte<br />
bei rückwärts angeströmtem Propeller für verschiedene Verstellwinkel mit Vorwärts<strong>und</strong><br />
Rückwärtsdrehzahl ermittelt, da zu erwarten ist, dass diese Betriebszustände bei Stoppmanövern<br />
auftreten. Die Ergebnisse dieser Versuche wurden für die Manövriersimulation der<br />
Doppelendfähre verwendet.<br />
4.1.5 Festpropeller (Fixed Pitch Propeller)<br />
Für die Simulation <strong>von</strong> Festpropellern wird in den nicht bekannten Quadranten auf die Wageninger<br />
B-Serie zurückgegriffen, wobei Anpassungen an den verwendeten Propeller vorgenommen<br />
werden. Für einen Beispielpropeller aus der Serie ist der Verlauf (Abb. 4.7) der Schub- <strong>und</strong><br />
Momentenbeiwerte über dem Fortschrittswinkel aufgetragen [56].<br />
Abbildung 4.7: Freifahrtdiagramm für einen 4-Flügel-Festpropeller für 4 Quadranten<br />
4.1.6 Propeller-Rumpf-Interaktion<br />
Üblicherweise wird die Kraft, die der Propeller auf den Schiffsrumpf ausübt (Sog) im Propulsionsversuch<br />
ermittelt. Daher ist sie auch nur für die Designgeschwindigkeit <strong>und</strong> die dazugehörige<br />
Drehzahl bekannt. Bei Verstellpropellern liegt dann die Designsteigung an. Wenn<br />
25
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Schiffsmanöver wie Drehkreis- oder Zickzack-Manöver simuliert werden sollen, welche alle im<br />
Bereich der analysierten Schiffsgeschwindigkeit stattfinden, so ist es sicher ausreichend, den Sog<br />
mit Hilfe dieses Kennwertes zu ermitteln. Bei der Simulation <strong>von</strong> Manövern mit Verstellpropellern<br />
mit Off-Designsteigung, insbesondere bei Umsteuermanövern (z.B. Notstoppmanövern) ist<br />
dies, wie in einer späteren Beispielrechnung (Abb. 4.13) gezeigt, nicht mehr zulässig. Eigene Berechnungen<br />
<strong>und</strong> die <strong>von</strong> Sell [48] zeigen, dass mit einem unzureichenden Sogmodell viel zu kurze<br />
Anhaltewege <strong>und</strong> -zeiten prognostiziert werden. Für diese Zwecke ist ein 4-Quadrantenmodell<br />
notwendig. Bei Notstoppmanövern bedeutet das, dass die Kraft modelliert werden muss, die<br />
ein Propeller ausübt, dessen Strahl nach vorn gerichtet ist.<br />
In der Literatur findet man hierzu Versuchsergebnisse [21], bei denen die Sogkraft für alle 4 Quadranten<br />
ermittelt wurde. Da diese Versuche einen hohen Aufwand erfordern, liegt der Gedanke<br />
nahe, die Sogkräfte numerisch zu ermitteln. In [27] <strong>und</strong> [29] sind Potenzialströmungsrechnungen<br />
mit vielversprechenden Resultaten durchgeführt worden, allerdings nur für den Fall eines vorausfahrenden<br />
Schiffes mit einem nach hinten gerichteten Propellerstrahl. Die Sogkräfte können<br />
auch mit Hilfe <strong>von</strong> CFD-Verfahren unter Berücksichtigung der Viskosität [1] ermittelt werden.<br />
Dieses Verfahren ist durch die aufwändige Diskretisierung (Propeller <strong>und</strong> Rumpf müssen vernetzt<br />
werden) <strong>und</strong> die lange Rechenzeit sehr kostspielig.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem die Sogkraft im 1. Quadranten<br />
<strong>und</strong> für den umgesteuerten Propeller (Rückwärtsschub) unter Pfahlzugbedingungen berechnet<br />
werden kann. Berechnungen unter Schräganströmung sind genauso wie die Berücksichtigung<br />
<strong>von</strong> Verstellpropellern mit Off-Designsteigung ebenfalls möglich.<br />
Das Verfahren basiert auf einem direkten Potenzialströmungsverfahren, welches <strong>von</strong> Söding<br />
[51],[52] zur Berechnung <strong>von</strong> Ruderkräften entwickelt wurde (siehe auch Kapitel 4.1.7). Darüber<br />
hinaus wird der Propeller mit Hilfe eines Traglinienmodells berücksichtigt. Mit dem Traglinienmodell<br />
unter Berücksichtigung eines Strahlmodells können die induzierten Geschwindigkeiten<br />
vor <strong>und</strong> hinter dem Propeller ermittelt werden.<br />
Die Methode verwendet eine direkte Paneelmethode zur Berechnung <strong>von</strong> Potenzialströmungen.<br />
Gr<strong>und</strong>lage ist hierbei der 2. Greensche Satz (Gl. 4.18)<br />
∫<br />
∫<br />
[f∆g − g∆f]dΩ = [f∇g − g∇f]⃗ndS, (4.18)<br />
mit den Größen:<br />
• Ω : Flüssigkeitsgebiet außerhalb des Körpers,<br />
• S : Rand des Flüssigkeitsgebietes,<br />
• f(⃗x) = φ(⃗x) : das gesuchte Störpotenzial,<br />
• g(⃗x) : Greenfunktion.<br />
Ω<br />
Als Greenfunktion g(⃗x) wird das Potenzial einer Senke der Stärke 4π am Punkt ⃗x 0 eingesetzt:<br />
G(⃗x, ⃗x 0 ) =<br />
S<br />
1<br />
|⃗x − ⃗x 0 | . (4.19)<br />
Nach Einsetzen <strong>von</strong> Gl. 4.19 in Gl. 4.18 ergibt sich:<br />
∫<br />
∫<br />
[φ(⃗x)∆ x G(⃗x, ⃗x 0 ) − G(⃗x, ⃗x 0 )∆ x f]dΩ = [φ(⃗x)∇ x G(⃗x, ⃗x 0 ) − G(⃗x, ⃗x 0 )∇ x φ(⃗x)]⃗ndS. (4.20)<br />
Ω<br />
S<br />
26
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Der Index x soll verdeutlichen, dass es sich um Ableitungen nach ⃗x <strong>und</strong> nicht nach ⃗x 0 handelt.<br />
Aus Vereinfachungsgründen werden die Singularitätspunkte ⃗x 0 im Körperinnern angeordnet.<br />
Dann gilt in Ω, ∆G = 0 <strong>und</strong> ∆φ = 0 für inkompressible Strömungen <strong>und</strong> mit Gl. 4.20 gilt<br />
dann:<br />
∫<br />
[φ(⃗x)∇ x G(⃗x, ⃗x 0 ) − G(⃗x, ⃗x 0 )∇ x φ(⃗x)]⃗ndS = 0. (4.21)<br />
S<br />
Die Randbedingung für Nulldurchfluss durch die Körperfläche lautet:<br />
∇φ(⃗x)⃗n = − ⃗ U · ⃗n. (4.22)<br />
U ist dabei die Schiffsgeschwindigkeit inklusive der vom Propeller induzierten Geschwindigkeit.<br />
Die durch den Propeller induzierten Geschwindigkeiten werden nach der Traglinientheorie<br />
bestimmt (Kapitel 4.1.3). Dabei wird das Verhalten des Propellerstrahls (Kontraktion bzw.<br />
turbulente Strahlaufweitung) ebenfalls berücksichtigt. Dann gilt [29]:<br />
Jetzt setzt man die Randbedingung 4.22 in Gl. 4.21 ein:.<br />
∫<br />
S<br />
∇φ P = (u 1 , u 2 , u 3 ). (4.23)<br />
∂<br />
φ(⃗x)<br />
∂n|⃗x − ⃗x 0 |<br />
∫S<br />
dS = −U ⃗ · ⃗n<br />
|⃗x − ⃗x 0 | . (4.24)<br />
Die Fläche S beinhaltet auch die Außenränder <strong>von</strong> Ω. Da aber φ <strong>und</strong> ∇φ nach außen stark abnehmen,<br />
verschwinden die Integrale über den Außenrand. Reibung <strong>und</strong> Turbulenz im Nachlauf<br />
des umströmten Körpers müssen approximiert werden, falls bei Potenzialströmungen die Auftriebswirkung<br />
berücksichtigt werden soll. Bei auftriebserzeugenden Strömungen existieren im<br />
Nachlauf große Geschwindigkeitsgradienten. Die Rotation des Geschwindigkeitsfeldes ist dort<br />
nicht Null, weshalb dort kein Strömungspotenzial angegeben werden kann. Die Unstetigkeit<br />
<strong>von</strong> φ im Nachlauf wird berücksichtigt, indem der Nachlaufbereich aus Ω ausgeschlossen wird.<br />
Zusätzlich zur Körperoberfläche wird Ω dann auch durch die zwei Seitenflächen des Nachlaufs<br />
begrenzt. Die Nachlaufflächen werden nicht durchströmt. Da der Nachlauf als dünn angesehen<br />
wird, muss der Druck an benachbarten Punkten auf beiden Nachlaufflächen annähernd<br />
gleich sein. In Richtung der Stromlinie ergibt sich dadurch ein sehr kleiner Gradient des Potenzialfeldes.<br />
An der Nahtstelle zwischen Körper <strong>und</strong> Nachlauf existiert eine Potenzialdifferenz<br />
zwischen zwei korrespondierenden Punkten, welche in der mittleren Strömungsrichtung nahezu<br />
unverändert bleibt. Die Lösung der Integralgleichung Gl. 4.24 kann aus diesem Gr<strong>und</strong> auf<br />
die Körperoberfläche beschränkt bleiben, wenn die zwei Nachlaufflächen in die Integrale eingehen.<br />
Die Nachlaufpaneele werden bei <strong>Schiffen</strong> auf der Symmetrieachse angeordnet. Durch<br />
Gl. 4.24 wird gewährleistet, dass die Laplacegleichung, die Körperrandbedingung <strong>und</strong> die Abklingbedingung<br />
erfüllt sind. Zusätzlich muss noch die Kutta-Bedingung an der Ablösestelle<br />
(z.B. Hinterkante des Ruders oder Hinterkante Totholz) erfüllt sein, d.h. die Ablöselinie wird<br />
nicht umströmt. Das wird an dieser Stelle dadurch gewährleistet, dass der Druck an den beiden<br />
(gegebenenfalls identischen) Ablöselinien an den korrespondierenden Punkten gleich sein<br />
muss. Die Integrale aus Gl. 4.24 werden numerisch gelöst, indem Körper <strong>und</strong> Nachlauf durch<br />
Dreieckspaneele diskretisiert werden. Die Nachlaufpaneele sind dabei etwa 10 · L pp lang:<br />
∑<br />
AlleDreiecke<br />
∫<br />
1<br />
3 (φ 1 + φ 2 + φ 3 )<br />
S ∆<br />
∂ 1<br />
∂n |⃗x − ⃗x 0 | dS =<br />
∑<br />
AlleDreiecke<br />
∫<br />
−U ⃗ 1<br />
· ⃗n<br />
dS. (4.25)<br />
S ∆<br />
|⃗x − ⃗x 0 |<br />
27
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Die Integrale werden analytisch bestimmt. Dann erhält man ein lineares Gleichungssystem für<br />
die Potenziale an den Eckpunkten der Dreiecke. Die Punkte ⃗x 0 werden im Körperinnern etwa in<br />
der Mitte der Paneele angeordnet. Zur numerischen Approximation der Kutta-Bedingung, d.h.<br />
der Druck auf korrespondierenden Punkten der zwei Ablöselinien muss gleich sein, werden im<br />
Gleichungssystem die Gleichungen der inneren Punkte der Ablöselinie (die Endpunkte werden<br />
berücksichtigt) nicht berücksichtigt. Diese Gleichungen wären linear abhängig. Für die Umsetzung<br />
der Kutta-Bedingung ist es zunächst notwendig, den Druck nach der Bernoulli-Gleichung<br />
aus dem Gradienten des Potenzials ∇φ zu bestimmen. Von den Mitten der beiden Dreiecke a<br />
<strong>und</strong> b wird mit Hilfe der Abstände p <strong>und</strong> q zum Punkt A auf der Ablösekante das Potenzial<br />
∇φ extrapoliert (siehe Abb.4.8). Damit gilt dann:<br />
∇φ A = (1 + p q )∇φ a − p q ∇φ b. (4.26)<br />
Die Potenziale der Dreiecksmitten ∇φ a <strong>und</strong> ∇φ b ergeben sich dann als Linearkombination der<br />
Abbildung 4.8: Extrapolation für die Kutta-Bedingung<br />
Potenziale an den Dreiecksecken φ + ⃗ U⃗x:<br />
∇φ a + U ⃗ = ⃗a 1 (φ a1 + U⃗x ⃗ a1 ) +⃗a 2 (φ a2 + U⃗x ⃗ a2 ) +⃗a 3 (φ a3 + U⃗x ⃗ a3 ),<br />
∇φ b + U ⃗ = ⃗ b 1 (φ b1 + U⃗x ⃗ b1 ) + ⃗ b 2 (φ b2 + U⃗x ⃗ b2 ) + ⃗ b 3 (φ b3 + U⃗x ⃗ b3 ).<br />
(4.27)<br />
Details zur Berechnung der Vektoren ⃗a i bzw. ⃗ b i können der Arbeit <strong>von</strong> Söding [51] entnommen<br />
werden. Die Kutta-Bedingung lautet:<br />
( ⃗ U + ∇φ A ) 2 D = ( ⃗ U + ∇φ A ) 2 S, (4.28)<br />
wobei die Indizes D <strong>und</strong> S für die Druck- bzw. Saugseite stehen. Daraus ergibt sich:<br />
⃗U∇(φ A,D ) + 1 2 (∇φ A,D) 2 = ⃗ U∇(φ A,S ) + 1 2 (∇φ A,S) 2 (4.29)<br />
Setzt man jetzt Gleichung 4.26 <strong>und</strong> 4.27 in Gl. 4.29 ein so ergibt sich:<br />
[<br />
⃗U (1 + p q )(⃗a 1φ a1 + ⃗a 2 φ a2 + ⃗a 3 φ a3 ) − p q (⃗ b 1 φ b1 + ⃗ b 2 φ b2 + ⃗ ]<br />
b 3 φ b3 )<br />
[<br />
+<br />
[(1 + p q ) ( U⃗a ⃗ 1 )( U⃗x ⃗ a1 ) + ( U⃗a ⃗ 2 )( U⃗x ⃗ a2 ) + ( U⃗a ⃗ 3 )( U⃗x ⃗ ]<br />
a3 )<br />
[<br />
− p q<br />
( U ⃗⃗ b 1 )( U⃗x ⃗ b1 ) + ( U ⃗⃗ b 2 )( U⃗x ⃗ b2 ) + ( U ⃗⃗ b 3 )( U⃗x ⃗ ]]<br />
b3 )<br />
[<br />
D<br />
+ 1 2<br />
(1 + p q )(∇φ a) 2 − p q (∇φ b) 2] [<br />
=<br />
D<br />
⃗U (1 + p q )(⃗a 1φ a1 + ⃗a 2 φ a2 + ⃗a 3 φ a3 ) − p q (⃗ b 1 φ b1 + ⃗ b 2 φ b2 + ⃗ ]<br />
b 3 φ b3 )<br />
[<br />
+<br />
[(1 + p q ) ( U⃗a ⃗ 1 )( U⃗x ⃗ a1 ) + ( U⃗a ⃗ 2 )( U⃗x ⃗ a2 ) + ( U⃗a ⃗ 3 )( U⃗x ⃗ ]<br />
a3 )<br />
[<br />
− p q<br />
( U ⃗⃗ b 1 )( U⃗x ⃗ b1 ) + ( U ⃗⃗ b 2 )( U⃗x ⃗ b2 ) + ( U ⃗⃗ b 3 )( U⃗x ⃗ ]]<br />
b3 )<br />
[<br />
S<br />
+ 1 2<br />
