Virtuelle Rekonstruktion einer Klosteranlage – Animation und ...
Virtuelle Rekonstruktion einer Klosteranlage – Animation und ...
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VDI-Fotschrittsberichte, Reihe 4,Nr.163, S.97-203, VDI_verlag, Düsseldorf, 1997<br />
<strong>Virtuelle</strong> <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>einer</strong> <strong>Klosteranlage</strong><br />
<strong>–</strong> <strong>Animation</strong> <strong>und</strong> Informationssystem <strong>–</strong><br />
Dipl.-Ing. Martin Keller, Dr.-Ing. Karsten Menzel, cand.-Ing. Petra Schulz<br />
Institut für ComputerAnwendungen im Bauingenieurwesen, TU Braunschweig<br />
Kurzfassung: Der Einsatz von CAD <strong>und</strong> Visualisierungstechniken bei der Gestaltung<br />
<strong>und</strong> der Präsentation von Bauwerken wird immer verbreiteter. Diese Techniken können<br />
aber auch genutzt werden, um zerstörte bzw. zerfallende Gebäude virtuell wieder auferstehen<br />
zu lassen. In einem weiteren Schritt ist es dann möglich dem CAD-Modell Informationen<br />
anzuhängen. Diese Informationen können durch einen Besucher bei einem<br />
virtuellen R<strong>und</strong>gang abgerufen werden.<br />
Einleitung<br />
Ausgehend von den technischen Neuerungen im Bereich der Visualisierungstechniken<br />
ist es möglich, Bauwerke heute nahezu photorealistisch darzustellen. Dies bedeutet<br />
nicht nur eine Unterstützung der Planungsaktivitäten für Neubauten oder im Bereich<br />
Facility Management, sondern in gleicher Weise können auch historische Bauwerke,<br />
welche ganz oder teilweise zerstört sind, mit Hilfe von CAD- <strong>und</strong> Visualisierungssoftware<br />
als digitale <strong>Rekonstruktion</strong> wieder auferstehen. Durch zusätzliche <strong>Animation</strong>s- <strong>und</strong><br />
VR-Techniken kann der Betrachter sich auf eine Reise durch das virtuell rekonstruierte<br />
Gebäude begeben <strong>und</strong> so einen Eindruck über den ursprünglichen Zustand bekommen.<br />
Neben der visuellen Darstellung des Gebäudes kann das virtuelle Modell auch als Metapher<br />
für die Nutzeroberfläche eines Informatiossystem genutzt werden. In <strong>einer</strong> Kombination<br />
aus Information <strong>und</strong> Unterhaltung sind verschiedene Nutzungsmodi möglich.<br />
In diesem Beitrag soll dargestellt werden, welche Schritte bei <strong>einer</strong> digitalen <strong>Rekonstruktion</strong><br />
vollzogen werden müssen, um als Ergebnis <strong>einer</strong>seits einen Videofilm sowie<br />
andererseits ein interaktives Informationssystem zu erhalten. Als Beispiel zur Erläuterung<br />
der Thesen dient ein aktuell bearbeitetes Projekt, der <strong>Rekonstruktion</strong> des teilweise<br />
nur noch als Ruine vorhandenen Klosters Walkenried im Südharz.
