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Verzerren von Schiffslinien

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<strong>Verzerren</strong> <strong>von</strong> <strong>Schiffslinien</strong> 26. Februar 2002<br />

<strong>Verzerren</strong> <strong>von</strong> <strong>Schiffslinien</strong><br />

1 Allgemeines<br />

Bei der Diskussion der Möglichkeiten, Schiffsfomen mit Hilfe <strong>von</strong> Computern zu erzeugen, wurde schon<br />

darauf hingewiesen, daß ein wesentlicher Wert des Rechnereinsatzes eben darin besteht, daß vorhandene<br />

Schiffsformen auf elekronischen Medien gespeichert und weiterverarbeitet werden können. Diese<br />

Fähigkeit erst einmal vorausgesetzt, ist es nur konsequent, wenn eine neue Klasse <strong>von</strong> Methoden zur<br />

Anwendung kommt, deren Ziel darin liegt, aus bereits vorhandenen Linien durch Manipulationen neue<br />

Linien zu erzeugen. Dabei sind zwei grundsätzliche Vorgehensweisen zu unterscheiden:<br />

Einmal besteht die Möglichkeit, aus parametrisierten Formserien (z.B. Guldhammer- Formdata,<br />

FDS-Serie, Serie 60/64 u.a.m) normierte Darstellungen der Schiffsform zu gewinnen, die dann entsprechend<br />

den gewünschten Hauptabmessungen angepaßt werden. Diese Vorgehensweise ist im Prinzip nicht<br />

neu und benötigt nicht zwangsläufig den Einsatz <strong>von</strong> Rechnern (z.B. liegt Guldhammer-Formdata in<br />

Form <strong>von</strong> zeichnerischen Darstellungen der Spanten und Spantarealkurve vor). Analog existiert(e?) im<br />

FORAN-System ein Modul, daß in der Lage ist, recht flexibel eine Schiffsform automatisch aus wenigen<br />

Parametern zu entwickeln. Der Charme dieser (oder analoger) Vorgehensweisen liegt scheinbar darin,<br />

daß man -sozusagen aus dem Nichts heraus- Linien auf einfachste Weise generieren kann. Da derartige<br />

Methoden naturgemäß ein sehr breites Feld <strong>von</strong> Linienarten abdecken müssen, ist das Ergebnis natürlich<br />

nicht sehr spezifisch für den Entwurf, der gerade bearbeitet werden soll.<br />

Eine andere Klasse <strong>von</strong> Methoden arbeitet dahingehend, daß immer die Existenz eines möglichst<br />

ähnlichen (wir werden später noch sehen, was in diesem Zusammanhang möglichst ähnlich bedeutet)<br />

Basisentwurfes vorausgesetzt wird. Dieser wird dann nach verschiedenen Mechanismen so manipuliert,<br />

daß am Ende die gewünschte Schiffsform entsteht. Die zwingend notwendige Existenz eines Vergleichsschiffes<br />

scheint zunächst nachteilig, denn sie schränkt die Methode ein. Tatsächlich sind in der Praxis<br />

immer genügend brauchbare Vergleichsschiffe vorhanden, da die Methode sich sozusagen ihre Basis<br />

selbst schafft: Da es so einfach ist, Linien zu manipulieren, werden alle Projekte en detail ausgearbeitet,<br />

und so wächst die zur Verfügung stehende Datenbasis exponentiell. Hinzu kommt, daß nur Schiffe in<br />

den Basispool genommen werden können, für die ein spezifisches Know-How besteht (im Gegensatz zu<br />

den oben beschriebenen Serieninterpolationen, die eher allgemein gehalten sind). Bei der FSG liegt<br />

beispielsweise viel Erfahrung mit CFD-optimierten Linien vor, diese Erfahrung bzw. Investition (in die<br />