(1 + p q )(∇φ a) 2 − p q (∇φ b) 2] S<br />
D<br />
S<br />
(4.30)<br />
28
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Die Lösung wird iterativ ermittelt. Dafür wird zunächst der lineare Teil gelöst <strong>und</strong> dann jeweils<br />
im nächsten Schritt in den quadratischen Teil der Gleichungen eingesetzt.<br />
Dann ergibt sich an einer Stelle ⃗x im Strömungsgebiet das Potenzial φ zu:<br />
φ(⃗x) = −U + ∑<br />
i=1..n<br />
φ i G i (⃗x). (4.31)<br />
Die Rumpfkraft ergibt sich dann aus der Integration über die Schiffsaußenhaut mit der Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
auf dem jeweiligen Paneel ⃗v:<br />
∫<br />
⃗f = ⃗n pda = ⃗n ρ ∫ (<br />
U 2 − ⃗v 2) da. (4.32)<br />
2<br />
Nachdem jetzt die Propellergeometrie bekannt ist <strong>und</strong> der Schiffsrumpf inklusive Nachlaufpaneelen<br />
diskretisiert ist, wird zunächst eine Rechnung ohne Berücksichtigung des Propellers<br />
durchgeführt. Ein Beispielgitter inklusive der Nachlaufpaneele für die Berechnung <strong>von</strong> Beispielschiff<br />
1 ist in Abbildung 4.9 zu sehen. Das Ergebnis für die Rumpfkräfte wird dann <strong>von</strong> den<br />
Ergebnissen inklusive Berücksichtigung des Propellers subtrahiert, um den numerischen Fehler<br />
zu minimieren.<br />
In Abbildung 4.10 ist die berechnete Druckverteilung für einen Einschrauber mit <strong>und</strong> ohne arbeitendem<br />
Propeller zu sehen. Das dargestellte Ergebnis wurde für eine Schiffsgeschwindigkeit<br />
<strong>von</strong> 22 Knoten <strong>und</strong> einer Propellerdrehzahl <strong>von</strong> 1, 9 1/s erzielt. Der Propeller erzeugt dabei<br />
einen Schub <strong>von</strong> 1300 kN <strong>und</strong> hat eine Drehmomentaufnahme <strong>von</strong> 1500 kNm. Die berechnete<br />
Sogkraft ist 62 kN. Im Vergleich zu der im Propulsionsversuch gemessenen Sogkraft (162 kN)<br />
fällt die berechnete viel zu niedrig aus. Allerdings ist die Sogkraft im Vergleich zum Schub bei<br />
diesem Schiff ohnehin relativ klein. Die Unterschiede können aber durch die Effekte an der<br />
freien Oberfläche <strong>und</strong> den Rudereinfluss begründet werden. Allein die freie Oberfläche kann<br />
nach Untersuchungen <strong>von</strong> [27] einen Soganteil <strong>von</strong> 30 % haben. Der Ruderanteil ist in etwa<br />
genauso groß [29]. Zusätzlich kommt es bei den gemessenen Sogkräften stark darauf an, ob im<br />
Widerstandsversuch das Ruder installiert war, oder ob <strong>und</strong> welche Propellerablaufhaube im<br />
Widerstandsversuch <strong>und</strong> Propulsionsversuch verwendet wurden. Weiterhin kann bei Propulsionsversuchen<br />
beobachtet werden, dass im Spalt zwischen Propellernabe <strong>und</strong> Wellenhose auf<br />
Gr<strong>und</strong> des dort vorhandenen Unterdruckgebietes eine Spaltkraft entsteht, die die gemessene<br />
Schubkraft überlagert. Insgesamt ist die Bestimmung der Sogkraft mit Modellversuchen schwierig,<br />
da die Kraft nur aus dem Vergleich <strong>von</strong> Widerstands- <strong>und</strong> Propulsionsversuch ermittelt<br />
werden kann.<br />
In Abb. 4.11 sind die berechneten Sogkräfte für dasselbe Schiff für verschiedene Steigungswinkel<br />
des Verstellpropellers <strong>und</strong> verschiedene Schiffsgeschwindigkeiten angegeben.<br />
Die mit Hilfe des Traglinienmodell ermittelten Schübe sind in Abbildung 4.12 zu sehen. Darin<br />
ist auch ein Vergleich der gemessenen <strong>und</strong> berechneten Schubkräfte für die Designsteigung (100<br />
%) enthalten. Das Propellermodell kann also als ausreichend genau für den betrachteten Zweck<br />
angesehen werden.<br />
29
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.9: Berechnungsgitter (Schiff 1) inklusive der Nachlaufpaneele (blau) mit angedeutetem<br />
Propeller (gelb)<br />
Abbildung 4.10: Berechnete Druckverteilung ohne (oben) <strong>und</strong> mit (unten) Propeller (Hinterschiff<br />
<strong>von</strong> unten)<br />
30
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.11: Berechnete Sogkräfte für einen Einschrauber<br />
Abbildung 4.12: Berechnete Schübe für den beim Einschrauber verwendeten Propeller<br />
Im nächsten Schritt sollen die Sogkräfte für umgesteuerte Propeller berechnet werden. Dazu<br />
wird die Sogkraft unter Pfahlzugbedingungen ermittelt. Der Propeller wird als umgedrehter<br />
Festpropeller mit Designsteigung modelliert. Zusätzlich wird der Propellerschub über der Drehzahl<br />
variiert. Es werden Rechnungen für einen Einschrauber <strong>und</strong> einen Zweischrauber gemacht.<br />
Die Resultate sind in Abbildung 4.13 zu sehen. Man kann klar erkennen, dass die Sogkräfte<br />
31
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
wesentlich zu klein werden, wenn man die aus dem Propulsionsversuch bei Entwurfsgeschwindigkeit<br />
ermittelte Sogziffer t verwendet. Die berechneten Sogkräfte sind erwartungsgemäß proportional<br />
zum Propellerschub. Die ermittelten Sog/Schub Kennwerte liegen für den Ein- <strong>und</strong><br />
Zweischrauber bei 30 % beziehungsweise 47 %. Der Rudereinfluss kann unter Pfahlzugbedingungen<br />
vernachlässigt werden. Die induzierten Geschwindigkeiten am Ruder sind verhältnismäßig<br />
klein, weil das Ruder im Ansaugbereich des Propellers liegt.<br />
Die Druckverteilung, welche sich beim Einschrauber bei einer Drehzahl <strong>von</strong> 23 1/min <strong>und</strong><br />
einem Schub <strong>von</strong> 126 kN ergibt, ist in Abb. 4.14 dargestellt. Für die Manövriersimulation ergibt<br />
sich die Konsequenz, dass das Sogmodell dahingehend modifiziert werden muss, dass für<br />
vorwärts- <strong>und</strong> rückwärtsgerichteten Propellerstrahl unterschiedliche Ansätze verwendet werden<br />
müssen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Verfahren implementiert, bei dem bei positivem<br />
Propellerschub die klassische Sogziffer aus dem Propulsionsversuch verwendet wird, um die<br />
Sogkraft zu bestimmen, wohingegen bei negativem Propellerschub die berechnete Sogziffer aus<br />
der Pfahlprobe verwendet wird. Hierzu ist nur eine einzige CFD-Rechnung notwendig, da der<br />
Sog proportional zur Schubkraft ist (Abb. 4.13).<br />
Abbildung 4.13: Berechnete Sogkräfte für Ein- (links) <strong>und</strong> Zweischrauber (rechts)<br />
4.1.7 Ruderkraftberechnung<br />
Für die Berechnung der Ruderkräfte wird im Vorfeld der Manövriersimulation das gleiche Verfahren<br />
wie für die Berechnung des Propellersoges verwendet. Als Beispiel sind die berechneten<br />
Ruderkräfte für einen Einschrauber für verschiedene Ruderwinkel <strong>und</strong> Schubbelastungsgrade<br />
in Abbildung 4.15 zu sehen. In der Manövriersimulation werden die Ruderkräfte <strong>und</strong> -momente<br />
durch Interpolation in diesen Kurven ermittelt.<br />
32
KAPITEL 4. GRUNDLAGEN DER MANÖVRIERSIMULATION<br />
Abbildung 4.14: Berechnete Druckverteilung unter Pfahlzugbedingungen (Hinterschiff <strong>von</strong> unten)<br />
Abbildung 4.15: Berechnete Ruderkräfte für einen Einschrauber<br />
33
5 Maschinenanlage <strong>und</strong> Automation<br />
Die Schiffsantriebsanlage lässt sich zunächst grob in zwei Teile gliedern (Abb. 5.1). Als erster<br />
Teil ist hier das Teilsystem Maschinenanlage an sich, das heißt, der Motor mit den dazugehörigen<br />
Komponenten wie der Drehzahl- <strong>und</strong> Einspritzregelung, dem Turbolader <strong>und</strong> den<br />
an die Maschine gekoppelten Generatoren zu nennen. Mit dem zweiten Teil ist das Teilsystem<br />
Propeller gemeint. Das kann einen Festpropeller oder Verstellpropeller beinhalten. Eine Verstellpropelleranlage<br />
lässt sich wiederum in die Teile Propeller <strong>und</strong> in die Regelungstechnik zur<br />
Verstellung des Steigungswinkels aufteilen. Die Komponenten Schiffsmaschine <strong>und</strong> Verstellpropelleranlage<br />
sind dabei nicht unabhängig <strong>von</strong>einander. Sie interagieren direkt über die Regelungstechnik<br />
(Austausch <strong>von</strong> Ist-Größen, wie z.B. der Drehzahl) <strong>und</strong> indirekt über die Reaktion,<br />
die der jeweilige Teil auf das System Schiff auslöst. Eine Übersicht über das implementierte<br />
Abbildung 5.1: Gliederung der Antriebsanlage<br />
Modell für die Automation <strong>von</strong> Maschinenanlage <strong>und</strong> Verstellpropeller ist in Abbildung 5.2<br />
dargestellt. Die roten Linien sind Drehmomentsignale, die blauen betreffen die Drehzahl, die<br />
grünen Linien symbolisieren den Austausch <strong>von</strong> Propellersteigungssignalen <strong>und</strong> die schwarzen<br />
Linien sonstige Größen. Zusätzlich wird noch zwischen durchgezogenen <strong>und</strong> gestrichelten Linien<br />
unterschieden. Durchgezogene Linien zeigen den Verlauf der auszutauschenden Ist-Größen<br />
an, während die gestrichelten Linien für Sollwerte verwendet werden. Auf die einzelnen Module<br />
aus Abbildung 5.2 wird im Folgenden eingegangen.<br />
34
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Abbildung 5.2: Blockschaltbild des Anlagenmodells<br />
5.1 Telegraf<br />
Der Maschinentelegraf befindet sich auf der Brücke des Schiffes. Von ihm gehen die Kommandos<br />
für die Fahrstufe <strong>und</strong> somit für die einzuregelnde Drehzahl <strong>und</strong> Propellersteigung aus (siehe<br />
auch Kapitel 5.4). Die Kommandos bewegen sich dabei im Raum zwischen voll zurück (-10)<br />
über Nullschub (0) bis voll voraus (10). In der Manövriersimulation wird zu Beginn eine Startgeschwindigkeit<br />
für das jeweilige Manöver angegeben. Daraufhin wird die korrespondierende<br />
Fahrhebelstellung iterativ ermittelt. Dazu werden im Kombinatormodul eine Drehzahl <strong>und</strong> eine<br />
Propellersteigung ermittelt <strong>und</strong> mit diesen Werten wird der Propellerschub berechnet. Falls<br />
der Propellerschub dem Schiffswiderstand (unter Berücksichtigung <strong>von</strong> Sogziffer <strong>und</strong> Windwiderstand)<br />
entspricht, ist die richtige Fahrhebelstellung für den Stationärbetrieb gef<strong>und</strong>en.<br />
5.2 Programmwahl-Modul (Program Selection)<br />
Das Programmwahl-Modul ist für die Erkennung <strong>und</strong> Verarbeitung <strong>von</strong> Kommandos für bestimmte<br />
Manöver zuständig.<br />
Bei Notstoppmanövern wird z.B. der Fahrhebel <strong>von</strong> einer Vorausfahrtstufe schlagartig auf voll<br />
zurück gesetzt. Dieses Kommando wird vom Modul als Notstoppmanöver interpretiert.<br />
Bei <strong>Schiffen</strong>, bei denen kein PTO (power take off: siehe auch Kapitel 5.14) zur Versorgung<br />
des elektrischen Bordnetzes verwendet wird, kann in diesem Fall ein spezielles Notstoppprogramm<br />
(crash stop program) aktiviert werden. Dieses Programm setzt den Drehzahlsoll-<br />
35
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
wert auf die Leerlaufdrehzahl des Motors, solange wie der Propeller eine positive Steigung<br />
hat. Dieses Verfahren dient dazu, Situationen zu vermeiden, in denen der Propeller in den<br />
Turbinenbetrieb gerät (siehe auch Kapitel 5.5), falls die Propellersteigung zu schnell gesenkt<br />
wird. In Abbildung 5.3 ist das gemessene Verhalten der Maschinenanlage unter Verwendung<br />
