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Rede von Prof. Dr. Susanne Baer als PDF-Datei - Stiftung Denkmal ...

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Richterin des Bundesverfassungsgerichts <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Susanne</strong> <strong>Baer</strong><br />

<strong>Rede</strong> zum Festakt am <strong>Denkmal</strong> für die im Nation<strong>als</strong>ozialismus verfolgten<br />

Homosexuellen 1<br />

Berlin, den 25. Januar 2012<br />

„Mit diesem <strong>Denkmal</strong> will die Bundesrepublik Deutschland die verfolgten und<br />

ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wach halten und ein<br />

beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung<br />

gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“ Das sagt der Beschluss der<br />

damaligen Mehrheit des Deutschen Bundestages <strong>von</strong> 2003 2 und das steht auf<br />

der Tafel am <strong>Denkmal</strong> im Berliner Tiergarten.<br />

2008 wurde das <strong>Denkmal</strong> der Öffentlichkeit übergeben; heute, 2012, wechselt<br />

der Film 3 .<br />

Das <strong>Denkmal</strong> soll die Opfer ehren und die Erinnerung wach halten – es soll <strong>als</strong>o<br />

das Schweigen brechen über die Geschichten in der Geschichte. Es soll ein<br />

beständiges Zeichen sein, ein auch aktueller Ort. Das <strong>Denkmal</strong> ist Erinnerung<br />

und mahnende Botschaft zugleich. Aber worin besteht die Botschaft, was genau<br />

wird hier thematisiert? Woran soll „mal“ gedacht werden - qua <strong>Denkmal</strong>?<br />

Wenn der Deutsche Bundestag die Erinnerung an das Unrecht wach halten will<br />

… und wenn Sie heute hierher gekommen sind – im Erinnern, zum<br />

Nachdenken, zur Reflexion –, was wird da <strong>als</strong> Unrecht verurteilt?<br />

1 Informationen zu diesem <strong>Denkmal</strong> finden sich auch unter www.gedenkort.de, in den USA<br />

unter http://www.ushmm.org/museum/exhibit/online/hsx/.<br />

2 Vgl. Deutscher Bundestag, <strong>Dr</strong>ucksache 15/1320 vom 1.7.2003: Antrag Bündnis 90/Die<br />

GRÜNEN, <strong>Denkmal</strong> für die im Nation<strong>als</strong>ozialismus verfolgten Homosexuellen sowie<br />

Deutscher Bundestag, <strong>Dr</strong>ucksache 15/2101 vom 27.11.2003: Beschlussempfehlung und<br />

Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien (21. Ausschuss). Die Diskussion findet sich<br />

im Plenarprotokoll 15/83, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 83. Sitzung, Berlin,<br />

Freitag, den 12. Dezember 2003.<br />

3 Den neuen Film haben Gerald Backhaus, Bernd Fischer und Ibrahim Gülnar gemacht; für ihn<br />

hat eine Jury nach einem Wettbewerb votiert. Die Stele mit dem ersten Film stammt <strong>von</strong><br />

Michael Elmgreen und Ingar <strong>Dr</strong>agset, die dem Wechsel in ihrer Kunst zugestimmt haben.<br />

Eine kritische Analyse zum Film und zur Debatte um ihn findet sich bei Corinna Tomberger, in<br />

Insa Eschebach (Hrsg.): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität<br />

im Nation<strong>als</strong>ozialismus, 2012, S. 187 ff., dagegen Klaus Müller in Claudia Bruns mit A<br />

Dardan, A Dietrich (Hrsg.), „Welchen der Steine du hebst“. Filmische Erinnerungen an den<br />

Holocaust, 2011, 134-155.<br />

1


Es ist ganz sicher auch ein juristisches „Nie wieder!“, an das dieses <strong>Denkmal</strong><br />

gemahnt. Es fordert uns damit auch auf, das Recht zu problematisieren, denn<br />