Linien) wird natürlich in den Datenpool übernommen.<br />

Wir werden uns im folgenden im wesentlichen mit der zweiten Klasse <strong>von</strong> Methoden beschäftigen,<br />

dem sogenannten <strong>Verzerren</strong> <strong>von</strong> <strong>Schiffslinien</strong>. Neben einer leistungsfähigen Datenbasis sind<br />

natürlich auch leistungsfähige Linienmanipulationswerkzeuge erforderlich. Im folgenden wird kurz auf<br />

die Grundlagen der Verzerrungsmechanismen (vgl. dazu auch KEIL (1984)) eingegangen, um daraus<br />

spezielle Anwendungen abzuleiten. Auf ein ganz wesentliches Spezifikum sei jedoch schon im Vorfeld<br />

hingewiesen: Das <strong>Verzerren</strong> <strong>von</strong> <strong>Schiffslinien</strong> verschlechtert im allgemeinen deren Qualität, insbesondere<br />

dann, wenn mehrere Verzerrungsschritte nacheinander auf die Ausgangsform angewendet werden. Meist<br />

sind geringfügige Nacharbeiten erforderlich, vor allem aber eine Kontrolle der Linien durch CFD. Wenn<br />

die Ausgangsform bereits ein gewisses Optimum darstellt (für einen spezifischen Einsatzzweck), dann<br />

wäre es naiv, zu glauben, daß ein verzerrtes Derivat dieser Form gleichermaßen optimal sei (für einen<br />

anderen Einsatzzweck). Daher darf man die Verzerrtechnik nicht isoliert betrachten, sondern muß sie<br />

im Zusammenhang mit anderen Linienerzeugungs-und -manipulationsmethoden sehen. Meist eigenen<br />

sich die Verzerrmethoden mehr für globale Änderungen, andere Methoden mehr für lokale Änderungen<br />

(z.B. (Fein-)straken).<br />

Stefan Krueger (TKB)<br />

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kruegers@fsg-ship.de<br />

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<strong>Verzerren</strong> <strong>von</strong> <strong>Schiffslinien</strong> 26. Februar 2002<br />

2 Grundlegende Verzerrungsprinzipien<br />

2.1 Einfachste Verzerrungen<br />

Einfachste Manipulationen der Schiffsform sind durch Ansätze der Art<br />

x = c x x<br />

y = c y y<br />

z = c z z<br />

gegeben. Da wir voraussetzen, daß alle Punkte, die die Schiffsform beschreiben, auf Spanten liegen,<br />

ergibt zusätzlich noch ein Ansatz der Art<br />

x = x + dx<br />

Sinn. Bei den Multiplikationen handelt es sich um rein affine Verzerrungen, d.h. alle Völligkeitsgrade<br />

und LCB bleiben erhalten. Diese Ansätze eignen sich im Prinzip zur Änderung der Hauptabmessungen.<br />

Eine besonders effiziente Art der Verzerrung, insbesondere zur Verschiebung der Schultern, ergibt sich<br />

aus einer Kombination <strong>von</strong> Verschiebungen und affinen Verzerrungen, wenn die Trennstelle zwischen Vorund<br />

Hinterschiff gerade mit dem jeweiligem Nullpunkt des lokalen Koordinatensystems zusammenfällt<br />

(daher, aber noch aus weiteren Gründen, ist es praktisch, den Nullpunkt der lokalen Koordiantensysteme<br />

so zu wählen, daß er mit der Trennstelle zusammenfällt). Dies muß nicht Lpp/2 sein, sondern die<br />

Stelle, wo alle Längslinien in beiden Projektionen mit dem Winkel 0 beginnen). Wendet man eine affine<br />

Transformation für gegebenes c x auf alle Spanten (nicht jedoch für den Spant bei x = 0) an, dann ensteht<br />

eine Verlängerung/Verkürzung des Schiffes um dx. Will man nun Lpp oder Loa halten, dann wird eine<br />

Transformation mit c x = Lpp/(Lpp+dx) (bzw. c x = Loa/(Loa+dx)) angewendet, um die entsprechende<br />

Abmessung zu halten. Ist dx größer als Null, wird der Bereich des parallelen Mittelschiffes relativ<br />

vergrößert, und die Verdrängung nimmt zu. Ist dx kleiner als 0, nimmt die Verdrängung entsprechend<br />

ab. (Liegt die Trennstelle wie beschrieben, zählen die Koordinaten des Hinterschiffes negativ nach<br />

hinten, und die Vorzeichen für dx sind im Hinterschiff sinngemäß zu vertauschen).<br />