eines Notstoppprogramms zu sehen. Die Motordrehzahl sinkt bis zur 25. Sek<strong>und</strong>e. An dieser<br />
Stelle steigt die Motorbelastung wieder <strong>und</strong> die Motordrehzahl wird wieder gesteigert.<br />
Die Propellersteigung kann stetig verringert werden, ohne dass das Überdrehzahlschutz-Modul<br />
Abbildung 5.3: Maschinenanlage beim Notstopp (Schiff 1, See-Modus, v start = 22, 5 kn)<br />
eingreift (Kapitel 5.5). Die dargestellten Kurven gehören zu einem Manöver, welches mit einem<br />
Einschrauber (vgl. Kapitel 6.1) durchgeführt wurde. Durch das Notstoppprogramm kann<br />
der Stoppweg signifikant verringert werden. Simulationen des gleichen Manövers ergeben eine<br />
Verkürzung des Stoppweges um r<strong>und</strong> 400 Meter gegenüber der gleichen Anlage ohne Notstoppprogramm,<br />
da die maximale Rückwärtssteigung schneller erreicht wird. Bei Maschinen, die im<br />
Konstantdrehzahlmodus betrieben werden müssen, ist dieses Verfahren leider nicht anwendbar,<br />
da ansonsten die Netzfrequenz des PTO nicht gehalten werden kann. Eine Maßnahme zur Verringerung<br />
des Stoppweges ist aber in beiden Fällen ein leichtes Anheben der Solldrehzahl (ca.<br />
1 %), sobald die Propellersteigung negativ wird, um die Einspritzmenge zu erhöhen. Dadurch<br />
wird die Drehzahldrückung auf Gr<strong>und</strong> der steigenden Propellerlast vermindert.<br />
Das Signal Reset CMD wird bei Notstoppmanövern an das Modul Integrator Reset gesendet,<br />
wenn das Propellersteigungssignal sein Vorzeichen wechselt. Das ist insbesondere beim Einsatz<br />
des Notstoppprogramms notwendig, um ein unnötiges Überschwingen des PI-Reglers zu vermeiden.<br />
Dieser Überschwingvorgang wird dadurch hervorgerufen, dass sich der Integrator des<br />
Reglers sehr stark auflädt, wenn die Drehzahl durch das Notstoppprogramm abgesenkt wird.<br />
Zusätzlich ist bei allen Beispielschiffen ein Notfallmodus (Emergency-Mode) vorhanden. Dieser<br />
Notfallmodus erlaubt eine schnellere Lastaufschaltung. Die Begrenzung der Lastaufschaltung<br />
hat im Normalmodus die Funktion, die thermische Belastung des Motors zu verringern <strong>und</strong><br />
36
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Rußbildung zu verhindern.<br />
5.3 Steigungskombinator- <strong>und</strong> Drehzahlkombinator-Modul (Pitch<br />
Combinator-, RPM Combinator Control)<br />
Das Steigungskombinator-Modul dient der Zuordnung <strong>von</strong> Sollwerten für die Propellersteigung<br />
zu der gewählten Fahrhebelstellung. Für die Regelung der Propellersteigung <strong>und</strong> der Drehzahl<br />
ist prinzipiell zwischen zwei Modi zu unterscheiden. Im Konstantdrehzahlmodus wird die<br />
Propellersteigung entsprechend der Sollwertvorgabe des Fahrhebels eingeregelt, während der<br />
Sollwert der Motordrehzahl konstant bleibt. Insbesondere Schiffe, die mit Hilfe <strong>von</strong> PTO Elektrizität<br />
für das Bordnetz bereitstellen, werden häufig im Konstantdrehzahlmodus betrieben, um<br />
eine konstante Netzfrequenz zu erhalten. Im Kombinatormodus sind Kennlinien hinterlegt,<br />
Abbildung 5.4: Beispiel für ein Kombinatordiagramm<br />
in denen ein Sollwert für Propellersteigung <strong>und</strong> Drehzahl vorgegeben werden, die der aktuellen<br />
Fahrhebelstellung entsprechen. Die blaue Kurve zeigt die Sollwerte für die Propellersteigung<br />
(in %P Design /D) <strong>und</strong> die magentafarbene Kurve stellt die Drehzahlsollwerte (in %n Nenn ) dar<br />
(Abb.5.4).<br />
Der Kombinatorbetrieb hat u.a. Vorteile beim Kraftstoffverbrauch im Teillastbetrieb sowie<br />
bezüglich der mechanischen <strong>und</strong> thermischen Beanspruchung des Motors. Bei einem stehenden<br />
Schiff erreicht man mit einer Absenkung der Propellerdrehzahl eine Leistungsreduzierung, die<br />
proportional zur dritten Potenz der Drehzahländerung ist.<br />
Häufig existiert zusätzlich zum See-Modus ein zweiter Kombinatormodus für die Revierfahrt<br />
37
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
(Manövriermodus). Dazu wird die Soll-Drehzahl ab einer bestimmten Fahrhebelstellung nicht<br />
weiter reduziert, damit die Maschinenanlage schneller auf Änderungen der Fahrhebelstellung<br />
reagieren kann.<br />
5.4 Steigungsbegrenzungsmodul (Pitch Maximum Selector)<br />
Das Steigungsbegrenzungsmodul ist ein Modul, das bei <strong>Schiffen</strong> mit PTO notwendig ist. Das<br />
Modul dient dazu, die Propellersteigung zu begrenzen, um eine Leistungsreserve für die PTO<br />
zu schaffen. Bei eingeschalteten PTO wird die Propellersteigung auf z.B. 97% der Designsteigung<br />
begrenzt. Wenn jetzt eine Aufschaltung elektrischer Verbraucher eingeleitet wird, kann die<br />
Leistung <strong>von</strong> der Maschinenanlage erzeugt werden, ohne eine Überlast zu erzeugen. Die Steigungsreduzierung<br />
wird des Weiteren zwischen z.B. 3 − 7% in Abhängigkeit <strong>von</strong> der PTO-Last<br />
<strong>von</strong> 0 − 100% linear interpoliert.<br />
5.5 Überdrehzahlschutz-Modul (Windmilling Modul)<br />
Die integrierte Verstellpropellerautomation sorgt dafür, dass eine Überdrehzahl des Motors<br />
vermieden wird (Windmilling Effect). Er tritt insbesondere bei Notstoppmanövern auf. Dabei<br />
wird auf Gr<strong>und</strong> der reduzierten Propellersteigung der Motor vom Propeller angetrieben, dass<br />
heißt, der Propeller arbeitet als Turbine.<br />
In Abbildung 5.5 ist das Verhalten der Maschinenanlage bei einem Notstoppmanöver <strong>von</strong> Beispielschiff<br />
2 (Kapitel 6.2) dargestellt. Nach 20 Sek<strong>und</strong>en ist durch die Absenkung der Propellersteigung<br />
die Propellerlast soweit verringert worden, dass der Propeller eine Überdrehzahl<br />
des Motors hervorruft. Durch die temporäre Erhöhung der Propellersteigung wird die Drehzahl<br />
verringert. Die Überdrehzahlsituation wird wieder aufgehoben, wenn der Propeller ein<br />
positives Moment aufnimmt (ca. 45. Sek<strong>und</strong>e). Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die<br />
Propellersteigung das Vorzeichen wechselt. Für den Überdrehzahlschutz wird ein relativ einfaches<br />
Modell verwendet. Falls eine Überdrehzahl <strong>von</strong> n ist /n MAX > 1.02 vorliegt, wird das<br />
Überdrehzahlschutz-Modul aktiv. In diesem Fall ist der Propeller im Turbinenbetrieb <strong>und</strong> treibt<br />
den Motor an. Die Konsequenz aus diesem Sachverhalt ist, dass die Propellersteigung erhöht<br />
werden muss, falls der Propeller eine positive Steigung hat <strong>und</strong> dass die Steigung abgesenkt<br />
werden muss, falls die Propellersteigung τ negativ ist. Das heißt:<br />
τ soll =<br />
{<br />
τist + 0.1 , τ ist ≥ 0<br />
τ ist − 0.1 , τ ist < 0<br />
(5.1)<br />
Das Überdrehzahlschutz-Modul ist bei Notstoppmanövern besonders wichtig. Bei umgesteuerten<br />
Propellern <strong>und</strong> Vorausgeschwindigkeit kann es vorkommen, dass der Propeller in den<br />
Turbinenbetrieb gerät, was wiederum schädlich für den Schiffsmotor sein kann.<br />
Zusätzlich wurde auch ein Überdrehzahlschutz-Modul für den Bugpropeller <strong>von</strong> Doppelendfähren<br />
implementiert. Für den Fall, dass der Bugpropeller in Segelstellung gebracht oder aus ihr<br />
heraus bewegt werden soll, muss verhindert werden, dass der Propeller sowohl die negative als<br />
auch die positive Maximaldrehzahl der Maschine erreicht.<br />
38
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Abbildung 5.5: Propulsionsanlage: Notstopp (Schiff 2); Überdrehzahl <strong>von</strong> der 20. - 45. Sek<strong>und</strong>e<br />
5.6 Überlastschutz-Modul (Overload-Modul) <strong>und</strong><br />
Bandbreiten-Modul (Bandwidth Selection)<br />
Das Überlastschutz-Modul ist Teil der Verstellpropellerautomation. Es sorgt dafür, dass<br />
der Dieselmotor nicht überlastet wird (overload).<br />
Friedrich [15] stellt im Rahmen seiner Untersuchungen fest, dass eine Steigungsregelung, welche<br />
ausschließlich das Drehzahlsignal verarbeitet, entweder zu hohe Drehzahlabweichungen zulässt<br />
(führt zum Black out) oder die Verstellgeschwindigkeiten zu niedrig werden (negativ bei Notstoppmanöver).<br />
Ein weiterer Nachteil sei die Schwingungsneigung des Systems. Diese Effekte<br />
werden im Rahmen dieser Arbeit nachvollzogen. Als Alternative schlägt Friedrich vor, auch<br />
die aktuelle Steigung <strong>und</strong> Einspritzmenge als Eingangssignal für die Steigungsregelung zu<br />
berücksichtigen. Das ist tatsächlich aus verschiedenen Gründen erforderlich, wie im Folgenden<br />
erläutert wird. Wie bei Friedrich, wird auch in dieser Arbeit zusätzlich zum Drehzahlsignal die<br />
Einspritzmenge zur Regelung der Propellersteigung herangezogen, womit wesentlich bessere<br />
Ergebnisse hinsichtlich der Drehzahlstabilität sowie des Stopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsverhaltens<br />
erzielt werden konnten.<br />
Wird die zulässige Einspritzmenge überschritten, muss die absolute Propellersteigung reduziert<br />
werden, um das Lastmoment zu reduzieren. Bei konstanter Einspritzmenge hat dies einen<br />
Anstieg der Drehzahl zur Folge. Solange die Ist-Drehzahl deutlich unterhalb der Nenndrehzahl<br />
liegt, erhöht sich dadurch die maximal zulässige Last. Bei drehzahlgeregelten Schiffsmotoren mit<br />
Verstellpropellern wird dann die Einspritzmenge reduziert um die unveränderte Soll-Drehzahl<br />
zu erreichen. Das bedeutet, dass die Ist-Last auf ein zulässiges Maß reduziert wird.[14, S.52]<br />
39
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Für das Überlastschutz-Modul schlägt Sell [48] folgendes Verfahren vor: Das Soll-Steigungsverhältnis<br />
τ Soll wird mit einem Faktor zwischen 0 <strong>und</strong> 1 multipliziert. Dieser Faktor sei wiederum<br />
Ausgang eines Integrators. Dieser Integrator hat als Eingangssignal einen Hystereseschalter,<br />
der als Eingangssignal wiederum die Abweichung der Einspritzmenge ζ ist <strong>von</strong> der<br />
Grenzeinspritzmenge ζ begr hat. Der Ausgangswert des Integrators ist zusätzlich auf den Bereich<br />
0 ≤ Ausgang ≤ 1. begrenzt. Dieser Entwurf für das Überlastschutz-Modul ist aber unter<br />
anderem dann problematisch, wenn τ Soll > 0 <strong>und</strong> τ ist < 0 (z.B. beim Beschleunigungsmanöver).<br />
Tritt in diesem Zustand eine Überlast des Motors auf, dann wird τ Soll zwar verringert, ist aber<br />
immer noch größer als τ ist <strong>und</strong> die Steigung <strong>und</strong> somit auch die Motorlast werden weiter erhöht.<br />
Das in dieser Arbeit implementierte Modell funktioniert wie folgt: Zunächst wird ermittelt, ob<br />
eine Überlastsituation vorliegt. Anschließend wird diese quantifiziert <strong>und</strong> zu diesem Zweck eine<br />
Korrekturzahl K ermittelt, die am Eingang der Steigungsregelung anliegt. K setzt sich aus<br />
den Anteilen K dyn , K rpm <strong>und</strong> K stat zusammen. K dyn stellt fest, ob die Ist-Drehzahl unter<br />
der Soll-Drehzahl liegt, was darauf hindeutet, dass die Propellerlast größer als das vom Motor<br />
zur Verfügung gestellte Moment ist. Dabei wird zur Stabilisierung ein Regelband <strong>von</strong> 1 %<br />
berücksichtigt:<br />
K dyn =<br />
{<br />
nist − n soll + Regelband , n ist − n soll + Regelband < 0<br />
0 , n ist − n soll ≥ 0.<br />
(5.2)<br />