Recht ist ein Fixpunkt, aber Recht ist auch ein Fetisch – und es ist nie alles,<br />

was es hier zu erinnern gilt. Recht ist – ebenso wie das juristisch dokumentierte<br />

Unrecht – auch nie der einzige Indikator für den Zustand einer Gesellschaft. Die<br />

Frage, was wir <strong>als</strong> Unrecht ernst nehmen müssen, ist komplexer; sie reicht weit<br />

über das Juristische hinaus.<br />

Das Unrecht und das Recht <strong>als</strong>o.<br />

Dieses <strong>Denkmal</strong> markiert historisches Unrecht – die Verfolgung, Entrechtung<br />

und Ermordung tausender Männer aufgrund homosexueller Handlungen im<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus. Es erinnert – mit dem Hinweis auf Intoleranz,<br />

Feindseligkeit und Ausgrenzung – zudem an die Unterdrückung und<br />

Entwürdigung schwuler Männer, lesbischer Frauen und anderer, die nicht in die<br />

rigide sexuelle Ordnung des deutschen Nation<strong>als</strong>ozialimus passten. Und immer<br />

wieder wird daran erinnert, dass über 50.000 Männer in der NS-Zeit <strong>von</strong><br />

Strafgerichten wegen homosexueller Handlungen „verurteilt“ worden sind. 4 Das<br />

Instrument war die 1935 im Strafmaß verschärfte Kriminalisierung <strong>von</strong><br />

Homosexualität unter Männern – ob schwul oder nicht - in § 175<br />

Strafgesetzbuch (StGB). Da<strong>von</strong> wissen wir, weil es dazu Forschung gibt, und<br />

weil sich diese Forschung auf eine Aktenlage stützen kann. Der Rechtsstaat<br />

wird dokumentiert - und auch der Unrechtsstaat, der sich für einen Rechtsstaat<br />

ausgeben wollte, hat festgehalten, was juristisch geschah.<br />

Wenn wir uns jedoch nur auf die offizielle, juristische Verfolgungsgeschichte<br />

konzentrieren, gehen wir ein Risiko ein. Einerseits müssen wir die juristischen<br />

Formen des Unrechts genau begreifen, um zu verstehen – und um zu<br />

verhindern -, wie Recht in den Dienst des Unrechts geraten kann. Andererseits<br />

4 Diese etwa 50.000 Männer sind wegen § 175 zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die sie in<br />

Gefängnissen bzw. Zuchthäusern verbüßten. Diejenigen, die in Konzentrationslager<br />

eingewiesen wurden, waren in der Regel zuvor in Gefängnissen bzw. Zuchthäusern<br />

inhaftiert; Schätzungen nennen hier wwischen 5000 bis 15.000 Personen, die zu etwa 60<br />

Prozent starben. Über die Verfolgung, Entrechtung und Ermordung wissen wir allerdings<br />

mehr. Vgl. die Beiträge <strong>von</strong> Alexander Zinn und Jens Dobler in Insa Eschebach (Hrsg.):<br />

Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nation<strong>als</strong>ozialismus,<br />

2012. S.a. Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung <strong>von</strong><br />

Homosexuellen im <strong>Dr</strong>itten Reich. Paderborn 1990; Joachim Müller, Andreas Sternweiler<br />

(Hrsg.): Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Schwules Museum Berlin, Berlin 2000.<br />

2


greift dieses Begreifen zu kurz, wenn eine Fixierung auf die Urteile, auf die<br />

Strafverfolgung, auf das gut Dokumentierte dazu führt, dass andere Formen<br />

des Unrechts vernachlässigt oder gar negiert werden.<br />

Wer historische Informationen über das gesamte Spektrum der im<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus verfolgten Homosexuellen sucht, über Schwule und über<br />

Lesben, und wer auch weiter fragt nach den rigiden Geschlechternormen und<br />

deren vielfacher Repression, der findet kaum Akten, sondern schwierige Pfade,<br />

verschüttete, auch tabuisiert verschwiegene Geschichte, Verdrängtes und<br />

Verlorenes. Da fehlt Forschung und da fehlen Debatten, da stößt Forschung auf<br />

große Hürden 5 , aber da tut sie not.<br />

Der Beschluss des Deutschen Bundestages zum <strong>Denkmal</strong> nennt <strong>als</strong>o nicht<br />

zufällig Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung. Er fordert dazu auf, die<br />

