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Nackt im Wind - dramagraz

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Hannoversche Allgemeine Zeitung, 27. Februar 1997<strong>Nackt</strong> <strong>im</strong> <strong>Wind</strong>Schleefs „Totentrompeten“ zum zweiten in Schwerin„Solange die DDR lebt, stirbst du nicht." So trötet die Elly der Trude inshalbtaube Ohr, wenn die Freundin mit der Gießkanne mal wieder probeweiseauf den Friedhof will. Gespenster rumoren, Engel zwitschern. Die Toten winken<strong>im</strong>mer, doch der Tod kommt n<strong>im</strong>mer. Mögen Elly und Trude, den Feldstechervor den halbblinden Augen, auch noch so angestrengt ins nahe Ferne stieren.Einar Schleefs „Totentrompeten" haben vor zwei Jahren schon einmal mächtiggescheppert. Die Koproduktion des Staatstheaters Schwerin mit dem „forumstadtpark theater Graz" war ein kleines Festkonzert. Schleef erhielt denbegehrten Mülhe<strong>im</strong>er Dramatikerpreis. Die Zeitschrift „Theater heute" kürte ihnzum Autor 1995. Gründe genug, für den jüngst vom Berliner Ensemble


gefeuerten Regisseur, seinem bizarren Blechbläserstück jetzt einen zweitenSatz unter dem Titel „Drei Alte tanzen Tango" anzuschließen.Getanzt wird freilich weniger als gezittert. Elly, Trude und Lotte, dasliebenswert-bescheuerte Rentnerinnen-Trio aus Schleefs GeburtsortSangerhausen, ist in den Wendewirren angekommen. Angst geht um und vageHoffnung. Weil der liebe Nachbar Stasi plötzlich Akten verfeuert, auf daß dieKirschen <strong>im</strong> Garten schwarz werden statt rot. Weil der fette Oberamtmann,dessen Tochter über Ungarn getürmt ist, plötzlich zum Pförtner schrumpft undnicht länger Macht hat über Reisepässe.Also, nichts wie weg. Flugs steigt das stumme Lottchen aus dem EndlagerHeilanstalt aus und ins Hochzeitskleide ein, legt grinsend die Hand auf denmürben Bauch voll guter Hoffnung. Herbert heißt der <strong>im</strong>aginäre Bräutigam,Moskau das ersehnte Ziel, während die fesche Elly, etwas wirklichkeitsnaher,den krummen Rücken durchbiegt und lieber abdampfen will in den goldenenWesten. Weg vom Fleck kommt keine von beiden. Totentrompeten wurzeln tief.Recken sie die Köpfe aus dem Moos, werden sie leicht zertreten, weil kaumeiner sie kennt. Wer sie kennt, weiß, daß die angeblich ungenießbarenRöhrlinge, richtig zubereitet, gut schmecken.Pilzfreund und He<strong>im</strong>atforscher Schleef, „Republikflüchtling" von 1976, ist nichtnur Kenner der Materie, er ist auch Genießer. Weder n<strong>im</strong>mt er seineTotentrompeten grobianisch unter den Stiefel, noch macht er sie sonstwieklein, platt oder dumm. Er schält sie liebevoll. <strong>Nackt</strong> und bloß sind die Figuren,aller Gewißheiten enthoben.Die Inszenierung von Ernst M. Binder auf der leeren, schwarz ausgeschlagenenKammerbühne des Staatstheaters Schwerin setzt formbewußt, streng undbesonnen ganz aufs Wort und die Kunst der drei großen alten Damen desEnsembles, Lore Tappe (Trude), Gretel Müller-Liebers (Elly) und Ute Kämpferals stumme Lotte. Dafür gab's Beifall auf offener Szene und Bravos am Ende,auch und gerade für Einar Schleef, der seinem Totentrompetenkonzert, über


kurz oder lang zwei weitere Sätze hinzufügen will. Fürs erste freilich müssendie drei alten Tunten ihren furiosen Tango auch noch in Graz tanzen (von MitteJuli an).FRIEDEMANN KRUSCHE

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