Die affinen Ansätze können im Prinzip dazu verwendet werden, die Hauptabmessungen zu ändern.<br />

Bei Länge und Breite ist dies sofort durch geeignete Wahl <strong>von</strong> c x und c y möglich. Für die z-Richtung<br />

ensteht das Problem, daß zwei Höhenmaßstäbe existieren: Tiefgang und Seitenhöhe, <strong>von</strong> denen durch<br />

geeignete Wahl <strong>von</strong> c z nur einer eingehalten werden kann. Zusätzlich ist zu beachten, daß für c y ≠ c z<br />

ein Kimmradius zu einer Kimmellipse mutiert.<br />

2.2 Allgemeinere Transformationen<br />

Will man weiter als mit den oben beschriebenen Simpeltransformationen kommen, dann ist offensichtlich,<br />

daß man nicht mit konstanten Faktoren, sondern mit Funktionen arbeiten muß, die jeweils <strong>von</strong> den<br />

drei Koordinaten anhängig sein können. Da man drei Koordinaten hat (x,y,z), und jede Koordinate im<br />

Prinzip abhängig <strong>von</strong> allen geändert werden können muß, erhält man beispielsweise als Elementaransatz<br />

(in den Gleichungen kann anstelle des Operators + auch −,·,/ sinngemäß verwendet werden):<br />

x = x + f1(x)f2(y)f3(z)<br />

y = y + f4(x)f5(y)f6(z)<br />

z = z + f7(x)f8(y)f9(z)<br />

Die Gleichungen sind hier für den allgemeinen Fall aufgeschrieben. Da wir uns jedoch zu Beginn darauf<br />

festgelegt haben, daß alle Punkte nur auf Spanten mit konstantem x liegen dürfen, dürfen f2(y) und<br />

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f3(z) nie ungleich 1 sein, da ansonsten ebene Spanten nicht erhalten blieben. Die f1 bis f9 sind im<br />

Prinzip frei vorgebbare Funktionen, die abschnittsweise (durch Punkte und Randbedingungen, durch die<br />

ein Spline gelegt wird) dargestellt werden. Wir sehen schon, daß jede Verzerrung nun im wesentlichen<br />

darauf beruht, die richtigen Bedingungen für f1 − f9 zu setzen. Wir wollen dies zunächst anhand eines<br />

einfachen Beispieles, nämlich der Änderung <strong>von</strong> Seitenhöhe und Tiefgang, diskutieren. Wie bereits oben<br />

gezeigt, läßt sich ein neuer Tiefgang T 3 aus einem Ausgangstiefgang T 1 durch folgende Transformation<br />

erzeugen:<br />

z → z T 3<br />

T 1<br />

Durch diese einfache affine Verzerrung nimmt die ursprüngliche Seitenhöhe D 1 nunmehr den Wert<br />

D 2 = D 1 T 3 /T 1 an. Eigentlich soll aber die neue Seitenhöhe D 3 sein. Dies kann erreicht werden, wenn<br />

nach obiger folgende Transformation durchgeführt wird:<br />

z → zf7(x)f8(y)f9(z)<br />

Da die Seitenhöhe global geändert werden soll, ist es sinnvoll, die Transformation unabhängig <strong>von</strong> x und<br />

y anzusetzen. Daraus erhält man sofort f7 = f8 = 1 für alle y und z. Da der gewünschte Tiefgang T 3<br />

bereits durch den vorherigen Transformationsschritt erzielt wurde, braucht das Unterwasserschiff durch<br />

f9 nicht mehr verändert zu werden. Das liefert für f9 die Bedingungen<br />

f9(z = 0) = f9(z = T 3 ) = 0.<br />

Da die Formänderung bei z = T 3 stetig sein muß, gilt auch<br />

( ) df9<br />

= 0,<br />

dz<br />

z=T 3<br />

also waagerechte Tangente. Da die Seitenhöhe D 3 ereicht werden soll, muß f9 an der Stelle z = D 2<br />

den Wert D 3 /D 2 haben. Ansonsten kann f9 beliebig sein, z.B. könnte eine Randbedingung lauten,<br />

daß an der Stelle z = D 2 ebenfalls eine waagerechte Tangente gewünscht wird, um z.B. den Charakter<br />

