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Kartellrecht und Internetvertrieb - bühlmann rechtsanwälte, zürich

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Lukas Bühlmann / Martin Schirmbacher, <strong>Kartellrecht</strong> <strong>und</strong> <strong>Internetvertrieb</strong>, in: Jusletter 30. Mai 2011<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als K<strong>und</strong>enkreisbeschränkung bzw. als Beschränkung<br />

von Passivverkäufen angesehen, die eine Kernbeschränkung<br />

nach Art. 4 lit. c Vertikal- GVO darstellen. 156<br />

Diese Auffassung scheint sich auch in der Literatur durchgesetzt<br />

zu haben. 157<br />

[Rz 91] Daraus folgt, dass sowohl die Kommission als auch<br />

der BGH <strong>und</strong> die herrschende Lehre das Verbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s<br />

stets als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von<br />

Art. 101 Abs. 1 AEUV erachten <strong>und</strong> die Auffassung vertreten,<br />

dass die Kriterien aus der Rechtsprechung des EuGH zum<br />

Versandhandel ein Totalverbot des Internet-Vertriebs nicht<br />

rechtfertigen können. Daraus ist zu schliessen, dass es – abgesehen<br />

von den nachfolgenden Ausnahmen – gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

kein Produkt gibt, deren Eigenschaften ein vollständiges<br />

Verbot des Online-Absatzes rechtfertigen würde, oder bei<br />

dem ein Totalverbot als eine verhältnismässige qualitative<br />

Vorgabe an den Vertrieb betrachtet würde. 158 Zu ergänzen<br />

ist ferner, dass auch die Einschränkung an die Selektivvertriebshändler<br />

nur bestimmte Produktlinien über das Internet<br />

vertreiben dürfen, in Bezug auf die ausgeschlossenen Vertragsprodukte<br />

ebenfalls einem Verbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s<br />

gleichkommt, das – abgesehen von den nachfolgenden<br />

Ausnahmen – für sich eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung<br />

darstellt. 159 Diese Schlussfolgerungen sind beim<br />

heutigen Stand der Rechtsprechung <strong>und</strong> Lehre zutreffend.<br />

In Anbetracht der zahlreichen technisch umsetzbaren Anforderungen<br />

<strong>und</strong> Vorgaben an die Ausgestaltung, Präsentation<br />

<strong>und</strong> Organisation des <strong>Internetvertrieb</strong>es sind in der Tat<br />

schwer Produkte vorstellbar, welche den Ansprüchen an die<br />

Qualität, den Gebrauch <strong>und</strong> das Image des Produkts oder<br />

der Marke nur durch ein vollständiges Verbot gerecht werden<br />

können, resp. ein solches Verbot unerlässlich oder verhältnismässig<br />

erscheinen lassen würden. 160,161<br />

[Rz 92] Dementsprechend stellt der vollständige Ausschluss<br />

des <strong>Internetvertrieb</strong>s für alle oder bestimmte Vertragsprodukte<br />

auch im selektiven Vertrieb eine freistellungsbedürftige<br />

Wettbewerbsbeschränkung dar. Da es sich bei einem<br />

Totalverbot um eine Beschränkung des Verkaufs an Endverbraucher<br />

nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO <strong>und</strong> damit um eine<br />

Kernbeschränkung handelt, ist eine Freistellung nach der<br />

Vertikal-GVO in der Regel ausgeschlossen.<br />

156 BGH Urteil vom 4. November 2003, KZR 2/02 – «Depotkosmetik im Internet»,<br />

GRUR 2004, S. 351 ff. Rn. 20. In diesem Sinne auch die Schlussanträge<br />

des Generalanwalts Ján Mazák vom 3. März 2011, Rs. C-439/09 –<br />

Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS, Rn. 62.<br />

157 Vgl. schuLtze/Pautke/ WageneR, Komm., Rn. 558 m.w.N.<br />

158 In diesem Sinne wohl auch noLte, Rn. 606 zu Art. 81 EG.<br />

159 Vgl. auch hasLingeR, Wie weit ist der Ausschluss moderner Vertriebsformen<br />

beim selektiven Vertrieb möglich?, WRP 2009, S. 279 ff., S. 284.<br />

160 Vgl. dazu Abschnitt I.3.2.<br />

161 A.A. schuLze zuR Wiesche, Selektiver Vertrieb <strong>und</strong> Internet, K&R 2010, S.<br />

541 ff.,543 f.; RösneR, S. 1119.<br />

17<br />

(iii) Ausnahme: Gründe der Sicherheit oder<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

