Ausgezeichnete Abschlussarbeiten 2012/2013 - Johannes ...
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Inhalt der Dissertation<br />
In der qualitativen Unterrichtsforschung ist Schulunterricht bislang als ausdrücklich<br />
menschliches Unterfangen gefasst worden. „Der Blick galt der Interaktion und Kommunikation<br />
zwischen Lehrern und Schülern“, sagt Tobias Röhl. „Wandtafel, Anschauungsobjekte,<br />
Versuchsaufbauten und andere materielle Träger der Bildung und Erziehung<br />
fanden wenig Beachtung.“ Dem stellt Röhl in seiner Dissertation eine Sichtweise entgegen,<br />
die Schulunterricht als Zusammenspiel von Menschen und materiellen Dingen<br />
beschreibt. Aus Überlegungen aus der neueren Wissenschafts- und Technikforschung<br />
sowie der phänomenologischen Technikphilosophie entwickelt er eine begriffliche Heuristik,<br />
die der qualitativen Unterrichtsforschung die materielle Dimension der Bildung<br />
erschließt.<br />
Die Tragweite eines solchen „sozio-materiellen“ Forschungsprogramms zeigt Röhl am<br />
Beispiel einer Ethnographie des mathematisch-naturwissenschaftlichen Schulunterrichts<br />
in der gymnasialen Sekundarstufe auf. Die schulische Vermittlung von Wissen beruht<br />
auf der Übersetzung und Überführung unterschiedlicher dinglicher Modi ineinander: Die<br />
Unterrichtsteilnehmer arbeiten daran, kontingente Aufführungen präsenter Dinge wie<br />
experimenteller Arrangements in ihrer Vieldeutigkeit zu begrenzen und nach und nach<br />
in die Form verallgemeinernder und reproduzierbarer Zeichen an der Wandtafel und den<br />
Heften zu überführen. Dadurch erlangten die Schüler nicht nur ein Faktenwissen und<br />
übten fachliche Kompetenzen. „Vielmehr lernen sie eine disziplinäre Art des Wahrnehmens<br />
und Beschreibens der Welt.“<br />
Grundsätzlich offene und vieldeutige Dinge werden durch Objekte ersetzt, die den Unterrichtsteilnehmern<br />
als eindeutig und von menschlicher Praxis unabhängig gelten. Der<br />
mathematisch-naturwissenschaftliche Schulunterricht härte dadurch auch eine moderne<br />
Weltsicht, in der Dinge und Menschen als voneinander unabhängig begriffen würden.<br />
Unterricht beginnt und endet dabei für Röhl nicht mit dem Gong. „Über die schulischen<br />
Dinge ist unter anderem die Lehrmittelindustrie mit ihren Gestaltungsbemühungen im<br />
Klassenzimmer anwesend und konfiguriert den Schulunterricht mit – etwa indem sie<br />
relativ geschlossene und eindeutige Objekte zur Verfügung stellt.“<br />
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