<strong>von</strong> Aufbauten zu erhalten. Abb. 1 zeigt als Ergebnis einer derartigen Verzerrung die neue Schiffsform<br />

(grün) sowie die Verzerrungsfunktion f9. Zum Vergleich ist die Ausgangsform eingezeichnet. Es wird<br />

ersichtlich, daß im Überwasserschiff eine Änderung des Spantcharakters bewirkt wird. Damit wird deutlich,<br />

daß die Änderung der Schiffsform bei der Änderung <strong>von</strong> Tiefgang und Seitenhöhe im wesentlichen<br />

<strong>von</strong> der Änderung des D/T-Verhältnisses abhängt.<br />

Abbildung 1: Verzerrungsfunktion f9 und Verzerrungsergebnis (rot) für eine Änderung <strong>von</strong> Seitenhöhe<br />

und Tiefgang.<br />

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Die gewünschte Seitenhöhe D 3 kann natürlich auch durch einen Ansatz der Form<br />

z → z + f7(x)f8(y)f9(z)<br />

erzeugt werden. Dann gilt natürlich wieder f7(x) = f8(y) = 0 für alle x, y, jedoch wird f9(z) = D 3 −D 2<br />

an der Stelle z = D 2 .<br />

Bei der Setzung der Funktionen f1 − f9 ist es im allgemeinen sinnvoll, in zwei Stufen vorzugehen:<br />

Zunächst sollte analysiert werden, <strong>von</strong> welcher der drei Koordinaten die eigentliche Änderung abhängig<br />

gemacht werden sollte. Ich empfehle dabei, immer die Abhängigkeit entsprechend der zu ändernden<br />

Koordinate zu wählen, also f1 für x (andere gehen ohnehin nicht), f5 für y und f9 für z. Dann können<br />

die anderen Funktionen so bestimmt werden, daß am gegebenen Ort die gewünschte Änderung eintritt.<br />

Gleichzeitig kann die Änderung an anderen Stellen, wo sie nicht gewünscht wird, durch geschickte<br />

Wahl <strong>von</strong> Randbedingungen unterdrückt werden. Hierzu ein einfaches Beispiel: Eine Schiffsform soll im<br />

Vorschiff an der Stelle x 1 , y 1 , z 1 um dy verbreitert werden (z.B. um noch einen zusätzlichen Containerstellplatz<br />

zu gewinnen). Man möchte also, daß das Schiff an dieser Stelle verbreitert wird, ansonsten soll<br />

die Änderung sinnvoll eingestrakt werden (eine typische Problemspezifikation, die zeigt, daß sich mit<br />

den Verzerrmethoden auf einfachste Weise globale Änderungen durchführen lassen, die problemorientiert<br />

definiert werden). Ein sinnvoller Ansatz für eine Transformation wäre<br />

y → y + f4(x)f5(y)f6(z)<br />

Die eigentliche Formänderung soll mit f5 bewirkt werden. Dann muß f5(y = y 1 ) = dy sein, damit<br />

nach der Transformation die Breite gerade y 1 + dy beträgt. Weitere Randbedingungen für f5 sind<br />

schnell gefunden: Für y = 0 muß f5 = 0 sein, gleichfalls für y = B/2, damit sowohl Kontur als auch<br />

Seiteneinlauf erhalten bleiben. Damit ist f5 ausreichend definiert. Für f4(x) gilt, daß deren Wert an<br />

der Stelle x 1 gleich 1 sein muß, gleiches gilt für f6(z 1 ), damit das Produkt der drei Funktionen an der<br />

Stelle (x 1 , y 1 , z 1 ) gerade dy wird. Weiterhin soll sich der Hauptspant (hier gleich der Trennstelle der<br />