Vielschichtigkeit des Unrechts ernst zu nehmen. Entrechtung ist eine Form des<br />

Unrechts; Unterdrückung und Entwürdigung sind weitere Formen, an die es zu<br />

erinnern, die es zu begreifen und denen es zu begegnen gilt.<br />

Was ist <strong>als</strong>o dieses Unrecht, an das dieses <strong>Denkmal</strong> erinnert, das es<br />

thematisiert, zu dem es uns fordert?<br />

Es gab 50.000 Veurteilungen <strong>von</strong> Männern wegen homosexueller Handlungen<br />

– das ist eine große Zahl. Unrecht ist zwar - und das zeigen gerade die<br />

Auseinandersetzungen mit und um das Morden des deutschen<br />

Nation<strong>als</strong>ozialismus – nicht entscheidend eine Frage der Zahl. Doch ist es nicht<br />

ohne jede Bedeutung, wie viele gelitten haben. Die große Zahl steht für die<br />

vielen Menschen, die verfolgt und ermordet wurden. Jeder einzelne zählt für<br />

sich. Doch die große Zahl sagt etwas darüber, wie systematisch, wie<br />

normalisiert, wie akzeptabel ein Unrecht war. Die Quantität prägt eine<br />

bestimmte Qualität.<br />

Worin bestand diese Qualität, <strong>als</strong>o die Verletzung und Verletzbarkeit der<br />

Verfolgung <strong>von</strong> Homosexuellen? Das ist wiederum nicht entscheidend eine<br />

Frage der Form. Leiden entsteht aus sehr unterschiedlichem Tun, Verfolgung<br />

5 Insa Eschebach benennt sechs Schwerigkeiten der Recherche: die Vernichtung der Akten,<br />

der Datenschutz, die fiktionalen Berichte, die Homophobie, die andauernde Tabuisierung, die<br />

Subkulturalisierung der Forschung; Einleitung in: dies. (Hrsg.): Homophobie und Devianz,<br />

aaO., S. 11-20 mit weiteren Nachweisen.<br />

3


manifestiert sich auf unterschiedliche Weise, Entwürdigung nimmt sehr viele<br />

Gestalten an. Doch auch die Form <strong>von</strong> Unrecht macht einen Unterschied. Denn<br />

physisch unmittelbare Übergriffe, Misshandlungen am Körper – sie wirken<br />

erkennbar. Psychische Qual, Misshandlungen der Seele – sie sind zwar<br />

schwieriger zu erkennen, aber vorstellbar. Und dann gibt es Formen des<br />

Unrechts, die sich nur schwer erkennen lassen.<br />

Die Form, an die hier auch erinnert wird, und die Form, die uns wohl auch <strong>als</strong><br />

Mahnung bleiben muss, ist die Form des Rechts. Im Nation<strong>als</strong>ozialismus hüllte<br />

sich die Verfolgung schwuler Männer in ein Kleid, in die Roben des<br />

Juristischen. Es ist diese Form des Unrechts – Unrecht im Gewand des Rechts<br />

-, über die wir viel wissen, weil sie so gut dokumentiert ist. Wir wissen viel, weil<br />

sich die Handelnden im Recht fühlten, weil es mit rechten Dingen zuging –<br />

Strafnorm, Verhaftung, Urteil, Haft, ganz ordentlich. Aber genau das ist auch<br />

besonders perfide.<br />

Eine Verurteilung ist an sich kein Unrecht. Ein Urteil stellt Recht her. Gerichte<br />

sichern den Anspruch des Rechts auf Geltung, garantieren Rechtsstaatlichkeit,<br />

die Sicherheit verspricht. Die Strafverfolgung im NS erinnert uns daran, dass<br />

das eben nicht immer stimmt. Die strafrechtliche Verfolgung schwuler Sexualität<br />

zeigt überdeutlich, dass Recht nicht nur <strong>von</strong> der Form lebt. Dieses <strong>Denkmal</strong><br />

fordert <strong>als</strong>o auch dazu auf, das nicht zu vergessen: Recht kann nur Geltung<br />

beanspruchen, wenn es jenseits der Form des Juristischen auch substanzielle<br />