Beispielobjekt<br />
Das Kloster Walkenried im Südharz besteht bereits seit dem 12ten Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong><br />
gehört zu den eindrucksvollsten monumentalen Kirchenbauten der Gotik in Niedersachsen.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Macht des Klosters entstanden in den anschließenden<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten immer neue Gebäude. Zentraler Mittelpunkt war die im Jahre 1253<br />
fertiggestellte Klosterkirche mit dem angeschlossenen Kreuzgang.<br />
Die Gesamtlänge der Kirche betrug 92 m, die maximale Breite 26.80 m <strong>und</strong> die lichte<br />
Höhe des Mittelschiffes 22,30 m. Die Gr<strong>und</strong>rißposition läßt auf eine einheitliche Planung<br />
schließen, die noch in der Spätromantik wurzelt, während einige Baudetails der Frühgotik<br />
angehören. Im 14. Jahrh<strong>und</strong>ert erfolgte ein spätgotischer Umbau.<br />
Nach <strong>einer</strong> Verwüstung der Klosterkirche im Jahre 1525 diente die Ruine bis zum 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert als Steinbruch. Erhalten geblieben sind nur die westliche Giebelfassade,<br />
Partien des südlichen Querhauses <strong>und</strong> Teile des Chorpolygons.<br />
Da aus der Bauzeit keine genauen Unterlagen über die Klosterkirche existieren, ist die<br />
Raumgestaltung umstritten. Seit Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts haben mehrere Forscher<br />
versucht die Klosterkirche zu rekonstruieren. Wobei sie zum Teil zu unterschiedlichen<br />
Ergebnissen kamen. Die detaillierteste Beschreibung stammt aus dem Jahr 1910 von<br />
Karl Steinacker [5]. Dessen Aufzeichnungen dienen auch als Vorlage für das CAD-<br />
Modell.<br />
Datenaufnahme<br />
Abbildung 1: <strong>Klosteranlage</strong> Walkenried<br />
Vor der virtuellen <strong>Rekonstruktion</strong> historischer Bauwerke ist es notwendig eine Analyse<br />
über die vorhandenen (historische) Aufzeichnungen zu machen. Ausgehend von der
Tatsache, daß viele historische Unterlagen nicht mehr zur Verfügung stehen, ist zu betrachten,<br />
welche Genauigkeiten <strong>und</strong> Informationsdichte für die einzelnen Nutzungsmöglichkeiten<br />
erforderlich sind. Dabei ist darauf zu achten, daß die computergetützte, virtuelle<br />
<strong>Rekonstruktion</strong>en nicht zu unerwünschten „Fehldarstellungen“ führen.<br />
Zeitgenössische Darstellungen bieten häufig nur Anhaltspunkte für das dreidimensionale<br />
Modell, <strong>und</strong> müssen in vielen Details an die in der Zeit üblichen Bauweise angepaßt<br />
werden. Dieses Beinhaltet eine Untersuchung der unterschiedlichen Baustiele der<br />
einzelnen Epochen.<br />
Durch eine Analyse der Proportionen des Projektes kann zu Beginn der Modellierung<br />
ein dreidimensionales Gerüst der Systemlinien des Bauwerkes bestimmt werden. In<br />
Anlehnung an dieses Gerüst können die unterschiedlichen Bauteile in ihren Dimensionen<br />
an das Gesamtbauwerk angepaßt weden.<br />
CAD-Modellierung<br />
Ausgangspunkt <strong>einer</strong> Visualisierung ist das CAD-Modell. Dieses beschreibt die räumlichen<br />
Zusammenhänge das Gebäudes durch Oberflächen- <strong>und</strong> Volumenmodelle (siehe<br />
Abbildung 2). Dabei sind insbesondere die (scheinbar) divergierenden Anforderungen,<br />
die sich <strong>einer</strong>seits aus der angestrebten, möglichst detailgetreuen Darstellung <strong>und</strong> andererseits<br />
aus <strong>einer</strong> effizienten <strong>und</strong> schnellen Berechnung der Visualisierung ergeben,<br />