Schiffshälften, an der Stelle x = 0) sowie das parallele Mittelschiff (x = x pms ) nicht verändern. Um dies<br />

zu erreichen, muß f4(x = 0) = f4(x = x pms ) = 0 sein. An den Schiffsenden kann f4 durchaus <strong>von</strong> 0<br />

verschieden sein, da eine Änderung der Schiffsform an den Enden im Prinzip durch die Gestaltung <strong>von</strong><br />

f5 schon unterdrückt wird, da f5 für y = 0 ebenfalls 0 ist. Für f6 gibt es mehrere Möglichkeiten, je<br />

nachdem, wo die Änderung nicht mehr erwünscht ist: Sollen Boden und Deckslinie erhalten bleiben,<br />

dann muß f6(z = 0) = f6(z = D) = 0 sein. Oder es kann eine Wasserlinie z = z wl erhalten bleiben<br />

(Spantcharakteränderung), dann können sich Bodenlinie und Deckslinie ändern, wenn f6(z = z wl ) = 0<br />

ist. Sinnvollerweise setzt man dann f6 als Gerade an, die dann durch die Punkte (z = z 1 , f6 = 1) und<br />

(z = z wl , f6 = 0) gegeben ist. Allgemein gilt, daß die Schiffsform später um so besser strakt, je größer<br />

der Bereich ist, über den die Änderung eingestrakt werden soll. Abb. 2 zeigt Verzerrungsfunktionen<br />

und Schiffsformvergleich für eine Breitenänderung mit festgehaltener Decks-und-Bodenlinine, Abb. 3<br />

entsprechendes für eine Spantcharakteränderung, bei der die Spanten um eine gegebene Wasserlinie<br />

gekippt werden.<br />

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Abbildung 2: Verzerrungsfunktion f4 − f7 und Verzerrungsergebnis (rot) für eine Breitenänderung bei<br />

unveränderter Boden-und Deckslinie<br />

Abbildung 3: Verzerrungsfunktion f4 − f7 und Verzerrungsergebnis (rot) für eine Änderung des Spantcharakters<br />

3 Standardtransformationen<br />

Wie oben gezeigt, ist das Ergebnis jeder Transformation abhängig <strong>von</strong> der Wahl der Verzerrungsfunktionen.<br />

Dies ist im Einzelfall mühsam und (trotz oben entwickeltem Schema) fehlerträchtig, da stets das<br />

Zusammenwirken der drei Verzerrungsfunktionen räumlich bedacht werden muß. Nun gibt es aber eine<br />

Reihe <strong>von</strong> immer wiederkehrenden Aufgaben, deren Verzerrungsfunktionen nahezu automatisch gefunden<br />

werden können oder die aus den Parametern der Schiffsform automatisch entsprechend obigem Schema<br />

entwickelt werden können. Dazu steht innerhalb <strong>von</strong> E4 nicht nur eine Standard-Funktionsbibliothek<br />

(vgl. KEIL (1984), RABIEN (1979), KRÜGER(1988)) zur Verfügung, sondern zusätzlich komplette<br />

Verzerrungspakete, die einfach durch Angabe einer Verschiebungsgröße (analog zu dy im oben entwickelten<br />

Beispiel) aktiviert werden. (Nebenbei sei bemerkt, daß es sich bei der Entwicklung solcher<br />

Standardbibliotheken um einen typischen bottom-up-Mechanismus handelt, im Gegensatz zu den bisher<br />

ausschließlich behandelten top-down-Prozessen. Es wird genau das automatisiert, was sich im Alltag<br />

als besonders lästig erwiesen hat und was mit geringstmöglichem Aufwand den höchsten Nutzen bringt.<br />

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Daten-und Prozeßmodellierung wird stets sinnvollerweise top-down betrieben, einzelne Anwendungen<br />

können dagegen (sic!) durchaus vorteilhaft aus einer bottom-up-Sicht heraus entstanden sein.) In praxi<br />

hat es sich bewährt, Verzerrungsautomatismen für alle Formelemente zu schaffen, die während einer<br />

CFD-gestützen Formoptimierung variiert werden. In etwa sind dies:<br />

• Hauptparameter: L,B,T,D<br />

• Hauptspant: Aufkimmung, Kimmradius, Ausfallwinkel<br />

• Paralleles Mittelschiff: Lage und Länge<br />

• Spantcharakter<br />

• Wasserliniencharakter<br />

• Bugwulst: Länge, Fläche an Spant 20, Wulstspitzenlage, Charakteristik<br />

• Spiegel/Hinterschiff: Spiegeltauchung, Länge hinterer Überhang, Breite Heckwulst, Lage Stevenrohr<br />