Grundlagen achtet. Recht muss nicht immer gut sein, nie perfekt. Aber es darf<br />

nicht Unrecht verkörpern, der Verletzung eine Form geben, im Schutz der Robe<br />

verletzen.<br />

Nach 1945 ist dies Teil der deutschen Verfassung geworden, des<br />

Grundgesetzes: Die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde aller gilt, so<br />

sagt es Artikel 79 Absatz 3 GG, auf ewig – das kann keine Mehrheit ändern –,<br />

und die Rechtsprechung ist nach Artikel 20 Abssatz 3 GG an Gesetz und Recht<br />

gebunden. Dieses <strong>Denkmal</strong> erinnert daran, wie oft und auf wessen Kosten das<br />

in Deutschland nicht der Fall war. Es fordert daher auch dazu auf, den<br />

substanziellen Gehalt des Rechts immer wieder zu erkämpfen, zu sichern, zu<br />

verteidigen.<br />

4


Im Nation<strong>als</strong>ozialismus wurde das Recht mit Füßen getreten – es wurde<br />

niedergebrüllt, verächtlich gemacht, missbraucht, systematisch nicht nur<br />

strapaziert, sondern gebrochen. Unrecht im Gewand der Roben. Da gab es<br />

auch keinen juristischen Mechanismus, um das zu beenden. Es gab keine<br />

Verfassungsgerichtsbarkeit, keine Menschenrechtsgerichte, und es gab – was<br />

alltäglich viel wichtiger ist – keine Menschenrechtskultur, kein gelebtes<br />

Eintreten für Würde, Freiheit und Gleichheit in Parlamenten, in Verwaltungen, in<br />

der Zivilgesellschaft.<br />

Heute ist demgegenüber <strong>als</strong> Kern des Grundrechtekataloges nicht nur des<br />

Grundgesetzes, sondern auch der Europäischen Grundrechtecharta gesichert:<br />

Die Menschenwürde ist unantastbar, die Freiheit ist geschützt, die Gleichheit<br />

garantiert. Das Recht steht <strong>als</strong>o gut da – aber es bedarf, um wirksam zu<br />

werden, eben auch einer Rechtskultur, einer Menschenrechtskultur, denn Recht<br />

realisiert sich nicht <strong>von</strong> selbst.<br />

Auch das ist eine Botschaft dieses Denkm<strong>als</strong>. Denn gerade die juristisch<br />

verkleidete Verfolgung der Homosexualität im Nation<strong>als</strong>ozialismus hat lange<br />

Schatten geworfen.<br />

Die Strafvorschrift des § 175 StGB galt in der Bundesrepublik bis 1969<br />

unverändert fort und setzte das Schutzalter für homosexuelle Kontakte<br />

zwischen Männern bis 1994 höher <strong>als</strong> für andere (18 und sonst 14 Jahre). In<br />

der DDR standen ab 1968 bis 1989 nach § 151 StGB) homosexuelle<br />

Handlungen mit Jugendlichen sowohl für Frauen <strong>als</strong> auch für Männer unter<br />

Strafe. Der westdeutsche § 175 StGB wurde erst 1994 ersatzlos gestrichen.<br />

In der Zeit des NS gab es zu diesen Normen auch eine menschenverachtende<br />

Verfolgungspraxis und ein hohes Strafmaß, das Richter ausgeschöpft haben,<br />

es gab eine behördliche und medizinische Praxis der Zwangskastration, es gab<br />

viele tausend, die wegen ihrer Homosexualität in KZs ermordet wurden. Das<br />

steht für sich.<br />

Aber der Schatten ist beschämend. In der Bundesrepublik gab es bis 1969 wohl<br />

mehr <strong>als</strong> 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 50.000 rechtskräftige<br />