[Rz 93] Genauso wie im Alleinvertrieb kann ein vollständiges<br />

Verbot des <strong>Internetvertrieb</strong>s ausnahmsweise aus Gründen<br />

der Sicherheit oder Ges<strong>und</strong>heit zulässig sein. Diesbezüglich<br />

kann auf die Ausführungen weiter oben verwiesen werden. 162<br />

b. Pflicht zur Betreibung eines Offline-Shops bzw.<br />

Ausschluss reiner Internethändler<br />

[Rz 94] Zulässig 163 ist, dem Händler im Rahmen von Qualitätsstandards<br />

vorzuschreiben, neben dem Online-Handel<br />

auch ein Ladenlokal mit Publikumsverkehr zu betreiben. 164<br />

Dies kann bereits aus Art. 4 lit. c Vertikal-GVO abgeleitet<br />

werden. Denn das darin enthaltene Verbot der Beschränkungen<br />

der Verkaufsmöglichkeiten an Endverbraucher gilt nicht<br />

für die Pflicht, nur von authorisierten Standorten aus tätig zu<br />

werden. Bei reinen Internethändlern fehlt es jedoch an einem<br />

authorisierten Standort. Diese Auslegung entspricht der<br />

herrschenden Meinung in Literatur <strong>und</strong> Rechtsprechung. 165<br />

Folglich kann ein Lieferant in einem Selektivvertriebssystem<br />

seine Händler verpflichten, ein stationäres Geschäft zu betreiben<br />

<strong>und</strong> so reine Internethändler auszuschliessen.<br />

[Rz 95] Darüber hinaus kann das Erfordernis eines stationären<br />

Verkaufslokals auch damit begründet werden, dass K<strong>und</strong>en,<br />

die ein persönliches Beratungsgespräch wünschen, das<br />

Produkt vorgängig ausprobieren <strong>und</strong> vergleichen wollen oder<br />

Wert auf ein besonders ausgestaltetes Verkaufslokal legen,<br />

nur in einem entsprechenden Verkaufslokal auch tatsächlich<br />

befriedigt werden können. 166 Ferner trägt die besondere<br />

Ausgestaltung des Verkaufslokals sowie die Persönlichkeit<br />

<strong>und</strong> die Umgangsformen des Personals nach wie vor mehr<br />

zum Aufbau eines bestimmten Images bei, als eine Website<br />

alleine. 167 Der Aufbau dieses Images ist regelmässig mit<br />

beträchtlichen Investitionen der Händler <strong>und</strong> des Lieferanten<br />

verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die Pflicht zum Betrieb eines Offline-Shops<br />

kann schliesslich auch das «Trittbrett-Fahren» reiner Internet-Händler<br />

eindämmen.<br />

162 Vgl. Abschnitt oben Abschnitt II. 1.1. a. (iii). Ferner die Schlussanträge des<br />

Generalanwalts Ján Mazák vom 3. März 2011, Rs. C-439/09 – Pierre Fabre<br />

Dermo-Cosmétique SAS, Rn. 31 ff.<br />

163 Vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 24. Juni 2002, IP/02/916,<br />

B&W Loudspeakers; Pressemitteilung der Kommission vom 17. Mai 2001,<br />

IP/01/713, Yves Saint Laurent; BGH Urteil vom 4. November 2003, KZR<br />

2/02 – «Depotkosmetik im Internet», GRUR 2004, S. 351 ff. Rn. 20 f.<br />

164 Vgl. Leitlinien, Tz. 54 S. 3.<br />

165 schuLtze/Pautke/ WageneR, Komm., Rn.585 m.w.N.; noLte, Rn. 640 zu<br />

Art. 81 EG; BGH Urteil vom 4. November 2003, KZR 2/02 – «Depotkosmetik<br />

im Internet», GRUR 2004, S. 351 ff. Rn. 19 ff.; Nach baRon in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff,<br />

Vertikal-GVO Rn. 195 <strong>und</strong> 217 soll ein stationärer<br />

Handel nur in Ausnahmefällen gefordert werden können.<br />

166 In diesem Sinne auch BGH Urteil vom 4. November 2003, KZR 2/02 – «Depotkosmetik<br />

im Internet», GRUR 2004, S. 351 ff. Rn. 19.<br />

167 RösneR, S. 1117 f., 1120.

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