Das Modul K rpm dient der Erkennung einer fallenden Drehzahl bei Beschleunigungsmanövern.<br />
Wenn im aktuellen Zeitschritt die Drehzahl gesunken ist, ist das auf ein zu schnelles Erhöhen<br />
der Propellersteigung zurückzuführen:<br />
K rpm =<br />
{<br />
nist − n i−1 , n ist − n i−1 < 0<br />
0 , n ist − n i−1 ≥ 0.<br />
(5.3)<br />
Der Parameter K stat dient der Erkennung <strong>von</strong> Zuständen, bei denen die maximale Einspritzmenge<br />
überschritten wird (Bandbreiten-Modul). Auch hier wird ein Regelband verwendet<br />
(5 %):<br />
{<br />
2 · ζmax − ζ<br />
K stat =<br />
ist − Regelband , ζ max − ζ ist − Regelband < 0<br />
(5.4)<br />
0 , ζ max − ζ ist − Regelband ≥ 0.<br />
Damit ist dann K = K dyn + K rpm + K stat . Im Regelfall sind nur die beiden Parameter K dyn<br />
<strong>und</strong> K stat aktiviert. Wenn der Motor hochgefahren werden soll (z.B. <strong>von</strong> Leerlaufdrehzahl<br />
auf Nenndrehzahl), dann sollte der Parameter K rpm aktiviert werden. Dieses Modul bewirkt,<br />
dass detektiert wird, ob die Drehzahl im letzten Zeitschritt i − 1 angestiegen ist oder ob die<br />
Propellersteigung reduziert werden muss. Falls dieses Modul aktiviert wurde, empfiehlt sich<br />
die Deaktivierung des K dyn Moduls, da dieses Modul sonst permanent eine nicht vorhandene<br />
Überlastsituation feststellt.<br />
Östreicher [43, S.113] stellt fest, dass das Hochfahren der Propellersteigung zu Beginn eines<br />
Beschleunigungsmanövers nur <strong>von</strong> der Leistung der Hydraulikpumpe des Verstellmechanismus<br />
abhängt. Später führt ein zu schnelles Hochfahren der Propellersteigung dazu, dass der Motor<br />
nicht genügend Ladeluft zur Verfügung hat <strong>und</strong> es somit negative Auswirkungen auf das Beschleunigungsverhalten<br />
gibt (größere Beschleunigungszeit).<br />
In der Verstellpropellerautomation gilt dann für den Fall einer detektierten Überlast:<br />
τ soll =<br />
{<br />
τist − K , τ ist < 0<br />
τ ist + K , τ ist ≥ 0.<br />
(5.5)<br />
40
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Die Wirkungsweise des Überlastschutz-Moduls kann anhand eines Drehkreismanövers sehr<br />
gut verdeutlicht werden. In Abbildung 5.6 ist das Verhalten der Propulsionsanlage bei einem<br />
Backborddrehkreis eines Zweischraubers mit Viertaktdieselmotoren <strong>und</strong> Verstellpropellern<br />
dargestellt. Durch die Queranströmung der Propeller <strong>und</strong> die unterschiedlichen axialen<br />
Abbildung 5.6: Propulsionsanlage beim 45 ◦ Drehkreismanöver; v Start = 20, 3 kn<br />
Anströmgeschwindigkeiten bei äußerem <strong>und</strong> innerem Propeller wird die Drehmomentaufnahme<br />
erhöht. Da die Dieselmotoren keine zusätzliche Leistung zur Verfügung haben, muss das<br />
Überlastschutz-Modul die Propellersteigung reduzieren, um eine konstante Drehzahl beibehalten<br />
zu können. Die simulierten <strong>und</strong> gemessenen Endwerte für die Propellersteigung stimmen<br />
gut überein. Die Unterschiede führen zu der Überlegung, dass das Modell für die Querstromkoeffizienten<br />
überarbeitet werden muss. Zusätzlich ist im Diagramm zu sehen, dass die Steigung<br />
des außen liegenden Propellers stärker reduziert wird als die des inneren.<br />
5.7 Steigungsauswahl-Modul (Pitch Selection)<br />
Im Modul Steigungsauswahl werden die Sollwerte <strong>von</strong> Überdrehzahl- (Kapitel 5.5), Überlast-<br />
Modul (Kapitel 5.6) <strong>und</strong> Steigungsbegrenzungsmodul (Kapitel 5.4) gesammelt <strong>und</strong> ausgewertet.<br />
Für den Fall einer Überlast oder einer Überdrehzahlsituation wird das entsprechende Soll-<br />
Steigungskommando an den PD-Regler (Kapitel 5.8) weitergeleitet, wobei der Wert für die<br />
Soll-Propellersteigung den Wert des Steigungsbegrenzungsmoduls nicht überschreiten darf.<br />
41
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
5.8 PD-Regler (PD-Controller) <strong>und</strong> Proportionalventil<br />
(Proportional Valve)<br />
Zur Regelung der Propellersteigung an Bord <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> werden hydraulische Anlagen verwendet<br />
(siehe z.B. [17]). Die Hydraulik hat eine Proportionalventilsteuerung. Die maximale<br />
Verstellgeschwindigkeit ist dabei nach Herstellerangaben implementiert worden. Dabei sind<br />
die maximal möglichen Verstellgeschwindigkeiten für positive <strong>und</strong> negative Geschwindigkeiten<br />
unterschiedlich (z.B. ˙τ max = (+)0, 638 ◦ /s bzw. (-) 0, 439 ◦ /s ). Der Sollwert für die Verstellgeschwindigkeit<br />
ergibt sich dann zu:<br />
τ˙<br />
i = 0, 5 · (P P · ˙τ max · (τ soll − τ ist ) + ˙τ i−1 ) (5.6)<br />
Wobei P der Proportionalanteil des Reglers ist <strong>und</strong> i,i-1 den aktuellen bzw. letzten Zeitschritt<br />
bezeichnen. Für den Proportionalanteil wird hier ein <strong>von</strong> der maximalen Verstellrate abhängiger<br />
Ansatz gemacht:<br />
3<br />
P P =<br />
˙τ max + 0.1 . (5.7)<br />
Dieser Wert gilt für alle Manöver. Für den Fall, dass der Motor aus einem niedrigen Drehzahlbereich<br />
heraus beschleunigt werden muss (z.B. beim Beschleunigungsmanöver oder nach dem<br />
Durchschreiten <strong>von</strong> τ = 0 bei Notstoppmanövern) wird der P-Anteil um den Faktor 3,6 erhöht,<br />
solange die Ist-Drehzahl kleiner als 98 % der Soll-Drehzahl beträgt. Die Mittelwertbildung<br />
zwischen aktuellem <strong>und</strong> letztem Zeitschritt soll eine Stabilisierung des Reglers bewirken.<br />
5.9 Lastaufschaltungsbegrenzung <strong>und</strong> drehzahlabhängige<br />
Einspritzmengenbegrenzung<br />
Normalerweise würde das Resultat des Drehzahlreglers als Eingangssignal für die Einspritzregelung<br />
des Motors dienen. Die Einspritzmenge muss aber gegebenenfalls zusätzlich begrenzt werden,<br />
um Rußbildung infolge unvollständiger Verbrennung <strong>und</strong> thermische Überlastung des Motors<br />
zu verhindern. Der Maximalwert für die Verhinderung <strong>von</strong> Rußbildung ist ζ soll (p Ladeluft ),<br />
welcher vom Ladeluftdruck p Ladeluft des Abgasturboladers abhängig ist. Der entsprechende<br />
Wert für die Verhinderung <strong>von</strong> thermischer Überlast (drehzahlabhängige Einspritzmengenbegrenzung:<br />
RPM-Torque Selection) ζ soll (n) mit der Motordrehzahl n wird dem vom<br />
Hersteller gelieferten Motorkennfeld entnommen (Abb. 5.8). Zusätzlich gibt es noch einen festzulegenden<br />
Wert für die maximal zulässige Einspritzmenge ζ max . Insgesamt heißt das, dass<br />
für die Wahl des richtigen Eingangssignals für die Einspritzregelung das Minimum aus drei<br />
verschiedenen Einspritzmengensollwerten (bzw. Drehmomentsollwerten) zu wählen ist:<br />
⎛<br />
⎜<br />
ζ begr = min ⎝<br />
ζ soll (p Ladeluft )<br />
ζ soll (n)<br />
ζ max<br />
⎞<br />
⎟<br />
⎠ (5.8)<br />
Der maximal/minimal zulässige Sollwert für die Einspritzmenge ζ soll (p Ladeluft ) wird vereinfacht<br />
ermittelt, indem der Gradient der Einspritzmengenänderung nach Herstellerangaben begrenzt<br />
wird (LIC Selection), da im Rahmen der Arbeit kein genaues Motorsimulationsmodul implementiert<br />
werden soll <strong>und</strong> die Größe Ladeluftdruck somit nicht zur Verfügung steht.<br />
42
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Prinzipiell wird zwischen 3 verschiedenen Betriebszuständen bei den drei Motortypen unterschieden:<br />
Dem Normalmodus sowie dem Hoch- <strong>und</strong> Runterfahrmodus. Der Normalmodus bezeichnet<br />
den Betriebszustand, bei dem das Schiff Manöver im Bereich eines geringen Geschwindigkeitsbandes<br />
durchführt <strong>und</strong> bei denen konstante Sollwerte für die Motordrehzahl <strong>und</strong> die<br />
Propellersteigung eingehalten werden sollen. Das sind z.B. Drehkreis- oder Zickzack-Manöver.<br />
Im Hochfahrmodus befindet sich das Schiff, wenn die Motorleistung durch die Erhöhung der<br />
Sollwerte für Propellersteigung oder Drehzahl gesteigert werden soll. Der Runterfahrmodus wird<br />
für die Absenkung der Motorlast bei Verzögerungsmanövern benötigt, bei denen die Sollwerte<br />
für Steigung oder Drehzahl abgesenkt werden.<br />
Für Viertaktmotoren existiert parallel zu den drei oben erwähnten Modi noch ein Notfallmodus.<br />
Für das Hoch- <strong>und</strong> Herunterfahren in den verschiedenen Modi gelten die Werte aus<br />
Tabelle 5.a. Die Angaben in der Tabelle, wie 1 → 2, beziehen sich auf die Punkte im Motorkennfeld<br />
in Abb.5.7. Für E-Diesel wird zusätzlich zum Normalbetrieb ebenfalls ein Notfallmodus<br />
implementiert (Tabelle 5.b).<br />
Abbildung 5.7: Hochfahrprogramm für Viertaktdieselmotoren<br />
43
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Tabelle 5.a: Hoch- <strong>und</strong> Runterfahrgeschwindigkeiten für Viertaktmotoren in Anlehnung an<br />
Herstellerangaben (MAK)<br />
Normalmodus Hochfahrmodus Runterfahrmodus<br />
in %Q M /s(dQ M ≥ 0, Q M < 70%) 1,82 1,20 (1 → 2) 2,184<br />
in %Q M /s(dQ M ≥ 0, Q M ≥ 70%) 1,82 0,10 (2 → 3) 2,184<br />
in %Q M /s(dQ M < 0) 1,82 3,00 2,730 (3 → 1)<br />
in %Q M /s Notfallmodus (dQ M ≥ 0) 1,82 2,57 (1 → 3) 2,184<br />
in %Q M /s Notfallmodus (dQ M < 0) 1,82 9,0 2,730 (3 → 1)<br />
Tabelle 5.b: Hoch- <strong>und</strong> Runterfahrgeschwindigkeiten für E-Diesel in Anlehnung an Herstellerangaben<br />
(MAK)<br />
Normalmodus<br />
in %Q M /s(dQ M ≥ 0) 1,82<br />
in %Q M /s(dQ < 0) 2,73<br />
in %Q M /s Notfallmodus (dQ M ≥ 0) 2,57<br />
in %Q M /s Notfallmodus (dQ M < 0) 9,0<br />
Für Zweitaktmotoren werden die <strong>von</strong> einem Maschinenhersteller angegebenen Werte aus<br />
Tabelle 5.c verwendet. Die Werte in der Tabelle stellen den Drehmomentgradienten dQ M /dt<br />
in %Q M /s (bezogen auf das Maximalmoment) dar.<br />
Tabelle 5.c: Hoch- <strong>und</strong> Runterfahrgeschwindigkeiten für Zweitaktmotoren in Anlehnung an<br />
Herstellerangaben (MAN)<br />
Normalmodus Hochfahrmodus Runterfahrmodus<br />
in %Q M /s 1,82 0,0728 4,55<br />
Die Beachtung dieser Beschränkung ist insbesondere bei Beschleunigungs-, aber auch bei<br />
Notstoppmanövern unerlässlich, da zunächst der Turbolader beschleunigt werden muss, um<br />
die notwendige Luftmasse für den Verbrennungsprozess bereitstellen zu können [43, S.113 f.].<br />
Zusätzlich erhöhen sich bei zu schnellem Beschleunigen die Schadstoffemissionen, der Verbrauch<br />
<strong>und</strong> die Abgastemperatur [16, S.1]. Der Motorkreislauf wird in der vorliegenden Arbeit nicht<br />
simuliert. Dies ist nicht notwendig, da durch die Vorgaben bezüglich der Lastaufschaltungsbeschränkung<br />
durch die simulierte Automation gewährleistet ist, dass der Motor die Lastnachfrage<br />
ohne Einschränkung erfüllen kann.<br />
In zusätzlichen Untersuchungen werden Tests mit einem Modul durchgeführt, bei dem die Soll-<br />
Einspritzmenge bei Lastaufschaltung schlagartig erhöht wird: Zellbeck [60, S.68] schlägt vor,<br />
das Verhalten des Reglers bei Lastaufschaltung (wie z.B. Beschleunigungsmanövern) zu verbessern,<br />
indem der Regler eine sofortige Einspritzmengenerhöhung bis zum Anschlag hervorruft<br />
<strong>und</strong> der Regler erst dann wieder in den Normalmodus wechselt, wenn eine bestimmte Maxi-<br />
44
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