• Deckslinie<br />

Die Liste erhebt selbsverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt den Zustand dar,<br />

der sich aus dem Alltagsgeschäft heraus als sinnvoll entwickelt hat. Alle diese Verzwerrungen sind<br />

dadurch gekennzeichnet, daß die Verzerrungsfunktionen automatisch gesetzt werden, ggf. wird der<br />

Anwender aufgefordert, Annahmen zu korrigieren. Alle -und natürlich beliebige weitere- Verzerrungen<br />

lassen sich natürlich auch durchführen, indem der Entwurfsingenieur die Verzerrungsfunktionen selbst<br />

eingibt.<br />

4 Voraussetzung für Standardtransformationen<br />

Sollen teilweise sehr spezifische Transformationsfunktionen weitgehend automatisch bestimmt werden,<br />

dann muß der Algorithmus über eine gute Kenntnis der beschreibenden Parameter des Schiffes verfügen.<br />

Dies schränkt nicht etwa die prinzipielle Anwendung der Verzerrungsmethoden ein (im Abschnitt 2.2<br />

haben wir an keiner Stelle vorausgesetzt, daß es sich bei dem zu transfromierenden Gebilde um ein<br />

Schiff handeln soll) sondern lediglich deren standardisierte (d.h. defaultmäßig vorbelegte und daher bequeme)<br />

Anwendung. Damit nun die automatische Setzung der Transformationsfunktionen für übliche<br />

Schiffe gelingt, müssen neben der eigentlichen geometrischen Information noch einige zusätzliche Informationen<br />

bekannt sein, die sich im wesentlichen daraus ableiten, daß der zu transformiernden Körper<br />

eben ein Schiff (im üblichen Sinne) ist. Wesentlich ist für die Methode daher die explizite Kenntnis<br />

der drei Randkurven Bodeneinlauf, Seiteneinlauf, und Seite Deck. Diese Kurven werden nicht wegen<br />

ihrer Geometrie, sondern allein aufgrund ihrer Bedeutung benötigt. Daraus wird zunächst der Typ des<br />

Hauptspantes nach folgendem Ritual festgelegt, vgl. Abb. 4:<br />

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5<br />

4<br />

3<br />

C L<br />

1<br />

2<br />

Abbildung 4: Schematische Darstellung der implementierten Hauptspantparameter. 1:Flachkielgrenze<br />

2:Bodeneinlauf 3: Seiteneinlauf 4:Knickline 5:Seite Deck<br />

• Die z-Koordinate des Bodeneinlaufes ergibt die Höhe der Aufkimmung. Dabei wird der nächste,<br />

rückwärts gezählte Knickpunkt als Flachkiel interpretiert.<br />

• Vom Seiteneinlauf wird vorwärts die nächste auftauchende Knicklinie gesucht. Diese wird als<br />

Knicklinie eines Trapezhaupspantes aufgefaßt. Wird keine Knicklinie gefunden, wird stattdessen<br />

die Deckslinie benutzt. Aus der y-Koordinate des Seiteneinlaufpunktes und der y-Koordinate der<br />

Knickline kann dann der Hauptspantausfallwinkel ermittelt werden.<br />

• Sind Aufkimmung und Ausfallwinkel bekannt, kann aus y Boden und z Seite der Kimmradius bestimmt<br />

werden. Es wird dabei der Mittelwert aus Bodenpunkt/Seitenpunkt benutzt (falls der<br />

Kimmradius eigentlich eine Ellipse ist).<br />

Hat das Schiff keinen Boden-oder Seiteneinlauf im strengeren Sinne, dann empfehle ich, ersatzweise<br />

diejenigen Linien zu benutzen, die am besten den Kimmradius definieren. Selbstverständlich müssen<br />

diese Linien dazu führen, daß im Vor-und im Hinterschiff die gleichen Hauptspantkennwerte gefunden<br />

werden. Das parallele Mittelschiff wird aus der Änderung der Bodenlinie bestimmt: Dort, wo der<br />