5


Verurteilungen. 6 Manche Gerichte agierten auch deutlich homophob 7 , wenige<br />

andere hatten erhebliche ethische, eben substanzielle Bedenken.<br />

1957 entschied dann das Bundesverfassungsgericht, dass „Strafvorschriften<br />

gegen die männliche Homosexualität (§§ 175 f. StGB)“ 8 nicht <strong>als</strong> NS-Unrecht<br />

unanwendbar seien 9 . Zwei Männer, , die 1952 und 1953 zu Haftstrafen<br />

verurteilt worden waren, wollten rehabilitiert werden, da NS-Recht ihre Strafen<br />

trage. Das blieb ihnen verwehrt.<br />

Diese Entscheidung ist ein Lehrstück, in vielfacher Hinsicht.<br />

Die Beschwerdeführer hatten auch argumentiert, sie seien benachteiligt, weil<br />

lesbische Frauen nicht <strong>von</strong> Strafverfolgung bedroht seien. Das<br />

Verfassungsgericht meinte, , „weil der biologische Geschlechtsunterschied den<br />

Sachverhalt hier so entscheidend prägt,“ läge keine Ungleichbehandlung vor.<br />

Hier deutet sich nur an, wie problematisch solche Vergleiche zwischen<br />

Schwulen und Lesben sind. Sie lancieren - oft auch im Erinnern - eine<br />

Hierarchisierung der Opfer 10 und imitieren dann genau die<br />

Geschlechterpolitiken, die Homophobie tragen. Lesbisch – das war in der<br />

rigiden Heteronormativität - gerade auch des NS - einfach nicht wichtig genug,<br />

6 Vgl. Elmar Kraushaar: Unzucht vor Gericht. Die „Frankfurter Prozesse“ und die Kontinuität des<br />

§ 175 in den fünfziger Jahren. In: Elmar Kraushaar (Hrsg.): Hundert Jahre schwul – Eine<br />

Revue, 1997, S. 60–69. S.a. Christian Schäfer: Widernatürliche Unzucht (§§ 175, 175a, 175b,<br />

182 a. F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945, 2006; auch Rahe in<br />

Eschebach (Hrsg.): Homophobie und Devianz, aaO., S. 141 ff.<br />

7 Sehr gespalten war auch die Haltung beim 39. Deutschen Juristentag in Stuttgart, wo eine<br />

knappe Mehrheit für die Straflosigkeit nach § 175 StGB und für eine Neufassung des § 175a<br />

votierte; vgl. Andreas Pretzel: NS-Opfer unter Vorbehalt: Homosexuelle Männer in Berlin nach<br />

1945, 2002, S. 306 f.<br />

8 Diese Kennzeichnung ist entlarvend: das Recht richtet sich gegen Homosexualität, bestraft<br />

werden aber bestimmte Handlungen. Die Entscheidung ist in der Sammolung der Urteile des<br />

Gerichts veröffentlicht: BVerfGE 6, 389. Sie findet sich online z.B. unter<br />

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.html.<br />

9 Zudem verstießen sie nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht gegen den<br />

speziellen Gleichheitssatz der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG. Der Grundsatz der<br />

Gleichberechtigung sei nicht verletzt, weil Frauen biologisch anders seien <strong>als</strong> Männer,<br />

insbesondere sexuell; Lesben seien seltener und anders <strong>als</strong> Schwule und könnten deshalb<br />

auch unterschiedlich behandelt werden. Es sind krude Aussagen zu Sexualität und<br />

Geschlechterstereotypen, die dam<strong>als</strong> prägend waren. Sie lasen sich persiflierend lesen. Doch<br />

das scheint – nicht nur heute – unangemessen, denn es ging und geht um die Ausgrenzung<br />