maldrehzahl erreicht ist. Bei Generatorbetrieb wird so wesentlich schneller die einzuregelnde<br />
Drehzahl bei kleinerem Drehzahleinbruch erreicht.<br />
5.10 PI-Regler (PI-Governor)<br />
Die Anforderungen, die an eine Einspritzmengenregelung gestellt werden, sind [16, S.34 f.]<br />
• Stabilisierung der Leerlaufdrehzahl,<br />
• Abregelung beim Erreichen der maximalen Motordrehzahl,<br />
• stabile Einhaltung der Soll-Drehzahl <strong>und</strong><br />
• gutes Reaktionsvermögen auf Laständerungen.<br />
Im Leerlauf ist die nötige Brennstoffmenge <strong>von</strong> der Drehzahl <strong>und</strong> der Motorreibung abhängig.<br />
Die maximale Drehzahl darf auf Gr<strong>und</strong> der hohen Massenkräfte nicht überschritten werden,<br />
da es sonst zu Schäden am Motor kommen kann.<br />
Die Soll-Drehzahl muss insbesondere dann besonders stabil sein, wenn ein Generator (PTO)<br />
vom Motor angetrieben werden. Die Netzfrequenz ist schließlich proportional zur Motordrehzahl<br />
<strong>und</strong> eine Drehzahlabweichung kann zum Ausfall des Bordnetzes führen (Black out).<br />
Das kann z.B. bei Stoppmanövern mit Verstellpropellern zu einem Zielkonflikt führen [15], da<br />
der Propeller so schnell wie möglich Gegenschub erzeugen soll, aber auf dem Weg dorthin in<br />
den Turbinenbetrieb gelangen kann.<br />
Obwohl der an Bord installierte Drehzahlregler nichtlinear ist, wird in der Simulation ein Drehzahlregler<br />
verwendet, der die Motordrehzahl mit Hilfe eines PI-Gliedes regelt. Eine genauere<br />
Beschreibung des Referenzreglers Woodward UG-8 findet man in [54, S.137 ff.]. Um das Modell<br />
so einfach wie möglich zu halten, wird auf Verzögerungsglieder <strong>und</strong> einen differenziellen Anteil<br />
verzichtet. Diese Vereinfachungen sind nach Untersuchungen in einem ähnlichen Umfeld,<br />
welche <strong>von</strong> Ulken [54, S.146] <strong>und</strong> Zheng [62, S.119] durchgeführt wurden, ohne große Genauigkeitseinbußen<br />
zulässig. Die Filterung des Drehzahlsignals durch einen Tiefpassfilter wird auf<br />
Gr<strong>und</strong> des fehlenden Differentialanteils als nicht notwendig erachtet.<br />
Der Regler hat die Eingangsgrößen Ist-Drehzahl n ist <strong>und</strong> Soll-Drehzahl n soll . Die Ausgangsgröße<br />
ist die Soll-Einspritzmenge ζ soll . Die Gleichung für den Drehzahlregler lautet:<br />
∫<br />
ζ soll = P F · (n Soll − n ist ) + I (n Soll − n ist )dt (5.9)<br />
Die Werte für den P- bzw. den I-Anteil wurden durch systematisches Probieren in der Weise<br />
ermittelt, dass der Regler das während Messfahrten gemessene Reglerverhalten möglichst gut<br />
nachbildet. Ferner musste auf die Stabilität des Reglers insbesondere in Zusammenarbeit mit<br />
der Propellersteigungsregelung geachtet werden.<br />
5.11 Integrator Reset<br />
Das Modul Integrator Reset wird vom Programmwahl-Modul aufgerufen, wenn ein Notstoppmanöver<br />
ausgeführt wird <strong>und</strong> die Propellersteigung das Vorzeichen wechselt, das heißt, nachdem<br />
das Propellerlastmoment kontinuierlich gesunken ist, während die Propellersteigung <strong>von</strong><br />
45
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
einem Wert um die 100 % auf 0 % verstellt wurde. Mit anderen Worten, nachdem die Motorlast<br />
gesenkt wurde <strong>und</strong> durch den Anstieg der Propellersteigung im negativen Bereich wieder<br />
erhöht wird. Der Integrator des Drehzahlreglers wird an dieser Stelle auf den Startwert gesetzt,<br />
um ein zu starkes Überschwingen des Reglers zu vermeiden.<br />
5.12 Drehmoment Auswahl (Torque Minimum Selector)<br />
Als Eingangssignal für die Einspritzmenge der Hauptmaschine muss das Minimum des Sollwertes<br />
vom PI-Regler, der drehzahlabhängigen Einspritzmengenbegrenzung <strong>und</strong> der Lastaufschaltungsbegrenzung<br />
gebildet werden:<br />
( )<br />
ζsoll<br />
ζ = min<br />
(5.10)<br />
ζ begr<br />
5.13 Hauptmaschine<br />
Die Schiffsmaschine wird in der Simulation mit einfachen Motorkennfeldern nach Herstellerangaben<br />
beschrieben. Die entsprechenden Diagramme für einen mittelschnelllaufenden Viertakt<strong>und</strong><br />
einen Zweitaktmotor sind in Abbildung 5.8 zu sehen. Die magentafarbene Kurve zeigt die<br />
Begrenzungen eines Viertaktdieselmotors im Dauerbetrieb an, während die blaue Kurve den<br />
Zweitaktdieselmotor beschreibt. Die gelbe Kurve ist aus der Automation <strong>von</strong> Beispielschiff 2<br />
entnommen <strong>und</strong> zeigt die während des Manövrierens zulässigen Leistungen für den Motor an.<br />
Diese Grenzwerte sind bei Manövern kurzzeitig zulässig. Es fällt auf, dass der Leistungsverlauf<br />
im Bereich der Nenndrehzahl einen nicht so steilen Verlauf wie die Kurve des Anlagenherstellers<br />
aufweist. Es ist aus regelungstechnischer Sicht ein großer Vorteil, wenn der Gradient des<br />
maximalen Motormoments bezüglich der Motordrehzahl klein ist. Die Modellierung mit Kennfeldern<br />
scheint für die Simulation <strong>von</strong> Schiffsmanövern ausreichend zu sein, wenn das Verhalten<br />
der Schiffsmaschinenanlage nicht näher analysiert werden soll. Sogar ein Zweitakmotor mit 120<br />
Umdrehungen pro Minute reagiert mit einer zu vernachlässigenden Verzögerung <strong>von</strong> 0,5 Sek<strong>und</strong>en<br />
auf eine Einspritzmengenänderung. [59] Im Rahmen dieser Arbeit wird also nicht die<br />
Motorphysik modelliert, sondern es wird da<strong>von</strong> ausgegangen, dass die in der Automation hinterlegten<br />
Kennfelder zu zulässigen Belastungen führen <strong>und</strong> die entsprechende Leistungsnachfrage<br />
erfüllbar ist.<br />
Detailliertere Modelle der Maschinenanlage sind unter anderem bei [8], [16], [20], [43], [45] oder<br />
[59] aufgeführt. So finden sich zum Beispiel in [47, S.21-34] Modelle für die Beschreibung <strong>von</strong><br />
Zylinderprozess, Abgasturboladerverdichter <strong>und</strong> -turbine <strong>und</strong> den dazugehörigen Kreisprozess,<br />
wobei das Gr<strong>und</strong>modell aus u.a. [59] entnommen wurde. Darin ist beschrieben, wie das System<br />
Motor unter genauer Berücksichtigung der Aufladungsgruppe implementiert werden kann.<br />
5.14 Generatoren (PTO)<br />
PTO-Anlagen (Power take off) werden auf <strong>Schiffen</strong> zur Erzeugung <strong>von</strong> Elektrizität für das<br />
Bordnetz eingesetzt. Diese Generatoren sind über ein Getriebe mit der Propellerwelle (Kapitel<br />
46
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
Abbildung 5.8: Motorkennfelder für einen Zweitakt- <strong>und</strong> einen Viertaktmotor (normiert)<br />
5.15) verb<strong>und</strong>en. Die PTO-Drehzahl muss dabei konstant gehalten werden, da eine konstante<br />
Frequenz für das Bordnetz generiert werden muss. Daher werden PTO-Anlagen meistens in Verbindung<br />
mit Verstellpropellern eingesetzt. Die Wirkung der PTO Generatoren an der Wellenleitung<br />
wird in dreierlei Hinsicht berücksichtigt, zum einen über die Massenträgheitsmomente<br />
(Kapitel 5.16) der PTO <strong>und</strong> zum anderen über das vom PTO an der Propellerwelle abgegriffene<br />
Drehmoment. In der Methode kann sowohl eine während des Manövers konstante PTO-<br />
Leistung als auch eine variable Leistungsaufnahme simuliert werden. Zusätzlich muss ein PTO<br />
aber auch in der Automation berücksichtigt werden. In der Verstellpropellerautomation muss<br />
im Steigungsbegrenzungsmodul (Kapitel 5.4) eine Reserveleistung vorgehalten werden, die dem<br />
Propeller dann nicht zur Verfügung steht, wenn die PTO aktiviert sind.<br />
5.15 Propellerwelle<br />
An der Propellerwelle greifen die Drehmomente <strong>von</strong> Hauptmaschine, PTO <strong>und</strong> Propeller an.<br />
Daraus ergibt sich die Drehzahl der Welle <strong>und</strong> somit auch die Drehzahl <strong>von</strong> Hauptmaschine<br />
(eventuell über ein Getriebe), PTO <strong>und</strong> Propeller. Die Drehzahländerung mit dem Massenträgheitsmoment<br />
J (Kapitel 5.16) für die Welle ist somit:<br />
dn<br />
dt = Q M − Q P T O − Q P<br />
2 ∗ π ∗ J<br />
(5.11)<br />
47
KAPITEL 5. MASCHINENANLAGE UND AUTOMATION<br />
5.16 Massenträgheitsmomente<br />
Die Massenträgheitsmomente <strong>von</strong> Hauptmaschine, Propellerwelle, PTO <strong>und</strong> Propeller werden<br />
nach Angaben <strong>von</strong> Maschinenherstellern berechnet.<br />
Für das Massenträgheitsmoment der Propeller müssen auch die hydrodynamischen Anteile<br />
berücksichtigt werden. Die Trägheitsmomente sind aus gr<strong>und</strong>sätzlichen Überlegungen in<br />
der 4. bis 5. Potenz vom Radius abhängig. Als Gr<strong>und</strong>lage für die Berechnung der Massenträgheitsmomente<br />
dienen sowohl Herstellerangaben für 2 verschiedene aktuelle Propellerentwürfe<br />
(5 m <strong>und</strong> 6,1 m Durchmesser) als auch Auslegungsdiagramme aus [36], welche auf den Propellern<br />
der Wageninger B-Serie beruhen. Im Diagramm 5.9 ist das Massenträgheitsmoment inklusive<br />
hydrodynamischer Anteile in Abhängigkeit vom Propellerdurchmesser doppelt-logarithmisch<br />
aufgetragen. Zusätzlich ändert sich das Massenträgheitsmoment <strong>von</strong> Verstellpropellern mit der<br />
Abbildung 5.9: Massenträgheitsmomente für Propeller in Abhängigkeit vom Durchmesser<br />
Propellersteigung, auf Gr<strong>und</strong> der sich ändernden hydrodynamischen Anteile. Hier wird ein linearer<br />
Ansatz gemacht. Das Massenträgheitsmoment bei 0 ◦ sinkt um 30 % bezogen auf die Designsteigung<br />
<strong>und</strong> wächst dann wieder auf den vollen Betrag, wenn 100 % der Rückwärtssteigung<br />
erreicht werden.<br />
48
6 Beispiele<br />
Im Folgenden soll anhand <strong>von</strong> Beispielrechnungen für zwei ausgewählte Schiffe die Funktionsfähigkeit<br />
der entwickelten Modelle demonstriert werden. Dabei werden die ermittelten Werte,<br />
soweit möglich, mit Großausführungsmessungen verglichen, welche <strong>von</strong> der Flensburger<br />
Schiffbau-Gesellschaft mbH <strong>und</strong> Co. KG zur Verfügung gestellt wurden.<br />
Im Anschluss wird gezeigt, wie mit den entwickelten Modellen die Anlagenautomation vom<br />
Beispielschiff 3 optimiert wird. Dieses Schiff befindet sich derzeit noch in der Konstruktionsphase.<br />
6.1 Beispielschiff 1<br />
Das erste untersuchte Schiff ist ein RoRo-Schiff mit einem Antrieb bestehend aus einem Verstellpropeller<br />
<strong>und</strong> einem Zweitaktdieselmotor. Die Hauptabmessungen des Schiffes sind in Tabelle<br />
6.a aufgeführt. In Abbildung 6.1 ist der Spantenriss des Schiffes zu sehen.<br />
Das Schiff fährt im Kombinatorbetrieb. Dabei ist neben dem Kombinatordiagramm für den<br />
Normalbetrieb noch ein Kombinatordiagramm für den Manövrierbetrieb hinterlegt. Zwischen<br />
beiden Modi kann auf der Brücke gewählt werden. In der Automation der Anlage ist ein Notstoppprogramm<br />
hinterlegt, mit dessen Hilfe der Anhalteweg reduziert werden soll.<br />
Die Nenndrehzahl des Motors liegt bei 123 Umdrehungen pro Minute. Der Propellerdurchmesser<br />
beträgt 6,1 m.<br />
Das Schiff ist mit einem Vollschweberuder ausgestattet, dessen Kraftbeiwerte in Diagramm<br />
4.15 dargestellt sind.<br />
Abbildung 6.1: Spantenriss für Beispielschiff 1<br />
49
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