Boden zuletzt die gleiche Breite wie am Hauptspant hatte, wird Beginn/Ende des parallelen Mittelschiffes<br />

angenommen. Um nicht a priori manche Verzerrungen <strong>von</strong> vorneherein zu unterdrücken, wird<br />

das parallele Mittelschiff jedoch mindestens ein Spantfeld lang (d.h. bis zum nächsten Formspant hin)<br />

angesetzt. Diese Angaben sind ausreichend, um die jeweils benötigten Verzerrungsfunktionen zu definieren.<br />

Die folgenden Abbildungen geben einen kleinen Überblick über die standardmäßig durchführbaren<br />

Verzerrungsmöglichkeiten. Dabei beschränkt sich die automatische Anwendbarkeit der vorhandenen<br />

Verzerrmethoden derzeit aus Gründen der Praktikabilität auf die Arten <strong>von</strong> Schiffen (=üblich), die bei<br />

der FSG derzeit bearbeitet werden, also Monohulls im Froudezahlbereich zwischen 0.12-0.4. Eine standardmäßige<br />

Erweiterung der Methode auf andere Grundformen mit ihren besonderen Charakteristka<br />

(z.B. Mehrrumpfschiffe oder Gleiter) ist jedoch leicht und uneingeschränkt möglich.<br />

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Abbildung 5: Änderung des Kimmradius<br />

Abbildung 6: Änderung der Wasserliniencharakteristik<br />

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Abbildung 7: Änderung der Bugwulstfläche<br />

Abbildung 8: Anheben des Spiegels<br />

5 Verzerrungsfunktionen als Randbedingungen für andere Aufgaben<br />

Bis jetzt haben wir lediglich die Klasse <strong>von</strong> Verzerroperationen kennengelernt, bei denen der Entwurfsingenieur<br />

eine bestimmte Formänderung gezielt realisieren will. Dazu wurde eine Verzerrungsfunktion<br />

so bestimmt, daß die gewünschte Änderung erzielt werden kann, die restlichen Funktionen werden zur<br />

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Eingrenzung des Verzerrungsbereiches verwendet. Nun wäre es darüberhinaus wünschenswert (und<br />

häufig auch der menschlichen Vorgehensweise angepaßt), wenn man nicht direkt die Schiffsform ändert,<br />

sondern über die Form gezielt ihre Eigenschaften. So kommt es beispielsweise in der Praxis häufig vor,<br />

daß man gerne etwas mehr (oder weniger) Verdrängung hätte oder den Verdrängungsschwerpunkt verschieben<br />

möchte, wobei die Schiffsform jedoch im Prinzip so bleiben soll, wie sie ist. Das bedeutet, daß<br />

die absolute Größe einer Änderung so bestimmt werden soll, daß eine bestimmte Eigenschaft der Schiffsform<br />

erreicht wird. In unserem Beispiel sind dies Verdrängung oder Schwerpunktslage. Das Problem<br />

läßt sich leicht lösen, indem man jeder Größe, deren Einhaltung man fordert, eine bestimmte normierte<br />

Verzerrungsfunktion zuordnet und damit ein nichtlineares Gleichungssystem mit sovielen Unbekannten<br />

(absolute Größe der Verzerrungsfunktion) wie Gleichungen (Größe, deren Wert einzuhalten ist), erhält.<br />

Dieses Gleichungssystem kann dann z.B. unter Zuhilfename <strong>von</strong> entsprechenden Lösern (z.B. CHWA-<br />

RISMI) gelöst werden. Damit werden die geforderten Kenngrößen eingehalten (wenn es eine Lösung<br />

gibt). Diese Vorgehensweise ist nicht nur außerordentlich bequem (da sehr komplexe Vorgänge mit wenigen<br />

Gleichungen beschrieben werden können) sondern darüber hinaus auch noch sehr leistungsfähig,<br />

da die Qualität und Komplexität des Problems lediglich durch die Gestalt der normierten Verzerrungsfunktion<br />

bestimmt wird. Als die Grundlagen der Verzerrungstechnik entwickelt (RABIEN)und praktisch<br />

erweitert wurden (KRUEGER 1988), wurde dabei im wesentlichen an die Einhaltung <strong>von</strong> hydrostatischen<br />

