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Kartellrecht und Internetvertrieb - bühlmann rechtsanwälte, zürich

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Lukas Bühlmann / Martin Schirmbacher, <strong>Kartellrecht</strong> <strong>und</strong> <strong>Internetvertrieb</strong>, in: Jusletter 30. Mai 2011<br />

was nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO ausreicht. 97 Die Ausnahmebestimmung<br />

in Art. 4 lit. b i) Vertikal-GVO greift zudem<br />

nicht, weil diese es nur zulässt, dass aktive Verkäufe an vorbehaltene<br />

K<strong>und</strong>engruppen untersagt werden. Folglich führt<br />

ein genereller Vorbehalt der Internetk<strong>und</strong>en dazu, dass passive<br />

Verkäufe an diese K<strong>und</strong>en ebenfalls untersagt werden,<br />

was eine Kernbeschränkung darstellt, die einer Gruppenfreistellung<br />

im Wege steht. Bereits in den Leitlinien zur ausgelaufenen<br />

Vertikal-GVO vertrat die Kommission die Auffassung,<br />

dass der generelle Vorbehalt von Internetk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> damit<br />

ein völliges Verbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s unzulässig sei, sofern<br />

dafür keine sachlich gerechtfertigten Gründe vorliegen. 98<br />

Diese Gründe – auf welche weiter unten noch eingegangen<br />

wird – können jedoch im Allgemeinen nicht vorliegen, wenn<br />

der Lieferant selbst die Produkte über das Internet vertreiben<br />

darf.<br />

[Rz 55] Strittiger als der generelle Vorbehalt könnte dagegen<br />

ein (Teil-) Vorbehalt des <strong>Internetvertrieb</strong>s an bestimmte K<strong>und</strong>engruppen<br />

sein, wie beispielsweise öffentliche Verwaltungen<br />

oder andere ausgewählte Grossk<strong>und</strong>en. Unter dem Regime<br />

der alten Vertikal-GVO wurde die Zulässigkeit solcher<br />

Klauseln vereinzelt in der Lehre vertreten. 99 Hingegen gilt<br />

auch hier, dass Passivverkäufe an diese Vorbehaltsk<strong>und</strong>en<br />

weder direkt noch indirekt ausgeschlossen werden dürfen,<br />

ohne den Vorteil der Gruppenfreistellung einzubüssen. Folglich<br />

muss es einem Händler eindeutig gestattet sein, über<br />

das Internet an K<strong>und</strong>en zu verkaufen, die eigentlich dem<br />

Lieferanten vorbehalten sind, solange er sich nicht aktiv an<br />

diese wendet.<br />

(i) Exklusive Zuweisung von Internetk<strong>und</strong>en an<br />

bestimmte Händler<br />

[Rz 56] Das soeben ausgeführte gilt auch für die exklusive<br />

Zuweisung von Internetk<strong>und</strong>en an bestimmte Händler. Das<br />

bedeutet zum einen, dass die generelle Zuweisung von Internetk<strong>und</strong>en<br />

an einen oder mehrere bestimmte Händler eine<br />

Kernbeschränkung im Sinne von Art. 4 lit. b Vertikal-GVO<br />

darstellt. Zum anderen muss es bei einer exklusiven Zuweisung<br />

bestimmter K<strong>und</strong>en an einen einzelnen Händler allen<br />

anderen Händlern möglich sein, diese K<strong>und</strong>en über das Internet<br />

passiv zu beliefern.<br />

(ii) Ausnahmefälle, die ein Totalverbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s<br />

rechtfertigen<br />

[Rz 57] Wie soeben ausgeführt käme ein genereller Vorbehalt<br />

bzw. eine exklusive Zuweisung aller «Internetk<strong>und</strong>en»<br />

<strong>und</strong> damit ein Totalverbot gr<strong>und</strong>sätzlich einer Kernbeschränkung<br />

gleich <strong>und</strong> wäre damit in der Regel ein Verstoss gegen<br />

97 VeeLken in Immenga/Mestmäcker, Vertikal-GVO Rn. 207; in diesem Sinne<br />

auch baRon in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Vertikal-GVO Rn.<br />