L pp<br />
B<br />
T D<br />
Verdrängung<br />
Servicegeschwindigkeit<br />
Propulsion<br />
Tabelle 6.a: Beispielschiff 1<br />
189,69 m<br />
26,50 m<br />
6,95 m<br />
ca. 20.000 t<br />
ca. 23 Knoten<br />
Einschrauber / Zweitaktdieselmotor / Verstellpropeller<br />
6.1.1 Drehkreismanöver<br />
Das Drehkreismanöver wird zur Bestimmung der Zeiten <strong>und</strong> des Platzbedarfs für plötzliche<br />
Kursänderungen aus der Geradeausfahrt heraus durchgeführt. Beim Drehkreismanöver fährt<br />
das Schiff zunächst ohne Ruderlage (bzw. mit dem neutralen Ruderwinkel bei Einschraubern)<br />
mit der Designgeschwindigkeit geradeaus. Dann wird das Ruder auf den bei den jeweiligen<br />
Manövern angegebenen Winkel gelegt. Das Schiff fährt nun auf einer Kreisbahn (siehe auch<br />
Abb. 6.2). Laut IMO Vorschrift (Resolution A.751(18) vom 4.11.1993) darf das Schiff dabei<br />
einen maximalen Fortschritt (Advance) <strong>von</strong> 4,5 x Schiffslänge haben. Der taktische Durchmesser<br />
darf nicht größer als 5 x Schiffslänge sein.<br />
Abbildung 6.2: Skizze des Drehkreismanövers<br />
50
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.3: Bahnverlauf eines Steuerborddrehkreises (45 ◦ Ruderwinkel) für Schiff 1<br />
Abbildung 6.4: Geschwindigkeitsverlauf während eines Steuerborddrehkreises (45 ◦ Ruderwinkel)<br />
für Schiff 1<br />
51
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.5: Propulsionsdaten während eines Steuerborddrehkreises (45 ◦ Ruderwinkel) für<br />
Schiff 1<br />
Die Diagramme 6.3-6.4 zeigen die gute Übereinstimmung zwischen Simulation <strong>und</strong> Rechnung<br />
für Bahn <strong>und</strong> Geschwindigkeitsverlauf. Die Propulsionsdaten stimmen nicht sehr gut<br />
überein. Zu Beginn des Manövers ist ein Unterschied bei den Drehzahlen <strong>und</strong> den Momenten<br />
feststellbar. Zudem ist das gemessene Drehzahlsignal sehr sprunghaft. Außerdem steigt die<br />
Drehzahl <strong>und</strong> das Moment während der Messfahrt kontinuierlich, was darauf hindeutet, dass<br />
die Einspritzmenge während des Manövers erhöht wird.<br />
Die Simulation wurde vor der Probefahrt durchgeführt. Sowohl Simulation als auch Messung<br />
zeigen den bei Drehkreisen typischen Anstieg der Propellerbelastung in der Andrehphase. In<br />
dieser Zeit fällt die Vorausgeschwindigkeit <strong>von</strong> 22,5 Knoten auf ca. 9 Knoten. Nach etwa 200<br />
Sek<strong>und</strong>en befindet sich das Schiff auf einer stationären Kreisbahn <strong>und</strong> Vorausgeschwindigkeit<br />
sowie Propellerbelastung bleiben konstant.<br />
Die Diskrepanzen zwischen den vorher berechneten <strong>und</strong> den gemessenen Motormomenten<br />
kommen dadurch zustande, dass die Drehzahl während des gemessenen Manövers durch eine<br />
Erhöhung der Einspritzmenge auf 100% gesteigert wird, was nicht dem Kombinatordiagramm<br />
entspricht.<br />
6.1.2 Notstoppmanöver<br />
Stoppversuche werden während der Probefahrt durchgeführt, um die Stoppzeit <strong>und</strong> den Stoppweg<br />
zu ermitteln <strong>und</strong> darüber hinaus, um die Maschinenanlage zu testen. Das Schiff fährt<br />
zunächst ohne Ruderlage (bei Einschraubern mit dem neutralen Ruderwinkel) mit der Designgeschwindigkeit<br />
geradeaus. Bei Anlagen mit Festpropellern wird jetzt die Maschine gestoppt<br />
<strong>und</strong>, sobald möglich, umgesteuert. Bei <strong>Schiffen</strong> mit Verstellpropellern werden die Propellerflügel<br />
52
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
auf negative Steigung eingestellt. Während des Manövers bleibt das Ruder in der Ausgangslage.<br />
Laut IMO Vorschrift (Resolution A.751(18) vom 4.11.1993,[42]) darf der Stoppweg des Schiffes<br />
15 Schiffslängen nicht übersteigen.<br />
Abbildung 6.6: Propulsionsdaten beim Notstoppmanöver im See-Modus für Schiff 1<br />
Abbildung 6.7: Geschwindigkeitsverlauf beim Notstoppmanöver im See-Modus für Schiff 1<br />
53
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Die gemessenen <strong>und</strong> berechneten Daten stimmen gut überein. Zu Beginn des Manövers<br />
kann die Wirkung des Notstoppprogramms beobachtet werden (Kapitel 5.2). Zunächst sinkt<br />
die Drehzahl, bis der Steigungswinkel des Verstellpropellers einen Nulldurchgang hat, dadurch<br />
kann eine Überdrehzahlsituation vermieden werden. Der gemessene Stoppweg beträgt 940 m.<br />
Das Schiff benötigt 187,5 Sek<strong>und</strong>en, um diese Strecke zurückzulegen. Prognostiziert wird eine<br />
Distanz <strong>von</strong> 913 m mit einer Stoppzeit <strong>von</strong> 156 Sek<strong>und</strong>en. Die unterschiedlichen Geschwindigkeitsverläufe<br />
zum Ende des Manövers haben auf Gr<strong>und</strong> der langsamen Geschwindigkeiten<br />
keinen großen Anteil am Stoppweg.<br />
Bei der Betrachtung der Propulsionsdaten fällt auf, dass das Steigungssignal in der Endphase<br />
des Notstoppmanövers bei der Großausführung -100 % erreicht, während in der Simulation nur<br />
-60% erreicht werden. Trotzdem wird der Stoppweg gut vorhergesagt, was darauf hindeutet,<br />
dass der Propellerschub korrekt berechnet wurde. Der Gr<strong>und</strong> für diesen Unterschied kann ein<br />
Lufteinbruch am Propeller sein. Für einen ähnlichen Propeller wurden in der HSVA Versuche<br />
gemacht, bei denen Schub <strong>und</strong> Moment eines Propellers für zwei Trimmzustände <strong>und</strong> mehrere<br />
Propellerdrehzahlen gemessen wurden. Beide Versuche fanden unter Pfahlzugbedingungen<br />
statt. Im einen Fall war das Schiff unvertrimmt <strong>und</strong> der Propeller hatte in der 12 Uhr Position<br />
eine Tauchung <strong>von</strong> 64 cm im statischen Fall (bezogen auf die Großausführung). In der zweiten<br />
Versuchsreihe hat der Propeller nur noch eine Tauchung <strong>von</strong> 25 cm, was bei operierendem<br />
Propeller mit großer Wahrscheinlichkeit zum Ansaugen <strong>von</strong> Luft führt. Die beiden Versuchsreihen<br />
werden miteinander verglichen <strong>und</strong> der Vergleich wird in Diagramm 6.8 dargestellt.<br />
Die magentafarbene Kurve zeigt den Schub- <strong>und</strong> Momentenverlust bei Lufteinbruch bezogen<br />
auf die unvertrimmte Schwimmlage für verschiedene Drehzahlen. Es ist klar zu erkennen, dass<br />
Schub- <strong>und</strong> Momentenreduktion in etwa gleich groß sind. Die grüne Kurve zeigt die Schübe<br />
<strong>und</strong> Momente des Propellers <strong>von</strong> Beispielschiff 1 für verschiedene Propellersteigungen an. Die<br />
Werte sind dabei auf die Schübe <strong>und</strong> Momente bei -100 % Propellersteigung bezogen. Wenn<br />
jetzt im Fall <strong>von</strong> Lufteinbruch eine Schub- <strong>und</strong> Momenten-Reduktion <strong>von</strong> ca. 60 % stattfindet,<br />
kann dies durch eine Verringerung der Propellersteigung <strong>von</strong> -60 % auf -100 % ausgeglichen<br />
werden. Mit anderen Worten: Schub <strong>und</strong> Moment eines Verstellpropellers mit -60 % Steigung<br />
ohne Lufteinbruch ist in etwa so groß wie bei einem Propeller mit -100 % Steigung bei Lufteinbruch.<br />
Beim berechneten <strong>und</strong> gemessenen Notstoppmanöver im Manövrier-Modus kann der gleiche<br />
Effekt beobachtet werden. Im Unterschied zum See-Modus, fährt das Schiff im Konstantdrehzahlmodus.<br />
Folglich ist auch kein Notstoppprogramm aktiviert. Gemessener (829,3 m bei 175<br />
Sek<strong>und</strong>en) <strong>und</strong> simulierter (748 m bei 139 Sek<strong>und</strong>en) Stoppweg stimmen auch hier gut überein,<br />
jedoch nicht so gut, wie beim gleichen Manöver im See-Modus. Dies kann zum Teil an den stochastischen<br />
Umweltbedingungen liegen (1 m signifikante Wellenhöhe), welche nur zum Teil in<br />
der Simulation berücksichtigt werden können, <strong>und</strong> zum Beispiel zu einem Querversatz durch<br />
Giermomente führen (See-Modus: 100 m bei 940 m Stoppweg; Manövrier-Modus: 50 m bei 830<br />
m). Der berechnete Momentenverlauf stimmt allerdings sehr gut mit den Probefahrtsmessungen<br />
überein (Abb. 6.9), da (anders als beim Notstoppmanöver im See-Modus) zum Zeitpunkt<br />
des Manövers auch die Lastaufschaltungsbegrenzung gemäß der Herstellerangaben aktiviert<br />
war.<br />
54
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.8: Schub- <strong>und</strong> Momentenreduktion bei Lufteinbruch<br />
Abbildung 6.9: Propulsionsdaten beim Notstoppmanöver im Manövrier-Modus für Schiff 1<br />
55
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.10: Geschwindigkeitsverlauf beim Notstoppmanöver im Manövrier-Modus für<br />
Schiff 1<br />
6.1.3 Beschleunigungsmanöver<br />
Auf der Probefahrt wurde zusätzlich ein Beschleunigungsmanöver durchgeführt. Das Schiff wurde<br />
in für die Automation minimal möglicher Zeit <strong>von</strong> 0 Knoten auf 22,5 Knoten beschleunigt.<br />
Die Maschinenanlage wurde dabei im Kombinatormodus betrieben. Zu Beginn des Manövers<br />
ist die Motordrehzahl entsprechend dem Kombinatordiagramm auf die Leerlaufdrehzahl eingeregelt.<br />
Die Propellersteigung ist so eingestellt, dass das Schiff keine Fahrt mehr macht (Nullschubstellung).<br />
Im Diagramm 6.12 sind die Geschwindigkeitsverläufe für das gemessene <strong>und</strong><br />
das gerechnete Manöver im See-Modus zu sehen. Insgesamt steigt die gemessene Geschwindigkeit<br />
im letzten Abschnitt langsamer als die vorausberechnete. Allerdings ist der Geschwindigkeitsgradient<br />
an dieser Stelle sehr klein, so dass nicht auszuschließen ist, dass schon kleine<br />
Änderungen in den Umgebungsbedingungen für eine Beschleunigungszeitveränderung in dieser<br />
Größenordnung verantwortlich sein können. Die Momentenverläufe sind trotzdem ähnlich <strong>und</strong><br />
die Beschleunigungszeit wurde relativ gut getroffen.<br />
56
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.11: Propulsionsdaten beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 1<br />
Abbildung 6.12: Geschwindigkeitsverlauf beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 1<br />
57
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
6.2 Beispielschiff 2<br />
Das zweite Schiff ist ein RoRo-Schiff mit einem Antrieb bestehend aus zwei Verstellpropellern<br />
<strong>und</strong> zwei Viertaktdieselmotoren. Die Hauptabmessungen des Schiffes sind in Tabelle 6.b zu<br />
sehen. In Abbildung 6.13 ist der Spantenriss des Schiffes dargestellt.<br />
Da bei diesem Schiff PTO-Anlagen zur Versorgung des Bordnetzes verwendet werden, fährt das<br />
Schiff im Konstantdrehzahlmodus. Die Nenndrehzahl des Motors liegt bei 500 Umdrehungen<br />
pro Minute, die mit Hilfe eines Getriebes auf die Propellerdrehzahl <strong>von</strong> 140 1/min übersetzt<br />
wird. Der Propellerdurchmesser beträgt 5 m.<br />
Das Schiff ist mit zwei Vollschweberudern ausgestattet.<br />
L pp<br />
B<br />
T D<br />
Verdrängung<br />
Servicegeschwindigkeit<br />
Propulsion<br />
Tabelle 6.b: Beispielschiff 2<br />
182,39 m<br />
26,00 m<br />
5,7 m<br />
ca. 15.000 t<br />
ca. 21,5 Knoten<br />
Zweischrauber / Viertaktdieselmotoren / Verstellpropeller<br />
Abbildung 6.13: Spantenriss für Beispielschiff 2<br />
6.2.1 Drehkreismanöver<br />
Der berechnete Bahnverlauf für das Drehkreismanöver (Abb. 6.14) stimmt nicht so gut mit der<br />