<strong>von</strong> Menschen, und um die langen Schatten.<br />

10 Diese findet sich auch im Recht; dazu S. <strong>Baer</strong>, Ungleichheit der Gleichheiten? Zur<br />

Hierarchisierung <strong>von</strong> Diskriminierungsverboten, in: Eckart Klein/ Christoph Menke (Hrsg.),<br />

Universalität - Schutzmechanismen - Diskriminierungsverbote, 2008, S. 421-450.<br />

6


sollte auch nicht vorstellbar, benannt, real werden, um bestraft zu werden. An<br />

der umfassenden Homophobie ändert das jedoch nichts.<br />

Die Männer vor dem Verfassungsgericht verlangten letztlich nach freier<br />

Entfaltung der Persönlichkeit, gerade auch im Privaten. Das Gericht entschied<br />

dam<strong>als</strong>, das kein Verstoß "gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der<br />

Persönlichkeit (Art. 2, Abs. 1 GG) [vorliege], da homosexuelle Betätigung gegen<br />

das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, daß<br />

jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.“ 11<br />

Das Sittengesetz? Ein öffentliches Interesse an Bestrafung? Das war dam<strong>als</strong><br />

Konsens. Denn das Gericht arbeitete gründlich. Es hat mündlich verhandelt und<br />

ließt sich historisch, soziologisch, psychologisch und medizinisch<br />

sachverständig beraten. Es beugte sich auch dem Gesetzgeber: Die<br />

Militärregierung der westlichen Besatzungsmächte und der Allierte Kontrollrat 12<br />

hatten § 175 ebenso wenig aufgehoben wie das deutsche<br />

Nachkriegsparlament. Auch, so das Bundesverfassungsgericht dam<strong>als</strong>, „die<br />

Gerichte haben nach anfänglichem Schwanken diese Bestimmungen einhellig<br />

angewandt und dafür die Billigung der neu errichteten obersten Gerichte<br />

gefunden 13 . Auch in der Literatur ist der Weitergeltung dieser Vorschriften nur<br />

vereinzelt widersprochen worden 14 “. Und auch die Religionsgemeinschaften<br />

11 Das Verbot sexueller Handlungen zwischen Männern verstoße nicht gegen die allgemeine<br />

Handlungsfreiheit, die auch Intimität schütze. Denn: „Gleichgeschlechtliche Betätigung<br />

verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen<br />

Lebens fordert die Gesellschaft <strong>von</strong> ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln;<br />

Verstöße hiergegen werden <strong>als</strong> unsittlich empfunden und mißbilligt.“ Von Gewicht seien die<br />

Haltung der Religionsgemeinschaften und die Gesetzgebung.<br />

12 Kontrollratsgesez (KRG) Nr,1, 11, 55 bessagt, dass nur dasjenige Recht außer Acht bleiben<br />

müsse, das „den Gleichheitsgrundsatz zugunsten der NSDAP oder ihrer Anhänger oder durch<br />

Diskriminierungen auf Grund <strong>von</strong> Rasse, Staatsangehörigkeit, Glauben oder politischer<br />

Überzeugung verletzen würde“; BVerfGE 6, 389 .<br />

13 Das BVerfG verweist auf OGHStr. 1, 126 für § 175 a; BGHStr. 1, 80 für § 175 und dann<br />

fortlaufend: BGHStr. 1, 107; l, 293; 4, 323; Lindenmaier-Möhring, § 175 Nr. 5 = NJW 1951,<br />

810; NJW 1952, 796. Hier wird oft auf die Rechtsentwicklung in der DDR verwiesen, wo das<br />

Oberste Gericht 1987 ein Urteil wegen § 151 mit der Begründung aufhob, dass<br />

„Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt.<br />

Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und<br />

die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet.“ Zitiert nach Wikipedia,<br />

dazu Christian Schäfer: "Widernatürliche Unzucht", 2006, S. 253. Dieses Gericht zeichnet<br />

aber auch für Todesurteile verantwortlich und sah sich offensiv in politischer Funktion.<br />