zu beachten. Dieses schließt Überlegungen zum Grad der Detaillierung, der Oberflächengestaltung,<br />
der Nutzung von Lichtquellen usw. ein.<br />
lines wire-frame surface<br />
solid<br />
surfaces<br />
volumes<br />
vertex,<br />
line,<br />
vertex,<br />
line,<br />
vertex,<br />
line,<br />
surface,<br />
vertex,<br />
line,<br />
surface,<br />
solid<br />
solid<br />
from 3D<br />
wire-frame<br />
model<br />
surface<br />
model<br />
B-Rep<br />
model<br />
Constructive<br />
Solids Geom.<br />
Abbildung 2: Modellierugstechniken
Da bei diesem Projekt die Visualisierung des Gebäudes im Vordergr<strong>und</strong> steht, <strong>und</strong> es<br />
sich weniger um ein technisches Modell handelt, können Kompromisse in der Detailierung<br />
<strong>und</strong> Genauigkeit eingegangen werden. Weiterhin kann durch die Identifizierung<br />
von baugleichen Bauteilen <strong>und</strong> Bauteilgruppen der Arbeits- <strong>und</strong> Rechenaufwand reduziert<br />
werden.<br />
<strong>Virtuelle</strong>s Modell<br />
Abbildung 3: Maschenmodell vom Kloster Cluny [1]<br />
Die virtuelle Realität modelliert die Attribute der physischen Welt, die mit den Sinnen<br />
des Menschen faßbar sind [2]. Über entsprechende Darstellungstechniken ist es möglich<br />
die künstliche, virtuelle Welt der physischen, realen Welt vergleichbar präsent erscheinen<br />
zu lassen.<br />
Die virtuelle <strong>Rekonstruktion</strong> als Videofilm soll potentiellen Nutzern einen Eindruck über<br />
das ursprüngliche Erscheinungsbild der Klosterkirche vermitteln. Über einen vordefinierten<br />
Kamerapfad bewegt sich der Betrachter durch <strong>und</strong> um das Gebäude. Dabei ist<br />
auf eine möglichst natürlichen Sichtweise eines gehenden Menschen zu achten.<br />
Der gesamte Film besteht aus Einzelbildern, die in Größe <strong>und</strong> Bildabfolge auf das Bild<br />
eines PAL-Bildschirmes (768*576 Pixel bei 25 Bilder/Sec) abgestimmt werden müssen.<br />
Um einen CAD-Datensatz sichtbar zu machen, können unterschiedliche Visualisierungstechniken<br />
angewendet werden. Zu diesen Verfahren zählen: Flat Shading, Gouraud<br />
Shading, Phong Shading, Ray-Tracing <strong>und</strong> Radiosity. Diese Algorithmen stellen<br />
meistens Annäherungen an physikalische Gesetzmäßigkeiten dar <strong>und</strong> verwenden unterschiedliche<br />
Verfahren der Physik als Berechnungsgr<strong>und</strong>lage [4]. Die Ergebnisse der<br />
unterschiedlichen Algorithmen unterscheiden sich sowohl in Qualität, als auch in dem<br />
Rechenaufwand.<br />
Das für den Film verwende Visualisierungsverfahren ist Ray-Tracing. Dabei werden von<br />
<strong>einer</strong> synthetischen Kamera (dem Bildschirm) aus die theoretisch eintreffenden Lichtstrahlen<br />
bis zur Lichtquelle verfolgt. Dadurch reduziert sich die Anzahl der möglichen
Lichtstrahlen auf die für die Darstellung notwendigen. Jeder Lichtstrahl wird bis zur<br />
Lichtquelle verfolgt, wodurch sich Brechnungen, Spiegelungen <strong>und</strong> Schatten darstellen<br />
lassen.<br />
Spiegel<br />
Lichtquelle<br />
Objekt<br />
Schatten<br />
Betrachter<br />
Bildschirm<br />
Abbildung 4: Ray-Tracing<br />
Während Ray-Tracing Berechnungen noch relativ hart wirken kann der Algorithmus für<br />
das Radiosity sowohl Reflexion als auch Absorption an Oberflächen bestimmen. Dadurch<br />
lassen sich diffuse Licht- <strong>und</strong> Schattenerscheinungen darstellen. Nachteil der<br />
Methode ist das Fehlen jeglicher Spiegelungen. Eine Kombination aus Radiosity <strong>und</strong><br />