Messung überein, wie dies beim Schiff 1 der Fall war. Der Geschwindigkeitsverlauf (Abb. 6.15)<br />
wird allerdings sehr gut getroffen. Für das Manöver liegt leider keine detaillierte Messung über<br />
das Verhalten der Maschinenanlage vor (Abb. 6.16). Die Werte für die Propellersteigung wurden<br />
aber gegen Ende des Manövers abgelesen: 82% (berechnet 75, 5%) für den Backbord- (PS) <strong>und</strong><br />
73% (berechnet 73%) für den Steuerbordpropeller (XB). Die Senkung der Propellersteigung<br />
erfolgt, da das Propellermoment auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong> zwei Tatsachen im Drehkreis steigt. Einerseits<br />
hat der äußere Propeller (XB) eine größere axiale Anströmgeschwindigkeit, was zu einer im<br />
Vergleich zum inneren Propeller niedrigeren Belastung führt. Andererseits ist der äußere Propeller<br />
einer größeren Queranströmung ausgesetzt. Da der letzte der beiden Effekte überwiegt,<br />
58
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
steigt die Belastung des äußeren Propeller insgesamt stärker als die des inneren. Dies führt in<br />
Messung <strong>und</strong> Simulation zu einer größeren Steigungsreduktion beim Steuerbordpropeller.<br />
Abbildung 6.14: Bahnverlauf eines Backborddrehkreises (45 ◦ Ruderwinkel) für Schiff 2<br />
Abbildung 6.15: Geschwindigkeitsverlauf während eines Backborddrehkreises (45 ◦ Ruderwinkel)<br />
für Schiff 2<br />
59
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.16: Propulsionsdaten beim Backborddrehkreis (45 ◦ Ruderwinkel) für Schiff 2<br />
6.2.2 Notstoppmanöver<br />
Das Notstoppmanöver wird sehr realistisch simuliert. Sowohl die Propulsionsdaten (Abb. 6.17)<br />
als auch die Geschwindigkeiten (Abb. 6.18) zeigen qualitativ <strong>und</strong> quantitativ den gleichen<br />
Verlauf. Der Stoppweg (gemessen: 916 ;berechnet 961 m) wurde ebenso präzise vorhergesagt<br />
wie die Stoppzeit (gemessen: 186 s;berechnet 181 s). Anders als beim Notstoppmanöver im<br />
Beispiel 1, wird die Steigungsreduktion richtig prognostiziert. Bei diesem Schiff ist nicht mit<br />
einem Lufteinbruch am Propeller zu rechnen. Die hydrostatische Propellertauchung in der 12<br />
Uhr Stellung beträgt hier immer noch 64 cm, wohingegen sie bei Schiff 1 nur 28 cm beträgt.<br />
Außerdem weisen die Schiffslinien im Hinterschiff keine Tunnelung auf, wie es beim Schiff 1 der<br />
Fall ist.<br />
6.2.3 Beschleunigungsmanöver<br />
Für das Beschleunigungsmanöver im Konstantdrehzahlmodus liegen leider keine Messdaten<br />
vor. Die Propulsionsdaten in Diagramm 6.19 zeigen, wie der Verstellwinkel langsam erhöht<br />
wird, ohne einen Drehzahleinbruch zu verursachen. Der Geschwindigkeitsverlauf ist in Abb.<br />
6.20 zu sehen. Das Schiff braucht 267 Sek<strong>und</strong>en, um seine Endgeschwindigkeit <strong>von</strong> 21,5 Knoten<br />
zu erreichen. Nach 28 Sek<strong>und</strong>en ist bereits der gleiche Schub erreicht, der bei der Entwurfsgeschwindigkeit<br />
erzeugt wird.<br />
60
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.17: Propulsionsdaten beim Notstoppmanöver für Schiff 2<br />
Abbildung 6.18: Geschwindigkeitsverlauf beim Notstoppmanöver für Schiff 2<br />
61
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.19: Propulsionsdaten beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 2<br />
Abbildung 6.20: Geschwindigkeitsverlauf beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 2<br />
62
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
6.3 Beispielschiff 3<br />
Das dritte Schiff ist eine Doppelendfähre. Der Antrieb besteht aus zwei Verstellpropellern <strong>und</strong><br />
4 Viertaktdieselmotoren mit Generatoren, die zur Versorgung der beiden Asynchronmotoren<br />
eingesetzt werden. Die Hauptabmessungen des Schiffes sind in Tabelle 6.c zu sehen. Abbildung<br />
6.22 zeigt den Spantenriss des Schiffes.<br />
Bei der untersuchten Doppelendfähre werden extrem hohe Anforderungen an die Manövrierfähigkeit<br />
gestellt, da sie in schwieriger Umgebung operiert (vgl. Abb. 6.21). Im sogenannten Active<br />
Pass treten komplexe Strömungszustände auf (bis zu 8 Knoten Gezeitenströmung), welche u.a.<br />
Schiffsbegegnungen erschweren. Da das Seegebiet unter Naturschutz steht, ist eine spezielle<br />
Genehmigung für Schiffe erforderlich, welche in diesem Seegebiet verkehren sollen.<br />
Abbildung 6.21: Seegebiet Active Pass in British Columbia, Kanada<br />
Die im Rahmen dieser Arbeit implementierten Modelle wurden in der Entwurfsphase dieses<br />
Schiffes verwendet, um die Automation insbesondere im Hinblick auf das Stopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsverhalten<br />
zu optimieren. Dabei stand unter anderem das Verhalten des Bugpropellers<br />
im Mittelpunkt. Es wurden verschiedene Strategien zur Automation der Propellersteigung für<br />
Bug- <strong>und</strong> Heckpropeller miteinander verglichen, um z.B. die Verstellrate für die Propellerflügel<br />
zu optimieren.<br />
63
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.22: Spantenriss für Beispielschiff 3<br />
Das Schiff wird im Konstantdrehzahlmodus betrieben. Die Nenndrehzahl der Propeller liegt<br />
bei ca. 118 Umdrehungen pro Minute. Der Propellerdurchmesser beträgt 5 m.<br />
Im Normalbetrieb wird nur der hintere Propeller zur Schuberzeugung eingesetzt. Der vordere<br />
Propeller wird in Segelstellung gebracht (trailing edge feathering) <strong>und</strong> dreht sich bei Geradeausfahrt<br />
nicht. Das Schiff ist mit zwei Vollschweberudern ausgestattet.<br />
Tabelle 6.c: Beispielschiff 3: Doppelendfähre<br />
L pp<br />
154,00 m<br />
B<br />
28,2 m<br />
T D<br />
5,75 m<br />
Verdrängung<br />
ca. 10.000 t<br />
Servicegeschwindigkeit ca. 21,0 Knoten<br />
Propulsion 1 Verstellpropeller an Bug <strong>und</strong> Heck /<br />
Viertaktdieselmotoren als Generatorantrieb für asynchrone E-Motoren<br />
6.3.1 Beschleunigungsmanöver<br />
Das Beschleunigungsverhalten des betrachteten Schiffes soll optimiert werden. Dazu muss<br />
die Flügelverstellrate des Heckpropellers auf den Motor abgestimmt werden. Beide Propeller<br />
können mit einer maximalen Rate <strong>von</strong> 1, 8 ◦ /s verstellt werden. Allerdings verbleibt der Bugpropeller<br />
während der Beschleunigungsfahrt in der Segelstellung (92 ◦ ). Bei der betreffenden<br />
Automationsanlage wird in der Verstellpropellerregelung nur das Bandbreiten-Modul verwendet,<br />
wohingegen keine Überlastregelung über das Drehzahlsignal erfolgt. Das bedeutet, dass<br />
verhindert wird, dass der Motor eine statische Überlast hat. Das Drehzahlsignal wird nur zur<br />
Verhinderung <strong>von</strong> Überdrehzahl verwendet.<br />
Um das Potenzial der Antriebsanlage auszuschöpfen, werden maximale Verstellraten für verschiedene<br />
Bereiche vorgegeben. Am Anfang des Beschleunigungsmanövers kann der Motor eine<br />
sehr schnelle Propellersteigungserhöhung verkraften. Danach muss die Verstellrate deutlich geringer<br />
sein. Als gute Wahl hat sich eine Staffelung erwiesen, bei der zunächst der Propeller<br />
64
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
<strong>von</strong> 0 % auf 20 % mit einer Rate <strong>von</strong> 1, 2 ◦ /s verstellt wird (siehe auch Abb. 6.23). Das entspricht<br />
in etwa einer Lastaufschaltung <strong>von</strong> r<strong>und</strong> 7 %. In dieser Zeit (ca. 5 Sek<strong>und</strong>en) erzeugt<br />
der Propeller schon 40 % des Schubes, der bei Entwurfsgeschwindigkeit anliegt. Allerdings ist<br />
mit Kavitation <strong>und</strong> einem eventuellen Lufteinbruch zu rechnen. Nach dieser Phase wird die<br />
maximale Verstellrate auf 0, 3 ◦ /s begrenzt, bis der Propeller 40 % Steigung erreicht hat. Zu<br />
diesem Zeitpunkt liegt der Schub bei 87 %. Jetzt wird die Verstellrate noch einmal auf 0, 2 ◦ /s<br />
begrenzt, bis 98 % Steigung erreicht sind. In diesem Abschnitt erreicht der Propeller 100 %<br />
Schub nach 100 Sek<strong>und</strong>en. Nach 67 Sek<strong>und</strong>en erreicht der Schub sein Maximum <strong>von</strong> 138 %.<br />
Nach Erreichen der 98 % wird für ein schnelles Regelverhalten eine maximale Rate <strong>von</strong> 0, 6 ◦ /s<br />
verwendet. Insgesamt kann mit diesem Verfahren eine Beschleunigungszeit (0 Knoten - 21 Knoten)<br />
<strong>von</strong> 230 Sek<strong>und</strong>en erreicht werden (siehe auch Abb. 6.24). Der zurückgelegte Weg beträgt<br />
dann 1466 m. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit <strong>von</strong> 12,39 Knoten. Die minimale<br />
Drehzahl bei diesem Manöver beträgt 96, 96 % der Nenndrehzahl. Dieser Wert scheint für die<br />
Netzfrequenz unkritisch zu sein. Das Verhalten des Bugpropellers ist für das Beschleunigungsverhalten<br />
nicht <strong>von</strong> Bedeutung.<br />
Bei Aktivierung der Standardautomation wie beim Beispielschiff 1 oder 2 ergibt sich eine<br />
ähnliche Beschleunigungszeit <strong>von</strong> 256 Sek<strong>und</strong>en bei einer zurückgelegten Distanz <strong>von</strong> 1615 Metern<br />
(Abb. 6.25). Um die beiden Automationsvarianten vergleichen zu können, wurde bei der<br />
Rechnung eine ähnliche Drehzahldrückung zugelassen (3 %), wie sie beim anderen Automationsentwurf<br />
auftritt. Zusätzlich wurde die Flügelverstellrate auf maximal 0, 65 ◦ /s beschränkt.<br />
Das ist in etwa der Wert, der auch bei den <strong>Schiffen</strong> 1 <strong>und</strong> 2 verwendet wird.<br />
Vergleicht man die beiden Varianten miteinander, so scheint der erste Entwurf in zweifacher<br />
Hinsicht überlegen zu sein. Zum einen ist die Beschleunigungszeit ein wenig kleiner <strong>und</strong> zum<br />
anderen wird der Propellerverstellmechanismus weniger stark belastet, da die Verstellrichtung<br />
weitestgehend konstant ist.<br />
Abbildung 6.23: Propulsionsdaten beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 3<br />
65
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.24: Geschwindigkeitsverlauf beim Beschleunigungsmanöver im See-Modus für<br />
Schiff 3<br />
Abbildung 6.25: Propulsionsdaten beim Beschleunigungsmanöver für Schiff 3 mit Standardautomation<br />
66
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
6.3.2 Drehkreismanöver<br />
Beim Drehkreismanöver (44 ◦ Ruderwinkel) bleibt die Drehzahl konstant (Bahn: Abb. 6.26,<br />
Geschwindigkeit: Abb. 6.27 ). Auf Gr<strong>und</strong> der Propellerqueranströmung erhöht sich die Propellerlast<br />
<strong>und</strong> die Steigung muss in der Folge reduziert werden (Abb. 6.28). In der stationären<br />
Kreisfahrt hat das Schiff eine Drehrate <strong>von</strong> 20, 05 ◦ /min bei einer Vorausgeschwindigkeit <strong>von</strong><br />
14,16 Knoten.<br />
Abbildung 6.26: Bahnverlauf eines Backborddrehkreises für Schiff 3<br />
6.3.3 Notstoppmanöver<br />
Um in einer Notsituation das Schiff möglichst schnell stoppen zu können, müssen die Flügelverstellraten<br />
sowohl des Heck- als auch des Bugpropellers auf den Motor abgestimmt werden (maximale<br />
Rate 1, 8 ◦ /s). Zusätzlich soll die Zeitspanne für das Starten des vorderen Fahrmotors<br />
minimal sein. Dazu ist eine niedrige Drehzahl <strong>und</strong> ein kleines Moment am Bugpropeller notwendig.<br />