14 Es heißt: Zweifelnd vor allem Lange-Kohlrausch 39/40. Aufl. (1950), wo im Ergebnis aber die<br />

Fortgeltung bejaht und nur für die Auslegung des § 175 nF StGB die Rückkehr zu der<br />

7


verurteilten das. 15 Es war <strong>als</strong>o ein Konsens für etwas vorhanden, <strong>von</strong> dem<br />

dieses <strong>Denkmal</strong> hier sagt, das es Unrecht ist. Es fehlte der Sinn für Verletzung<br />

und Verletzbarkeit. Und es fehlte der Mut, den Verfassungsgerichte haben<br />

müssen, sich im Notfall gegen den Konsens und vor den Grundrechtsschutz zu<br />

stellen.<br />

Er fehlte auch 1973 16 ; da hatte ein Jugendgericht nochm<strong>als</strong> gefragt, ob das<br />

immer noch rechtens sei.<br />

Der lange Schatten verblasste erst spät.<br />

Im Jahr 2000 verurteilte der Deutsche Bundestag einstimmig die Verschärfung<br />

der Strafbarkeit <strong>von</strong> 1935 <strong>als</strong> ‚Ausdruck typisch nation<strong>als</strong>ozialistischen<br />

Gedankengutes’ 17 . 2002 wurden die Opfer dieser juristischen<br />

Menschenrechtsverletzungen rehabilitiert. 18 Und 2002 musste auch das<br />

Bundesverfassungsgericht wieder über Homosexualität – und damit auch über<br />

Homophobie - urteilen. Zur Diskussion stand nun aber nicht das homophobe<br />

Strafrecht. Zur Diskussion stand vielmehr das Gesetz über, so heißt es: „die<br />

Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften“.<br />

Sachsen und Bayern klagten: Das neue Recht verletze nicht etwa das<br />

Gleichbehandlungsrecht <strong>von</strong> Homosexuellen, weil es eine Bindung zweiter<br />

Klasse schaffte, sondern es verletze Heterosexuelle in ihrem<br />

Achtungsanspruch. Das Gericht entschied – allerdings mit 5 zu 3 Stimmen,<br />

zwei veröffentlichten abweichenden Meinungen (der Richterin Haas und des<br />

Richters Papier) -, dem sei nicht so. 19 Hier musste argumentativ erkämpft<br />

Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen gefordert wird (vgl. auch Lange, JZ 1951 S.<br />

562 ff. in der Besprechung <strong>von</strong> BGHStr. 1, 80).<br />

15 Weiter entschied das Gericht dam<strong>als</strong>, Strafrecht gegen Schwule sei nicht willkürlich, weil<br />

eben sachlich gerechtfertigt.<br />

16 Veröffentlicht in der Sammlung des Gerichts: BVerfGE 36, 41.<br />

17 Deutscher Bundestag, <strong>Dr</strong>ucksache 16/11440.<br />

18 Vgl. Gesetz zur Aufhebung nation<strong>als</strong>ozialistischer Unrechtsurteile (NS-AufhG) vom 25.<br />

August 1998, BGBl. I S. 2501 und Gesetz zur Ergänzung des NS-Aufhebungsgesetzes 2002;<br />

BT-<strong>Dr</strong>s. 14/8276, 14/9092. Die Debatte findet sich im Plenarprotokoll 14/237, S. 23734 ff.<br />

19 In der Sammlung BVerfGE 105, 313, online unter www.bverfg.de entscheidungen. Dort<br />

finden sich auch die jüngeren Beschlüsse, in denen das Gericht entschieden hat, dass die<br />

Ungleichbehandlung <strong>von</strong> Menschen aufgrund der sexuellen Orientierung besonders<br />

gewichtiger Rechtfertigungsgründe bedarf, weil dieser Aspekt den in Art. 3 Abs. 3 GG<br />

ausdrücklich benannten Nachteilsgründen ähnelt. Vgl. BVerfG, 1 BvR 611/07 vom 21.7.2010;<br />

