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001119 Ostseezeitung (pdf) - dramagraz

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Ostsee Zeitung, 19. November 2000<br />

Komödie mit Bitterkeit<br />

Deutsche Sprache Schwere Sprache" von Einar Schleef uraufgeführt<br />

Schwerin (OZ) Diesmal ist es soweit in Schleefs „Totentrompeten"-Zyklus: Den<br />

Feierabend-Demonstrationen folgen Mauerfall und endgültiger Untergang der<br />

DDR. Auch im Provinznest Sangerhausen (Bezirk Halle) verbrennt die Stasi<br />

Akten und wird „erstürmt". Und was tun die drei Heldinnen der Stück-Trilogie,<br />

die sich leidlich durch den tristen Alltag der DDR-Provinz schlagen mussten und<br />

eigentlich keinen Grund haben, dem sterbenden Regime nachzutrauern? „Wir<br />

löschen die Stasi. Sonst brennen wir", beschließen sie, und dann: „Wir trauern<br />

um die DDR."<br />

Da ist Einar Schleefs Stück „Deutsche Sprache Schwere Sprache", der dritte<br />

Teil seiner „Totentrompeten", am Ende doch wieder in jener Bitterkeit


angekommen, die im gesamten Zyklus über das wechselvoll verknüpfte Leben<br />

dieser drei Alten mitschwang: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazizeit, DDR,<br />

nun die Wiedervereinigung, und all das in der grauesten Provinz - da bleibt<br />

keiner ohne Beschädigung.<br />

Eigentlich aber ist dieser dritte Teil, der am Donnerstag im Schweriner E-Werk<br />

seine kräftig beklatschte Uraufführung erlebte, eher die Komödie im Zyklus.<br />

Nachdem sich der große Traum von einer Moskau-Reise im zweiten Teil<br />

zerschlagen hat, erleben die drei Alten mit ihrem unzerstörbaren und manch<br />

sonderbare Kapriole schlagenden Lebensmut erhebliche Aufschwünge auch<br />

seelischer Art.<br />

Vor allem Trude: zupackend herzhart, mit Momenten tief vergrabener Wut und<br />

verdrängter Hoffnungen gespielt von Lore Tappe. Trude hat eine besondere Art<br />

des Umgangs mit jenem Volkspolizei-Kader gefunden, der ihr stets den<br />

ersehnten Pass und damit ein Wiedersehen mit ihrem in den Westen<br />

gegangenen Sohn verweigerte. Diesem Polizisten (Gottfried Richter), der<br />

wegen seiner republikflüchtigen Tochter nun selbst auf der Karriereleiter nach<br />

unten gepurzelt ist, hilft sie, seine Sprachstörung wegzutrainieren. Mit<br />

proletarischer Strenge und beherztem rhetorischem Exorzismus treibt sie ihm<br />

das Stottern aus, indem sie ihm die „zehn Gebote des guten Sprechens"<br />

einbleut, bis der Gemarterte vor ihr auf dem Boden kniet und herumkriecht:<br />

Deutsche Sprache schwere Sprache.<br />

Solidarisch helfende Hand und Rache-Faust wirken in diesem Sprech-Lehrgang<br />

der forschen Trude als sonderbare Einheit. Mit dem Ergebnis, dass der Genosse<br />

Meyer zur Wendezeit seinen Beinamen „Genosse" ablegt wie die roten Socken<br />

von seinen Füßen und zum Herrn Oberamtmann aufsteigt. Er gilt nun als<br />

Aushängeschild für aktiven Widerstand - und kann fließend sprechen.<br />

Derweil sind die korrekte Elly (Gretel Müller-Liebers) und Lotte auf<br />

Männersuche. Das Auswählen unter den 320 Annoncen-Antworten und das<br />

persönliche Ausprobieren scheint Lotte exzessiv zu genießen. Sie erblüht dabei


egelrecht (und Darstellerin Ute Kämpfer blüht ebenso in ihren Monologen<br />

auf), um derart gestärkt später im florierenden Devisen-Schwarzhandel (Kurs<br />

1:7) den Untergang der DDR zu beschleunigen.<br />

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die der aus Ostdeutschland<br />

stammende Einar Schleef mit seinen „Totentrompeten" dem Theater schenkte;<br />

Trude ist ein Porträt seiner Mutter, er selbst, der 1976 per „Republikflucht" die<br />

DDR verließ, ist jener für Trude unerreichbare Sohn. Dass die in Sangerhausen<br />

spielenden Stücke in Schwerin herauskamen, und zwar mit behutsamem Blick,<br />

aber unverblümter Präzision in Szene gesetzt durch den Österreicher Peter<br />

Binder, verhilft dem authentischen Werk zu allgemeiner Geltung. Jenseits<br />

rechthaberischer Jubiläums-Rituale wird (ost-) deutsche Vergangenheit<br />

aufgearbeitet und dabei Menschlichkeit als wichtigstes Kriterium der Rückschau<br />

wiederentdeckt. Spannend ist dieser Blick durch die drei Alten und ihre ganz<br />

eigene Sprache - und es wird wunderbar gespielt.<br />

DIETRICH PÄTZOLD

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