Zunächst muss der Bugpropeller <strong>von</strong> seiner Segelstellung mit r<strong>und</strong> 92 ◦ auf die mechanisch<br />
maximale negative Position gestellt werden, um eine möglichst große Bremswirkung zu haben.<br />
Danach kann die Steigung wieder erhöht werden. Beim Bugpropeller muss gewährleistet sein,<br />
dass der Motor nicht in einen Drehzahlbereich oberhalb seiner Nenndrehzahl gerät. Das garantiert<br />
ein entsprechendes Überdrehzahlschutz-Modul. Simulationsrechnungen mit verschiedenen<br />
Variationen <strong>von</strong> Verstellraten haben ergeben, dass eine Staffelung der Verstellrate ( ˙τ < 0)<br />
gemäß Tabelle 6.d zu einem guten Ergebnis führt (Abb. 6.29).<br />
67
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.27: Geschwindigkeitsverlauf beim Backborddrehkreis für Schiff 3<br />
Abbildung 6.28: Propulsionsdaten während eines Backborddrehkreises für Schiff 3<br />
Das Schiff benötigt dann 140 Sek<strong>und</strong>en für einen Stoppweg <strong>von</strong> 724 m bei einer Startgeschwindigkeit<br />
<strong>von</strong> 21 Knoten (Geschwindigkeitsverlauf in Abb. 6.30). Der Bugpropeller wird<br />
mit der maximal möglichen Verstellrate umgesteuert. Allerdings erreicht der Propeller während<br />
des Manövers eine Drehzahl <strong>von</strong> über −100 %. Dadurch wird das Überdrehzahlschutz-Modul<br />
68
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Tabelle 6.d: Staffelung der Flügelverstellraten für den Heckpropeller<br />
Bereich (in % P/D) Verstellrate in ◦ /s<br />
−100 ≤ τ ≤ −50 0,2<br />
−50 < τ ≤ 0 0,3<br />
0 < τ ≤ 30 0,2<br />
30 < τ ≤ 110 1,8<br />
ausgelöst <strong>und</strong> es kommt zu einer leicht verzögerten Steigungsreduktion. Der Propeller trägt<br />
durch seinen Widerstand einen nicht unerheblichen Bremsanteil bei. Gegen Ende des Manövers<br />
erreicht der Bugpropeller die erwünschte niedrige positive Drehzahl. Zu diesem Zeitpunkt wäre<br />
ein Starten des vorderen Fahrmotors möglich.<br />
Abbildung 6.29: Propulsionsdaten beim Notstoppmanöver für Schiff 3<br />
69
KAPITEL 6. BEISPIELE<br />
Abbildung 6.30: Geschwindigkeitsverlauf beim Notstoppmanöver für Schiff 3<br />
70
7 Zusammenfassung<br />
Das Manövrierverhalten <strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> ist <strong>von</strong> der Hydromechanik des Rumpfes, der Ruder, der<br />
Propeller <strong>und</strong> dem Verhalten der Schiffsantriebsanlage abhängig. Wenn aussagefähige Prognosen<br />
des Manövrierverhaltens erzielt werden sollen, so muss eine Gesamtsystemsimulation<br />
durchgeführt werden, in der sowohl geeignete Teil- als auch adäquate Interaktionsmodelle verwendet<br />
werden.<br />
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Entwicklung <strong>und</strong> Implementierung <strong>von</strong> Modellen für<br />
die Anlagenautomation, den Schiffspropeller sowie die Propeller-Rumpf-Interaktion. Mit den<br />
in der Arbeit entwickelten Modellen ist es möglich, Gesamtsystemsimulationen für beliebige<br />
nautische Manöver <strong>und</strong> für zahlreiche Anlagenkonfigurationen vorzunehmen. Unter anderem<br />
wird das Verhalten der Automation für Verstellpropeller nachgebildet.<br />
Ausgangspunkt war ein Simulationsprogramm zur Simulation nautischer Manöver, wie Drehkreisen<br />
oder Zickzack-Manövern auf der Basis eines modular aufgebauten Kraftmodells. Diese<br />
Methode wurde um die im Rahmen der Arbeit entstandenen Modelle für die Schiffsantriebsanlage<br />
<strong>und</strong> deren Automation, den Propeller <strong>und</strong> den Propellersog erweitert. Das Modell für<br />
die Automation enthält alle für den sicheren Betrieb des Motors notwendigen Teilsysteme. Das<br />
beinhaltet sowohl dynamische <strong>und</strong> statische Überlastmodule als auch ein Überdrehzahlschutz-<br />
Modul.<br />
Für die Modellierung der Propellerkräfte <strong>und</strong> -momente werden numerisch ermittelte Propellerfreifahrtkurven<br />
für verstellte Steigungswinkel verwendet. Es existieren Freifahrtkurven für<br />
den gesamten mechanisch möglichen Bereich. Zusätzlich werden Versuchsdaten der HSVA für<br />
einen modernen Propeller mit vier Flügeln integriert. In diesem Zusammenhang wurden auch<br />
Messungen in 3 Quadranten für sehr große Steigungen (bis zu 92 ◦ ) gemacht. Für die Simulation<br />
<strong>von</strong> Festpropellern werden gemessene Freifahrtkurven verwendet <strong>und</strong> in anderen Quadranten<br />
die Kurven der Wageninger B-Serie.<br />
Bei der Berechnung <strong>von</strong> Notstoppmanövern wird der Anhalteweg zu kurz ausgerechnet, wenn<br />
man als Sogziffer den im Propulsionsversuch unter Designbedingungen gemessenen Wert verwendet.<br />
Deshalb werden die Rumpfkräfte, welche durch den umgesteuerten Propeller hervorgerufen<br />
werden, mit Hilfe einer in dieser Arbeit entwickelten CFD-Methode berechnet. Dazu<br />
wird ein Modell für Potenzialströmungsberechnung mit einem Traglinienverfahren für Propeller<br />
kombiniert. Berechnungen für die beiden Schiffe 1 <strong>und</strong> 2 zeigten eine 3-5 mal größere<br />
Schubminderung, als die oben erwähnte Sogziffer hervorrufen würde. Mit den so gewonnenen<br />
Ergebnissen für die Sogkräfte konnte die Prognosegenauigkeit für Notstoppmanöver deutlich<br />
verbessert werden.<br />
Insgesamt zeigt der Vergleich zahlreicher Simulationen eine gute Übereinstimmung mit Großausführungsmessungen.<br />
Das gilt für Standardmanöver, wie Drehkreise, aber auch für Notstopp<strong>und</strong><br />
Beschleunigungsmanöver. Das Verhalten des Schiffes in Bahn <strong>und</strong> Geschwindigkeit wird<br />
ebenso zufriedenstellend prognostiziert wie das Verhalten der Maschinenanlage.<br />
Es wird gezeigt, dass es möglich ist, sowohl den Kombinator- als auch den Konstantdrehzahlbetrieb<br />
zu simulieren. Ferner wird die Auswirkung <strong>von</strong> Notstoppprogrammen demonstriert.<br />
71
KAPITEL 7. ZUSAMMENFASSUNG<br />
Insgesamt kann die Methode dazu verwendet werden, verschiedene Automationsstrategien zu<br />
testen <strong>und</strong> miteinander zu vergleichen. Damit kann das Stopp- <strong>und</strong> Beschleunigungsverhalten<br />
<strong>von</strong> <strong>Schiffen</strong> signifikant verbessert werden.<br />
Für die Doppelendfähre aus Beispiel 3 wird der Anhalteweg <strong>und</strong> das Beschleunigungsverhalten<br />
dadurch optimiert, dass die Flügelverstellgeschwindigkeiten <strong>von</strong> Bug- <strong>und</strong> Heckpropeller variiert<br />
werden.<br />
Die Software ist für den Einsatz im industriellen Umfeld konzipiert. Die notwendigen Eingabedaten<br />
können durch vorhandene Werkzeuge automatisch generiert werden. Die Methode<br />
ist modular aufgebaut, so dass andere denkbare Automationskonzepte schnell eingefügt werden<br />
können. Alle Simulationsergebnisse werden automatisch grafisch aufbereitet <strong>und</strong> können<br />
dementsprechend schnell beurteilt werden.<br />
Die Software ist bereits auf einer Werft im Einsatz <strong>und</strong> wird zur Optimierung <strong>und</strong> Auslegung<br />
der Anlagenautomation verwendet. Dabei kann die Methode schon zu Beginn des Entwurfprozesses<br />
verwendet werden <strong>und</strong> mit zunehmendem Detaillierungsgrad im Entwurfsprozess immer<br />
präzisere Ergebnisse berechnen.<br />
Außerdem ist es durch leichte Modifikationen möglich, die Manövriersimulation interaktiv<br />
durchzuführen. Damit könnte die Methode auch in Schiffsführungssimulatoren zum Einsatz<br />
kommen.<br />
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76
Nomenklatur<br />
X Rumpf , X Ruder , X P ropeller , X Aero Kräfte in Schiffslängsrichtung in N<br />
Y Rumpf , Y Ruder , Y P ropeller , Y Aero Kräfte in Schiffsquerrichtung in N<br />
N Rumpf , N Ruder , N P ropeller , N Aero Momente um die Vertikalachse in Nm<br />
m<br />
Schiffsmasse in kg<br />
u S , v S<br />
Schiffsgeschwindigkeit in Längs- <strong>und</strong> Querrichtung in m/s<br />
˙u S , ˙v S Beschleunigung in Längs- <strong>und</strong> Querrichtung in m/s 2<br />
x G<br />
Längskoordinate des Gewichtsschwerpunktes in m<br />
ψ, ˙ψ, ¨ψ Gierwinkel in rad, Drehrate in rad/s,<br />
Drehbeschleunigung in rad/s 2<br />
I Z<br />
Massenträgheitsmoment um die z-Achse<br />
X 1,2<br />
Rumpfkräfte in Längsrichtung in N<br />
Y 1,2<br />
Rumpfkräfte in Querrichtung in N<br />
K 1,2<br />
Krängende Momente in Nm<br />
N 1,2<br />
Giermomente in Nm<br />
m X<br />
hydrodynamische Masse in Längsrichtung in kg<br />
∇<br />
Schiffsverdrängung in kg<br />
L<br />
Schiffslänge in m<br />
g Erdbeschleunigung in kgm/s 2<br />
t<br />
Zeit in s<br />
∂<br />
∂t<br />
Ableitung nach der Zeit<br />
∂<br />
∂x<br />
Ableitung nach x<br />
µ hydrodynamische Masse in kg<br />
z 1<br />
Höhenschwerpunkt der hydrodynamischen Masse µ in m<br />
h<br />
Hebelarm in m<br />
k 1 , k 2<br />
Korrekturfaktoren<br />
ɛ<br />
doppelter Tiefgang in m<br />
X vv , X vr , X rr<br />
Manövrierkoeffizienten<br />
R T<br />
Schiffswiderstand in N<br />
R F<br />
Reibungswiderstand in N<br />
x T<br />
Ablösestelle in m<br />
ρ Wasserdichte in kg/m 3<br />
c D<br />
Widerstandsbeiwert<br />
d<br />
Spanttiefgang in m<br />
KG<br />
Vertikalkoordinate des Gewichtsschwerpunktes<br />
Γ Zirkulation in m 2 /s<br />
77
Literaturverzeichnis<br />
ω<br />
Drehgeschwindigkeit in rad/s<br />
δ 0<br />
Nullauftriebsrichtung in rad<br />
c a<br />
dimensionsloser Auftriebsbeiwert<br />
l<br />
Profiltiefe in m<br />
u p , v p<br />
axiale- <strong>und</strong> tangentiale Geschwindigkeit in m/s<br />
k 0<br />
Steigung der freien Wirbel<br />
β i<br />
Steigungswinkel der freien Wirbel in rad<br />
N<br />
Anzahl der Propellerflügel<br />
T<br />
Propellerschub in N<br />
Q P<br />
Propellermoment in Nm<br />
R<br />
Propellerradius in m<br />
R h<br />
Propellernabenradius<br />
κ<br />
Goldsteinfaktor<br />
r<br />
Radialkorrdinate in m<br />
θ 0<br />
Ausgangslage des Propellerflügels in rad<br />
x P , y P , z P Koordinaten des Propellers in m<br />
C T H<br />
Schubbelastungsgrad<br />
u 07R , v 07R Induzierte Axial- bzw. Tangentialgeschwindigkeit an der Stelle r = 0, 7 · R<br />
U ∞<br />
Propellerstrahlgeschwindigkeit in m/s<br />
U a<br />
Propelleranströmgeschwindigkeit in m/s<br />
r ∞<br />
Strahlradius in m<br />
KT, ct<br />
Schubbeiwert<br />
KQ, cq<br />
Momentenbeiwert<br />
J<br />
Fortschrittsziffer<br />
β<br />
Propeller Fortschrittswinkel in ◦<br />
Ω<br />
Flüssigkeitsgebiet<br />
S<br />
Rand des Flüssigkeitsgebietes<br />
f(⃗x) = φ(⃗x) Störpotenzial<br />
g(⃗x)<br />
Greenfunktion<br />
⃗n<br />
Normalenvektor<br />
⃗x<br />
Ortsvektor<br />
c P<br />
dynamischer Druckbeiwert<br />
P<br />
Propellersteigung<br />
D<br />
Propellerdurchmesser<br />
t<br />
Sogziffer<br />
Q M<br />
Motormoment in Nm<br />
τ<br />
Propellersteigungssignal in %/100 P/D<br />
K dyn , K rpm , K stat Korrekturzahl zur Steigungsregelung<br />
n Drehzahl in 1/s<br />
ζ Einspritzmenge in %/100<br />
τ<br />
Propellersteigungsverstellgeschwindigkeit in %/100P/D<br />
s<br />
P P<br />
Proportionalanteil der Steigungsregelung<br />
P Ladeluft Ladeluftdruck in kPa<br />
P F<br />
Proportionalanteil der Drehzahlregelung<br />
I<br />
Integralanteil<br />
J Massenträgheitsmoment in kgm 2<br />
P S<br />
Backbord<br />
XB<br />
Steuerbord<br />
78