Kenngrößen gedacht (hauptsächlich Verdrängung, LCB und KM). Daher stehen für die meisten<br />

hdyrostatischen Kenngrößen innerhalb <strong>von</strong> E4 entsprechende Automatismen zur Verfügung.<br />

6 Mögliche Weiterentwicklungen<br />

Nun ist es nur noch ein (gedanklich) kleiner Schritt bis zur nächsten Weiterentwicklung, die wiederum<br />

vollkommen neue Möglichkeiten erschließt: Wenn nämlich mehr Variablen (d.h. Werte der normierten<br />

Verzerrungsfunktion) als Gleichungen zugelassen werden, dann wird aus dem nichtlinearen Gleichungssystem<br />

ein Optimierungsproblem, und es können bestimmte Eigenschaften der Schiffsform gezielt <strong>von</strong><br />

einem Automaten optimiert werden. Das macht natürlich wenig Sinn für hydrostatische Eigenschaften,<br />

aber es könnten beliebige Eigenschaften der Schiffsform, für deren Ermittlung entsprechend leistungsfähige<br />

Methoden zur Verfügung stehen, optimiert werden. Natürlich ist es nächstliegend, durch<br />

Kombination mit geeigneten CFD-Methoden eine Schiffsform suchen zu lassen, deren Widerstand optimal<br />

ist. Oder man könnte versuchen, durch Kombination mit Seegangsmethoden Schiffsformen zu<br />

entwickeln, die sich durch optimales Seeverhalten (wie immer das auch quantifiziert werden mag) auszeichnen.<br />

Im Prinzpip kann nahezu jede Formeigenschaft durch geeignete Kombination <strong>von</strong> Verzerrungsansätzen<br />

bestimmt oder optimiert werden, die sich durch eine geeigenete Gütefunktion quantifizieren<br />

läßt. Außerdem müssen derartige Transformationen nicht auf Schiffsformen beschränkt bleiben: So existiert<br />

derzeit ein Derivat dieser Transformationsalgorithmen, das auf Raumtopologien angewendet werden<br />

kann. Insbesondere in Kombination mit weitergehenden Forderungen an Raumaufteilung/Stabilität<br />

ergeben sich hier eine Vielzahl <strong>von</strong> Möglichkeiten für die Zukunft, da das Verzerrungsprinzip einmal der<br />

menschlichen Art und Weise, wie technische Probleme formuliert werden, sehr nahe kommt und zum<br />

anderen extrem leistungsfähig ist.<br />

7 Literatur<br />

ALEF, W., COLLATZ, G. (1976) Computer Aided Design of Ships Lines by Nonlinear Distortion of<br />

Parent Forms North-Holland Publ. Co.<br />

BÜHR, W., KEIL, H., KRÜGER, S. (1988) Rechnereinsatz im Projekt JSTG, Springer, 353-363<br />

KEIL,H. (1984): Rechnergestützter Schiffsentwurf. Inst. f. Schiffbau, Hamburg, Vorlesungsmanuskript<br />

Stefan Krueger (TKB)<br />

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KEIL, U. (1974): Ein Programm zur Erstellung parametervariierter Schiffsentwürfe. Inst. f. Schiffbau<br />

Hamburg, Bericht 304<br />

RABIEN, U. (1979): Ship surface design by transforming given mesh representations. Computer<br />

Applications in the Automation of Shipyard Operation and Ship Design III, Glasgow, North Holland<br />

RABIEN, U. (1996): Ship geometry Modelling. Ship Techn. Res. 43, 115-123<br />

SÖDING,H. (1967): Entwurf <strong>von</strong> Schiffsformen mit dem Rechner. Schiff&Hafen, S. 1386<br />

SÖDING,H. (1976): Compiler für technische Entwurfssysteme, Chwarismi I und II. ESS-Bericht 15,<br />

Univ. Hannover<br />

SÖDING,H., POULSEN, I. (1974): Methoden der Programmierung <strong>von</strong> Aufgaben des Schiffsentwurfes.<br />

JSTG, Springer, 309-327<br />

Stefan Krueger (TKB)<br />

$E4TEXT/veroeffentl/vorlesung/verzerr/verzerr.tex<br />

kruegers@fsg-ship.de<br />

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