183; A.A. wohl baueR in Bauer/de BronettBauer, Rn. 256.<br />

98 Mitteilung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl.<br />

2000 C 291, S. 1, («Leitlinien-2000»), Tz. 51.<br />

99 So kiRsch, S. 997.<br />

11<br />

Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Kommission unterstreicht dies<br />

damit, dass im Vergleich zu den bisherigen Verkaufsmethoden<br />

über das Internet mehr oder andere K<strong>und</strong>en schnell <strong>und</strong><br />

effektiv angesprochen werden können 100 <strong>und</strong> dem Internet<br />

folglich eine besonders wichtige Rolle für die Intensivierung<br />

des Wettbewerbs zukomme. Neben dem im Einzelfall gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

stets möglichen, aber schwierigen Nachweis von Effizienzgründen<br />

im Sinne von Art. 101 Abs. 3 AEUV bestehen<br />

jedoch besondere Umstände, in denen ein Totalverbot des<br />

<strong>Internetvertrieb</strong>s gerechtfertigt sein kann.<br />

b. Totalverbot aus Gründen der Sicherheit oder der<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

[Rz 58] In den Leitlinien hält die Kommission fest, dass die<br />

Vereinbarung von Kernbeschränkungen (wie beispielsweise<br />

das Totalverbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s) in Ausnahmefällen für<br />

eine Produkt oder Dienstleistung einer bestimmten Art oder<br />

Beschaffenheit als objektiv notwendig <strong>und</strong> angemessen<br />

angesehen werden können <strong>und</strong> deshalb gar nicht erst von<br />

Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst werden. Als Gründe hierfür<br />

werden öffentlich-rechtliche Vorschriften für die Sicherheit<br />

oder den Ges<strong>und</strong>heitsschutz 101 angegeben, die von den Parteien<br />

einzuhalten sind. 102 Damit dürfte jedoch ein Verbot des<br />

Vertriebs über das Internet nur in engen Grenzen gerechtfertigt<br />

werden können, auf jeden Fall nur, wenn keine milderen<br />

Mittel vorhanden sind, um die öffentlichen Interessen zu<br />

wahren. 103 Dies zeigt insbesondere auch das Beispiel des<br />

Totalverbots des <strong>Internetvertrieb</strong>s von (24h-) Kontaktlinsen,<br />

welches vom deutschen B<strong>und</strong>eskartellamt als unverhältnismässig<br />

angesehen wurde. 104<br />

c. Zeitlich begrenztes Totalverbot zur Markterschliessung<br />

[Rz 59] Gr<strong>und</strong>sätzlich stellt auch ein zeitlich begrenztes Verbot<br />

des <strong>Internetvertrieb</strong>s, beispielsweise um eine neue Version<br />

eines Produkts bei der Markteinführung zunächst ausschliesslich<br />

offline zu vermarkten, eine Einschränkung des<br />

Passivverkaufs <strong>und</strong> damit eine Kernbeschränkung dar. 105<br />

Hierzu zeigen aber die neuen Leitlinien 106 , dass es aus Sicht<br />

der Kommission für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren<br />

zulässig sein kann, den <strong>Internetvertrieb</strong> bzw. den Passivverkauf<br />

an die einem Händler zugewiesene K<strong>und</strong>engruppe oder<br />

100 Leitlinien, Tz. 52.<br />

101 Vgl. hierzu auch EuGH v. 2. Dezember 2010, Rs. C-108/09, Slg. 2010, Ker-<br />

Optika, Rn. 78, worin eine nationale Regelung, die den Vertrieb von Kontaktlinsen<br />

im Internet verbietet, als unverhältnismässig bzw. unzulässig<br />

beurteit wurde.<br />

102 So bereits Leitlinien-2000, Tz. 48; ferner die Schlussanträge des Generalanwalts<br />

Ján Mazák vom 3. März 2011, Rs. C-439/09 – Pierre Fabre Dermo-<br />

Cosmétique SAS, Rn. 34.<br />

103 Vgl. schuLtze/Pautke/ WageneR, Komm., Rn. 556.<br />

104 BKartA, Beschl. v. 25.9.09, B 3 -123/08, WuW/E DE-V S. 1813 ff. Rn. 35.<br />

105 Vgl. seeLigeR/kL auss, S. 234.<br />

106 Leitlinien, Tz. 61.

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