1 BvR 1164/07 vom 7.7.2009.<br />

8


werden, was juristisch <strong>als</strong> Recht – nicht <strong>als</strong> Unrecht – Bestand haben soll. Das<br />

lässt sich <strong>als</strong> spätes „Nie wieder“ lesen.<br />

Dieses <strong>Denkmal</strong> thematisiert <strong>als</strong>o in vielfacher Form, auch hinsichtlich der<br />

langen Schatten. Es ist Ausdruck einer lebendigen Menschenrechtskultur: Eine<br />

zivilgesellschaftliche Initiative hat es gefordert, dann hat dies ein Verband<br />

verstärkt, politische Parteien und prominente Einzelne haben sich dem<br />

angeschlossen, es wurde künstlerisch umgesetzt. Und Menschen aus aller Welt<br />

besuchen nun einen Ort, der fordert und erinnert, oft auch provoziert.<br />

Dieser Ort funktioniert nur, wenn er irritiert.<br />

Weil geküsst wird? Weil die so normal / nicht normal, hübsch / hässlich, zu jung<br />

/ zu alt, zu Mann / zu Frau, zu zeitgenössisch / zu historisiert aussehen? Weil<br />

jetzt irgendwie an alle erinnert wird, und da weiß man gar nicht mehr, um was<br />

es genau geht …? Wird hier Geschichte vergessen oder verzerrt, regiert<br />

Populismus, verwässert Vielfalt die Eindeutigkeit?<br />

Diskussionen um <strong>Denkmal</strong>e sind Teil des Erinnerns und Teil der Mehnung. Das<br />

Argument, man dürfe hier nicht beliebig alle thematisieren – Schwule und<br />

Lesben – ist kompliziert; die Schwierigkeiten zeigten sich auch in Karlsruhe<br />

1957. Wir müssen genau sein und ehrlich im Erinnern. Wir müssen aufmerksam<br />

sein, wenn da zu eng gedacht oder gar hierarchisiert wird. Der Vorwurf der<br />

Beliebigkeit diente der Mehrheit im Deutschen Bundestag im Jahr 2000 dazu,<br />

den Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Identität nicht im<br />

deutschen Gundgesetz zu verankern. Wer so argumentiert, geht Risiken ein.<br />

Dieses <strong>Denkmal</strong> ist <strong>als</strong>o auch ein Mahnmal, denn es ist eine Mahnung,<br />

niemanden zu vergessen, dem Leid widerfahren ist, ehrlich zu sein,<br />

Unrechtslogiken nicht zu perpetuieren, Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu<br />

lassen. Diese Gerechtigkeit ist die materielle Substanz <strong>von</strong> Recht – des<br />

Verfassungsrechts, der Grund- und Menschenrechte - vielfach ausdrücklich,<br />

nicht selbstverständlich, keineswegs überall und nicht <strong>als</strong> stabiler Konsens. 20<br />

20 Ein Versuch, Menschenrechte zu formulieren, sinddie Yogyakarta Prinzipien <strong>von</strong> 2007 („The<br />

Yogyakarta Principles on the application of international human rights law in relation to sexual<br />

orientation and gender identity“), auf deutsch: Hirschfeld-Eddy-<strong>Stiftung</strong>: Die Yogyakarta-<br />

Prinzipien. Schriftenreihe der Hirschfeld-Eddy-<strong>Stiftung</strong> Band 1, 2008 (online). S.a. <strong>Baer</strong>,<br />

"Sexuelle Selbstbestimmung"? Zur internationalen Rechtslage und denkbaren Konzeptionen<br />

9


Wir dürfen nicht vergessen, um auch dieses „Nie wieder!“ mit genau der<br />

Emphase zu füllen, die es dam<strong>als</strong> gebraucht hätte und die es heute braucht, um<br />

tatsächlich zu wirken.<br />

<strong>von</strong> Recht gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung, in: Claudia Lohrenscheit (Hrsg.),<br />

Sexuelle Selbstbestimmung <strong>als</strong> Menschenrecht, 2009, S. 89-118.<br />

10

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