Ray-Tracing führt zu sehr realitätsnahen Ergebnissen, wobei sich der Rechenaufwand<br />
in den meisten Fällen nur bei Einzelbildern lohnt.<br />
Abbildung 5: Altenberger Dom [Uni Dortm<strong>und</strong> Fachgebiet Baugeschichte]
Informationsmodell<br />
Neben der reinen Visualisierung der <strong>Klosteranlage</strong> wird in ein einem weiteren Schritt ein<br />
Informationsmodell des Klosters entstehen. Einerseits hat der Nutzer dabei die Möglichkeit<br />
selbständig durch den „Informationsraum Gebäude“ zu navigieren <strong>und</strong> dabei<br />
willkürlich Informationen über das Bauwerk abzurufen. Andererseits lassen sich im voraus<br />
erstellte Sequenzen <strong>–</strong> im Sinne eines „R<strong>und</strong>ganges“ <strong>–</strong> nachvollziehen. Dabei werden<br />
Informationen dem Nutzer gezielt aus bestimmten Perspektiven oder Sichtweisen<br />
präsentiert. In beiden Fällen dient das visualisierte Gebäudemodell als „Nutzerschnittstelle“<br />
im Sinne <strong>einer</strong> Raummetapher. Die verschiedensten Arten von Information, wie<br />
Bilder, Texte, Datenströme (Video, Audio) sind mit den Bauteilen des Modells verb<strong>und</strong>en.<br />
Über die Bauteile erfolgt der Zugriff zur eigentlichen Information.<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieses Wahrnehmungsmodells werden im Sinne <strong>einer</strong> Raummetapher<br />
die Beschreibung des physikalischen Modells, der Informationsverarbeitung <strong>und</strong><br />
der Benutzerinteraktion zusammengeführt. Sowohl Architektur als auch Informationstechnologien<br />
werden mit Hilfe der Raummetapher auf die gleiche Art dem Nutzer zugänglich<br />
gemacht. Die im Datenmodell getrennte räumliche- <strong>und</strong> Informationssicht werden<br />
an der Nutzerschnittstelle vereinigt <strong>und</strong> schaffen dadurch ein komplexes Informationssystem.<br />
Zusammenfassung<br />
Die virtuelle <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>einer</strong> nicht mehr existierenden <strong>Klosteranlage</strong> gliedert sich in<br />
drei Projektabschnitte. In der Datenaufnahme werden die Dimensionen der Gebäude<br />
bestimmt <strong>und</strong> die entsprechenden Baustiel definiert. In der anschließenden CAD-<br />
Modellierung wird das Gebäude durch Oberflächen- <strong>und</strong> Volumenmodelle abgebildet.<br />
Das Ergebnis der Modellierung kann nach der Definition von Oberflächen <strong>und</strong> Beleuchtungsmodellen<br />
mit unterschiedliche Visualisierungsalgorithmen visualisiert werden.<br />
Durch ein Informationsmodell können den einzelnen Bauteilen des virtuellen Modells<br />
Nutzerinformationen hinterlegt werden.<br />
Literatur<br />
[1] Cramer, Horst; Koob, Manfred: Cluny Architektur als Vision, Edition Braus, Heidelberg<br />
1993, ISBN 3-89466-088-0<br />
[2] Hovestadt, Volkmar: Informationsgebäude <strong>–</strong> Ein Integrationsmodell für Architektur<br />
<strong>und</strong> Informationstechnologien, Fortschritt-Brerichte VDI, VDI Verlag GmbH,<br />
Düsseldorf 1998, ISBN 3-18-327620-8<br />
[3] Maier, Konrad; Keibel-Maier, Maria: Kloster Walkenried, Deutscher Kunstverlag<br />
München Berlin, 1997
[4] Sassmannshausen, V.: Architektur <strong>und</strong> Simulation <strong>–</strong> <strong>Animation</strong> als manipulierbares<br />
Darstellungswerkzeug in der Architektur - , Wissenschaft <strong>und</strong> Technik Verlag,<br />
Berlin 1998, ISBN 3-89685-302-3<br />
[5] Steinacker, K.: Die Bau- <strong>und</strong> Kunstdenkmäler des Kreises Blankenburg, Wolfenbüttel<br />
1922, Nachdruck H.Th. Wenner, Osnabrück 1979, ISBN 3-87898-143-0